Ansprüche des Arbeitnehmers auf die Intensivpflegezulage

Gericht

BAG 10. Senat


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

22. 01. 1997


Aktenzeichen

10 AZR 459/96


Leitsatz des Gerichts

Die Berufung des Arbeitgebers auf die Ausschlußfrist des § 70 BAT verstößt nicht allein deswegen gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), weil er dem Arbeitnehmer eine unzutreffende Auskunft über das Bestehen seines Anspruchs gegeben hat.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten um die Zahlung einer Intensivpflegezulage für den Zeitraum vom 1. 4. 1991 bis zum 30. 11. 1993.

Der Kl. arbeitet seit dem 1. 4. 1991 bei der Bekl. in den Städtischen Kliniken auf der Intensivstation der Herzchirurgischen Abteilung als leitender Krankenpfleger. Kraft vertragl. Vereinbarung findet auf das Arbeitsverhältnis der BAT Anwendung.

Im Juni 1991 fragte der Kl. einen Verwaltungsangestellten der Personalabteilung der Bekl., ob ihm eine Intensivpflegezulage zustehe. Dies wurde verneint. Der Kl. hat daraufhin keinen Antrag auf Zahlung einer Intensivpflegezulage gestellt.

Mit Schreiben vom 21. 6. 1994 teilte die Bekl. dem Kl. und anderen betroffenen Arbeitnehmern mit, daß ihm ab dem 1. 4. 1991 eine Intensivpflegezulage in Höhe von monatl. 90 DM zustehe, die ihm jedoch rückwirkend nur für die Zeit vom 1. 12. 1993 bis 30. 6. 1994 gewährt werde. Für die Vergangenheit berief sich die Bekl. auf die Ausschlußfrist des § 70 BAT. Mit der Klageschrift vom 28. 9. 1994 hat der Kl. erstmals die Intensivpflegezulage schriftl. geltend gemacht.

Der Kl. hat die Auffassung vertreten, die Berufung auf die Ausschlußfrist sei treuwidrig, weil die Bekl. ihn durch ihre fehlerhafte Auskunft veranlaßt habe, die ihm zustehende Intensivpflegezulage nicht geltend zu machen.

Der Kl. hat beantragt, die Bekl. zu verurteilen, an ihn 2 880 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 1. 9. 1994 zu zahlen.

Die Bekl. hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, die Berufung auf die tarifl. Ausschlußfrist sei zulässig, da sie den Kl. zu keinem Zeitpunkt abgehalten habe, seinen Anspruch frist- und formgerecht geltend zu machen.

Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Das LAG hat die Klage abgewiesen. Die aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde zugelassene Revision des Kl. ist unbegründet.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Die Ansprüche des Kl. auf die Intensivpflegezulage gemäß der Protokollerklärung Nr. 1 Abs. 2 der Anlage 1b zum BAT sind für den Zeitraum vom 1. 4. 1991 bis zum 30. 11. 1993 mangels rechtzeitiger schriftl. Geltendmachung gemäß § 70 BAT verfallen. Danach verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlußfrist von 6 Monaten nach Fälligkeit vom Angestellten schriftl. geltend gemacht werden.

Nach den bindenden Feststellungen des LAG sind die Ansprüche auf die Intensivpflegezulage für den genannten Zeitraum erstmalig schriftl. mit der Klageschrift vom 28. 9. 1994, also später als sechs Monate nach der letzten Fälligkeit des Anspruchs geltend gemacht worden. Damit sind diese Ansprüche wegen Versäumung der Ausschlußfrist gemäß § 70 BAT verfallen.

II. Das LAG hat zutreffend angenommen, daß die Berufung der Bekl. auf den Verfall der Ansprüche nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt.

1. Eine gegen Treu und Glauben verstoßende und damit gemäß §§ 242 , 134 BGB unzulässige Rechtsausübung stellt die Berufung auf eine Ausschlußfrist dann dar, wenn die zum Verfall des Anspruches führende Untätigkeit des Arbeitnehmers hinsichtl. der gemäß § 70 BAT erforderl. schriftl. Geltendmachung des Anspruches bzw. der Einhaltung der Verfallfrist durch ein Verhalten des Arbeitgebers veranlaßt worden ist. Der Arbeitgeber muß also den Arbeitnehmern von der Geltendmachung des Anspruchs bzw. der Einhaltung der Verfallfrist abgehalten haben. Das wird angenommen, wenn der Arbeitgeber durch positives Tun oder durch pflichtwidriges Unterlassen dem Arbeitnehmer die Geltendmachung des Anspruchs oder die Einhaltung der Frist erschwert oder unmöglich gemacht hat bzw. an objektiven Maßstäben gemessen den Eindruck erweckt hat, der Arbeitnehmer könne darauf vertrauen, daß der Anspruch auch ohne Wahrung einer tarifl. Ausschlußfrist erfüllt werde (vgl. BAG 11, 150, 155 f.; 14, 140, 145 ff.; 24, 84, 89 ff.; 52, 33 ff.; BAG Urt. vom 6. 9. 1972 - 4 AZR 422/71 - AP Nr. 2 zu § 4 BAT; BAG Urt. vom 11. 1. 1995 - 10 AZR 5/94 - (nicht veröffentlicht)). In diesen Fällen setzt sich der Arbeitgeber in Widerspruch zu seinem eigenen früheren Verhalten, wenn er zunächst den Arbeitnehmern zu Untätigkeit veranlaßt, und dann, indem er den Verfall geltend macht, aus dieser Untätigkeit einen Vorteil für sich ableiten will.

