Betriebsbedingte Änderungskündigung

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

18. 12. 1997


Aktenzeichen

2 AZR 709/96


Leitsatz des Gerichts

  1. Eine Änderungskündigung, die auf einer tarifwidrigen Arbeitszeitgestaltung beruht, ist sozial ungerechtfertigt, §§ 2 , 1 II KSchG.

  2. Zur Einführung von Samstagsarbeit als unternehmerischer Entscheidung.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. war bei der Bekl. nach vorheriger Ausbildung ab dem 1. 9. 1992 kraft Arbeitsvertrages vom selben Tage als Kunststofformengeber zu einem Bruttoverdienst von zuletzt 4200 DM beschäftigt. Kraft beiderseitiger Tarifbindung sowie außerdem einzelvertraglicher Vereinbarung finden die Tarifverträge der Papier, Pappe und Kunststoff verarbeitenden Industrie im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlin-West Anwendung. § 2 des einschlägigen Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer vom 27. 5. 1991 (MTV), gültig ab 1. 7. 1991, hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

§ 2. Arbeitszeit. (1) Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt ausschließlich der Pausen 37 Stunden, ab 1. 2. 1996 36 Stunden … jeweils mit vollem Tariflohnausgleich.

(2) Die Arbeitszeit ist für den einzelnen Arbeitnehmer auf 5 Tage zu verteilen. Sie ist auf die Wochentage Montag bis Freitag zu legen, sofern nicht zwingende technische Arbeiten (nicht Produktionsarbeiten), Instandhaltungs- und Wartungsarbeiten eine andere Regelung erfordern. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit kann ungleichmäßig auf einen Zeitraum bis zu 8 Wochen verteilt werden. § 4 AZO bleibt hiervon unberührt. Soweit Betriebe drei oder mehr Schichten verfahren, ist in diesen Bereichen eine ungleichmäßige Verteilung der regelmäßigen Arbeitszeit auf einen Zeitraum von bis zu 18 Wochen zulässig. Dabei ist sicherzustellen, daß dem einzelnen Arbeitnehmer im Wochendurchschnitt zwei arbeitsfreie Tage - möglichst zusammenhängend - gewährt werden. Die tägliche Arbeitszeit darf 10 Stunden nicht übersteigen. Die regelmäßige Arbeitszeit an Samstagen darf nicht länger als bis 14 Uhr dauern.

(3) In Betrieben mit Betriebsrat ist die Verteilung der regelmäßigen Wochenarbeitszeit nach Maßgabe der vorstehenden Bestimmungen durch Betriebsvereinbarung zu regeln. Können sich Arbeitgeber und Betriebsrat über ein Arbeitszeitsystem mit regelmäßiger Samstagsarbeit nicht einigen, kann die fehlende Zustimmung des Betriebsrates durch die Einigungsstelle nicht ersetzt werden.

(4) Die Teilnahme des einzelnen Arbeitnehmers an einem Arbeitszeitsystem mit regelmäßiger Samstagsarbeit ist freiwillig. Sie setzt seine ausdrücklich erklärte Zustimmung voraus. Der Arbeitnehmer kann diese Zustimmung widerrufen mit der Folge, daß er baldmöglichst, spätestens jedoch nach 6 Monaten, keine regelmäßige Samstagsarbeit mehr leisten muß.

(5) Für regelmäßige Arbeitszeit am Samstag hat der Arbeitnehmer Anspruch auf einen Ausgleich enstprechend § 4 Nr. 1 a. Auf sein Verlangen ist der Zuschlag in Zeit zu gewähren.

(6) Die durch Verkürzung der Wochenarbeitszeit ab 1. 11. 1986 entstehende Freizeit ist auf der Basis einer Quartals-, Halbjahres- oder Jahresplanung, die in Betrieben mit Betriebsrat jeweils rechtzeitig durch Betriebsvereinbarung zu regeln ist, wie folgt zu verteilen: …

