Amtspflichtverletzung durch Bußgeldbescheid gegen Fahrzeughalter aufgrund Kennzeichenanzeige

Gericht

LG Frankfurt a.M.


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

10. 07. 1996


Aktenzeichen

2/4 O 37/96


Leitsatz des Gerichts

Ein Bußgeld wegen eines Parkverstoßes kann nicht verhängt werden, wenn nur das Kennzeichen des Pkw erkannt wird und somit ohne weitere Indizien willkürlich auf den Fahrzeughalter als Fahrzeugführer geschlossen wird.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. erhielt aufgrund einer sog. Kennzeichenanzeige einen Bußgeldbescheid wegen eines mit dem auf sie zugelassenen Pkw begangenen Parkverstoßes. Das Bußgeldverfahren wurde später eingestellt. Die in diesem Zusammenhang entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 238,05 DM verlangt die Kl. erstattet. Das LG hat der Klage stattgegeben.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Der Kl. steht gegenüber der Bekl. ein Anspruch auf Erstattung der ihr in dem von der Bekl. gegen sie eingeleiteten Bußgeldverfahren. ... entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 238,05 DM zu.

Der Erlaß des Bußgeldbescheides gegen die Kl., die unstreitig Halterin ... ist, wegen eines am 8. 11. 1994 mit diesem Fahrzeug begangenen Parkverstoßes ist willkürlich und stellt damit eine Amtspflichtverletzung i.S. des § 839 BGB dar, weil die Bekl. nur aufgrund der Haltereigenschaft auf die Fahrzeugführung durch die Kl. geschlossen hat. Bei einer Kennzeichenanzeige kann, wenn der Fahrzeughalter schweigt - hiervon ist im vorliegenden Falle auszugehen -, grundsätzlich nicht von der Haltereigenschaft darauf geschlossen werden, daß der Halter das Kraftfahrzeug zur Tatzeit gefahren hat, es sei denn, es deuten zusätzliche Indizien auf die Fahrzeugführung durch den Fahrzeughalter hin (Göhler, OWiG, 11. Aufl., § 55 Rdnrn. 11ff.; BVerfG, NJW 1994, 847).

Vorliegend hat die Bekl. gegenüber der Kl. einen Bußgeldbescheid erlassen, obwohl außer der Haltereigenschaft der Kl. keine weiteren Anhaltspunkte vorgelegen haben. In diesem Stadium des Bußgeldverfahrens ist die Kl. im Gegensatz zu dem Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens, wo der einfache Anfangsverdacht ausreicht, der sich aus zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten wie der Haltereigenschaft ergeben kann (vgl. Kammerurt. v. 1. 11. 1995 - 2/4 O 170/95), gehalten, die o.g. Grundsätze zu beachten. Um diesen Grundsätzen gerecht zu werden und gleichzeitig dem Kraftfahrzeughalter die Verfahrenskosten auferlegen zu können, hat der Gesetzgeber die Kostenregelung des § 25a StVG eingeführt, die verfassungskonform ist (BVerfG, VRS 77, 241ff.). Demnach steht der Bekl. gerade für den Fall, daß der Fahrzeugführer nicht ermittelt werden kann, die vereinfachte Beendigung des eingeleiteten Ermittlungsverfahrens gem. § 25a StVG zur Verfügung (Göhler, Vorb. § 109a Rdnrn. 2a, 7f.). Bei Halt- und Parkverstößen, bei denen der Kfz-Führer nicht angetroffen wird, werden nähere Ermittlungen i.d.R. einen unangemessenen Aufwand erfordern, demnach kann in der Regel von der Ermittlung des Kfz-Führers gem. § 25a I 1 Halbs. 1 Alt. 2 StVG abgesehen werden (Göhler, Vorb. § 109a Rdnr. 8). Der Erlaß eines Bußgeldbescheides allein aufgrund der Haltereigenschaft aber ist rechtswidrig, weil das Willkürverbot des Art. 3 GG, wonach sachgerechte Feststellungen und Erwägungen zur Täterschaft des beschuldigten Halters zu treffen sind (BVerfG, NJW 1994, 847), mißachtet und das Schweigerecht des beschuldigten Halters, im Gegensatz zu der Kostentragungspflicht gem. § 25a StVG (BVerfG, VRS 77, 241 (245)), verletzt wird. Diese Pflicht der Bekl. zur vollständigen Aufklärung des Sachverhalts, vorliegend der Tatsache der Kfz-Führung durch die Halterin zum Tatzeitpunkt, oblag der Bekl. als Amtspflicht (BVerfG, NJW 1994, 3162 (3164)). Diese Amtspflicht, die vorliegend offenkundig ist, haben die Bediensteten der Bekl. durch den Erlaß des Bußgeldbescheides mindestens fahrlässig, demnach schuldhaft verletzt.

Dem Anspruch steht die Bestimmung des § 839 III BGB nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift tritt die Ersatzpflicht dann nicht ein, wenn der Verletzte es zumindest fahrlässig unterlassen hat, ein Rechtsmittel einzulegen. Gemeint sind hierbei Rechtsmittel, die sich unmittelbar gegen die Amtshandlung richten (Palandt/Thomas, BGB, 55. Aufl., § 839 Rdnr. 73). Der der Kl. gegen den Kostenbescheid der Bekl. vom 25. 4. 1995 zur Verfügung stehende Rechtsbehelf der gerichtlichen Entscheidung gem. § 25a III StVG, § 62 II OWiG richtet sich jedoch nicht unmittelbar gegen die rechtswidrige Handlung, vorliegend den Erlaß des Bußgeldbescheids, sondern lediglich gegen die Kostenentscheidung gem. § 25a I StVG. Das gegen den rechtswidrigen Bußgeldbescheid einschlägige Rechtsmittel, den Einspruch, hat die Kl. aber mit Schreiben vom 10. 1. 1995 fristgemäß eingelegt.

Der Schaden besteht vorliegend darin, daß die Kl. um gegen den rechtswidrig erlassenen Bußgeldbescheid vorzugehen, einen Rechtsanwalt, ihren Prozeßbevollmächtigten, eingeschaltet hat und hierdurch mit einer Zahlungsverpflichtung belastet ist. Es ist allgemein anerkannt, daß diese Kosten stets zu den notwendigen Auslagen gehören (Göhler, Vorb. § 105 Rdnr. 37).

Rechtsgebiete

Straßenverkehrs- und Straßenrecht

Normen

BGB § 839; Art. 34 GG