Geschwindigkeitsbeschränkung durch aktiviertes Verkehrsleitsystem

Gericht

BayObLG


Art der Entscheidung

Beschluss über Beschwerde


Datum

22. 06. 1998


Aktenzeichen

1 ObOWi 134/98


Leitsatz des Gerichts

Ein Kraftfahrer, der sich innerhalb eines durch ein erkennbar aktiviertes Verkehrsleitsystem geregelten Autobahnabschnitts befindet und dort seine Fahrt z.B. auf einem Parkplatz unterbricht, muß bei einer Weiterfahrt grundsätzlich damit rechnen, daß zwischenzeitlich durch die automatische Steuerung eine andere Geschwindigkeitsbeschränkung angeordnet ist. Er muß daher zur Vermeidung einer möglichen Geschwindigkeitsüberschreitung zunächst seine Geschwindigkeit der des Hauptverkehrs anpassen, bis er durch die nachfolgende Anzeigenbrücke Kenntnis von der konkret erlaubten Geschwindigkeit erhält.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Betr. befuhr am 21. 2. 1997 die Bundesautobahn A9 auf der linken der drei Fahrspuren und überschritt dabei die durch das Verkehrsleitsystem mit Zeichen 274 auf 100 km/h beschränkte Höchstgeschwindigkeit um 25 km/h. Das AG verurteilte ihn deswegen am 12. 12. 1997 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 160 DM und ordnete ein Fahrverbot von einem Monat an.

Die Rechtsbeschwerde des Betr. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der zulässigen Rechtsbeschwerde (§ 79 I 1 Nr. 2 OWiG) hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betr. ergeben (§ 349 II StPO i.V. mit § 79 III 1 OWiG). Der Senat teilt die Rechtsauffassung des AG, daß ein Kraftfahrzeugführer, der sich innerhalb eines durch ein erkennbar aktiviertes Verkehrsleitsystem geregelten Autobahnabschnitts befindet, bei einer Weiterfahrt nach einer Unterbrechung innerhalb des geregelten Bereichs grundsätzlich damit rechnen muß, daß zwischenzeitlich eine andere Geschwindigkeitsbegrenzung durch die automatische Steuerung erfolgt ist. Die für eine Geschwindigkeitsbeschränkung maßgebenden Umstände, insbesondere - wie hier - eine hohe Verkehrsbelastung (aber auch eine nasse Fahrbahn, Sichtbehinderung durch Nebel, Stauanzeichen, Anzeichen für Unruhe im Verkehrsfluß) sind für einen aufmerksamen Kraftfahrer erkennbar. Auch wenn er nicht weiß und wissen kann, zu welcher konkreten Geschwindigkeitsbeschränkung die erkennbaren Verkehrsumstände geführt haben, so muß er zur Vermeidung einer möglichen Geschwindigkeitsüberschreitung seine Geschwindigkeit zunächst nach der Geschwindigkeit der Mehrzahl der Pkw (die im Regelfall auf der mittleren von drei Fahrspuren fahren) ausrichten, bis er durch die nachfolgende Anzeigenbrücke Kenntnis von der konkret erlaubten Geschwindigkeit erhält. Da die Anzeigenbrücken in Bayern in einem Abstand von maximal 3500m stehen und spätestens 200m vorher deren Anzeigen sichtbar werden, ist dem Kraftfahrer ein solches an den Hauptverkehr angepaßtes Verhalten über ein bis zwei Minuten auch ohne weiteres zumutbar. Im vorliegenden Fall wird die Meßbrücke (bei Kilometer 515.332) bereits rund 1500m nach dem Parkplatz (bei Kilometer 517), also nach einer Fahrtzeit von etwa einer Minute sichtbar.

Aufgabe des Verkehrsleitsystems ist es, anhand der fortlaufend gemessenen, sich ständig verändernden Parameter, z.B. der Verkehrsbelastung, den Verkehr so zu beeinflussen, daß er konfliktarm, insbesondere unfallfrei, und dennoch flüssig abläuft. Der Erfolg hängt von dem Konsens der Verkehrsteilnehmer ab, sich an die automatische Regelung zu halten, was auch die Erwartung einschließt, daß die Kraftfahrer ihr Eigeninteresse an einem schnelleren Vorwärtskommen dem gewünschten gemeinsamen Erfolg unterordnen. Seit die sogenannte Verkehrsbeeinflussungsanlage A 9 im April 1992 eingesetzt wurde, haben die Unfälle in Richtung Nürnberg um mehr als die Hälfte abgenommen trotz eines um über 20% höheren Verkehrsaufkommens. Dennoch sind 1997 nach der veröffentlichten Polizeistatistik auf der A 9 zwischen Kilometer 482 und 523 immer noch insgesamt 483 Unfälle mit 247 Schwerverletzten und 9 Toten geschehen, wobei rund die Hälfte der Unfälle auf überhöhte Geschwindigkeit zurückzuführen ist.

Dies macht deutlich, daß innerhalb der automatisch geregelten Autobahnstrecken, die durch eine besonders hohe Verkehrsfrequenz oder durch Häufung von Unfällen gekennzeichnet sind, entsprechend hohe Anforderungen an die Sorgfalt der Verkehrsteilnehmer hinsichtlich ihres Verkehrsverhaltens gestellt werden müssen.

Zu den vom AG verwerteten Vorahndungen wird darauf hingewiesen, daß zum allein maßgebenden (BGH, NJW 1993, 3081(3084); Jagusch/Hentschel, StraßenverkehrsR, 34. Aufl., § 13a StVZO Rdnr. 23 m.w. Nachw.) Zeitpunkt der Entscheidung des AG (12. 12. 1997) die Vorahndungen noch nicht tilgungsreif waren.

Rechtsgebiete

Straßenverkehrs- und Straßenrecht

Normen

StVG § 24; StVO §§ 3 I 2, 41 II Nr. 7 (Zeichen 274), 49 III Nr. 4