Ausweislich einer innerbetrieblichen Ankündigung („informiert“) beabsichtigte die Bekl. in der Abteilung Spritzguß, der auch der Kl. angehört, die Einführung verlängerter Maschinenlaufzeiten von fünf auf sechs Wochentage unter Einschluß des Samstags als Normalarbeitstag, wobei die Lage der entsprechenden Ausgleichstage von den Mitarbeitern bestimmt werden sollte. Die Bekl. begründete diese Änderung damit, daß der Bereich Spritzguß mit Verlusten arbeite und durch externen Zukauf der hier gefertigten Ablagekörbe - allerdings bei Verlust der Arbeitsplätze im Spritzguß und in der davon abhängigen Schreibgerätefertigung - 750 000 DM jährlich gespart werden könnten. Diese Einsparung könne jedoch auch durch ein anderes Maßnahmenpaket, darunter unverzichtbar die Verlängerung der Maschinenlaufzeiten auf sechs Tage mit einem Sparanteil von 250 000 DM, erreicht werden. Zur Einführung des neuen Arbeitszeitmodells mit Wirkung ab 1. 9. 1995 unterzeichneten 19 von 23 Mitarbeitern der Abteilung Spritzguß - nach Darstellung des Kl. unter dem Druck einer drohenden Stillegung bzw. Auslagerung dieses Bereichs - Vereinbarungen zur „Ergänzung des Arbeitsvertrages“, wonach sie sich inhaltlich mit dem neuen Arbeitszeitmodell einverstanden erklärten; außerdem sollte diese Regelung zunächst bis zum 30. 9. 1996 festgeschrieben und mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende erstmals gekündigt werden können. Der Kl. unterzeichnete eine solche Vereinbarung nicht. Von den übrigen drei Mitarbeitern, die ebenfalls die Änderungsvereinbarung nicht unterzeichneten, wurden zwei versetzt, mit dem dritten schloß die Bekl. einen Aufhebungsvertrag. Die Bekl. bat ihren Arbeitgeberverband mit Schreiben vom 26. 7. 1995 um Erteilung einer auf zwei Jahre befristeten Zustimmung zur versetzten 5-Tage-Woche mit dem Samstag als normalem Arbeitstag im Dreischichtbetrieb. Mit Schreiben vom 10. 8. 1995 sandte die Bekl. eine Durchschrift dieses Antrages „zu Ihrer Kenntnis“ an die IG Medien. Der sich anschließende Schriftwechsel zwischen den Tarifvertragsparteien verlief ergebnislos. Die Bekl. führte gleichwohl das neue Arbeitszeitmodell unter Einschluß der Dreischichtarbeit am Samstag bis 22.30 Uhr mit Wirkung zum 1. 9. 1995 ein. Eine Betriebsvereinbarung hierüber existiert nicht. Ausweislich seines Schreibens vom 28. 8. 1995 an die Mitarbeiter in der Abteilung Spritzguß hat der Betriebsrat die Einbeziehung des Samstags als Regelarbeitszeit billigend in Kauf genommen; nach den Feststellungen des LAG besteht eine dahingehende Regelungsabrede zwischen dem Betriebsrat und der Bekl. Nachdem die Bekl. den Kl. zunächst bezahlt freigestellt hatte, erklärte sie erstmals mit Schreiben vom 27. 9. 1995 eine fristgerechte Änderungskündigung, wonach der Kl. nach seiner Wahl entweder auf seinem alten Arbeitsplatz, aber zu den neuen Schichtbedingungen oder aber zu seinen bisherigen Arbeitszeiten, aber zu geänderten Tätigkeiten in der Servietten- oder Heftfertigung, tätig werden sollte. Nachdem der Kl. unter Vorbehalt die Weiterbeschäftigung auf seinem alten Arbeitsplatz, aber zu geänderten Arbeitszeiten angenommen hatte, wurde diese Änderungskündigung einvernehmlich zurückgenommen. Mit Schreiben vom 30. 10. 1995 und ergänzender mündlicher Anweisung vom 10. 11. 1995 wies die Bekl. den Kl. an, ab Montag, dem 13. 11. 1995, seine Tätigkeit als Einrichter-Kunststofformengeber auf einem für ihn neu eingerichteten Arbeitsplatz in der Karteikästenproduktion in der 1994 neu eingerichteten Betriebsstätte F. in Brandenburg aufzunehmen. Die dortigen Produktionsmaschinen stammten aus dem Betriebssitz Westberlin-T. und waren ursprünglich zum Verkauf bestimmt. Nachdem der Kl. vom 13. bis 15. 11. 1995 erfolglos an seiner bisherigen Arbeitsstätte in Berlin-T. die Arbeitskraft angeboten hatte, mahnte die Bekl. ihn mit Schreiben vom 15. 11. 1995 wegen Nichtaufnahme der Tätigkeit in F. ab und sprach mit Schreiben vom 27. 11. 1995, zugegangen am 28. 11. 1995, die jetzt noch im Streit stehende Änderungskündigung zum 31. 12. 1995 aus mit dem Inhalt der Weiterbeschäftigung als Kunststofformengeber in der Betriebsstätte F. unter Beibehaltung der bisherigen Vertragsbedingungen. Der Kl. nahm diese Änderungskündigung unter Vorbehalt an, hat aber für die Bekl. jedenfalls in der Zeit vom 13. bis 30. 11. 1995 keine Arbeitsleistungen erbracht; das hierfür eingehaltene Arbeitsentgelt beläuft sich auf 2723,70 DM brutto. Der Kl. ist an seinem neuen Arbeitsplatz in einer Zwischenlagerhalle der einzige im Spritzguß beschäftigte Mitarbeiter; dort werden jedenfalls noch fünf weitere Mitarbeiter mit Warenannahme und Qualitätssicherung beschäftigt. Insgesamt umfaßt die dortige Betriebsstätte etwa 1000 Arbeitnehmer, der Kl. stellt dort jetzt u. a. Karteikästen und Gitterablagekörbe her, wobei der Anteil seiner Kontroll- und Aufsichtsarbeiten deshalb geringer ist, weil dort keine Hilfskräfte für Zuarbeiten beschäftigt sind. Der Kl. wendet sich mit seiner Klage gegen die Änderungskündigung sowie gegen die Abmahnung und begehrt die Zahlung der Differenzvergütung.

