Keine Übertragung des Kinderfreibetrages eines nicht Unterhaltspflichtigen

Gericht

BFH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

25. 07. 1997


Aktenzeichen

VI R 107/96


Leitsatz des Gerichts

Ist ein Elternteil nicht zur Leistung von Unterhalt verpflichtet, so kann der ihm zustehende Kinderfreibetrag nicht nach § 32 VI 4 Alt. 1 EStG 1990 auf den anderen Elternteil übertragen werden.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. ist in zweiter Ehe verheiratet und wurde für das Streitjahr 1990 zusammen mit seiner zweiten Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. Aus seiner ersten Ehe mit der Beigel. sind ein 1968 geborener Sohn und eine 1971 geborene Tochter hervorgegangen. Der Sohn leistete im Januar und Februar 1990 Zivildienst, danach war er arbeitslos und ist seit dem 15. 4. 1990 Krankenpfleger. Er lebte während des gesamten Streitjahrs in einer eigenen Wohnung und erhielt von dem Kl. bis April 1990 Unterhalt. Die Tochter besuchte während des gesamten Streitjahrs das Gymnasium. Sie lebte bis Januar 1990 bei der Beigel., danach bezog sie eine eigene Wohnung. Sie erhielt von dem Kl. monatlich Unterhaltszahlungen in Höhe von 560 DM. Die Beigel., die im Streitjahr über ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 589 DM verfügte, leistete an den Sohn keine Unterhaltszahlungen. Ihre Tochter unterstützte sie mit Monatsbeträgen zwischen 160 DM und 220 DM. Der Kl. beantragte in seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr für beide Kinder aus der ersten Ehe die Berücksichtigung der doppelten Kinderfreibeträge sowie für die Tochter den vollen Ausbildungsfreibetrag. Der Bekl. (das Finanzamt) zog für beide Kinder jeweils nur den einfachen Kinderfreibetrag von je 1512 DM ab und gewährte für die Tochter nur den halben Ausbildungsfreibetrag. Dabei ging das Finanzamt davon aus, daß die Beigel. ihrer Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Tochter im Streitjahr in ausreichendem Maße nachgekommen und der Sohn wegen ausreichender eigener Einkünfte nicht unterhaltsberechtigt gewesen sei.

Das FG (EFG 1996, 547) hat die Klage abgewiesen. Die Revision des Kl. blieb erfolglos.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

... Nach § 32 VI 4 EStG darf auf Antrag eines Elternteils der Kinderfreibetrag des anderen Elternteils nur dann auf ihn übertragen werden, wenn er, nicht jedoch der andere Elternteil, seiner Unterhaltsverpflichtung im wesentlichen nachkommt. Der Senat legt dabei den Wortlaut des § 32 VI 4 EStG zugrunde, den die Vorschrift durch Art. 1 Nr. 26 Buchst. a)bb) des Gesetzes vom 25. 7. 1988 - Steuerreformgesetz 1990 - (BGBl I 1988, 1093, 2074, BStBl I 1988, 224) erhalten hat. Der hiervon abweichenden Verwendung des Wortes "Unterhaltspflicht" anstelle von "Unterhaltsverpflichtung" in § 32 VI 4 EStG in der Bekanntmachung der Neufassung des Einkommensteuergesetzes vom 7. 9. 1990 - EStG 1990 - (BGBl I 1990, 1898, BStBl I 1990, 453) liegt weder ein späterer Gesetzesbeschluß zugrunde noch war diese Änderung erforderlich, um Unstimmigkeiten zu beseitigen (vgl. § 52 IV Nr. 2 EStG 1987), wie die Verwendung des Wortes "Unterhaltsverpflichtung" in § 32 I 2 EStG 1990 zeigt. Der Senat geht allerdings davon aus, daß sich aus der Verwendung des Wortes "Unterhaltspflicht" in der Bekanntmachung der Neufassung keine inhaltliche Änderung ergäbe, weil in Verbindung mit dem Verb "nachkommen" hinreichend deutlich wird, daß die konkrete Verpflichtung, Unterhalt zu leisten, entscheidend ist.

