Erlaßvertrag - Urlaubsabgeltung und Arbeitsunfähigkeit

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

20. 01. 1998


Aktenzeichen

9 AZR 812/96


Leitsatz des Gerichts

  1. Die Erklärung in einem Aufhebungsvertrag, alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis seien erfüllt, umfaßt wirksam sämtliche Urlaubsansprüche, über die der Arbeitnehmer verfügen kann. Der gesetzliche Mindesturlaub gehört hierzu nicht (Bestätigung von BAGE 65, 171 = NZA 1990, 935 = AP Nr. 13 zu § 13 BUrlG Unabdingbarkeit).

  2. Die Darlegungs- und Beweislast für die Arbeitsfähigkeit und damit für die Erfüllbarkeit des Urlaubsabgeltungsanspruchs trägt der Arbeitnehmer. Die Arbeitsfähigkeit beurteilt sich nicht nach der zuletzt übertragenen Tätigkeit, sondern nach der vom Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsvertrags geschuldeten Leistung, die der Arbeitgeber als vertragsgemäß hätte annehmen müssen (Bestätigung und Fortführung von BAGE 61, 362 = NZA 1989, 763 = AP Nr. 48 zu § 7 BUrlG Abgeltung; BAG, NZA 1998, 106).

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltung für das Jahr 1994. Der Kl. war bei der bekl. Stadt als Sachbearbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis war aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) anzuwenden. Nach einem ärztlichen Attest vom 29. 3. 1994 war der Kl. nicht in der Lage, "die Arbeit des bisherigen Arbeitsplatzes auszuüben". Auf seine Veranlassung schlossen die Parteien am 9. 8. 1994 einen Auflösungsvertrag. Danach sollte das Arbeitsverhältnis bei Zahlung einer Abfindung von 6000 DM zum 30. 9. 1994 enden. In § 5 des Vertrags wird bestimmt:

§ 5. Beide Parteien erklären, daß mit diesem Vertrag alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erfüllt sind, mit Ausnahme des Anspruchs auf Erteilung eines wohlwollenden, berufsfördernden Zeugnisses und auf Aushändigung der Arbeitspapiere.

Der Kl. machte von der ihm im Auflösungsvertrag eingeräumten Möglichkeit eines vorzeitigen Ausscheidens zum 31. 8. 1994 Gebrauch. Mit Schreiben vom 7. 10. 1994 forderte er die Bekl. vergeblich zur Urlaubsabgeltung auf. Auf der Grundlage eines tariflichen Anspruchs von 30 Tagen Jahresurlaub hat der Kl. Abgeltung eines anteiligen Urlaubsanspruchs von 23 Tagen für die Zeit vom 1. 1. bis 30. 9. 1994 in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 4559,61 DM brutto geltend gemacht. Er hat vorgetragen, er sei seit dem 19. 9. 1994 wieder arbeitsfähig, nachdem er dem krankheitsauslösenden Mobbing bei der Bekl. nicht weiter ausgesetzt gewesen sei. Mit seiner am 3. 2. 1995 erhobenen Klage hat der Kl. die Abgeltung von 23 Tagen Urlaub in rechnerisch unstreitiger Höhe verlangt.

Das ArbG hat der Klage mit Ausnahme der auf den Bruttobetrag der Hauptforderung bezogenen Zinsen stattgegeben. Das LAG hat die Berufung der Bekl. zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Bekl. mit der zugelassenen Revision. Die Revision führte zur Aufhebung und teilweisen Zurückverweisung.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Ein Anspruch des Kl. im Umfang von acht Urlaubstagen ist unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gegeben. In Höhe von 1585,92 DM (4559,61 DM : 23 x 8) ist seine Klage deshalb abzuweisen.

1. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wandelte sich der noch bestehende und nicht erfüllte Urlaubsanspruch des Kl., ohne daß es dafür weiterer Handlungen des Arbeitgebers oder Arbeitnehmers bedurfte, von Gesetzes wegen in einen Abgeltungsanspruch um (BAGE 81, 339 = NZA 1996, 594 = AP Nr. 70 zu § 7 BUrlG Abgeltung(zu II 2b) m.w.Nachw.). Unerheblich ist, daß der Kl. zu diesem Zeitpunkt infolge Krankheit arbeitsunfähig war (st. Rspr. seit BAGE 46, 224 = NZA 1985, 156 = AP Nr. 18 zu § 7 BUrlG Abgeltung; BAG, ZTR 1996, 28).