Das ArbG hat der Klage stattgegeben; die Berufung der Bekl. hatte bis auf die Abweisung des Antrags auf Weiterbeschäftigung in der S.-Straße (Berlin-T.) keinen Erfolg (NZA-RR 1997, 96). Mit der vom LAG zugelassenen Revision erstrebt die Bekl. auch im übrigen die Abweisung der Klage. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, daß die dem Kl. gegenüber ausgesprochene Änderungskündigung sozial ungerechtfertigt ist (§§ 1 II , 2 KSchG), daß die Bekl. die Abmahnung aus der Personalakte des Kl. zu entfernen hat und daß der Zahlungsanspruch aus Annahmeverzug gerechtfertigt ist.

I. Das LAG hat angenommen, es könne dahinstehen, ob die Versetzung des Kl. unter dem Gesichtspunkt der räumlichen Entfernung vom arbeitgeberseitigen Direktionsrecht gedeckt sei; jedenfalls sei die Veränderung der Arbeitszeiten tarifwidrig, die Versetzung entspreche daher nicht billigem Ermessen, § 315 BGB. Dies ergebe sich nicht schon unabhängig von der Frage der Tarifbindung des einzelnen Arbeitnehmers aus § 3 II TVG, da die einschlägigen Tarifregelungen über Samstagsarbeit keine Betriebsnormen darstellten. Hinsichtlich der tarifgebundenen Arbeitnehmer sei das Arbeitszeitmodell jedoch im Hinblick auf den vorzunehmenden Sachgruppenvergleich nicht vom Günstigkeitsprinzip des § 4 III TVG gedeckt und entspreche daher nicht billigem Ermessen. Aber auch wenn das neue Arbeitszeitmodell allein aufgrund einzelvertraglicher Absprachen mit Außenseitern eingeführt worden und der Kl. in dieses neue Arbeitszeitmodell nicht mehr integrierbar sei, sei die Versetzung unwirksam, denn ein tarifgebundener Arbeitnehmer dürfe seinen bisherigen Arbeitsplatz nicht deswegen verlieren, weil ein ebenfalls tarifgebundener Arbeitgeber ein tarifwidriges Arbeitszeitsystem eingeführt habe. Deshalb sei auch die hierauf gegründete Änderungskündigung unwirksam. Das gelte auch bei einer für die Bekl. unmöglichen Weiterbeschäftigung des Kl. an der bisherigen Betriebsstätte. Infolge der unwirksamen Zuweisung des neuen Arbeitsplatzes seien auch die Abmahnung unberechtigt und die geltend gemachten Annahmeverzugsansprüche begründet.

