Ausgleichsanspruch für vor der Sorgerechtsänderung erbrachte Kindesversorgung
Gericht
OLG Koblenz
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
24. 06. 1996
Aktenzeichen
13 UF 961/95
Zu den Voraussetzungen einer Berufungserweiterung nach teilweiser Berufungsrücknahme.
Zum unterhaltsrechtlichen Ausgleichsanspruch und zur Entreicherung bei Rückforderung von Unterhalt, wenn die elterliche Sorge über ein Kind während des Unterhaltsverfahrens auf den anderen Elternteil übertragen wird.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Ehe der Kl. zu 2 und des Bekl. wurde durch Urteil vom 16. 2. 1993 geschieden. Die Kl. zu 1 ist die Tochter der Parteien; die elterliche Sorge wurde im Scheidungsurteil auf die Kl. zu 2 übertragen. Seit 6. 12. 1994 lebt die Kl. zu 1 jedoch beim Bekl., der sie auch betreut und versorgt. Durch Beschluß vom 1. 12. 1995 wurde die elterliche Sorge für die Kl. zu 1 auf den Bekl. übertragen. Die beiden Kl. haben ursprünglich Kindes- und Ehegattenunterhalt ab März 1993 geltend gemacht. Das AG - FamG - hat der Klage teilweise stattgegeben und Unterhaltsansprüche in wechselnder Höhe bis einschließlich Dezember 1994 ausgeurteilt. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Hiergegen haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Kl. zu 2 begehrt - nach teilweiser Berufungsrücknahme und nachfolgender Erweiterung - über das Urteil des AG hinaus ab Januar 1995 weiteren Ehegattenunterhalt in wechselnder Höhe - zahlbar zum Teil an den Sozialhilfeträger - und macht - im Wege der Anschlußberufung - einen familienrechtlichen Ausgleichsanspruch geltend für die Zeit ab März 1993 bis 5. 12. 1994, in der das gemeinsame Kind bei ihr gelebt hat und von ihr versorgt wurde. Was den Kindesunterhalt angeht, haben beide Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt. Berufung und Anschlußberufung der Kl. zu 2 waren teilweise erfolgreich.
Auszüge aus den Gründen:
II. 1. Die Berufungserweiterung der Kl. zu 2 nach erfolgter teilweiser Berufungsrücknahme ist zulässig. Sie betrifft nur die Zeit ab 1. 4. 1995. Die Kl. zu 2 hatte ursprünglich ab Januar 1995 monatlichen Unterhalt in Höhe von 200 DM begehrt und sich die Erweiterung der Berufung vorbehalten. Nach dem Prozeßkostenhilfebeschluß des Senats vom 25. 1. 1996, in dem ihr ab April 1995 lediglich für die Geltendmachung eines Unterhaltsbetrags von 119 DM monatlich Prozeßkostenhilfe bewilligt worden war, hat sie in der mündlichen Verhandlung vom 5. 2. 1996 die Anträge lediglich im Rahmen der Prozeßkostenhilfebewilligung gestellt und im übrigen die Berufung zurückgenommen. Zuletzt stellt sie nunmehr wieder erhöhte Anträge (monatlicher Unterhalt vom 1. 4. 1995 bis zum 31. 12. 1995: 281 DM und ab 1. 1. 1996: 199 DM).
Grundsätzlich ist eine Berufungserweiterung auch nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist möglich, soweit die Berufungsgründe dies gestatten, insbesondere, wenn sie wie hier vorbehalten wurde (Zöller/Gummer, ZPO, 19. Aufl., § 519 Rdnr. 31 m.w. Nachw.). Vorliegend steht an sich die Teilrücknahme bis zu einem niedrigeren Unterhaltsbetrag der Erweiterung über den Ursprungsbetrag hinaus begrifflich entgegen. Allerdings führt die Teilrücknahme nicht zur Teilrechtskraft, weil das Restrechtsmittel ebenso wie bei einer anfänglich beschränkten Berufung die Rechtskraft im ganzen hemmt (Rimmelspacher, in: MünchKomm-ZPO, § 515 Rdnr. 40). Jedoch ist die Rücknahme der Berufung grundsätzlich unwiderruflich und kann auch nicht wegen Willensmängeln angefochten werden. Lediglich bei Vorliegen eines Restitutionsgrundes i.S. des § 580 ZPO soll nach überwiegender Meinung ein Widerruf möglich sein (vgl. Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 12. Aufl., § 515 Rdnr. 12). Hier liegen diese insoweit notwendigen Voraussetzungen schon deshalb nicht vor, weil es an der nach § 581 ZPO erforderlichen strafrechtlichen Verurteilung (bzw. der Einstellung des Verfahrens aus anderen Gründen als aus Mangel an Beweisen) fehlt.