2. Der zum 31. 8. 1994 aufrechterhaltene Urlaubsanspruch belief sich auf 18 Werktage/15 Arbeitstage und nicht auf 23 Tage.

a) Die Ausgangsberechnung des Kl. ist um drei Tage zu hoch. Er übersieht, daß sich wegen seines vorzeitigen Ausscheidens eine Beschäftigungszeit von acht Monaten ergibt. Nach § 48 V 1 BAT beträgt der anteilige Urlaubsanspruch 20 Tage (8/12 x 30).

b) Dieser Urlaubsanspruch ist aufgrund § 5 der Aufhebungsvereinbarung im Umfang von fünf Urlaubstagen erloschen.

aa) Die Auslegung des nicht typischen nur für den Einzelfall geltenden Aufhebungsvertrags ist Sache der Tatsachengerichte und in der Revision grundsätzlich nicht nachprüfbar. Der Überprüfung durch das RevGer. unterliegt allein, ob bei der Auslegung atypischer Verträge die Rechtsvorschriften über die Auslegung (§§ 133 , 157 BGB) richtig angewandt worden sind, ob dabei gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen und der Tatsachenstoff vollständig verwertet wurde (BAG, NZA 1992, 976 = NJW 1993, 382 = AP Nr. 63 zu § 74 HGB; Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, 2. Aufl., § 73 Rdnr. 16 m.w.Nachw.). Hat das LAG eine gebotene Auslegung unterlassen, kann das RevGer. den nicht typischen Vertrag dann selbst auslegen, wenn der erforderliche Sachverhalt vollständig festgestellt ist und kein weiteres tatsächliches Vorbringen zu erwarten ist (BAGE 67, 279 = NZA 1991, 685 = AP Nr. 21 zu § 550 ZPO). Diese Voraussetzungen liegen vor. Wie die Revision zu Recht rügt, hat das LAG die fehlende Tarifbindung des Kl. nicht berücksichtigt.

bb) Die Parteien haben in dem Aufhebungsvertrag unter § 5 übereinstimmend erklärt, daß mit diesem Vertrag alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erfüllt sind. Damit haben sie vereinbart, daß zwischen ihnen für die Zukunft keine Ansprüche mehr bestehen. Diese Vereinbarung der Parteien ist ein Erlaßvertrag i.S. von § 397 I BGB, der alle Ansprüche zum Erlöschen bringt, die den Erklärenden bekannt waren oder mit deren Bestehen zu rechnen war (BAGE 65, 171 = NZA 1990, 935 = AP Nr. 13 zu § 13 BUrlG Unabdingbarkeit m.w.Nachw.). Das schließt auch Urlaubsansprüche ein.

cc) Der Erlaßvertrag ist rechtlich unbedenklich, soweit er Urlaubsansprüche betrifft, die über dem gesetzlichen Mindesturlaub nach § 1 und § 3 BUrlG liegen. Dieser betrug nach der 1994 geltenden Fassung des Bundesurlaubsgesetzes 15 Arbeitstage. Eine anteilige Kürzung des Urlaubsanspruchs bei Ausscheiden in der zweiten Jahreshälfte sieht das Bundesurlaubsgesetz nicht vor. Tarifrechtliche Bedenken gegen die Wirksamkeit des Verzichts im Umfang des tarifvertraglichen Mehrurlaubs von fünf Tagen bestehen nicht. Der Bundes-Angestelltentarifvertrag galt nicht kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit, sondern nur aufgrund vertraglicher Vereinbarung der Parteien. Auf solche einzelvertraglichen Leistungen kann trotz § 4 IV 1 TVG wirksam verzichtet werden. Die Vorschrift schützt nur kollektivrechtlich begründete tarifliche Rechte (BAGE 65, 171 = NZA 1990, 935 = AP Nr. 13 zu § 13 BUrlG Unabdingbarkeit m.w.Nachw.).