II. Dem folgt der Senat im Ergebnis, allerdings nur teilweise in der Begründung. Die Revision rügt zu Unrecht, das BerGer. habe §§ 2 , 1 II KSchG verkannt, indem es nicht von einer unangreifbaren unternehmerischen Entscheidung ausgegangen sei. Richtig ist, daß es im Bereich unternehmerischer Freiheit lag, im Rahmen des § 2 MTV auch Samstagsarbeit einzuführen; die Bekl. hat sich jedoch nicht an das nach dem Tarifvertrag vorgeschriebene Verfahren gehalten, so daß das eingeführte Arbeitszeitmodell tarifwidrig und die darauf beruhende Versetzung des Kl., der nicht mehr in dieses Arbeitszeitmodell integrierbar war, ebenso wie die Änderungskündigung unwirksam sind.

1. Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Änderungskündigung nach §§ 2 , 1 II KSchG können auch darin liegen, daß der Arbeitgeber sich zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer in der bisherigen Art und Weise entfällt; liegt eine solche unternehmerische Entscheidung vor, ist diese selbst nicht auf ihre unternehmerische sachliche Rechtfertigung und ihre Zweckmäßigkeit, sondern nur darauf zu prüfen, ob sie offenbar unsachlich, willkürlich oder unvernünftig ist (st. Rspr., BAGE 64, 24 [28] = NZA 1990, 734 = AP Nr. 27 zu § 2 KSchG 1969 [zu B I 1 b]; BAG, NZA 1996, 1145 = NJW 1996, 3366 L = AP Nr. 79 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung [zu B I 2 a]). Eine solche unternehmerische Entscheidung könnte etwa auch die Umstellung von einem Einschichtsystem auf ein Zweischichtsystem sein (BAGE 64, 24 [29] = NZA 1990, 734 = AP Nr. 27 zu § 2 KSchG 1969 [zu B I 1 b] ). Vorliegend wurde im Betrieb der Bekl. schon zuvor dreischichtig gearbeitet, und die Entscheidung der Bekl. betraf lediglich die Einbeziehung des Samstags als Regelarbeitstag. Der Unternehmer ist auch grundsätzlich frei darin, wie er die Kapazitäten und Arbeitszeiten auf seine Produktion verteilt (vgl. für die Verteilung des Personals auf Öffnungszeiten im Einzelhandel: Senat, NJW 1998, 179 = NZA 1997, 1047 = MDR 1997, 947 [zu II 2 a] ). Danach ist auch die Einführung von Samstagsarbeit eine unternehmerische Entscheidung, die an sich einen billigenswerten Anlaß zur Änderung von Arbeitsbedingungen darstellen kann.

Die Bekl. hat auch hinreichend dargelegt, daß der Kl. nach Einführung der Samstagsarbeit nicht unter seinen alten Bedingungen ohne Samstagsarbeit weiterbeschäftigt werden könnte. Sie hat hierzu vorgetragen, in der Kunststoffspritzerei würden jeweils sieben Arbeitnehmer im Wechsel dreischichtig mit rollierenden Freizeitausgleich eingesetzt; das System könne nicht funktionieren, wenn der Kl. nur montags bis freitags im festen Dreischichtbetrieb eingesetzt werden könne; es setze voraus, daß sich alle Arbeitnehmer der gleichen Einteilungssystematik unterzögen; im Rahmen der gruppeninternen Einteilung der Schichten und freien Tage sei es auf die Dauer unzumutbar, daß die anderen Gruppenmitglieder das Fehlen des Kl. durch vermehrte Arbeit an Sonnabenden auffingen, auch der Einsatz einer zusätzlichen Arbeitskraft an Samstagen sei nicht zumutbar. Der Kl. hat demgegenüber lediglich bestritten, daß es unüberwindbare Schwierigkeiten machen würde, ihn in diese Schichtabläufe einzugliedern; er hat jedoch nicht dargestellt, wie er unter Beibehaltung seiner bisherigen Arbeitszeit in dieses System konkret integrierbar wäre bzw. daß etwa seine Arbeitskollegen zur Übernahme seiner Samstagsschicht bereit gewesen wären. Im Grunde deckt sich dieses Ergebnis mit seinem Sachvortrag, vermehrte Samstagsarbeit sei für die Arbeitnehmer ungünstiger; dies wiederum stützt das Argument der Bekl., daß eine Integration des Kl. in das neue Arbeitszeitmodell, jedoch ohne seine Samstagsarbeit, den anderen Gruppenmitgliedern nicht zumutbar sei.

