Einsatz angesparten Erziehungsgeldes als Härte

Gericht

BVerwG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

04. 09. 1997


Aktenzeichen

5 C 8/97


Leitsatz des Gerichts

Der Einsatz angesparten Erziehungsgeldes als Vermögen während des gesetzlichen Förderungszeitraums bedeutet für den Hilfesuchenden grundsätzlich eine Härte i.S. von § 88 III 1 BSHG.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Bet. streiten darüber, ob den Kl. in der Zeit vom 1.7. 1993 bis zum 31.10. 1993 Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Anrechnung vom Geldvermögen zusteht, das aus Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz - BErzGG - angespart worden ist. Am 1.7. 1993 zogen die Kl. von K., wo sie bis zum 30.6. 1993 Hilfe zum Lebensunterhalt bezogen hatten, in den Zuständigkeitsbereich des Bekl. Den bereits unter dem 7.5. 1993 gestellten Antrag der Kl. zu 1 auf Hilfe zum Lebensunterhalt lehnte die Bekl. mit Bescheid vom 19.7. 1993 ab, weil die Kl. zu 1 nach dem Stand vom 3.5. 1993 über ein Sparguthaben von 9080DM verfüge, mit dem sie ihren notwendigen Lebensunterhalt sicherstellen könne. Daß das Sparvermögen in erster Linie durch das Ansparen von Erziehungsgeld entstanden sei, begründe für seinen Einsatz oberhalb der für die Kl. geltenden Freigrenze keine Härte i.S. des § 88 III BSHG. Die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobene Klage auf Verpflichtung der Bekl. zur Gewährung von ergänzender Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von monatlich 1451,89DM hatte in beiden Rechtszügen keinen Erfolg (OVG Münster, ZfS 1997, 214 = NWVBl 1997, 259).

Das BVerwG gab der Revision der Kl. statt.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Revision der Kl. ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen und zur Verpflichtung der Bekl. zur Gewährung der begehrten Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Anrechnung des angesparten Erziehungsgeldes (§ 144 III 1 Nr.1 VwGO).

Die das Berufungsurteil tragende Auffassung, der Einsatz von Vermögen, das aus nicht verbrauchtem Erziehungsgeld nach dem Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (Bundeserziehungsgeldgesetz - BErzGG) i.d.F. der Bekanntmachung v. 21.1. 1992 (BGBlI, 68) angespart worden ist, stelle keine Härte i.S. des § 88 III BSHG dar, verletzt Bundesrecht (§ 137 I Nr.1 VwGO).

Zu Recht ist allerdings das BerGer. davon ausgegangen, daß das Gesetz generelle Einsatzfreiheit nur für das Erziehungsgeld als Einkommen anordnet. Dies ergibt sich aus § 8 I 1 BErzGG. Nach dieser Vorschrift bleibt das Erziehungsgeld als Einkommen bei Sozialleistungen, deren Gewährung - wie die Hilfe zum Lebensunterhalt (§ 11 I BSHG) - von anderen Einkommen abhängig ist, unberücksichtigt. Da das Recht der sozialen Leistungen für den Einsatz des Einkommens und des Vermögens je getrennte und unterschiedliche Regelungen enthält (vgl. z.B. für das Sozialhilferecht §§ 76ff. und §§ 88f. BSHG und BVerwG 45, 135 [136]; 98, 256 [257f.] = NJW 1995, 3001; für das Ausbildungsförderungsrecht §§ 21ff. und §§ 26ff. BAföG), können sozialrechtliche Leistungsnormen, die ausdrücklich nur die Einsatzfreiheit einer Sozialleistung als Einkommen anordnen (wie § 8 I 1 BErzGG auch § 5 II des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens“ v. 13.7. 1984 [BGBlI, 880]), grundsätzlich nicht dahin ausgelegt werden, daß mit ihnen gleichzeitig auch die Einsatzfreiheit der Sozialleistung als Vermögen angeordnet werden soll. Dies wird dadurch bestätigt, daß der Gesetzgeber, wenn er eine umfassende Einsatzfreiheit will, die betreffende Sozialleistung ausdrücklich bei der „Ermittlung von Einkommen und Vermögen“ ausnimmt (so § 21 II1 des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ v. 17.12. 1971 [BGBlI, 2018]; s. hierzu BVerwG, Buchholz 436.0 § 2 BSHG Nr.14; ebenso § 17 II des Gesetzes über die humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen [HIV-HilfeG - HIVHG] v. 24.7. 1995 [BGBlI, 972]).