Daneben soll der Widerruf der Rücknahme möglich sein, wenn die Rücknahmeerklärung zu dem wirklichen Willen des Rechtsmittelführers im Widerspruch stand und der Irrtum des Prozeßbevollmächtigten, auf dem die Erklärung beruhte, für den Rechtsmittelgegner offensichtlich war (BGH, FamRZ 1988, 496) oder wenn die Rechtsmittelrücknahme auf einem Irrtum beruht, den der Rechtsmittelgegner in erster Linie verursacht hat (Zöller/Gummer, § 515 Rdnr. 9 m.w. Nachw.).
Der Senat schließt sich dieser letzteren Auffassung an; sie ist gerade im vorliegenden Fall sachgerecht. Die Rücknahmeerklärung war unmittelbar durch den Prozeßkostenhilfebeschluß des Senats vom 25. 1. 1996 bedingt, dem der bis dahin gehaltene Vortrag des Bekl. zu seinen Einkommensverhältnissen zugrundelag, insbesondere der Vortrag im Schriftsatz vom 28. 11. 1995: „Zur Einkommenssituation verweisen wir auf die Verdienstbescheinigungen für Dezember 1994, Juli und August 1995“. Dies suggeriert, daß erst ab Juli 1995 eine Erhöhung des Einkommens eingetreten war infolge der Heirat und der - nicht erwähnten, wenngleich aus der Verdienstbescheinigung ersichtlichen - Beförderung in Besoldungsgruppe A 9. Tatsächlich war der Bekl. bereits mit Wirkung ab März 1995 befördert worden, der erhöhte Ortszuschlag wegen der Wiederverheiratung wurde bereits seit Februar 1995 bezahlt bzw. für die Kinder der zweiten Ehefrau ab März 1995. Da die Parteien jedoch gehalten sind, ihre Erklärungen vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben (§ 138 I ZPO), wäre es unredlich und damit ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung, wenn sich der Bekl. auf die erfolgte Teilrücknahme berufen könnte.
Zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn man die Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf eine - wie hier - durch Willensmängel bedingte Rücknahme entsprechend anwendet (vgl. insb. Rimmelspacher, in: MünchKomm-ZPO, § 515 Rdnr. 14; zust. Stein/Jonas/Grunsky, § 515 Rdnr. 13; a.A. BGH, NJW 1991, 2839). Der Grund für den Irrtum der Kl. zu 2 war mit Zugang des Prozeßkostenhilfebeschlusses vom 24. 4. 1996 nicht vor dem 3. 5. 1996 entfallen. Mit Schriftsatz vom 8. 5. 1996, an diesem Tage auch eingegangen, wurde Prozeßkostenhilfe für die beabsichtigte Erweiterung beantragt, also innerhalb der Frist des § 234 ZPO, die auch hier anzuwenden ist (vgl. Rimmelspacher, in: MünchKomm-ZPO, § 515 Rdnr. 15). Nach der Prozeßkostenhilfebewilligung durch Beschluß vom 10. 5. 1996 wurde der Antrag in der mündlichen Verhandlung vom 20. 5. 1996 gestellt. Unschädlich ist, daß die Kl. zu 2 keinen ausdrücklichen Wiedereinsetzungsantrag gestellt hat; ein solcher kann auch konkludent im Stellen der Sachanträge liegen.
2. Die Berufung der Kl. zu 2 hat teilweise Erfolg, ihre Anschlußberufung insgesamt. Für die Zeit bis einschließlich Juli 1994 hat die Berufung des Bekl. in vollem Umfang Erfolg, für die Folgezeit bis zum 16. 9. 1994 nur teilweise.