2. Die Durchsetzung dieser unternehmerischen Entscheidung verstößt jedoch gegen die Arbeitszeitregelung in § 2 MTV, wobei der Senat dahingestellt bleiben läßt, ob diese schon deshalb gilt - wie der Kl. geltend macht -, weil die Arbeitszeitvorschriften des Tarifvertrags, u. a. die Begrenzung der Samstagsarbeit auf 14 Uhr, etwa betriebliche Normen i. S. des § 3 II TVG darstellen (vgl. dazu BAGE 64, 368 = NZA 1990, 850 = AP Nr. 57 zu Art. 9 GG; BAG, NZA 1996, 1214 = AP Nr. 1 zu § 3 TVG Betriebsnormen m. abl. Anm. H. Hanau; und neuerdings BAG, NZA 1998, 213), so daß sie angesichts der Tarifgebundenheit der Bekl. im Betrieb auch im Verhältnis zu den Außenseitern galten. Denn vorliegend ist schon die Art und Weise der Einführung des neuen Arbeitszeitmodells tarifwidrig.

a) Zur Tarifwidrigkeit führt die Verletzung der mit § 2 II MTV verknüpften und als betriebsverfassungsrechtlich zu qualifizierenden Norm des § 2 III MTV, die hinsichtlich der Verteilung der Wochenarbeitszeit nach Maßgabe des Absatz 2 ausdrücklich eine hier nicht vorhandene Betriebsvereinbarung verlangt. Nach § 3 II TVG gelten Rechtsnormen des Tarifvertrags über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen für die Betriebe, deren Arbeitgeber tarifgebunden ist. Betriebsverfassungsrechtliche Fragen im Sinne dieser Bestimmung sind solche, die sich mit der Rechtsstellung der Arbeitnehmerschaft im Betrieb und der Organe beschäftigen (Schaub, ArbeitsR-Hdb., 8. Aufl., § 202 VI, 1684; Wiedemann-Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 1 Rdnr. 248). Die tarifliche Zulassung abweichender Betriebsvereinbarungen ist eine betriebsverfassungsrechtliche Vorschrift i. S. des § 1 TVG (BAGE 56, 18 = NZA 1987, 779 = AP Nr. 23 zu § 77 BetrVG 1972; s. auch Fitting-Kaiser-Heither-Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 77 Rdnr. 108). Die Qualifizierung des § 2 III MTV als betriebsverfassungsrechtliche Regelung ergibt sich daraus, daß ein nach § 87 I Nr. 2 BetrVG mitbestimmungspflichtiger Sachverhalt gegeben ist, für den der MTV in § 2 II, III einen für den Betriebsrat im Sinne des Eingangssatzes in § 87 I BetrVG verbindlichen Rahmen vorgibt, innerhalb dessen eine Ausfüllung des Mitbestimmungsrechtes durch den Betriebsrat möglich und notwendig ist (vgl. zu ausfüllungsbedürftigen tariflichen Regelungen Fitting-Kaiser-Heither-Engels, § 87 Rdnr. 36 m. w. Nachw.). Die Bekl. hat gegen diese betriebsverfassungsrechtliche Norm des § 2 III 1 MTV verstoßen, indem sie das neue Arbeitszeitmodell ohne schriftliche Betriebsvereinbarung gem. § 77 II BetrVG durch bloße Regelungsabsprache eingeführt hat.

Verwenden die Tarifvertragsparteien den gesetzlichen Begriff „durch Betriebsvereinbarung“, ist hiermit im Zweifel die gesetzlich geregelte Institution gemeint (Kreutz, in: GK-BetrVG, 5. Aufl., § 77 Rdnr. 136 m. w. Nachw.). Vorliegend ergibt sich bereits aus dem Wortlautvergleich zu § 2 VII MTV, der lediglich verlangt, daß Beginn und Ende der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit mit dem Betriebsrat vereinbart werden, daß die Tarifvertragsparteien bei § 2 III MTV bewußt eine Betriebsvereinbarung verlangt haben, wie z. B. auch bei der Umsetzung der Wochenarbeitszeitverkürzung, § 2 VI MTV. Dies gilt angesichts der Warn-, Beweissicherungs- sowie Publikationsfunktion des § 77 II BetrVG insbesondere deshalb, weil § 2 II MTV die Samstagsarbeit nur ausnahmsweise („zwingende Arbeiten“) und auch dann nicht als Produktionsarbeiten, sondern letztere nur im Mehrschichtsystem und dann begrenzt bis 14 Uhr - wie auch unter den Parteien unstreitig (vgl. dazu noch unten zu II 2 d) -, zuläßt. Die besondere Bedeutung der Verfahrensregeln in § 2 III MTV einschließlich des Erfordernisses einer Betriebsvereinbarung wird auch dadurch deutlich, daß in § 2 III 2 MTV die Zustimmungsersetzung durch Einigungsstellenspruch ausgeschlossen wird.

