Teilverwirkung des Unterhaltsanspruchs wegen "Anschwärzens" beim Arbeitgeber

Gericht

OLG Karlsruhe


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

31. 07. 1997


Aktenzeichen

2 UF 30/97


Leitsatz des Gerichts

  1. Zwar ist unterhaltsrechtlich das Arbeitslosengeld eines Unterhaltsschuldners wie Einkommen zu behandeln. Im Rahmen der Berechnung zum Ehegattenunterhalt kommt aber der Abzug eines Bonus von 1//7deswegen nicht in Betracht, weil dem Arbeitslosengeld nicht der Charakter eines Arbeitsanreizes innewohnt.

  2. Verstößt eine Unterhaltsgläubigerin durch ihr Verhalten (Anzeige ihres geschiedenen Ehemannes bei dessen Arbeitgeber wegen dort angeblich verübter Diebstähle) in erheblicher Weise gegen ihre unterhaltsrechtliche Pflicht zur nachehelichen Solidarität, so kann es gem. § 1579 Nr. 4 BGB angezeigt sein, sie mit den ihr verbleibenden Unterhaltsansprüchen von der nachehelichen Entwicklung der prägenden, wirtschaftlichen Verhältnisse auf seiten des Unterhaltsschuldners auszuschließen mit der Folge, daß ihr - unter Einschluß eigener geringer Nebeneinkünfte - insgesamt nurmehr ein monatlicher Aufstockungsunterhalt bis zur Deckung ihres notwendigen Selbstbehalts als Nichterwerbstätige (mit derzeit 1300 DM monatlich) zu gewähren ist.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. ist am 29. 4. 1938, der Bekl. ist am 31. 3. 1940 geboren. Die Parteien haben am 16. 12. 1983 die Ehe geschlossen, aus der Kinder nicht hervorgegangen sind. Diese ist seit 4. 4. 1995 rechtskräftig geschieden. Die Kl. war in der Ehezeit und ist auch noch heute stundenweise als Reinigungskraft beschäftigt. Der Bekl. ist Kfz-Meister, seit Januar 1996 bezieht er Arbeitslosengeld. Er hat seinen Arbeitsplatz verloren, nachdem sein Arbeitgeber von der Kl. Informationen erhalten hatte, die den Verdacht erweckt hatten, der Bekl. habe seinen Arbeitgeber bestohlen. Die Ehewohnung der Parteien befand sich in einem dem Ehemann gehörenden Einfamilienhaus, das dieser seit der Trennung der Parteien allein bewohnt. Im vorliegenden Verfahren macht die Kl. nachehelichen Aufstokungsunterhalt ab Dezember 1995 geltend; bis einschließlich November 1995 hatte der Bekl. einen monatlichen Unterhaltsbetrag von 1600 DM bezahlt. Die Kl. ist der Auffassung, Unterhalt stehe ihr aufgrund ihres Alters, ihrer eingeschränkten Gesundheit - sie leide an Depressionen -, ihrer bisherigen Teilerwerbstätigkeit und der Arbeitsmarktsituation zu. Die Kl. hat beantragt, den Bekl. zu verurteilen, an die Kl. eine monatliche Unterhaltsrente in Höhe von 1600 DM, beginnend mit dem 10. 12. 1995, zu zahlen.

Das AG hat der Kl. einen monatlichen Unterhalt von 415 DM ab Januar 1996 zugesprochen und die weitergehende Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl. hatte teilweise Erfolg; die Anschlußberufung des Bekl. blieb erfolglos.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Der Kl. steht Altersunterhalt gem. § 1571 BGB nicht zu. Zwar stand die Kl. zum Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft der Ehescheidung kurz vor ihrem 57. Geburtstag. Diese Tatsache löst für sich genommen aber keinen Anspruch auf Altersunterhalt aus, denn eine feste Altersgrenze, ab welcher der Anspruch aus § 1571 BGB besteht, ist in Literatur und Rechtsprechung nicht anerkannt. Vielmehr kommt es für einen Unterhaltsanspruch nach der genannten Vorschrift darauf an, ob für eine konkret in Betracht zu ziehende Erwerbstätigkeit ein Hindernis sich gerade aus dem Alter ergibt. Das ist bei der Kl. nicht der Fall, die zwar keinen Beruf erlernt hat, aber ungelernte, leichte Tätigkeiten grundsätzlich trotz ihres Alters auch noch seit April 1995 hätte ausüben können.