Der Unterhaltsanspruch der Kl. zu 2 leitet sich bis zum 5. 12. 1994 aus § 1570 BGB her, weil sie bis zu diesem Zeitpunkt das am 3. 12. 1994 12 Jahre alt gewordene Kind T, die Kl. zu 1, betreute. Sie war damals halbtags beschäftigt. Eine Ausweitung dieser Halbtagstätigkeit kam wegen der Kinderbetreuung nicht in Betracht. Seit 6. 12. 1994 befindet sich das Kind beim Bekl. Ab diesem Zeitpunkt ergibt sich ein Unterhaltsanspruch aus § 1573 I und II BGB. Die Kl. zu 2 war gehalten, nachdem T am 6. 12. 1994 auf eigenen Wunsch zum Bekl. gezogen war, wo sie dann endgültig verblieb, sich umgehend um eine Ganztagstätigkeit zu bemühen. Sie durfte nicht den Ausgang des Sorgerechtsverfahrens abwarten. Denn es war absehbar, daß der mit ihrem Einverständnis erfolgte und dem Willen des Kindes entsprechende (vgl. den Bericht des Kreisjugendamtes vom Februar 1995) Wechsel zum Vater bestätigt werden würde. Allerdings ist zu berücksichtigen, daß eine angemessene Tätigkeit nicht von heute auf morgen zu finden war. Der Kl. zu 2 war deshalb eine angemessene Frist bis zum 31. 3. 1995 zuzubilligen, innerhalb derer sie sich um eine Ganztagstätigkeit hätte bemühen müssen. Sie hat jedoch erst nach der fristlosen Kündigung ihres bisherigen Arbeitsplatzes am 22. 8. 1995 überhaupt versucht, anderweitig Arbeit zu finden. Ihr Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, man habe ihr seitens der Firma S zugesichert, sie erhalte, falls eine Stelle freiwerde, einen Vollzeitarbeitsplatz, ist schon nicht ausreichend substantiiert. Weder Zeit noch konkrete Umstände dieser „Zusage“ werden dargetan. Unabhängig davon hätte eine derartig unbestimmte Erklärung sie nicht von ihrer Obliegenheit entbunden, sich auch anderweitig um eine Ganztagstätigkeit zu bemühen.
Ab 1. 4. 1995 ist sie deshalb so zu behandeln, als hätte sie Einkommen aus einer Ganztagstätigkeit gehabt. Die Höhe des fiktiven Einkommens wird an dem gemessen, was sie bei der ab 16. 11. 1995 tatsächlich ausgeübten ganztägigen Arbeit verdient.
Maßgebend für den Bedarf der Kl. zu 2 sind die ehelichen Lebensverhältnisse, die geprägt waren durch das Einkommen des Bekl., ihr eigenes Einkommen aus ihrer Teilzeitbeschäftigung, die jedenfalls zum Zeitpunkt der Scheidung nicht unzumutbar war, die Unterhaltspflicht gegenüber T und das mietfreie Wohnen im eigenen Haus unter Berücksichtigung der Belastungen. Ab August 1994 wurde das Haus nicht mehr von der Kl. zu 2 bewohnt, weil man überein gekommen war, es zu veräußern. Auch dieser gemeinsame Entschluß, das an sich zur Verfügung stehende Haus nicht mehr zu Wohnzwecken zu nutzen, um eine bessere Verkaufsmöglichkeit zu haben, bestimmt noch die ehelichen Lebensverhältnisse der Eheleute mit, weshalb ab diesem Zeitpunkt der Wohnvorteil nicht mehr zu berücksichtigen ist.
Das Einkommen der Kl. zu 2 ist, soweit es aus einer Halbtagstätigkeit erzielt wurde, im Wege der Differenzmethode zu berücksichtigen. Die Erwerbstätigkeit wurde Anfang 1990 aufgenommen; die Trennung fand im September 1991 statt. Ein Zusammenhang zwischen Trennung und Arbeitsaufnahme besteht nicht. Im einzelnen ergeben sich folgende Berechnungen: ...
3. Die Anschlußberufung, mit der die Kl. zu 2 einen familienrechtlichen Ausgleichsanspruch geltend macht, hat Erfolg. Soweit der Bekl. nicht den vollen Kindesunterhalt gezahlt hat, ist die Kl. zu 2 für den Barunterhalt aufgekommen; insoweit steht ihr ein Ausgleichsanspruch zu. Es handelt sich dabei weder um einen übergegangenen Unterhaltsanspruch noch um einen Aufwendungsersatzanspruch, sondern um einen Anspruch eigener Art, der auf der Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber dem Kinde und der Notwendigkeit beruht, die Unterhaltslast im Innenverhältnis zwischen den Eltern gerecht zu verteilen (BGH, NJW 1989, 2816 (2818)).
