Grobfahrlässiges Ausweichen eines Autofahrers vor einem Marder bei 80-100 km/h

Gericht

OLG Nürnberg


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

27. 02. 1997


Aktenzeichen

8 U 3572/96


Leitsatz des Gerichts

Ein Kraftfahrer, der bei einer Geschwindigkeit von 80-100 km/h durch plötzliche Fahrtrichtungsänderung einem Marder ausweicht, verletzt seine Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich großem Maß. Ein Anspruch auf Ersatz des Fahrzeugschadens besteht nicht, weil der Versicherungsnehmer aus grober Fahrlässigkeit verkannt hat, daß die Rettungshandlung und der damit verbundene Aufwand nicht erforderlich waren.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl., der bei Dunkelheit mit seinem Pkw bei einer Geschwindigkeit von 80-100 km/h einem die Fahrbahn kreuzenden Marder ausweichen wollte, prallte wegen dieses Manövers gegen ein Brückengeländer. Seine auf eine Fahrzeugteilversicherung gestützte Klage auf Ersatz des Werts des Fahrzeugs hatte vor dem LG Erfolg. Die Berufung der Bekl. führte zur Klagabweisung.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Der Kl. hat keinen Anspruch auf Erstattung von Rettungskosten, weil sein unfallverursachendes Ausweichmanöver als Rettungsmaßnahme objektiv nicht geboten war und der Kl. dies grob fahrlässig verkannt hat.

1. Entgegen der Auffassung der Bekl. ist die Klage allerdings nicht schon deswegen abzuweisen, weil der Kl. unstreitig vor Klageerhebung seine Ansprüche auf die hier geltend gemachte Versicherungsleistung an die R-Bank P. abgetreten hat. Gem. § 3 IV AKB ist die Abtretung von Versicherungsansprüchen vor ihrer endgültigen Feststellung ohne ausdrückliche Genehmigung des Versicherers nicht zulässig. Dabei handelt es sich um ein Abtretungsverbot mit dinglicher Wirkung, das gem. § 399 BGB die dennoch ohne Genehmigung vorgenommene Abtretung unwirksam macht (Stiefel/Hofmann, 15. Aufl., § 3 AKB Rdnr. 72). Daß aber die Bekl. zu der Abtretung ihre Genehmigung erteilt habe, behauptet sie selbst nicht.

2. Zutreffend hat das LG angenommen, daß die Bekl. nur unter dem Gesichtspunkt der Erstattung von Rettungskosten gem. §§ 62 , 63 VVG zur Ersatzleistung verpflichtet sein kann. Mit dem LG geht auch der Senat entsprechend der Parteiaussage des Kl. davon aus, daß dieser bei einer Geschwindigkeit von 80-100 km/h in geringer Entfernung vor seinem Pkw ein Tier im Scheinwerferlicht auftauchen sah, welches sich von rechts nach links über die Fahrbahn bewegte und sich später als Marder erwies und daß er bei einem sofort unternommenen Ausweichversuch unter gleichzeitigem Abbremsen die Herrschaft über sein Fahrzeug verlor und gegen ein Brückengeländer am linken Fahrbahnrand prallte.

a) Aufwendungen, welche der Versicherungsnehmer zur Rettung der versicherten Sache macht, hat der Versicherer, auch wenn der Rettungsversuch erfolglos bleibt, insoweit gem. § 63 VVG zu ersetzen, als der Versicherungsnehmer sie den Umständen nach für geboten halten durfte. Der erfolglose Rettungsversuch war hier objektiv nicht erforderlich. Das Risiko, welches der Kl., hätte er den Marder überfahren, bezüglich eines Schadens an seinem Pkw eingegangen wäre, war gering. An seinem Fahrzeug wäre entweder überhaupt kein oder nur ein geringfügiger Schaden entstanden. Demgegenüber war der Ausweichversuch, bei einer Geschwindigkeit von wenigstens 80 km/h unter gleichzeitigem Abbremsen, wie das Ergebnis des Fahrmanövers gezeigt hat, hoch riskant.

b) Aber auch unter den gegebenen Umständen kann Anspruch auf Erstattung der Rettungskosten bestehen, wenn der Versicherungsnehmer die Aufwendungen den Umständen nach für erforderlich halten durfte. Ein solcher Anspruch besteht aber jedenfalls dann nicht, wenn der Versicherungsnehmer aus grober Fahrlässigkeit verkennt, daß die Rettungshandlung und der damit gemachte Aufwand nicht erforderlich waren (OLG Hamm, r + s 1994, 167; OLG Braunschweig, NJW-RR 1994, 1447 = VersR 1994, 1293). Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet läßt, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muß. Dazu muß auch in subjektiver Hinsicht ein unentschuldbares Fehlverhalten vorliegen, das ein gewöhnliches Maß erheblich überschreitet (BGH, NJW 1989, 1354 = VersR 1989, 582). Das ist hier der Fall. Unter Aufgabe seiner früheren abweichenden Rechtsprechung (8 U 305/92) stimmt der Senat der Auffassung des BGH (NJW 1997, 1012) zu, der in Fällen wie dem hier zu entscheidenden das Ausweichmanöver als grob fahrlässiges Fehlverhalten beurteilt. Ein Kraftfahrer, der bei einer Geschwindigkeit von mindestens 80 km/h durch plötzliche Fahrtrichtungsänderung einem Kleintier wie einem Hasen oder hier einem Marder ausweicht und das damit verbundene hohe Unfallrisiko in Kauf nimmt, verletzt die Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich hohem Maße. Es muß, wie der BGH überzeugend ausführt, jedem Kraftfahrer einleuchten, daß er dieses Risiko nicht ohne Not eingehen darf, wenn es darum geht, einem Hasen oder ähnlichem Tier auszuweichen, mit dem ein Zusammenstoß andernfalls unmittelbar bevorstünde. Dabei erhöht das gleichzeitige Bremsen, wie hier vom Kl. eingesetzt, noch die Unkalkulierbarkeit der Fahrweise. Von dem äußeren Geschehnisablauf und von dem Ausmaß des objektiven Pflichtenverstoßes kann auf innere Vorgänge und deren gesteigerte Vorwerfbarkeit geschlossen werden (BGHZ 119, 147 (151) = NJW 1992, 2418). Da keine entlastenden Umstände ersichtlich sind, ist auch vorliegend der Schluß zu ziehen, daß der Kl. subjektiv unentschuldbar gehandelt hat.

Daß er, nach seinem Vortrag, das Tier für größer gehalten hat, als es tatsächlich war, kann ihn nicht entlasten. Denn es ist angesichts der tatsächlich geringen Größe des Marders unmöglich, daß er sich dabei ein Tier von solcher Größe vorgestellt hat, welches bei einem Zusammenstoß mit seinem Fahrzeug die Gefahr eines ernsthaften Schadens heraufbeschworen hätte. Auch wenn der Kl. beim Auftauchen des Tiers erschrocken ist und deshalb falsch reagiert hat, mildert dies den gegen ihn zu erhebenden Vorwurf nicht. Von einem Kraftfahrer muß verlangt werden, daß er auch dann, wenn ein Kleintier auf der Fahrbahn auftaucht, noch ausreichende Konzentration aufbringt, um sachgerecht zu reagieren. Daß ein Kleintier die Fahrbahn kreuzt, ist kein so ungewöhnliches Ereignis, daß ein objektiv grob fahrlässiges Ausweichmanöver subjektiv eine mildere Beurteilung verdiente.

Rechtsgebiete

Straßenverkehrs- und Straßenrecht

Normen

VVG §§ 62, 63