2. Der Kl. steht auch kein Krankheitsunterhalt gem. § 1572 BGB zu. Denn sie hat nicht nachzuweisen vermocht, daß sie im Zeitpunkt der Scheidung durch Krankheit an der Ausübung einer vollschichtigen Tätigkeit gehindert war. Die vom AG eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten stützen den entsprechenden Vortrag der Kl. nicht.

3. Der Kl. steht jedoch ein Unterhaltsanspruch gem. § 1573 II BGB zu. Der Senat geht mit dem AG davon aus, daß die Kl. - unter Berücksichtigung ihres Alters - seit April 1995 keine reale Chance mehr hatte, bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage eine ihren beruflichen Fähigkeiten entsprechende und ihrer gesundheitlichen Situation angemessene Arbeitsstelle zu finden, die es ihr ermöglicht hätte, ihren vollen Unterhalt oder ihren Unterhalt in größerem Umfang als tatsächlich geschehen selbst zu verdienen.

4. Die Höhe der von der Kl. geforderten Unterhaltsrente begegnet im Hinblick auf die ehelichen Lebensverhältnisse der Parteien (§ 1578 I 1 BGB) keinen Bedenken. Hierbei hat das AG auf seiten des Bekl. nur die von beiden Parteien akzeptierten monatlichen Einkünfte von 2100 DM Arbeitslosengeld und 739 DM Unfallrente berücksichtigt, das seit September 1994 bestehende mietfreie Wohnen des Bekl. aber zu Unrecht unberücksichtigt gelassen. Daß hierfür das AG bei der im Rahmen des Scheidungsverfahrens ergangenen einstweiligen Anordnung auf Unterhalt einen Mietwert von 1200 DM bei ca. 160 qm Wohnfläche angesetzt hat, erscheint angemessen, zumal der Bekl. selbst früher den Mietwert des Hauses mit 1500 DM monatlich angenommen hat. Geht man somit für den Klagezeitraum ab Dezember 1995 von dem zugrundegelegten Einkommen von 2839 DM aus (das im Dezember 1995 erhaltene Krankengeld nebst anteiliger Steuerrückerstattung für 1995 zuzüglich Unfallrente führt sogar zu einem höheren Einkommen), so ist dies wegen des Vorteils des mietfreien Wohnens um 1200 DM auf insgesamt 4039 DM monatlich zu erweitern. Daneben sind die ehelichen Lebensverhältnisse, entgegen der Rechtsansicht des AG, durch die Nebeneinkünfte der Kl. geprägt worden, die bereits seit 1989 und bis zur Ehescheidung im Umfang von wöchentlich 80 DM teilzeitbeschäftigt war. Dies bedeutete ein damaliges monatliches Einkommen von 347 DM (80 DM x 52 Wochen : 12 Monate) und nach Abzug eines 1//7-Bonus 297 DM monatlich. Im Wege der Additionsmethode ergibt sich damit ein eheprägendes Gesamteinkommen von 4336 DM und somit ein Bedarf der Kl. von monatlich 2168 DM. Obwohl unterhaltsrechtlich das Arbeitslosengeld des Bekl. wie Einkommen zu behandeln ist (vgl. Heiß/Heiß, UnterhaltsR, 4. Aufl. (1996), S. 3, 19), kommt im Rahmen der Ehegattenunterhaltsberechnung ein Bonus von 1//7nicht in Betracht, da dem Arbeitslosengeld nicht der Charakter eines Arbeitsanreizes innewohnt (vgl. Wendl/Staudigl/Haußleiter, Das UnterhaltsR in der familienrichterlichen Praxis, 3. Aufl., § 1 Rdnr. 81; OLG Hamburg, FamRZ 1992, 1308).

Von dem Bedarf der Kl. von 2168 DM ist ihr jetziges Einkommen von monatlich 460 DM, abzüglich 1//7-Bonus, mithin in Höhe von 394 DM abzuziehen, so daß sich ein grundsätzlicher Unterhaltsanspruch von monatlich 1874 DM ergibt. Die Forderung des Kl. von 1600 DM ist daher rechnerisch gerechtfertigt.

