Absehen vom Regelfahrverbot - Geschwindigkeitsüberschreitung

Gericht

OLG Zweibrücken


Art der Entscheidung

Beschluss über Beschwerde


Datum

19. 12. 1996


Aktenzeichen

1 Ss 291/96


Leitsatz des Gerichts

Ob im Falle einer Durchfallerkrankung von der Verhängung eines Regelfahrverbots wegen überhöhter Geschwindigkeit abgesehen werden kann, muss im Einzelfall vom Gericht geprüft werden. Generell ist der Betroffene durch plötzlich auftretenden Stuhldrang nicht berechtigt, mit überhöhter Geschwindigkeit einen Parkplatz anzusteuern, es sei denn, er hat keine Möglichkeit, auf dem Seitenstreifen anzuhalten, um dort seine Notdurft zu erledigen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Betr. überschritt außerorts (auf einer Autobahn) die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 50 km/h. Er berief sich auf einen „Fall höherer Gewalt", weil er infolge einer Durchfallerkrankung und mit Blick auf die Anwesenheit einer Beifahrerin gezwungen gewesen sei, schnellstmöglich einen Parkplatz anzusteuern, um seinem plötzlich auftretenden Stuhldrang nachgeben zu können. Das AG verurteilte des Betr. wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 200 DM und ordnete Fahrverbot von 1 Monat an.

Die Rechtsbeschwerde des Betr. führte zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung an das AG.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Wie sich aus den Urteilsgründen ergibt, ist das AG zutreffend davon ausgegangen, daß § 2 I BKatV das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung i.S. von § 25 I 1 StVG indiziert, so daß es regelmäßig der Anordnung eines Fahrverbots als eindringlichen Denkzettels bedarf (BVerfG, DAR 1996, 196 = NStZ 1996, 391; BGHSt 38, 125 = NJW 1992, 446 = NStZ 1992, 135 = NZV 1992, 135 sowie st. Rspr. des Senats).

Die Ausführungen, mit denen der Regelfall i.S. des § 2 I BKatV bejaht worden ist, halten der rechtlichen Überprüfung nicht stand. Nach den vom BVerfG in seiner Grundsatzentscheidung (BVerfG, NStZ 1996, 391 = DAR 1996, 196) gestellten Anforderungen entbinden die Fallbeschreibungen in der Bußgeldkatalogverordnung den Richter nicht von der Pflicht, sowohl dem Schuld- als auch dem Verhältnismäßigkeitsprinzip durch eine Gesamtwürdigung zu entsprechen, in die alle Umstände der Tat sowie die Sanktionsempfindlichkeit des Betr. einzustellen sind. Unter Abwägung der Umstände des Einzelfalls in objektiver und subjektiver Hinsicht hat er zu bestimmen, ob das gesamte Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle (Regelfall) in solchem Maße abweicht, daß ein Fahrverbot unangemessen wäre.

In subjektiver Hinsicht genügen die Ausführungen des angefochtenen Urteils diesen Anforderungen nicht. Die vorgenommene Güterabwägung zwischen den persönlichen Interessen eines Betr. an der Wahrung seines Schamgefühls und damit seiner Würde - um nichts anderes geht es hier letztlich - und dem Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit des Straßenverkehrs läßt die Berücksichtigung des konkreten Tatbildes vermissen und verhält sich insbesondere nicht zur inneren Tatseite. Daß der Betr. (trotz Anwesenheit einer Beifahrerin) gehalten war, „notfalls seinem Druck im Magen-Darmbereich während der Fahrt nachzugeben und die Verschmutzung seiner Wäsche in Kauf zu nehmen“, überspannt zudem die Anforderungen im Normalfall und kann allenfalls für konkrete Gefahrensituationen gelten.

Zur weiteren Aufklärung der Umstände der Tat wird auch zu überprüfen sein, ob der Betr. sich nicht auf andere Weise aus seiner Notlage hätte helfen können als durch die erwiesene Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit. Insofern bedarf es weiterer Feststellungen, ob es dem Betr. nicht möglich war, seiner Notlage dadurch zu begegnen, daß er mit seinem Fahrzeug auf dem Seitenstreifen der Autobahn angehalten hätte, um sich dort - hinter seinem Pkw vor zudringlichen Blicken geschützt - seiner Notdurft zu entledigen. Bestand diese Möglichkeit, dann kann sich der von dem Betr. gewählte Weg unter Umständen doch wiederum als Regelfall eines groben Verstoßes mit der Folge des Fahrverbots erweisen.

Ein Abweichen von der Regelahndung ist folglich nicht zwingend. Die erforderliche neue Entscheidung kann der Senat selbst nicht treffen, da die lückenhaften Feststellungen im Urteil zum Tatbild eine abschließende Entscheidung über die Verhängung eines Fahrverbots nicht zulassen. Die Sache war deshalb an das AG zurückzuverweisen.

Rechtsgebiete

Straßenverkehrs- und Straßenrecht

Normen

StVO § 3; StVG § 25 I 1; BKatV § 2 I Nr. 1; BKat Nr. 5.3