II. Der gesetzliche Mindesturlaub des Kl. ist entgegen der Revision von der Erledigungsklausel im Aufhebungsvertrag unberührt geblieben. Seine Geltendmachung verstößt auch nicht gegen Treu und Glauben.

1. Der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch ist nach § 13 I BUrlG unabdingbar (BAG, NJW 1979, 566 = AP Nr. 5 zu § 13 BUrlG Unabdingbarkeit; BAGE 65, 171 = NZA 1990, 935 = AP Nr. 13 zu § 13 BUrlG Unabdingbarkeit). Entgegenstehende Abreden sind deshalb nichtig. Das gilt hier auch für den von der Bekl. behaupteten Inhalt der Klausel als einer Einigung über die dem Kl. zustehende Anzahl der im bestehenden Arbeitsverhältnis zu gewährenden Urlaubstage. Damit beruft sich die Bekl. auf einen sog. Tatsachenvergleich. Ihr Vorbringen rechtfertigt diese Behauptung jedoch nicht. Ein Tatsachenvergleich setzt nach § 779 BGB voraus, daß zwischen den Parteien eine Ungewißheit besteht, die im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt werden soll. Zwischen den Parteien bestand jedoch zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses kein Streit über die Anzahl der wegen der anhaltenden Arbeitsunfähigkeit des Kl. 1994 noch nicht gewährten und damit noch offenen Urlaubstage. Soweit die Bekl. meinen sollte, ein Verzicht auf die Inanspruchnahme von Urlaub im bestehenden Arbeitsverhältnis sei rechtswirksam vereinbart worden, so übersieht sie die zwingende Wirkung von § 13 BUrlG.

2. Die Geltendmachung der Urlaubsabgeltung ist nicht treuwidrig (§ 242 BGB). Wenn die Bekl. bei Abschluß des Aufhebungsvertrages davon ausging, der Kl. sei dauerhaft arbeitsunfähig, so handelte es sich dabei um ein Motiv, das ihrem Handeln zugrunde lag. Der Kl. hatte jedoch keinen Einfluß darauf, ob und wann er wieder arbeitsfähig wird. Wenn er alsbald nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses einsatzfähig wurde, stellt das kein treuwidriges Verhalten dar.

III. Der Senat kann nicht entscheiden, ob dem Kl. wegen des nicht abgegoltenen Urlaubs Zahlungsansprüche zustehen.

1. Der für 15 Urlaubstage entstandene Abgeltungsanspruch ist am Jahresende 1994 erloschen. Der Abgeltungsanspruch entsteht nach ständiger Rechtsprechung des BAG (BAGE 81, 339 = NZA 1996, 594 = AP Nr. 70 zu § 7 BUrlG Abgeltung m.w.Nachw.) als Ersatz für die wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr mögliche Befreiung von der Arbeitspflicht. Er entsteht nicht als Abfindungsanspruch, für den es als einfachen Geldanspruch auf die urlaubsrechtlichen Merkmale wie Bestand und Erfüllbarkeit nicht ankäme. Abgesehen von der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der Abgeltungsanspruch daher als Ersatz für den Urlaubsanspruch an die gleichen Voraussetzungen gebunden wie der Urlaubsanspruch. Er setzt somit voraus, daß der Urlaubsanspruch noch erfüllt werden könnte, wenn das Arbeitsverhältnis weiter bestünde (BAGE 81, 339 = NZA 1996, 594 = AP Nr. 70 zu § 7 BUrlG Abgeltung; BAG, NZA 1998, 106 (zu I 2a) m.w.Nachw.).

2. Dieser Abgeltungsanspruch des Kl. ist nach § 7 III 1 BUrlG i.V. mit § 7 IV BUrlG mit Ablauf des Jahres 1994 erloschen (vgl. BAGE 81, 339 = NZA 1996, 594 = AP Nr. 70 zu § 7 BUrlG Abgeltung). Er ist nicht nach § 7 III 2 BUrlG auf das erste Quartal 1995 übertragen, weil der Kl. nach eigenem Vorbringen bereits ab 19. 9. 1994 arbeitsfähig war.