5. Allerdings ist mit dem AG davon auszugehen, daß die Kl. ihren Unterhaltsanspruch teilweise gem. § 1579 Nr. 4 BGB verwirkt hat. Die Kl. hat noch während des laufenden Scheidungsverfahrens im September 1994 Fotos von Gegenständen gefertigt, die der Bekl. nach ihrem Verdacht bei seiner Arbeitgeberfirma gestohlen und zu Hause aufbewahrt hatte. Sie wollte diese Fotos nach eigenen Angaben zunächst im Scheidungsverfahren "zu ihren Gunsten" verwenden, hat diese Fotos nach der Scheidung aber - auf welchem Wege auch immer - dem damaligen Arbeitgeber des Bekl. zugänglich gemacht. Dies hat zur Anzeige des Bekl. wegen angeblichen Diebstahls geführt, auch hat die Arbeitgeberfirma das Arbeitsverhältnis mit dem Bekl. im Februar 1996 fristlos gekündigt, wobei dieser Kündigung allerdings im Herbst 1995 bereits eine betriebsbedingte Kündigung wegen Konkurses vorausgegangen war. Es kann dahinstehen, ob sich die Vorgänge anläßlich der Übergabe der Fotos Ende 1995 im einzelnen tatsächlich so wie von der Kl. geschildert, aber vom Bekl. bestritten, ereignet haben. Denn jedenfalls erfüllt die Überlassung der Fotos den Tatbestand des § 1579 Nr. 4 BGB auf mutwillige Verletzung von Vermögensinteressen des Verpflichteten. Zwar ist es dem Unterhaltsberechtigten nicht verwehrt, seine eigenen Ansprüche mit Nachdruck geltend zu machen; er hat jedoch alles zu unterlassen, was zur Durchsetzung des eigenen Anspruchs nicht erforderlich ist, wenn es den Verpflichteten nachhaltig schädigen und ihm dadurch die Erfüllung seiner Unterhaltspflicht erschweren oder unmöglich machen kann (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 1996, 1155). Vorliegend hat sich die Kl. über schwerwiegende Vermögenspositionen des Bekl. mutwillig (nämlich bedingt vorsätzlich) hinweggesetzt und riskiert, daß diesem - wie auch geschehen - der Arbeitsplatz fristlos gekündigt wurde. Im Hinblick auf das Alter des Bekl. und die derzeitige Arbeitsmarktlage mußte und konnte die Kl. davon ausgehen, daß einer erfolgreichen fristlosen Kündigung eine bis zur Verrentung des Bekl. laufende Arbeitslosigkeit nachfolgen würde. Damit hat das Verhalten der Kl. auch objektiv eine besondere Intensität erreicht, was für die Zeit ab ihrem Fehlverhalten, somit (durchaus) ab Dezember 1995, zum teilweisen oder gänzlichen Wegfall ihres Unterhalts führen kann. Dabei reicht in objektiver Weise aus, daß das Anschwärzen des Bekl. bei seinem Arbeitgeber den Arbeitsplatz gefährdet, ihn nicht auch tatsächlich in Wegfall bringen muß (insgesamt hierzu Wendl/Staudigl/Gerhardt, § 4 Rdnr. 693ff.; Heiß/Heiß, UnterhaltsR, 4. Aufl. (1996), S. 9. 20ff.; vgl. auch OLG Hamm, FamRZ 1987, 946f.; OLG Zweibrücken, FamRZ 1989, 63f.; OLG Koblenz, FamRZ 1991, 1312f.).

Der Hinweis der Kl., sie habe nicht selbst in den Verdacht des Diebstahls geraten wollen und sei zudem während der Zeit des Zusammenlebens vom Bekl. überaus schlecht behandelt worden, ändert an dieser Beurteilung nichts, wird allerdings vom Senat bei der Berechnung des Kürzungsbetrages berücksichtigt (s. unten 6.). Nachdem die Kl. nicht ebenfalls beim Arbeitgeber des Bekl. beschäftigt war, konnte ein Diebstahlsverdacht auf sie selbst nicht ohne weiteres fallen; dies rechtfertigt die ungefragte Übermittlung der Informationen an den Arbeitgeber bzw. dessen Ehefrau nicht. Der Senat schließt sich insoweit den zutreffenden Ausführungen des AG an.

