Keine erbschaftsteuerrechtliche Gleichstellung von Verlobten mit Ehegatten

Gericht

BFH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

23. 03. 1998


Aktenzeichen

II R 41/96


Leitsatz des Gerichts

Die gesetzlich vorgeschriebene Einziehung der Erbschaftsteuer bei einer Verlobten des Erblassers nach der ungünstigsten Steuerklasse führt auch dann zu keiner unbilligen sachlichen Härte, wenn der Erbfall nach der Bestellung des Aufgebots eingetreten ist.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. ist kraft letztwilliger Verfügung Alleinerbin des am 18. 3. 1986 im 82. Lebensjahr verstorbenen Niederländers H. Beide waren verwitwet - die Kl. seit 1975 - und kannten sich seit 1978. Infolge einer Zuckererkrankung mußte H 1979 ein Bein abgenommen werden. Die Erbeinsetzung erfolgte durch Testament vom August 1981. H hatte damals, abgesehen von einem in den USA lebenden wohlhabenden Bruder, keine näheren Angehörigen. Nach gelegentlichen Gesprächen über eine Eheschließung beschlossen die Kl. und H Anfang Januar 1986 zu heiraten. Am 17. 2. 1986 beantragte H deshalb beim zuständigen Konsulat ein Ehefähigkeitszeugnis. Wegen Verzögerungen bei der Ausstellung des Ehefähigkeitszeugnisses konnte das Aufgebot erst am 11. 3. 1986 bestellt werden. Die Eheschließung war für den 20. 3. 1986 vorgesehen. H verstarb jedoch zwei Tage vor diesem Termin. Durch Bescheid vom 23. 1. 1987 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 30. 11. 1988 setzte der Bekl. (das Finanzamt) gegen die Kl. - unter Anrechnung ausländischer Erbschaftsteuer - die Erbschaftsteuer nach der Steuerklasse IV fest. Nach erfolgloser Klage gegen die Steuerfestsetzung beantragte die Kl. im Januar 1991, die Steuer insoweit zu erlassen, als sie über eine nach Steuerklasse I berechnete Steuer hinausgeht. Insoweit sei die Einziehung der Steuer sachlich unbillig, weil H nach Bestellung des Aufgebots verstorben sei. Den Antrag lehnten das Finanzamt durch Verfügung vom 11. 3. 1993 und auf Beschwerde der Kl. hin die Oberfinanzdirektion durch Entscheidung vom 24. 2. 1994 ab.

Das FG (EFG 1996, 732) hat der Klage, die die Kl. während des Verfahrens auf einen Erlaß in Höhe der Differenz zu einer nach Steuerklasse III berechneten Steuer eingeschränkt hatte, stattgegeben. Die vom FG zugelassene Revision des Finanzamts hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. . . . 1.a) Gem. § 227 I AO 1977 können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen werden, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Dabei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, bei der Inhalt und Grenzen des Ermessens durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden (vgl. GmS-OGB, BFHE 105, 101 = BStBl II 1972, 603 = NJW 1972, 1411). Die Entscheidung darf gem. § 102 FGO gerichtlich (nur) daraufhin überprüft werden, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Soll sich die Unbilligkeit aus sachlichen Gründen ergeben, muß die Einziehung der Steuer zwar dem Gesetz entsprechen, aber infolge eines Gesetzesüberhangs den Wertungen des Gesetzgebers derart zuwiderlaufen, daß sie unbillig erscheint (vgl. BFHE 174, 482 = BStBl II 1994, 833; BFHE 176, 3 = BStBl II 1995, 297 unter II. 3.). Dies setzt voraus, daß der Gesetzgeber die mit der Einziehung der Steuer verbundene Härte nicht bewußt in Kauf genommen hat. § 227 AO 1977 stellt keine Ermächtigung zur Korrektur des Gesetzes dar. Die Billigkeitsmaßnahme darf nicht auf Erwägungen gestützt werden, die die vorgesehene Besteuerung allgemein außer Kraft setzen würden (so BFHE 88, 382 = BStBl II 1967, 415). Ein Erlaß wegen sachlicher Unbilligkeit ist daher nur insoweit durch die Ermächtigungsnorm des § 227 AO 1977 gedeckt, wie angenommen werden kann, der Gesetzgeber würde die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - hätte er sie geregelt - im Sinne des vorgesehenen Erlasses entscheiden (BFHE 66, 647 = BStBl III 1958, 248).

