Erwerbsobliegenheit älterer geschiedener Ehefrau

Gericht

OLG Schleswig


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

12. 03. 1998


Aktenzeichen

13 UF 70/97


Leitsatz des Gerichts

Wenn in einer Ehe der gut verdienende Ehemann allein berufstätig war, dann muss die geschiedene 57-jährige Frau nach 30 Ehejahren keine Erwerbstätigkeit mehr anstreben.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien waren fast 30 Jahre lang verheiratet. Die Ag. hatte nach der Hochzeit ihre Stelle als Beamtin aufgegeben. Sie betreute den im Jahre 1966 geborenen Sohn und führte bis zur Trennung den Haushalt. Durch Verbundurteil vom 22. 4. 1997 wurde der Ag. nachehelicher Unterhalt zuerkannt. Beide Parteien haben insoweit Berufung eingelegt. Sie streiten u.a. darum, ob der jetzt 57jährigen Ag. fiktive Einkünfte zuzurechnen sind. Das Rechtsmittel der Ag. war teilweise erfolgreich.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Nach Ansicht des Senats steht der Ag. ein voller Anspruch auf Elementarunterhalt aus §§ 1571 , 1578 I BGB zu, Altersvorsorgeunterhalt kann sie nach § 1578 III BGB verlangen, Krankenvorsorge- und Pflegevorsorgeunterhalt nach § 1578 II BGB.

Nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 1985, 1340 = FamRZ 1985, 371 [373]) setzt der Unterhaltsanspruch nach § 1571 BGB voraus, „daß von dem geschiedenen Ehegatten im Zeitpunkt der Scheidung wegen Alters eine Erwerbstätigkeit nicht mehr verlangt werden kann. Hierbei ist, wie der Senat bereits entschieden hat (FamRZ 1983, 144), nur eine angemessene Erwerbstätigkeit in Betracht zu ziehen (§ 1574 I BGB). Nach der Legaldefinition des § 1574 II BGB muß sie also der Ausbildung, den Fähigkeiten, dem Lebensalter und dem Gesundheitszustand des geschiedenen Ehegatten sowie den ehelichen Lebensverhältnissen entsprechen; bei den ehelichen Lebensverhältnissen sind die Dauer der Ehe und die Dauer der Pflege und Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes zu berücksichtigen„.

Der BGH hat in dieser Entscheidung vom 30. 1. 1985 die Auffassung des OLG gebilligt, daß es einer zum Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung am 7. 1. 1980 53jährigen Frau, die seit der Heirat im Jahre 1959 nicht berufstätig gewesen ist, zwei Kinder großgezogen und in günstigen ehelichen Lebensverhältnissen gelebt hat, nicht angesonnen werden könne, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, zumal eine angemessene qualifizierte Tätigkeit nicht in Betracht komme, weil ihr die dafür notwendige berufliche Qualifikation fehlte.

Der Senat sieht den hier zu beurteilenden Fall als gleich gelagert an. Als Ehedauer zählt die Zeit von der Heirat bis zur Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages, also vom 19. 3. 1965 bis zum 24. 12. 1994. Es sind mithin 29¾ Jahre als Ehedauer anzunehmen. Unstreitig ist die Ag. 1966 aus dem Beamtenverhältnis ausgeschieden, hat seither den Haushalt geführt, das Kind betreut und ist nicht erwerbstätig gewesen. Die ehelichen Lebensverhältnisse sind durch die sehr guten wirtschaftlichen Verhältnisse des Ast. geprägt gewesen, der seit vielen Jahren in gehobener Stellung bei der Firma beschäftigt ist. Zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung am 26. 9. 1997 ist die Ag. 56¾ Jahre alt gewesen. Gewisse gesundheitliche Beeinträchtigungen bestehen wegen einer Anfang des Jahres 1997 zugezogenen Verletzung der linken Hand. All diese Umstände, die in die Abwägung einfließen müssen, müssen nach Ansicht des Senats zu der Erkenntnis führen, daß hier von der Ag. keine angemessene Erwerbstätigkeit mehr erwartet werden kann, weshalb ihr Unterhaltsanspruch sich vollen Umfangs aus § 1571 BGB ergibt.

Soweit der Ast. zu erwägen gibt, daß schon während der Trennungszeit, also zu einem Zeitpunkt, als die Ag. noch jünger gewesen ist, sie die Obliegenheit getroffen habe, bereits Anstrengungen zu unternehmen, um sich in das Erwerbsleben einzugliedern, kann dies zu keiner anderen Beurteilung führen. Auch hierzu hat sich der BGH in einer Entscheidung vom 1. 4. 1987 (NJW 1987, 2739 = FamRZ 1987, 691) geäußert, und zwar dahingehend, daß nach § 1361 II BGB der nicht erwerbstätige Ehegatte für die Zeit des Getrenntlebens nur dann darauf verwiesen werden kann, seinen Unterhalt durch eine Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen, wenn dies von ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen, insbesondere wegen einer früheren Erwerbstätigkeit unter Berücksichtigung der Dauer der Ehe und nach den wirtschaftlichen Verhältnissen beider Ehegatten erwartet werden kann. Diese Frage hat der BGH bei dem von ihm zu beurteilenden Fall verneint, weil die Ehefrau bis zur Trennung seit etwa 26 Jahren nicht mehr erwerbstätig gewesen ist und die wirtschaftlichen Verhältnisse durch die überdurchschnittlich guten Einkünfte des Ehemannes gekennzeichnet gewesen sind. Ähnliche Umstände sind, wie dargelegt, auch im vorliegenden Falle gegeben, so daß sich der Senat durch die BGH-Entscheidung in seiner Ansicht gestärkt fühlt, daß während der Trennungszeit keine Erwerbsobliegenheit der Ag. bestanden hat.

Selbst wenn man der Ansicht des Ast. folgte, daß jedenfalls im abgabenfreien Bereich eine Erwerbsobliegenheit bejaht werden müsse, dann würde hier die Anrechnung fiktiver Einkünfte daran scheitern, daß die Feststellung nicht getroffen werden kann, die Ag. habe bei gehörigen Arbeitsbemühungen eine ihr angemessene Tätigkeit im abgabenfreien Bereich erhalten können. Die Ag. hat eine Vielzahl von Bewerbungsunterlagen eingereicht, die die Erfolglosigkeit derartiger Bemühungen hinreichend dokumentieren. Im übrigen ist gerichtsbekannt, daß infolge des Wandels auf dem Arbeitsmarkt Arbeitsstellen im abgabenfreien Bereich nicht mehr so leicht wie früher zu finden sind, da dieser Bereich zunehmend von arbeitslosen Arbeitnehmern genutzt wird, die früher im versicherungspflichtigen Bereich gearbeitet haben, wodurch sich die Zahl der Bewerber ganz beträchtlich erhöht hat und die Chancen für ungelernte Kräfte gesunken sind. Ferner ist bekannt, daß Arbeiten im Betreuungssektor, die als angemessen angesehen werden könnten, zunehmend durch ehrenamtliche Kräfte ausgeführt werden, weil sie immer unbezahlbarer werden. Das alles muß nach Ansicht des Senats zu dem Ergebnis führen, daß die Ag. nicht mit einem erzielbaren Einkommen fingiert werden kann.

Rechtsgebiete

Unterhaltsrecht

Normen

BGB §§ 1571, 1574