3. Der Kl. kann einen Anspruch auf Schadensersatz haben.

a) Nach der Rechtsprechung des BAG (BAGE 50, 112 = NZA 1986, 393 = AP Nr. 8 zu § 7 BUrlG Übertragung; BAG, Urt. v. 14. 3. 1989 - 8 AZR 507/87 unveröff. (zu 5); BAG, Urt. v. 19. 4. 1994 - 9 AZR 671/92 unveröff. (zu II); BAG, NZA 1996, 1153 = AP Nr. 11 zu § 47 SchwbG1986 (zu I 4)) kann ein Arbeitnehmer, wenn er seinen Arbeitgeber hinsichtlich des Urlaubsabgeltungsanspruchs in Verzug gesetzt hat, einen der Urlaubsabgeltung entsprechenden Geldbetrag als Schadensersatz fordern, wenn der Anspruch zwischenzeitlich wegen Fristablaufs erloschen ist (§ 284 I, § 286 I, § 287 S. 2, § 249 S. 1 BGB). Der Kl. hat die Bekl. mit Schreiben vom 7. 10. 1994 zur Abgeltung des Urlaubsanspruchs aufgefordert, damit rechtzeitig vor dem Erlöschen des Anspruchs.

b) Schadensersatz steht ihm jedoch nur dann zu, wenn der Urlaubsabgeltungsanspruch bis zu seinem Erlöschen erfüllbar war.

aa) Der Urlaubsabgeltungsanspruch kann nur erfüllt werden, wenn der Arbeitnehmer bei Fortdauer seines Arbeitsverhältnisses jedenfalls für die Dauer seines Urlaubs seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung hätte erbringen können. Die Erfüllbarkeit des den Urlaubsanspruch ersetzenden Abgeltungsanspruchs setzt die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers voraus. Wer arbeitsunfähig krank ist, kann durch Urlaubserteilung von seiner Arbeitspflicht nicht mehr befreit werden (st. Rspr. des BAG, so Senat, NZA 1994, 853 = AP Nr. 17 zu § 47 BAT m.w.Nachw.; Senat, ZTR 1996, 28).

bb) Das LAG hat die zwischen den Parteien streitige Frage der Arbeitsfähigkeit des Kl. ab 19. 9. 1994 nicht aufgeklärt. Die vom Kl. angebotenen Beweise hat es nicht erhoben. Die Bekl. mache ein Leistungsverweigerungsrecht geltend und trage deshalb als Arbeitgeberin die Beweislast für die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit des Kl. Dem stimmt der Senat nicht zu. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG liegt die Beweislast beim Arbeitnehmer (BAG, NZA 1998, 106 (zu I 2d); BAGE 56, 340 = NZA 1988, 243 = AP Nr. 41 zu § 7 BUrlG Abgeltung; BAGE 61, 362 = AP Nr. 48 zu § 7 BUrlG Abgeltung; BAG, Urt. v. 18. 7. 1989 - 8 AZR 55/89 unveröff.). Das LAG übersieht, daß der Arbeitnehmer seinen Erfüllungsanspruch geltend macht. Die Arbeitsfähigkeit muß als personenbedingtes Tatbestandsmerkmal positiv feststehen, um den Anspruch erfüllbar zu machen.

c) Die Darlegungen des Kl. rechtfertigen den Schluß, daß er seine Arbeitsfähigkeit ab 19. 9. 1994 wieder erlangt hat. Das LAG hat dementsprechend die von ihm angebotenen Beweise zu erheben und zu würdigen. Der Senat weist darauf hin, daß sich die Arbeitsfähigkeit nicht zwingend nach dem zuletzt eingenommenen Arbeitsplatz bestimmt. Vielmehr ist der Urlaubsabgeltungsanspruch schon dann zu erfüllen, wenn der Kl. bei Fortdauer des Arbeitsverhältnisses jedenfalls für die Dauer seines Urlaubsanspruchs seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung hätte erbringen können. Hierzu gehörte auch jede andere Arbeit, welche die Bekl. nach dem Arbeitsvertrag als vertragsgemäß hätte annehmen müssen (BAGE 61, 362 = AP Nr. 48 zu § 7 BUrlG Abgeltung).

Vorinstanzen

LAG Hessen, 11 Sa 1549/95, 30.09.1996

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BGB §§ 242, 397 I, 779; BUrlG §§ 7 III, IV, 13; TVG § 4 IV