Die Übertragung des Kinderfreibetrages setzt danach eine Unterhaltsverpflichtung des anderen Elternteils voraus. Einer Unterhaltsverpflichtung nachkommen kann nur, wer unterhaltspflichtig ist. Besteht keine Verpflichtung, Unterhalt zu leisten, z.B. weil der andere Elternteil mangels ausreichender eigener Mittel nicht leistungsfähig ist oder das Kind über eigene Einkünfte in ausreichender Höhe verfügt, ist eine Abweichung vom Halbteilungsgrundsatz nicht gerechtfertigt (ebenso: FG Düsseldorf, EFG 1995, 218 bei fehlender Unterhaltsberechtigung; FG München, EFG 1997, 747; Grube, DStR 1997, 810; a.A. FG Münster, EFG 1991, 127; FG Bremen, EFG 1995, 216; FG Köln, EFG 1995, 217; FG Hessen, EFG 1995, 887; Müller/Traxel, BB 1997, 442; Kanzler, in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 32 EStG Anm. 185 a.E.; Schmidt/Glanegger, EStG, 15. Aufl., § 32 Rdnr. 67; wohl auch Kubesch, DStZ 1987, 532; Abschn. 181a II 4 EStR 1987 bzw. Satz 6 EStR 1990).

Eine vom Gesetzeswortlaut abweichende Auslegung ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten. Zwar soll der Kinderfreibetrag Eltern wegen der Aufwendungen, die ihnen durch Barunterhalt entstehen, steuerrechtlich entlasten, so daß es unter dem Blickwinkel der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit gerechtfertigt sein könnte, den Elternteil, der die kindbedingten Aufwendungen wegen fehlender Unterhaltspflicht des anderen Teils allein zu tragen hat, allein zu entlasten. Der Gesetzgeber hat jedoch den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum nicht überschritten, wenn er sich für eine andere Lösung entschieden hat, nämlich, es bei dem Halbteilungsgrundsatz zu belassen, wenn nur einer der Eltern unterhaltspflichtig ist. Auch der Elternteil, der nicht unterhaltspflichtig ist, kann - wie der Streitfall zeigt - (freiwillige) Aufwendungen für das Kind haben. Es wäre dann unbillig, ihm den Kinderfreibetrag nur deshalb zu nehmen, weil er zivilrechtlich nicht unterhaltspflichtig ist. Es ist zudem zu bedenken, daß die Gewährung von Kinderfreibeträgen ohnehin nicht stets von einer Minderung der Leistungsfähigkeit der Eltern durch Unterhaltszahlungen abhängt. Auch Eltern, die beide nicht unterhaltspflichtig sind oder zwar unterhaltspflichtig sind, aber keinen Unterhalt leisten, erhalten die Kinderfreibeträge.

Schließlich steht es den Eltern in Härtefällen frei, die Übertragung des Kinderfreibetrages durch Zustimmung zu erreichen (§ 32 VI 4 Alt. 2 EStG). Zu dieser Zustimmung kann der andere Elternteil in Fällen, in denen nur einer der Eltern den Unterhalt trägt, auf familienrechtlicher Grundlage verpflichtet sein (BGH, NJW 1996, 1894).

Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze auf den Streitfall konnte die Revision keinen Erfolg haben. Nach den Feststellungen des FG, die mangels zulässiger und begründeter Revisionsrügen für das RevGer. bindend sind (§ 118 II FGO), war die Beigel. gegenüber ihren beiden Kindern aus der Ehe mit dem Kl. nicht unterhaltspflichtig, so daß die Kinderfreibeträge nicht auf den Kl. übertragen werden können. Entsprechendes gilt für den Ausbildungsfreibetrag (§ 33a II EStG).

Rechtsgebiete

Steuerrecht

Normen

EStG 1990 § 32 VI 4