Voraussetzung ist, daß ein Elternteil die dem anderen Elternteil obliegende Unterhaltspflicht erfüllt hat,. Aus diesem Grunde kann grundsätzlich im Wege des familienrechtlichen Ausgleichsanspruchs nur Erstattung geleisteten Barunterhalts gefordert werden, nicht dagegen Ersatz für geleistete Betreuung (BGH, NJW 1994, 2234 = FamRZ 1994, 1102; krit. hierzu: Wendl/Staudigl/Scholz, Hdb. des familienrichterlichen Verfahrens, 3. Aufl., Rdnrn. 2, 536).
Da es sich jedoch nicht um einen Aufwendungsersatzanspruch handelt, hat der den Anspruch geltend machende Elternteil seine Baraufwendungen nicht im einzelnen zu belegen, was nachträglich in Fällen wie dem hier vorliegenden ohnehin nicht möglich sein dürfte. Der Barbedarf des minderjährigen Kindes, der sich nach dem Einkommen des Barunterhaltspflichtigen richtet, steht vom Grundsatz her fest und wird herkömmlicherweise nach Tabellensätzen - vom Senat in ständiger Rechtsprechung in Anwendung der Düsseldorfer Tabelle - pauschal bewertet. Es ist deshalb vom Grundsatz her davon auszugehen, daß der Elternteil, der keinen Barunterhalt für das Kind erhält, es aber versorgt, auch den vorhandenen Barbedarf deckt. Sofern der Verpflichtete einen geringeren Aufwand behauptet, hat er diese zugunsten des betreuenden Elternteils bestehende Vermutung zu entkräften. Erst dann hat gegebenenfalls der Ausgleichsberechtigte seine Baraufwendungen im einzelnen zu belegen. Der Bekl. hat sich vorliegend allein auf den Standpunkt zurückgezogen, der Ausgleichsanspruch sei von der Kl. nicht schlüssig vorgetragen; das ist nicht ausreichend.
Soweit für das Bestehen des Ausgleichsanspruchs eine Willensäußerung des Berechtigten gefordert wird, den Ausgleich auch geltend machen zu wollen, so ist eine solche jedenfalls durch das Verlangen nach Kindesunterhalt erfolgt (vgl. BGH, NJW 1989, 2816).
Der Senat errechnet für die Zeit von März bis Dezember 1993 einen Unterhaltsbetrag von 8265 DM, auf den der Bekl. 6500 DM gezahlt hat.
Die danach noch offene Forderung von 1765 DM ist nicht durch Aufrechnung erloschen. Zwar hat der Bekl. für die Monate Mai bis Juni 1993 unstreitig 1235 DM nicht geschuldeten Ehegattenunterhalt gezahlt. Insoweit kann ihm grundsätzlich ein Anspruch nach § 812 I 1, Alt. 1 BGB auf Rückzahlung zustehen. § 1360b BGB, wonach im Zweifel anzunehmen ist, daß für zuviel geleisteten Unterhalt kein Ersatz gefordert wird, gilt nicht für nachehelichen Ehegattenunterhalt (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 54. Aufl., § 1360b Rdnr. 1). Eine Aufrechnung ist auch nicht nach § 850b I Nr. 2 ZPO, § 394 BGB ausgeschlossen, da der Ausgleichsanspruch kein (übergegangener) Unterhaltsanspruch ist.
Die Kl. zu 2 hat sich jedoch darauf berufen, sie sei entreichert (§ 818 III BGB). Sie ist insoweit, da es sich um eine rechtsvernichtende Einwendung handelt, im Grundsatz darlegungs- und beweispflichtig. Jedoch spricht nach der Lebenserfahrung, insbesondere weil es sich um beengte Verhältnisse handelt, alles dafür, daß die als laufender Unterhalt gezahlten Beträge auch tatsächlich zur Bestreitung des Lebensunterhaltes ausgegeben wurden, gegebenenfalls auch zu einer geringfügigen Erhöhung des Lebensstandards (vgl. BGH, NJW 1992, 2415 = FamRZ 1992, 1152 (1154)). Eine spezifische Darlegung, wofür sie verwandt wurden, ist von dem Empfänger nicht mehr zu verlangen, es sei denn, der Leistende entkräftet die zugunsten des Empfängers bestehende Vermutung (vgl. auch Schwab/Borth, Hdb. des ScheidungsR, 3. Aufl., Rdnr. IV 1242). Dazu ist nichts vorgetragen.
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