Halteverbotsschild wegen schwieriger Garagenausfahrt

Gericht

VGH München


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

12. 01. 1998


Aktenzeichen

11 B 96.2895


Leitsatz des Gerichts

Es kann kein eingeschränktes Halteverbotsschild auf der gegenüberliegenden Straßenseite einer Garagenausfahrt erwirkt werden, nur weil für die Benutzung dieser Ausfahrt bei zugeparkter Straße eventuell zwei- bis dreimal vor- und zurückgesetzt werden muss.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. bewohnt ein eigenes Anwesen in der W.-Gasse, das mit einem Wohnhaus bebaut und in das eine Doppelgarage integriert ist. Einer der beiden Garagenstellplätze ist vermietet; auf dem anderen Stellplatz wird ein Fahrzeug abgestellt, dessen Halter die Ehefrau des Kl. ist. Der Kl. selbst besitzt einen Schwerbehindertenausweis. Aufgrund seiner Behinderung ist er selbst nicht in der Lage, ein Kfz zu führen; stattdessen wird er bei Bedarf von seiner Ehefrau gefahren. - Der Kl. begehrte von der Bekl. die Einrichtung eines Stellplatzes mit Parksonderrecht gem. § 45 Ib Nr. 2 StVO, hilfsweise die Anordnung einer Parkverbotszone von 30 m Länge gegenüber seinem Anwesen, weil das Ausfahren aus der Garage nicht möglich sei, wenn ihr gegenüber Fahrzeuge abgestellt sind. Das VG lehnte den Hauptantrag ab und gab dem Hilfsantrag statt. Die Berufung der Bekl. führte zur Abweisung in vollem Umfang.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

... Gem. § 45 I 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten und den Verkehr umleiten. Danach ist die Bekl. als örtliche Straßenverkehrsbehörde zum Erlaß des vom Kl. hilfsweise beantragten eingeschränkten Haltverbots zwar befugt; die Ablehnung dieses Antrags ist jedoch rechtmäßig und verletzt den Kl. nicht in seinen Rechten (§ 113 V VwGO). Dies hat das VG verkannt, weswegen das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage auch insoweit abzuweisen ist, als dem Hilfsantrag des Kl. stattgegeben wurde.

Zwar steht der vom Kl. begehrten Anordnung nicht bereits entgegen, daß gem. § 12 III Nr. 3 StVO vor Grundstücksein- und -ausfahrten, auf schmalen Straßen auch ihnen gegenüber, das Parken (ohnehin) unzulässig ist (vgl. VGH München, BayVBl 1995, 85 = NJW 1995, 980 L). Denn auch bei Grundstücksein- und -ausfahrten kann der für das Ein- und Ausfahren notwendige Verkehrsraum durch eine besondere Anordnung festgelegt werden, wenn andere Fahrer diesen Raum nicht ohne weiteres erkennen können (vgl. BVerwGE 37, 112 (115)). Im hier zur Entscheidung stehenden Fall fehlt es aber bereits an den rechtlichen Voraussetzungen des § 45 I 1 StVO, weil eine Beeinträchtigung der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs, die die Bekl. zu einer Abwägung der insoweit durch § 45 StVO geschützten Individualinteressen des Kl. veranlassen müßte (vgl. BVerwG, Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 16; Jagusch/Hentschel, StraßenverkehrsR, 33. Aufl., § 45 StVO Rdnr. 28a m.w. Nachw.), hier erkennbar nicht vorliegt.

In diesem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, daß die Polizeiinspektion W. zwar zunächst die Auffassung vertreten hat, daß im Bereich der Garagenausfahrt des Kl. auf der gegenüberliegenden Straßenseite die Anordnung eines eingeschränkten Haltverbots in Betracht komme, wie aus ihrem Schreiben vom 24. 5. 1993 zu entnehmen ist. Nachdem am 9. 6. 1993 eine Ortseinsicht durchgeführt worden war, an der sowohl ein Vertreter der Polizeiinspektion W. als auch ein Vertreter der Bekl. teilgenommen hatte, hielt die Polizeiinspektion W. ihre zunächst geäußerte Ansicht jedoch nicht mehr aufrecht und vertrat nunmehr die Meinung, weder ein Parksonderrecht noch ein eingeschränktes Haltverbot werde für erforderlich bzw. zweckmäßig angesehen ... Bei einem weiteren Ortstermin, der am 29. 9. 1993 durchgeführt wurde, kehrte die Polizeiinspektion W. dann wieder zu ihrer im Schreiben vom 24. 5. 1993 vertretenen Auffassung zurück, wonach die Anordnung eines eingeschränkten Haltverbots in Betracht zu ziehen sei, "weil das Alter der Ehefrau des Kl. und die damit verbundene Fahrweise eine Einschränkung der Parkmöglichkeiten für die Allgemeinheit rechtfertige". Dieser Ansicht ist jedoch nicht zu folgen.