Kann demnach § 8 I 1 BErzGG nicht dahin ausgelegt werden, daß er auch die Einsatzfreiheit des Erziehungsgeldes als Vermögen regele, so schließt dies jedoch nicht aus, den gesetzgeberischen Grund für die Nichtberücksichtigung des Erziehungsgeldes als Einkommen auch im Rahmen des Vermögenseinsatzes zum Tragen zu bringen und angespartes Erziehungsgeld als Vermögen in dem Umfang einsatzfrei zu stellen, in dem es den gleichen Zwecken zu dienen bestimmt ist wie das monatlich gezahlte Erziehungsgeld. Die rechtliche Grundlage hierfür bietet § 88 III 1 BSHG (vgl. BVerwGE 45, 135 [136]; BVerwGE 98, 256 [257f.] = NJW 1995, 3001).

Nach § 88 III 1 BSHG darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz und von der Verwertung eines Vermögens abhängig gemacht werden, soweit dies für den, der das Vermögen einzusetzen hat, und für seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Das Vorliegen einer solchen Härte haben die Vorinstanzen zu Unrecht verneint. Müßte die Kl. zu 1 das angesparte Erziehungsgeld in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum, in dem die Kl. zu 2 ihren 18.Lebensmonat noch nicht vollendet hatte, für die Bestreitung des Lebensunterhalts für sich und ihre Tochter einsetzen, stünde es in der ersten Lebensphase ihres Kindes nicht mehr zu den Zwecken zur Verfügung, denen es das Bundeserziehungsgeldgesetz gewidmet hat. Das trifft die Kl. hart i.S. des § 88 III 1 BSHG.

Entgegen der Auffassung des BerGer. geht das Bundeserziehungsgeldgesetz nicht davon aus, daß das monatlich bewilligte Erziehungsgeld von dem leistungsberechtigten Personenkreis stets auch laufend monatlich verbraucht wird und verbraucht werden muß, um die Zwecke, die mit der Zahlung des Erziehungsgeldes verfolgt werden, zu erfüllen. Dagegen spricht bereits, daß Erziehungsgeld auch rückwirkend bewilligt werden kann, und zwar für längstens sechs Monate (§ 4 II BErzGG). Damit gibt das Gesetz zu erkennen, daß es mit der Zweckbestimmung des Erziehungsgeldes vereinbar ist, wenn die Geldleistung dem Berechtigten nicht in monatlichen Teilbeträgen, sondern in einer Summe zufließt, die immerhin ein Drittel des gesamten Anspruchsvolumens nach § 4 I 1 BErzGG ausmacht.

Die Zwecke, die das Erziehungsgeld verfolgt, sind nicht der Art, daß sie nur durch einen monatlichen Verbrauch der zugeflossenen Sozialleistung verwirklicht werden könnten. Das Erziehungsgeld dient weder der Sicherstellung des Unterhalts des Anspruchsberechtigten und seines Kindes noch dem Ersatz entgangenen Lohnes oder Einkommens (vgl. BT-Dr11/2460 S.15: „Erziehungsgeld ist keine Lohnersatzleistung“; weiterhin BVerfG [3.Kammer des Ersten Senats], SozR 7833 § 3 BErzGG Nr.2; BFHE 176, 114 [116f.])). Denn das Erziehungsgeld ist während der ersten sechs Monate nach der Geburt des Kindes einkommensunabhängig (§ 5 II BErzGG), wird grundsätzlich neben zivilrechtlichem Unterhalt und öffentlichrechtlichen Sozialleistungen mit Unterhaltsfunktion (§§ 8 I , 9 S.1 BErzGG) und auch an Personen gezahlt, die vor der Geburt des zu betreuenden Kindes nicht erwerbstätig waren (vgl. § 1 I Nr.4 BErzGG).