Entspricht die Einziehung der Steuer zwar dem zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers, hält dieser aber einer an den Grundrechten ausgerichteten verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht stand, ist bereits das Gesetz als solches verfassungswidrig.

Dies kann aber nur in den dafür vorgesehenen Verfahren geltend gemacht werden und rechtfertigt keinen Billigkeitserlaß (vgl. BFHE 177, 246 = BStBl II 1995, 824). Zur Wahrung der Grundrechte kann jedoch bei generalisierenden und typisierenden Steuertatbeständen ein Billigkeitserlaß wegen sachlicher Härte geboten sein, wenn die Regelungen nur deshalb einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten, weil im Einzelfall oder in Gruppen von Einzelfällen die Möglichkeit besteht, auftretenden Härten durch Billigkeitsmaßnahmen Rechnung zu tragen (so BVerfGE 48, 102 = BStBl II 1978, 441 [445] = NJW 1978, 2089 m.w. Nachw.).

b) Nach den genannten Grundsätzen kommt im Streitfall ein Billigkeitserlaß wegen sachlicher Härte nicht in Betracht. Nach den Wertungen des Gesetzgebers, wie sie in den §§ 9 , 11 , 15 und 16 ErbStG 1974 zum Ausdruck kommen, sollen vor allem familiäre Beziehungen zwischen dem Erblasser und dem Erben im Zeitpunkt des Todes über die Höhe der Steuer entscheiden (vgl. Moench, ErbStG, § 15 Anm. 1). Die Erben, die zu diesem Zeitpunkt mit dem Erblasser verwandt oder verschwägert waren, werden in abgestufter Weise gegenüber Erben ohne diese Eigenschaft begünstigt. Dabei handelt es sich um eine rein formale Anknüpfung. Persönliche Vertrautheit, gemeinsames Zusammenleben oder langjährige Fürsorge spielen keine Rolle (so Meincke, Erbschaft- und SchenkungsteuerG, 11. Aufl. [1997], § 15 Anm. 2). Darüber hinaus werden auch geschiedene Ehegatten bevorzugt. Demgegenüber gehören Verlobte des Erblassers bewußt nicht zu den solchermaßen begünstigten Erben, und zwar auch dann nicht, wenn die Erbeinsetzung mit Rücksicht auf die bevorstehende Eheschließung erfolgt (vgl. für den Fall einer Schenkung RFH, DVR 1927, 110; anders nur bei Schenkung unter aufschiebender Bedingung der Eheschließung RFH, RStBl 1940, 615). Dabei gehört es zum Wesen des Verlöbnisses, daß es - abgesehen von einer vorzeitigen Auflösung aus welchen Gründen auch immer - erst mit der Eheschließung endet. Daher bewirkt die Einordnung der Verlobten in die ungünstigste Steuerklasse für den Gesetzgeber erkennbar, daß auch solche Erbfälle betroffen sind, die sich kurz vor einem festgelegten Heiratstermin ereignen.

Diese Einordnung der Verlobten in die ungünstigste Steuerklasse ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Das Verlöbnis fällt nicht etwa als Vorstufe der Ehe unter den Schutz von Ehe und Familie gem. Art. 6 I GG. Aus der Tatsache, daß zwar geschiedene Ehegatten, nicht aber Verlobte einer günstigeren Steuerklasse zugeordnet worden sind, ergibt sich auch kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 I GG. Die beiden Personengruppen sind nicht vergleichbar. Anders als zwischen Verlobten besteht zwischen geschiedenen Ehegatten ein besonderes Pflichtverhältnis, zu dem etwa die Unterhaltsregelung gehört (vgl. Jarass/Pieroth, GG, 3. Aufl. [1995], Art. 6 Anm. 3). Diese Folgewirkungen einer geschiedenen Ehe sind ebenfalls durch Art. 6 I GG geschützt (so BVerfGE 66, 84 [93] = NJW 1984, 1523) und erlauben eine Besserstellung beispielsweise gegenüber Verlobten.

