Sittenwidrige Lohnvereinbarung
Gericht
LAG Berlin
Art der Entscheidung
Berufungsurteil
Datum
20. 02. 1998
Aktenzeichen
6 Sa 145/97
Ein Stundenlohn von weniger als 10 DM brutto stand im Jahre 1996 in einem auffälligen Mißverhältnis zu der von einem Heizungsmonteur geschuldeten Leistung, woran auch vom Arbeitgeber erwartete Leistungsmängel des Arbeitnehmers nichts änderten.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der Kl. ist gelernter Heizungsmonteur. Er stand in der Zeit von Juli 1996 bis Januar 1997 in den Diensten des Bekl. Sein monatliches Nettoeinkommen hatte 2000 DM bei 37 Arbeitsstunden in der Woche betragen sollen. Das ArbG Berlin hat den Bekl. verurteilt, an den Kl. 5410,02 DM netto rückständigen Lohn nebst Rechtshängigkeitszinsen zu zahlen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Bekl. habe trotz Bestreitens des Kl. nicht unter Beweis gestellt, diesem ein Schreiben vom 11. 7. 1996 mit einem Angebot auf Herabsetzung des Lohns auf 1600 DM brutto monatlich übergeben zu haben.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Bekl. die teilweise Erfolg hatte.
Auszüge aus den Gründen:
2. Die Berufung ist im wesentlichen in der Sache unbegründet.
2.1 Der Kl. hatte gemäß der ursprünglich getroffenen Vereinbarung Anspruch auf einen Lohn von 2000 DM netto im Monat. Die sich daraus ergebende Forderung von 14000 DM netto für sieben Monate ist durch die erfolgten Zahlungen lediglich in Höhe von 8661,98 DM netto gem. § 362 I BGB durch Erfüllung erloschen, woraus sich der zugesprochene Restbetrag ergab.
2.2 Der vereinbarte Lohn ist nicht nachträglich auf 1600 DM brutto herabgesetzt worden, was den geleisteten Nettozahlungen entsprochen hätte. Eine solche Vereinbarung wäre gem. § 138 II BGB wegen Sittenwidrigkeit nichtig gewesen. Während der Kl. für den Bekl. als gelernter Heizungsmonteur tätig sein sollte, hätte er dafür lediglich einen Stundenlohn von (1600 × 3/13 : 37 =) 9,98 DM brutto erzielt. Dieser Stundenlohn hätte nicht einmal 42% des seinerzeitigen Tariflohns gemäß dem Entgelttarifvertrag im Wirtschaftsbereich Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik Berlin vom 24. 5. 1995 erreicht und hätte damit in einem auffälligen Mißverhältnis zur geschuldeten Leistung des Kl. gestanden.
Auch wenn der Tariflohn mangels Allgemeinverbindlichkeit des Entgelttarifvertrags nicht für die Parteien verbindlich war, gab er doch eine Orientierungsgröße für den Marktwert der Arbeitsleistung eines Heizungsmonteurs ab. Dementsprechend ist ein Lohn von etwa einem Drittel unter Tarif bereits als strafbarer Lohnwucher angesehen worden (BGH, NZA 1997, 1167). Darüber hinaus hätte ein Stundenlohn von unter 10 DM für eine körperlich nicht leichte und auch inhaltlich nicht einfache Tätigkeit derart deutlich unter dem allgemeinen Lohnniveau in Berlin gelegen, daß er eine schlechthin nicht mehr ausreichende Entlohnung dargestellt hätte (zu diesem Maßstab BAG, RdA 1973, 204 = AP Nr. 30 zu § 138 BGB [2b]). An dieser Bewertung hätte es nichts geändert, wenn die Arbeitsleistung des Kl. tatsächlich unzureichend gewesen sein sollte. Vielmehr wäre der Bekl. darauf beschränkt gewesen, jeweils Schadensersatz vom Kl. zu verlangen, und hätte er mangels einer § 634 I BGB entsprechenden Vorschrift im Dienstvertragsrecht nicht einmal nachträglich eine Lohnminderung vornehmen dürfen.
Daß der Bekl. mit der von ihm behaupteten Änderungsvereinbarung eine Zwangslage des Kl. ausgebeutet hätte, ergab sich daraus, daß dieser ohne Unterstützung seines Vaters von dem gezahlten Nettolohn seinen Lebensunterhalt überhaupt nicht hätte bestreiten können, sich andererseits aber wegen der schlechten Arbeitsmarktlage veranlaßt gesehen hatte, zu dem ohnehin deutlich unter Tarif liegenden ursprünglich vereinbarten Lohn von 2000 DM netto für den Bekl. tätig zu werden.
2.3 Der Kl. hat seine Restlohnforderung nicht gem. § 242 BGB verwirkt. Abgesehen davon, daß er seine Forderung bereits sechs Wochen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Gericht anhängig gemacht hat, es mithin schon am sogenannten Zeitmoment fehlte, war auch nicht ersichtlich, weshalb dem Bekl. die Erfüllung der Forderung unzumutbar sein soll (sog. Umstandsmoment). Hätte selbst eine ausdrücklich getroffene Änderungsvereinbarung wegen Sittenwidrigkeit den vertraglichen Anspruch des Kl. nicht berührt, so hätte auch eine stillschweigende Duldung während des Arbeitsverhältnisses keine weitergehende Rechtsfolge nach sich ziehen können.
2.4 Soweit der Kl. im Rahmen seiner Anhörung eingeräumt hat, an drei Tagen unentschuldigt gefehlt und deshalb dafür auch keinen Lohnanspruch zu haben, ist dieser gem. §§ 323 I , 325 I 3, 472 I BGB für die Höhe der Klageforderung bedeutsame Aspekt bei der abschließenden Beratung versehentlich übergangen worden und hätte eigentlich zu einer weiteren Herabsetzung des erstinstanzlich zugesprochenen Betrags um (2000 × 3/13 × 3/5 =) 276,93 DM netto auf 5061,09 DM netto führen müssen. Da es sich hierbei nicht um eine offenbare Unrichtigkeit handelte, kam eine Urteilsberichtigung gem. § 319 I ZPO zwar nicht in Betracht. Es darf jedoch davon ausgegangen werden, daß der Kl. sich nicht seinerseits dem Vorwurf sittenwidrigen Gebrauchs einer nach eigener Einsicht teilweise unzutreffenden Entscheidung im Umfang ihrer Fehlerhaftigkeit aussetzen wird.
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