Es bedarf nach Auffassung des Senats keiner näheren Begründung, daß die Tarifvertragspartner die Abänderung ihrer Arbeitszeitvorgaben in § 2 II MTV mittels Öffnungsklausel zugunsten der Betriebspartner an das mit den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes (§§ 77, 87) übereinstimmende Erfordernis einer formellen Betriebsvereinbarung knüpfen durften (zum Verhältnis Tarifautonomie - Betriebsautonomie vgl. neuerdings Richardi, in: Festschr. f. Karl Kehrmann, S. 263 [268]; Hanau, RdA 1993, 1 [9, 10] ). Dies wird auch durch § 77 III BetrVG mit dem abgestuften Ineinandergreifen von Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen belegt. Denn diese Vorschrift dient der Sicherung der ausgeübten und aktualisierten Tarifautonomie sowie der Erhaltung und Stärkung der Koalitionen (st. Rspr. des BAG, u. a. BAGE 69, 134 = NZA 1992, 749 = AP Nr. 51 zu § 87 BetrVG Lohngestaltung). Die Tarifvorschrift des § 2 III 1 MTV macht im übrigen auch materiell - selbst wenn die Ersetzungsmöglichkeit durch zwingenden Spruch der Einigungsstelle wirksam ausgeschlossen sein sollte (vgl. dazu Galperin-Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 87 Rdnr. 14) - noch Sinn, denn die nach §§ 87 II , 76 BetrVG vorgesehene Einigungsstelle könnte immerhin, wie z. B. §§ 111 , 112 III BetrVG dies für den Interessenausgleich bestimmen, eine Einigung der Parteien versuchen, selbst wenn sie keine Letztentscheidungskompetenz hat. Es ist nicht nur theoretisch möglich, sondern fast naheliegend, daß eine mit einem unparteiischen Vorsitzenden (§ 76 II BetrVG) besetzte Einigungsstelle auf einen Kompromiß der Betriebsparteien unter Einhaltung der tariflichen Arbeitszeitregelungen, insbesondere zur Begrenzung der tariflich auf 14 Uhr eingeschränkten Samstagsarbeit, hingewirkt hätte.

b) Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 3 II TVG i. V. mit der betriebsverfassungsrechtlichen Vorschrift des § 2 III MTV, die sich aus einer Erstreckung der Regelungen auf nicht tarifgebundene Außenseiter ohne Vorliegen einer Allgemeinverbindlichkeitserklärung ergeben könnten (vgl. BAG, NZA 1996, 1214 = AP Nr. 1 zu § 3 TVG Betriebsnormen; H. Hanau, RdA 1996, 158 f.), bestehen nicht. Für die negative Koalitionsfreiheit der Außenseiter gem. Art. 9 III GG ergeben sich deshalb keine Bedenken, weil die tariflich mögliche, durch Betriebsvereinbarung zu regelnde Samstagsarbeit gerade Organisierte und Nichtorganisierte gleichermaßen betrifft, also durch Gewerkschaftsbeitritt keine Änderung eintreten würde. Auch ist grundsätzlich zu berücksichtigen, daß betriebsverfassungsrechtliche Tarifnormen, soweit sie bei ihrer Umsetzung der Beteiligung des Betriebsrats nach § 87 BetrVG bedürfen, zu demokratisch legitimierten Entscheidungen führen, an denen auch die nichtgewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer durch Wahl des Betriebsrats beteiligt und repräsentiert sind.