Wie durch die am 29. 9. 1993 vorgenommene Ortseinsicht, an der der Kl. persönlich teilgenommen hat, bestätigt worden ist, ist eine Beeinträchtigung der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs durch im Bereich der Garagenausfahrt des Kl. auf der gegenüberliegenden Straßenseite gelegentlich geparkte Fahrzeuge nicht festzustellen. Denn eine Fahrprobe, die mit einem Polizeifahrzeug durchgeführt werden mußte, weil die Ehefrau des Kl. mit ihrem Fahrzeug zu dem genannten Ortstermin nicht erschienen war, hat zweifelsfrei ergeben, daß bei der vorgefundenen Parksituation - zum Zeitpunkt der Ortseinsicht war die W.-Gasse seitlich gegenüber der Garagenausfahrt jeweils mit einem Pkw beparkt - das Einfahren in die Garage des Kl. mit zweimaligem Rangieren und das Ausfahren aus der Garage mit dreimaligem Rangieren möglich ist, und zwar selbst dann, wenn sich bereits ein Fahrzeug in der Garage befindet.

Die geschilderte Parksituation wurde ausweislich der über die Ortseinsicht vom 29. 9. 1993 aufgenommenen Besprechungsniederschrift als "Extremfall" bezeichnet. Allein die Notwendigkeit eines zwei- bis dreimaligen Vor- und Zurücksetzens eines Fahrzeugs ("Rangieren") kann aber angesichts der heute in den Innenstädten allgemein vorzufindenden Verkehrs- und Parkraumsituation nicht als ernsthafte Beeinträchtigung der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs angesehen werden. Vielmehr sind derartige Rangier- bzw. Lenkmanöver, etwa beim Ein- und Ausfahren in eine bzw. aus einer Parklücke, schon nahezu als Regelfall zu betrachten. Sie können jedenfalls von einem durchschnittlich geschickten Kfz-Führer - auf die Fertigkeit eines solchen ist nach der Rechtsprechung abzustellen (vgl. VGH München, v. 3. 3. 1997 - 11 B 95.1431) - ohne ins Gewicht fallende Schwierigkeiten ausgeführt werden. Die im hier gegenständlichen Fall dann, wenn gleichzeitig schräg versetzt auf der gegenüberliegenden Fahrbahnseite Fahrzeuge parken, notwendigen Fahrmanöver sind damit ohne weiteres zumutbar. Dies gilt um so mehr, als sich die Ehefrau des Kl., die die hier inmitten stehende Garage mit ihrem Fahrzeug nutzt, in der mündlichen Verhandlung selbst als geübte Kraftfahrerin bezeichnet hat, weshalb davon auszugehen ist, daß sie die erforderlichen Lenkmanöver aufgrund ihrer Kenntnisse und Fertigkeiten auch tatsächlich durchführen kann. Die Auffassung, daß Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs hier nicht beeinträchtigt sind, wird bestätigt durch die - vom Kl. nicht bestrittenen - Angaben der Bekl. in der mündlichen Verhandlung, wonach die Straßenbreite im Bereich der hier gegenständlichen Garageneinfahrt an der schmalsten Stelle 5 m beträgt, und durch die zu den Gerichtsakten gegebenen Lichtbilder, die die örtliche Situation im Bereich der W.-Gasse zeigen und weitere Hindernisse nicht erkennen lassen. Diese Lichtbilder machen im übrigen auch sehr deutlich, daß die Garageneinfahrt des Kl. durch das große, in die Hauswand integrierte Garagentor für jeden dort vorbeifahrenden oder Parkabsichten hegenden Kraftfahrer erkennbar ist, zumal es noch zusätzlich mit einem Hinweisschild als Garageneinfahrt gekennzeichnet ist.

Zusätzlich gewinnt die Tatsache Bedeutung, daß nach den anläßlich der Ortseinsicht vom 29. 9. 1993 getroffenen Feststellungen selbst bei der damals vorgefundenen und als Extremfall gekennzeichneten Parksituation ein Ein- und Ausfahren in die Garage ohne jegliches Rangieren möglich ist, wenn in der Garage des Kl. kein zweites Fahrzeug abgestellt ist. Ob dem Kl. zugemutet werden kann, auf die Vermietung des zweiten Garagenplatzes aus diesem Grund zu verzichten, kann offenbleiben. Jedenfalls zeigt dies, daß das Ein- und Ausfahren auch bei gegenüber parkenden Fahrzeugen nicht immer mit einem Rangieraufwand verbunden ist.

Fehlen mithin im vorliegenden Fall bereits die rechtlichen Voraussetzungen des § 45 I StVO, so erübrigt sich eine Prüfung der Frage, ob die Bekl. verkehrsbeschränkende Maßnahmen - gegebenenfalls welche - in Ausübung des ihr zustehenden Ermessens hätte treffen können oder müssen. Dies bedeutet, daß sich die Frage, ob die Bekl. als Straßenverkehrsbehörde mit der Ablehnung der Anordnung des vom Kl. begehrten eingeschränkten Haltverbots im Bereich seiner Garagenausfahrt ermessensfehlerhaft gehandelt hat, nicht stellt. Deshalb kann es auf sich beruhen, ob der Argumentation der Bekl. zu folgen wäre, daß sie, wenn sie einmal damit anfinge, Garagenzufahrten durch Verkehrsbeschränkungen zu sichern, in Zukunft jeden solchen Antrag auf seine konkrete Verträglichkeit mit den Verkehrsgegebenheiten in der jeweiligen Straße überprüfen und gegebenenfalls - insbesondere im Altstadtbereich - unzählige neue Schilder aufstellen müßte, um das Zuparken von Garageneinfahrten wirksam zu unterbinden, was zu einem unüberschaubaren Schilderwald und damit zu neuen Unzuträglichkeiten führte.

Rechtsgebiete

Straßenverkehrs- und Straßenrecht

Normen

StVO §§ 12 III Nr. 3, 45 I 1