c) Die gesetzlich vorgeschriebene Einziehung der Erbschaftsteuer bei einem Verlobten nach der ungünstigsten Steuerklasse führt auch dann zu keiner unbilligen sachlichen Härte, wenn der Erbfall nach der Bestellung des Aufgebots eingetreten ist. Die Tatsache der Bestellung des Aufgebots nach § 12 EheG vermag für sich allein eine sachliche Unbilligkeit der Steuereinziehung nicht zu begründen. Sinn und Zweck des Aufgebots ist entgegen der Ansicht des FG Baden-Württemberg (EFG 1985, 249) nämlich nicht, die persönlichen Bande zwischen den Verlobten rechtlich enger zu knüpfen und ihren Beziehungen eine andere, in die Ehe überleitende Qualität zu verleihen; vielmehr dient das Aufgebot lediglich der Überprüfung der Ehefähigkeit sowie dazu, öffentlich bekannt zu machen, die Ehe eingehen zu wollen (Müller-Gindullis, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 12 EheG Anm. 1). Abgesehen davon wäre mit solch einer Sonderbehandlung der Verlobten, die bereits das Aufgebot bestellt hatten, die Trennlinie zwischen der ungünstigsten und der günstigeren Steuerklasse nur vorverlegt; an ihrer systemimmanenten Schärfe änderte sich dagegen nichts.

d) Auch die vom FG aufgeführten weiteren Umstände führen zu keiner anderen Beurteilung. Der Verlust des der Kl. nahestehenden Erblassers durch Tod rechtfertigt als solcher keine Billigkeitsmaßnahme. Er ist als schicksalhafter Umstand für den gem. § 1 I Nr. 1 ErbStG 1974 der Steuer unterliegenden Tatbestand des Erwerbs von Todes wegen schlechthin konstitutiv und kann daher nicht gegenüber der daran nach § 9 I Nr. 1 des Gesetzes anknüpfenden Steuer als Milderungsgrund geltend gemacht werden. Die mehrjährige Beziehung der Kl. mit dem Erblasser wäre selbst dann unbeachtlich, wenn sie als nichteheliche Lebensgemeinschaft anzusprechen wäre. Das Erbschaftsteuergesetz begünstigt nichteheliche Lebensgemeinschaften nicht, ohne daß dies verfassungswidrig wäre (Maunz/Dürig, GG, Art. 6 Anm. 15a). Der Gesetzgeber kann eheliche und nichteheliche Lebensgemeinschaften unterschiedlich behandeln, weil und insoweit es sich um unterschiedliche Lebensformen handelt (so BSG, NJW 1993, 1159; s. auch BVerfG, BStBl II 1990, 103 = NJW 1990, 1593). Daher kann die nichteheliche Lebensgemeinschaft unter erbschaftsteuerlichen Gesichtspunkten auch dem Verlöbnis keine besondere Qualität verleihen. Da sowohl die Partner einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft als auch Verlobte der ungünstigsten Steuerklasse angehören, ist nicht ersichtlich, weshalb beides zusammen eine bessere Eingruppierung erzwingen soll. Der Verzögerung bei der Beschaffung der für die Eheschließung erforderlichen Unterlagen kommt im Rahmen des § 227 AO 1977 ebenfalls keine Bedeutung zu.

2. Die Sache ist spruchreif; die Klage ist abzuweisen. Auf die Grundsätze des Beschlusses des BVerfG vom 22. 6. 1995 (BVerfGE 93, 165 = NJW 1995, 2624 = BStBl II 1995, 671) kann sich die Kl. nicht berufen, da nach dem Beschluß das bis dahin geltende Erbschaftsteuerrecht auf Erbfälle vor 1996 weiterhin anwendbar ist. Diese Anordnung kann nicht im Billigkeitswege unter Rückgriff auf die in dem Beschluß erörterten verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte unterlaufen werden. Im übrigen gehört die Kl. gerade nicht zu den Familienangehörigen im Sinne der Steuerklasse I des § 15 I ErbStG 1974. Auch wurden keine zu einem Betrieb gehörigen Wirtschaftsgüter vererbt. Anderweitiger Ermessensfehlgebrauch der Steuerbehörden läßt sich nicht feststellen. Sie haben weder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten noch von ihrem Ermessen in einer dem Zweck des Gesetzes nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht.

Rechtsgebiete

Steuerrecht

Normen

AO 1977 § 227 I; ErbStG 1974 § 15 I