Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung des gesteigert Unterhaltspflichtigen wegen schwieriger Arbeitsmarktlage

Gericht

OLG Schleswig


Art der Entscheidung

Beschluss über Beschwerde


Datum

18. 02. 1998


Aktenzeichen

13 WF 154/97


Leitsatz des Gerichts

Wegen der ungünstigen Arbeitsmarktlage kann die Rechtsverteidigung einer 45-jährigen, selbständigen Mutter Erfolg haben, wenn ihr nicht genügend Mittel zur Verfügung stehen, den Mindestkindesunterhalt zu zahlen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die beiden minderjährigen Kl. nehmen die Bekl. (ihre Mutter) jeweils auf Zahlung des Mindestunterhalts in Anspruch. Die Bekl. ist seit 1993 als selbständige medizinische Fußpflegerin tätig. Sie hat im Jahre 1993 aus ihrer selbständigen Tätigkeit negative Einkünfte von 4405 DM erzielt, im Jahre 1994 positive Einkünfte von 10226 DM. Im Jahre 1995 beliefen sich ihre Einkünfte auf minus 21829 DM, im Jahre 1996 hat sie wiederum einen Gewinn von 14875 DM erzielt. Das AG - FamG - hat das Prozeßkostenhilfegesuch der Bekl. zurückgewiesen. Die Bekl. hätte sich mit Rücksicht darauf, daß sie den Kl. als ihren minderjährigen ehelichen Kindern nach § 1603 II BGB gesteigert unterhaltspflichtig ist, spätestens ab Beginn des Jahres 1997 mit aller Intensität um eine abhängige Beschäftigung bemühen müssen, und zwar nicht nur in ihrem erlernten Beruf als Fußpflegerin, sondern in jedwedem Erwerbszweig. Die Beschwerde der Bekl. war erfolgreich.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Der Bekl. kann die Erfolgsaussicht ihrer Rechtsverteidigung nicht abgesprochen werden. Sie beruft sich auf mangelnde Leistungsfähigkeit unter Hinweis auf die in den Jahren 1993 bis 1997 insgesamt gesehen negativ verlaufenden Ergebnisse ihres Fußpflegebetriebes. Nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 1985, 806 = FamRZ 1985, 273 (275) m.w. Nachw.) ist die Leistungsunfähigkeit des Pflichtigen grundsätzlich zu beachten, selbst dann, wenn er sie schuldhaft herbeigeführt hat. Allerdings kann ihm die Berufung auf seine Leistungsunfähigkeit nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt sein. Dies wird unter bestimmten Umständen für den Fall unterhaltsbezogener Leichtfertigkeit angenommen (vgl. Wendl/Staudigl, UnterhaltsR, 4. Aufl., § 1 Rdnr. 394f. m.w. Nachw.). Diese Grundsätze gelten entsprechen, wenn ein selbständig Tätiger nur oder überwiegend Verluste erwirtschaftet. Hier kann ihm die Aufgabe des Unternehmens und die Aufnahme einer abhängigen Arbeit zugemutet werden, wenn er sonst auf absehbare Zeit zu Unterhaltsleistungen nicht in der Lage ist. Dabei sind alle Umstände des Falles sorgfältig abzuwägen, und es ist dem Pflichtigen eine Karenzzeit zuzubilligen (vgl. Wendl/Staudigl, § 1 Rdnr. 415).

Der angefochtenen Entscheidung läßt sich nicht entnehmen, ob das AG eine derartige Abwägung vorgenommen hat. Die Bekl. weist zu Recht darauf hin, daß die Aufgabe ihres Betriebes nur dann verlangt werden kann, wenn die angedachte Alternative zur Leistungsfähigkeit führt. Sie müßte ein monatliches Nettoeinkommen von 2184 DM (1400 DM + (2 x 393 DM)) zuzüglich eines Betrages für die Rückführung der erheblichen Schulden in angemessenen Raten erzielen können. Die Bekl. hat in ihrer Beschwerdebegründung noch eingehender als in der Klageerwiderung unter Beweisantritt die Gründe dafür vorgetragen, die an der Beurteilung des AG zweifeln lassen. Auch wenn sie als gesteigert Unterhaltspflichtige erhöhten Anforderungen an ihre Erwerbsbemühungen ausgesetzt ist, muß doch im einzelnen geprüft werden, ob sie in ihrem Beruf als Fußpflegerin oder als ungelernte Kraft in einem Alter von Jahren reale Chancen auf dem Arbeitsmarkt hätte. Auf eine - im Rahmen des § 1603 II BGB als zumutbar angesehene - Nebentätigkeit wird sich die Bekl. möglicherweise nicht verweisen lassen müssen, weil zum einen auch insoweit Zweifel an einer realen Beschäftigungschance bestehen, zum anderen das erzielbare Einkommen auch benötigt würde, um ihren eigenen kleinen Selbstbehalt zu decken.

Der Senat hat sich der Ansicht der Bekl. angeschlossen, daß es angesichts der Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt erforderlich ist, die in Zeiten besserer Arbeitsmöglichkeiten aufgestellten Grundsätze über die Aufnahme von Nebentätigkeiten auf den Prüfstand zu stellen und den negativen Entwicklungen des Arbeitsmarkts anzupassen. Der Senat hält es nicht mehr für angängig, die Vorgaben aus der BGH-Rechtsprechung ohne konkrete Einzelfallprüfung zu übernehmen. Die Arbeitsmarktlage macht es vielmehr erforderlich, die Umstände des Einzelfalles sorgfältig zu prüfen, wie es im übrigen auch der Rechtsprechung des BGH entspricht.

Letztlich ist auch die Überlegung für die Entscheidung des Senats von maßgeblicher Bedeutung, daß so schwierige Fragen, wie sie hier zur Beurteilung stehen, nicht im Prozeßkostenhilfe-Verfahren zu Lasten einer bedürftigen Partei praktisch endgültig beurteilt und entschieden werden können. Der Partei muß schon im Hauptsacheverfahren des ersten Rechtszugs die Möglichkeit eingeräumt werden, ihre Argumente vorzubringen, ein etwa mit der Prozeßkostenhilfe-Entscheidung gleichlautendes Urteil anzufechten und in zweiter Instanz erneut beurteilen zu lassen, ja sogar die Anrufung des BGH im Wege zugelassener Revision zu erreichen. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der Wandel auf dem Arbeitsmarkt sowohl im Hinblick auf die überhaupt zur Verfügung stehenden Stellen als auch im Hinblick auf die Verlagerung der Stellensuche auf den abgabenfreien Bereich mit der Folge, daß die vermehrte Nachfrage zu schlechteren Einstellungsmöglichkeiten für die Bewerber führen, eine Änderung der Rechtsprechung bewirken kann.

Rechtsgebiete

Unterhaltsrecht

Normen

BGB § 1603 II; ZPO § 114