Das Erziehungsgeld dient vielmehr spezifisch familienpolitischen Zwecken. Es wird „für die Betreuung und Erziehung eines Kindes“ (§ 3 I 1 BErzGG) „vom Tag der Geburt bis zur Vollendung des achtzehnten Lebensmonats“ (§ 4 I 1 BErzGG) gewährt. Es soll weder tatsächliche Einkommenseinbußen ausgleichen noch den tatsächlichen Betreuungsaufwand entschädigen, sondern lediglich die Betreuung und Erziehung eines Kindes durch eine nicht voll erwerbstätige, sorgeberechtigte Person in der ersten Lebensphase des Kindes allgemein fördern (vgl. BVerfG [3.Kammer des Ersten Senats], SozR 7833 § 3 BErzGG Nr.2), indem es die wirtschaftliche Situation junger Familien nach der Geburt eines Kindes wesentlich verbessert; zugleich bringt es eine Anerkennung der Erziehungsleistung durch die Gemeinschaft zum Ausdruck (vgl. Begr. zum RegE, BT-Dr10/3792, S.13 unter I; Begr. zum 2.BErzGG-ÄndG, BT-Dr12/1125, S.7; BFHE 176, 114 [116]). Hierbei spielt § 8 I BErzGG eine besondere Rolle. Die zusätzliche Gewährung des Erziehungsgeldes neben anderen Sozialleistungen soll sicherstellen, daß das Erziehungsgeld auch bei Einkommensschwachen seiner Zielsetzung gerecht wird, die Betreuung und Erziehung eines Kindes in der ersten Lebensphase durch die Eltern anzuerkennen und mehr als bisher zu fördern und schwangeren Frauen, die sich aus wirtschaftlichen Gründen in einer Konfliktsituation befinden, das Ja zum Kind zu erleichtern (Begr. zu § 8 BErzGG, BT-Dr10/3792, S.18).

Das Erziehungsgeld stellt sich demnach als eine familienpolitische, verhaltenssteuernde Sozialleistung dar, die die Hinwendung zum Kind bewirken soll (vgl. BSGE 78, 132 [137] = NJW 1997, 3397). Vor dem Hintergrund dieser Zweckausrichtung ist es unerheblich, ob das Erziehungsgeld Monat für Monat ausgegeben oder angespart und für einen kostenaufwendigeren Bedarf, etwa eine Erholungsreise zur physischen Regeneration der Mutter, verwendet wird. Das Gesetz läßt dem Anspruchsberechtigten Freiheit, wofür und wann er das Geld ausgibt; gerade auch hierin zeigt sich die Anreizfunktion des Erziehungsgeldes. In dem vom Gesetz normierten Begünstigungszeitraum, der ersten Lebensphase des neugeborenen Kindes, sollen sich junge Eltern wirtschaftlich besserstehen und sich Dinge leisten können, die sie sich ohne das Erziehungsgeld nicht leisten könnten. Erziehungsgeld kann demnach seine gesetzlich gesetzten Zwecke auch als Vermögen erfüllen, wenn es in dem gesetzlichen Förderungszeitraum ausgegeben wird.

Erst mit Ablauf des Monats, mit dem die Berechtigung zum Bezug von Erziehungsgeld endet, verliert Vermögen, das aus Erziehungsgeld angespart worden ist, seine spezifische Zweckbestimmung, weil es nun nicht mehr im gesetzlichen Förderungszeitraum wirksam werden kann. Vor diesem Zeitpunkt darf nach § 88 III 1 BSHG sein Einsatz von dem Träger der Sozialhilfe nicht verlangt werden, weil es sonst dem Bezugsberechtigten nicht mehr für die Verwendung im Rahmen des gesetzlichen Förderungszweckes zur Verfügung stünde.

Da die Kl. zu 2 in der hier streitgegenständlichen Zeit ihren 18.Lebensmonat noch nicht vollendet hatte, waren demnach die ablehnenden Bescheide der Bekl., mit denen diese von der Kl. zu 1 den Einsatz ihres aus Erziehungsgeld angesparten Vermögens verlangt, und die dies bestätigenden Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Bekl. zu verpflichten, den Kl. Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Anrechnung von Vermögen zu gewähren.

Rechtsgebiete

Sozialrecht

Normen

BSHG § 88 III 1; BErzGG § 8 I 1