2. Die Bekl. hat weder durch die unzutreffende Auskunft, daß ein Anspruch auf Intensivpflegezulage gemäß der Protokollerklärung Nr. 1 Abs. 2 der Anlage 1b zum BAT ab dem 1. 4. 1991 nicht besteht, noch durch Unterlassen eines Hinweises über den Verfall eventueller Ansprüche bei nicht rechtzeitiger schriftl. Geltendmachung gemäß § 70 BAT, den Kl. von der Geltendmachtung seines Anspruchs abgehalten bzw. diese unmöglich gemacht oder erschwert.

a) Durch die unzutreffende Auskunft über den Anspruch auf eine Intensivpflegezulage hat die Bekl. den Kl. nicht an der Geltendmachung seines Anspruchs in irgendeiner Art gehindert. Von einem Arbeitnehmer muß verlangt werden, daß er sich hinsichtl. der Rechtslage über die Berechtigung eines vermeintl. Anspruchs selbst informiert. Denn eine Unkenntnis über die rechtl. oder tatsächl. Voraussetzungen eines tarifl. Anspruchs bzw. dessen Verfall aufgrund einer tarifl. Ausschlußfrist sind rechtl. unbeachtl. (BAG Urt. vom 16. 5. 1984 - 7 AZR 143/81 - AP Nr. 85 zu § 4 TVG Ausschlußfrist; BAG Urt. vom 23. 8. 1990 - 6 AZR 554/88 - ZTR 1991, 120).

Davon ausgehend hätte es dem Kl. jederzeit freigestanden, die Ansprüche auf eine Intensivpflegezulage schriftl. geltend zu machen, wenn er den Anspruch für berechtigt angesehen hätte. Nachdem die Bekl. das Bestehen eines solchen Anspruchs verneint hatte, war der Kl. geradezu aufgefordert, die Ansprüche frist- und formgerecht geltend zu machen, wenn er seine Rechte für die Zukunft gewahrt wissen wollte. Denn der Kl. konnte bei der für die hinsichtl. der Erfüllung seines Anspruchs ungünstigen Rechtsauskunft der Bekl. nicht darauf vertrauen, daß deren Rechtsstandpunkt auch zutreffend ist. Wenn er gleich- wohl der ungünstigen Auskunft der Bekl. glaubte und es unterließ, den Anspruch rechtzeitig und formgerecht geltend zu machen, so ist das sein Risiko und kann nicht zu Lasten der Bekl. gehen.

b) Der Bekl. kann auch nicht vorgeworfen werden, sie habe den Kl. durch vertragswidriges Unterlassen einer Aufklärung über den Verfall der von ihr abgelehnten Ansprüche auf eine Intensivpflegezulage, davon abgehalten, diese geltend zu machen. Dies setzt eine Rechtspflicht zum Handeln voraus. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis umfaßt jedoch nicht die Verpflichtung, den Arbeitnehmern auf drohenden Verfall seiner Ansprüche durch eine tarifl. Ausschlußfrist hinzuweisen. Auch im Bereich des öffentl. Dienstes ist es Sache des Arbeitnehmers, sich Gewißheit darüber zu verschaffen, in welchen Formen und Fristen er seine Ansprüche geltend zu machen hat (BAG Urt. vom 26. 7. 1972 - 4 AZR 365/71 - AP Nr. 1 zu § 4 MTB II; BAG 52, 33 = AP Nr. 12 zu § 4 BAT).

c) Schließl. hat die Bekl. auch nicht durch ihr Verhalten gegenüber dem Kl. den Eindruck erweckt, sie werde den Anspruch auf die Intensivpflegezulage auch ohne Wahrung der tarifl. Ausschlußfrist erfüllen. Anders als in der Entscheidung des BAG (BAG 11, 150, 154), wo über einen bisher vom Arbeitgeber gewährten Anspruch eine zeitweilige Rechtsunsicherheit über das weitere Bestehen des Anspruchs bestand und der Arbeitnehmer somit davon ausgehen konnte, daß der Arbeitgeber sich für die Zeit der Rechtsunsicherheit nicht auf die tarifl. Ausschlußfrist berufen werde, hat der Kl. sich hier bei der Bekl. ledigl. erkundigt, ob er einen Anspruch auf eine Intensivpflegezulage habe. Da die Bekl. den Anspruch verneint hat, bestand zwischen den Parteien keine Rechtsunsicherheit; vielmehr war klar, daß ein solcher Anspruch von der Bekl. als nicht gegeben angesehen wurde. Bei dieser Sachlage fehlt es an einem Verhalten der Bekl., aus dem der Kl. hätte schließen können, die Bekl. werde auch ohne Wahrung der tarifl. Ausschlußfrist den Anspruch erfüllen.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BAT § 70; BGB § 242; TVG § 4 Ausschlußfrist