Schadensersatz wegen Unfalls mit Kinder-Mountain-Bike

Gericht

AG Hanau


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

09. 07. 1996


Aktenzeichen

34 C 3201/95-14


Leitsatz des Gerichts

Kollidiert ein neunjähriges Mädchen auf einem Mountainbike mit einem Auto, das rückwärts aus einer Einfahrt herausfährt, so müssen die Eltern des Mädchens und der Autofahrer den Schaden jeweils zur Hälfte ersetzen. Denn obwohl ein Mountainbike kein Kinderfahrrad mehr ist und deshalb nicht auf dem Gehweg benutzt werden darf, muss der Autofahrer mit fahrradfahrenden Kindern auf dem Gehweg rechnen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. nimmt die Bekl. anläßlich eines Verkehrsunfalls in Anspruch, der sich auf dem Gehweg vor der Einfahrt des Anwesens B-Straße 6 in H. ereignete und an dem der Kl. als Fahrer seines Pkw sowie die Bekl. mit ihrem 8-Gang Mountain-Bike beteiligt waren. Der Kl. fuhr mit seinem Fahrzeug rückwärts aus der Einfahrt des oben genannten Anwesens hinaus. Die Einfahrt wird von einer ca. zwei m hohen Mauer begrenzt, die bis zum Bürgersteig reicht. Die am 13. 3. 1986 geborene Bekl. befuhr mit ihrem Fahrrad den Gehweg und prallte mit ihrem Fahrrad hinten links gegen das Heck des klägerischen Pkw und stürzte zu Boden. Der Kl. nimmt die Bekl. auf Schadensersatz in Höhe von 3276,45 DM in Anspruch. Die Bekl. verlangt widerklagend 337,65 DM sowie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 1300 DM. Sie führt aus, sie habe gerade erst die Altersgrenze von acht Jahren überschritten gehabt. Im übrigen habe sie ein Kinderfahrrad i.S. von § 24 I StVO benutzt, dessen Benutzung auch von Kindern über acht Jahren auf Gehwegen erlaubt sei.

Klage und Widerklage hatten teilweise Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Die Bekl. ist gem. § 823 I BGB verpflichtet, dem Kl. anläßlich des Unfalls vom 4. 4. 1995 unter Berücksichtigung einer 50-prozentigen Mitverschuldensquote Schadensersatz in Höhe von 1437,23 DM zu zahlen. ...

Unstreitig hat die Bekl. das klägerische Fahrzeug beschädigt, als sie mit ihrem Fahrrad hinten links gegen das Heck des klägerischen Pkws prallte. Sie hat in fahrlässiger Weise zu dem Unfall beigetragen, denn sie hat dadurch, daß sie mit ihrem Fahrrad den Gehweg befuhr, gegen § 2 I 1 StVO verstoßen. Fahrzeuge, wozu auch Fahrräder gehören, müssen die Fahrbahn benutzen.

Die Ausnahmevorschrift des § 24 I StVO greift nicht ein. Kinderfahrräder, die gem. § 24 I StVO nicht Fahrzeuge i.S. der StVO sind, sind nur Fahrräder, die gemäß den Körpermaßen von Kindern im Vorschulalter gebaut sind und zum spielerischen Umherfahren benutzt werden. Unzweifelhaft handelt es sich bei einem 8-Gang Mountain-Bike mit der Möglichkeit der späteren Aufrüstung auf 16 Gänge nicht um ein solches Kinderfahrrad. Die Bekl. war zum Zeitpunkt des Unfalls grade neun Jahre alt, so daß ihr nicht die Vorschrift des § 2 V StVO zugute kommt, wonach Kinder bis zum vollendeten achten Lebensjahr mit Fahrrädern den Gehweg benutzen müssen.