c) Gegen § 2 III MTV, der für die Verteilung der regelmäßigen Wochenarbeitszeit, also für die Regelung im Detail eine betriebsverfassungsrechtliche Norm (§ 2 III) aufstellt, bestehen auch im Hinblick auf eine Betroffenheit der Arbeitgeber keine durchgreifenden Bedenken.

aa) Mit der Arbeitszeitregelung in § 2 II MTV wird Samstagsarbeit nicht generell unterbunden. Vielmehr ist § 2 II 2 MTV dahin zu verstehen, daß nur im Grundsatz, d. h. bei normaler Arbeitszeit von montags bis freitags in der Produktion und samstags nur in der Instandhaltung und Wartung gearbeitet, dagegen bei Mehr-Schicht-Betrieb gem. § 2 II 5 bis 7 MTV auch samstags produziert werden darf, allerdings nur bis 14 Uhr und im Falle der Existenz eines Betriebsrats nur aufgrund einer Betriebsvereinbarung. Es hat nämlich sonst keinen Sinn, daß im Wochendurchschnitt zwei arbeitsfreie Tage bei mehrschichtiger Arbeit zu gewähren sind, wenn ohnehin feststünde, daß dies nur samstags-sonntags möglich ist. Auch geht § 2 V MTV eindeutig davon aus, daß regelmäßige Arbeitszeit am Samstag möglich ist, was in dieser generellen Form nicht dahin verstanden werden kann, es gehe dabei nur um Instandhaltungs- und Wartungsarbeiten. Bestätigt wird dieses Verständnis auch noch durch die Protokollnotiz Nr. 2 zu § 2, wonach bestehende Arbeitszeitsysteme mit regelmäßiger Samstagsarbeit bis zum 1. 11. 1991 an die neuen Tarifbestimmungen anzupassen sind. Das kann nach § 2 III 2 MTV bei Zustimmung des Betriebsrats ausdrücklich auch für „regelmäßige Samstagsarbeit“ geschehen. Hierüber herrscht unter den Parteien ersichtlich auch kein Streit. Offenbar sehen das auch die Tarifvertragspartner nicht anders, wie dem vorgelegten Schriftwechsel zu entnehmen ist.

bb) Es kann dahingestellt bleiben, ob diese tarifvertraglich für den Arbeitgeber eingeschränkte Möglichkeit zu produzieren verfassungsrechtlich zu beanstanden ist. Selbst wenn das der Fall wäre, bliebe davon unberührt, daß die Bekl. gehalten war, ihre Arbeitszeitvorstellungen mit Hilfe der in § 2 III MTV vorgesehenen Betriebsvereinbarung umzusetzen, denn für die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage war ohnehin die Mitbestimmung des Betriebsrats erforderlich, § 87 I Nr. 2 BetrVG. Auch bei Ausklammerung der Einigungsstelle (so § 2 III 2 MTV) bestanden noch Gestaltungsmöglichkeiten, wie oben (unter II 2 a a. E.) dargestellt wurde. Die Bekl. hat im übrigen nichts dazu vorgetragen, ob und gegebenenfalls warum eine einvernehmliche Regelung durch Betriebsvereinbarung nicht möglich war.

d) Die Rechtswidrigkeit der unternehmerischen Entscheidung und ihre Umsetzung entfällt auch nicht etwa deshalb, weil das neue Arbeitszeitmodell für die betroffenen Arbeitnehmer günstiger wäre, § 4 III TVG. Es bestehen zunächst einmal erhebliche Bedenken gegen die von der Bekl. vertretene Auffassung, Vergleichsgegenstand könne lediglich der jeweils sachlich zusammenhängende Regelungskomplex sein. Zu vergleichen sein dürften vielmehr die einschlägige tarifliche und die abweichende vertragliche Regelung (BAGE 46, 50 [58] = NJW 1984, 255 = AP Nr. 9 zu § 339 BGB), wie sich bereits aus dem Wortlaut des § 4 I und III TVG ergibt, wonach die tarifliche Regelung mit der abweichenden Abmachung nicht mit den Lebensumständen zu vergleichen ist, die ohne die Abmachung bestünden. Danach erscheint die Annahme der Bekl. zweifelhaft, das von ihr eingeführte Arbeitszeitmodell unter Einschluß der (tarifwidrigen) Samstagsarbeit bis 22.30 Uhr sei günstiger im Vergleich zur bisherigen Arbeitszeitregelung ohne Samstagsarbeit. Das kann indessen offen bleiben.