6. Der Senat hält es für angemessen, den der Kl. zustehenden Unterhalt auf einen Betrag von monatlich 840 DM zu kürzen, § 1579 Nr. 4 BGB. Bei der Abwägung der Belange des Bekl. und seinem Interesse an einem völligen Wegfall des Unterhaltsanspruchs einerseits und der Belange der Kl. und ihrem Interesse an einer Sicherung ihres Lebensunterhalts in vollem Umfang berücksichtigt der Senat insbesondere, daß die Kl. ohne Not, sogar ohne jeglichen konkreten Anlaß, ohne zeitlichen Zusammenhang mit einem gravierend vorwerfbaren Verhalten des Bekl. und zu einem Zeitpunkt, als dieser an sie Unterhalt zahlte, Informationen über ihn in der geschilderten Weise weitergegeben hat, die geeignet waren, ihn wirtschaftlich schwer zu schädigen. Andererseits sind zugunsten der Kl. ihr fortgeschrittenes Alter, die hierdurch fehlende Möglichkeit zu eigener erheblicher Erwerbstätigkeit, die vorhandene psychische Belastung aufgrund von Trennung und Scheidung (vgl. die vom AG eingeholten medizinischen Gutachten) und die Ehedauer von immerhin über zehn Jahren zu berücksichtigen. Die letztgenannten Gesichtspunkte lassen eine gänzliche Versagung des Unterhaltsanspruchs als unangemessene Sanktion erscheinen; demgegenüber erscheint eine erhebliche Reduzierung des Unterhaltsanspruchs als billig.

Bei Gewährung eines Betrages von 840 DM wird der Unterhaltsbedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen von 2168 DM (s. oben 4.) zwar weit unterschritten, andererseits verfügt die nur wenige Stunden im Monat berufstätige Kl., unter Berücksichtigung ihres Eigeneinkommens von 460 DM, noch über einen Betrag, der ihren Unterhalt notdürftig sichert (vgl. den in der Düsseldorfer Tabelle - Stand 1. 1. 1996, Beil. zu NJW H. 4/1996, S. 5 = FamRZ 1995, 1323 - genannten notwendigen Eigenbedarfsbetrag von ebenfalls 1300 DM für einen nichterwerbstätigen Unterhaltspflichtigen). Der Senat entscheidet sich somit nicht für eine anteilsmäßige Kürzung des Unterhaltsanspruchs, sondern eine dem Betrag nach festgelegte Beschränkung des Anspruchs in der Höhe. Die Kl. hat mit ihrem Verhalten in erheblicher Weise gegen die Pflicht zur nachehelichen Solidarität verstoßen, so daß es angemessen erscheint, sie mit den verbleibenden Unterhaltsansprüchen von der nachehelichen Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Bekl. auszuschließen. Nachdem die Kl. zu einem Zeitpunkt, der erheblich nach der Beendigung des Scheidungsverfahrens lag, mutwillig Handlungen begangen hat, die zum wirtschaftlichen Ruin des Bekl. hätten führen können und die durch ein eheliches, zeitlich somit weit vorher liegendes Fehlverhalten des Bekl. kaum in milderem Licht erscheinen, besteht für den Bekl. eine Pflicht zu weitergehender nachehelicher Solidarität nicht (vgl. OLG Koblenz, NJWE-FER 1997, 3 = FamRZ 1997, 418; FamRZ 1991, 1312 (1313)).

7. Der vom Bekl. zu zahlende Unterhalt wird ab 1. 12. 1995 geschuldet; der Bekl. ist, nachdem er mit Schreiben vom 6. 12. 1995 die Zahlung von Unterhalt ab Dezember 1995 vollumfänglich verweigert hat, mit der Zahlung des Dezemberunterhalts ohne weitere Mahnung in Verzug geraten, §§ 1585b II , 284 I BGB.

Rechtsgebiete

Unterhaltsrecht

Normen

BGB §§ 1581, 1579 Nr. 4