Abgesehen davon, daß die Bekl. entgegen § 2 I StVO mit ihrem Fahrrad den Gehweg benutzt hat, ist ihr darüber hinaus vorzuwerfen, daß sie nach eigenen im polizeilichen Ermittlungsverfahren gemachten Angaben „ziemlich schnell" gefahren ist. Diese Aussage ist zwar von dem Prozeßbevollmächtigten der Bekl. dahingehend relativiert worden, daß die Bekl. mit ihrer kindlichen Sichtweite damit die Geschwindigkeit eines marschierenden Fußgängers gemeint habe. Größere Bedeutung ist jedoch der einige Wochen nach dem Unfall gemachten persönlichen Aussage der Bekl. beizumessen, die die Frage des Polizeibeamten, ob sie auf dem Gehweg zu schnell gefahren sei, damit beantwortet hat, daß sie ziemlich schnell gefahren sei. Für eine über einem schnellen Schrittempo liegenden Geschwindigkeit der Bekl. spricht auch, daß die Bekl. nicht bremsen konnte, obwohl der Kl. nach ihrem eigenen Vortrag lediglich mit der Geschwindigkeit eines langsam gehenden Fußgängers aus der Grundstücksausfahrt herausgefahren ist.

Der Bekl. fehlt auch nicht die zur Erkenntnis ihrer Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht gem. § 828 II BGB. Ein neunjähriges Schulkind verfügt in der Regel über die Einsicht, daß es für von ihm verursachte Unfälle irgendwie einstehen muß, was den Schluß auf die erforderliche Einsichtsfähigkeit zuläßt. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Bekl. im vorliegenden Fall über die Straßenbenutzungspflichten belehrt worden ist (vgl. Schmid, DAR 1982, 149f.). Ein neunjähriges Kind verfügt über das nötige Erfahrungswissen und Verstandesreife, um die Gefährlichkeit seines Fehlverhaltens gem. § 828 II BGB zu erkennen (vgl. OLG Düsseldorf, VersR 1948, 768).

Der Kl. muß sich jedoch ein Mitverschulden an dem Verkehrsunfall entgegenhalten lassen. Ein Verkehrsteilnehmer darf von einem Grundstück über die Ausfahrt auf die Fahrbahn nur einfahren, wenn eine Gefährdung des fließenden Verkehrs ausgeschlossen ist (§ 10 S. 2 StVO). Die hierzu erforderliche Sorgfalt erstreckt sich auch auf rechtswidrig den Gehweg benutzende Radfahrer. Weil radfahrende Kinder bis zum vollendeten achten Lebensjahr ohnehin den Gehweg zur benutzen haben, darf ein aus einer Grundstücksausfahrt ausfahrender Verkehrsteilnehmer auf dem Gehweg nicht lediglich mit Fußgängern und deren geringer Fortbewegungsgeschwindigkeit rechnen. Besondere Sorgfalt hätte der Kl. im vorliegenden Fall walten lassen müssen, weil er rückwärts aus der Ausfahrt herausgefahren ist und weil die Einfahrt mit einer ca. zwei m hohen Mauer begrenzt war, die bis zum Bürgersteig reichte.

Dagegen hat die Bekl. nicht bewiesen, daß der Kl. ohne anzuhalten aus der Grundstücksausfahrt herausgefahren ist. Der Zeuge B konnte diesbezüglich keine präzisen Angaben machen.

Die Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile führt zu einer Haftungsverteilung von 50 % zu 50 %. Zu Lasten des Kl. geht der Verstoß gegen § 10 S. 2 StVO. Er hat sich beim Herausfahren aus der Grundstücksausfahrt nicht so verhalten, daß eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war. Erforderlichenfalls hätte er sich einweisen lassen müssen. Zu Lasten der Bekl. geht die vorschriftswidrige Benutzung des Gehwegs mit einem Fahrrad. Ferner ist die Bekl. nach eigenen Angaben ziemlich schnell gefahren. Zu berücksichtigen ist jedoch auch, daß die Bekl. gerade erst neun Jahre alt zum Zeitpunkt des Unfalls gewesen ist und deshalb wegen ihres kindlichen Alters das Bewußtsein der vollen Tragweite ihres Verkehrsverstoßes eingeschränkt gewesen ist.

Rechtsgebiete

Straßenverkehrs- und Straßenrecht; Schadensersatzrecht

Normen

BGB § 823; StVO § 24 I