Angesichts der betriebsverfassungsrechtlichen Tarifnorm des § 2 III MTV kommt ein Günstigkeitsvergleich ohnehin nicht in Betracht. Es handelt sich, wie oben unter II 2 a näher begründet worden ist, um ein abgestuftes Ineinandergreifen von Tarif- und betriebsverfassungsrechtlichen Vorschriften, so daß die getroffenen und zu treffenden Regelungen von einander abhängen, mithin die Parteien des Einzelarbeitsverhältnisses, wie sich aus § 77 IV BetrVG zwingend ergibt, sie nicht verändern können (ebenso Däubler, TVG, Rdnrn. 191 f.; Wiedemann-Stumpf, § 4 Rdnr. 224; Kempen-Zachert, TVG, 3. Aufl., § 4 Rdnr. 167; Wlotzke, Das Günstigkeitsprinzip, 29 f.; Schlüter, in: Festschr. f. Stree u. Wessels, S. 1061 [1071]; Schaub, § 204 VI; a. M. für Betriebsnormen Löwisch, in: Münchener Hdb. z. ArbeitsR, § 265 Rdnrn. 21 f.; Löwisch-Rieble, TVG, § 4 Rdnr. 177; Dörner, in: Kasseler Hdb. z. ArbeitsR, 6.1 Rdnr. 208; offen gelassen für Betriebsnormen BAGE 53, 42 [58] = AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972 [C II 2 b]; Däubler, Rdnr. 191, hält günstigere betriebsverfassungsrechtliche Regelungen wie etwa die einheitliche Einführung weiterer Zustimmungserfordernisse des Betriebsrates für zulässig; ihm zustimmend für „eher theoretische Fallgestaltungen“ Kempen-Zachert, § 4 Rdnr. 167). Die mit dem Betriebsrat getroffene Regelungsabrede bleibt schon hinsichtlich der Warn- und Publikationsfunktion sowie Nachwirkung hinter einer Betriebsvereinbarung deutlich zurück; insbesondere steht bei einer Regelungsabrede abweichenden Vereinbarungen der Vertragspartner nicht der Unabdingbarkeitsgrundsatz des § 77 IV 1 BetrVG entgegen (BAGE 63, 267 [270] = NZA 1990, 559 = AP Nr. 6 zu § 88 BetrVG [12 b] m. Anm. Frey); Regelungsabreden haben keine die Arbeitsverhältnisse unmittelbar gestaltende Wirkung (BAG, NZA 1991, 607 = AP Nr. 4 zu § 615 BGB Kurzarbeit).

3. Die Änderung der Arbeitsbedingungen des Kl. ist auch im übrigen, nämlich soweit sie schon vor der Änderungskündigung durch Ausübung des Direktionsrechts in Form der Versetzung nach Falkensee erfolgt ist, unwirksam. Der Annahme des LAG, die Versetzung entspreche nicht billigem Ermessen i. S. des § 315 BGB und sei deshalb unwirksam, ist schon deshalb im Ergebnis zu folgen, weil nach den Ausführungen zu II 2 das gesamte neue Arbeitszeitmodell der Bekl. tarifwidrig ist mit der Folge, daß auch alle Direktionsmaßnahmen, die auf Einrichtung des neuen Arbeitszeitmodells abzielten oder durch sie verursacht waren, ebenfalls unwirksam sind, ohne daß es dann noch einer Prüfung des billigen Ermessens bedurfte. Das LAG hat auch ausdrücklich festgestellt, daß die Versetzung des Kl. darauf beruhte, daß er in das neue Arbeitszeitmodell nicht integrierbar sei (s. auch oben zu II 1).

4. Daraus wiederum folgt, daß die bereits mit Schreiben vom 15. 11. 1995 erfolgte Abmahnung unwirksam ist, da der Kl. infolge der Rechtswidrigkeit der Versetzungsanordnung bis zur Vorbehaltsannahme im Zusammenhang mit der Änderungskündigung die Arbeitsaufnahme in F. verweigern durfte. Daraus ergibt sich auch der Anspruch des Kl. aus Annahmeverzug, §§ 611 , 615 BGB.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

KSchG §§ 1 II , 2; TVG § 3 II; MTV für die gewerblichen Arbeitnehmer der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie in der Bundesrepublik § 2