Betriebsübergang und Kündigung eines Heimarbeitsverhältnisses

Gericht

BAG 9. Senat


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

24. 03. 1998


Aktenzeichen

9 AZR 218/97


Leitsatz des Gerichts

§ 613a BGB ist auf Heimarbeitsverhältnisse weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden (Bestätigung von BAG Urteil vom 3. Juli 1980 - 3 AZR 1077/78 - BAG 34, 43 = AP Nr. 23 zu § 613a BGB)

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. war seit dem 15. 2. 1984 für die Bekl. als Heimarbeiterin tätig. Mit Schreiben vom 23. 5. 1996 kündigte die Bekl. das Vertragsverhältnis zum 31. 10. 1996 mit der Begründung, sie schließe ihre Produktion zum 1. 7. 1996.

Mit ihrer am 21. 6. 1996 erhobenen Klage hat die Kl. die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung geltend gemacht. Hierzu hat sie behauptet, die Bekl. habe ihre Produktion auf die T-GmbH übertragen.

Die Kl. hat zuletzt beantragt festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Heimarbeitsverhältnis durch die Kündigung der Bekl. vom 23. 5. 1996 nicht aufgelöst worden ist und über den 31. 10. 1996 hinaus fortbesteht.

Die Bekl. hat Klageabweisung beantragt.

Das ArbG und das LAG haben die Klage abgewiesen. Die vom LAG zugelassene Revision der Kl. ist unbegründet.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Das Heimarbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die Kündigung der Bekl. rechtswirksam beendet worden.


I.

Zutreffend hat das LAG davon abgesehen, die Kündigung auf ihre soziale Rechtfertigung i.S. von § 1 KSchG zu überprüfen. Das Rechtsverhältnis der in Heimarbeit Beschäftigten ist durch Merkmale des Arbeitsrechts wie auch des Werkvertragsrechts gekennzeichnet. Auch wenn Heimarbeiter vielfach in die arbeitsrechtlichen Schutzgesetze einbezogen werden, sind sie keine Arbeitnehmer (vgl. allgemein Schmidt/Koberski/Tiemann/Wascher, HAG, 4. Aufl., Anh. § 19 Rz. 1ff.). Ihr Rechtsverhältnis bestimmt sich vorrangig nach dem Heimarbeitsgesetz und ihr Kündigungsschutz deshalb nach §§ 29 , 29a HAG. Hiergegen erhebt die Revision keine Einwendungen.


II.

Die Kündigung ist nicht wegen eines Verstoßes gegen § 613a Abs. 4 BGB rechtsunwirksam. Die Vorschrift ist nicht unmittelbar anwendbar.

1. Die Vorinstanzen haben offengelassen, ob die Behauptung der Kl. zu der Verlagerung der Produktion der Bekl. auf die T.-GmbH zutrifft, und ob darin ggf. ein Teilbetriebsübergang i.S. von § 613a Abs. 1 BGB liegt. Das ist nicht zu beanstanden. Die Vorschrift betrifft nur die im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehenden Arbeitsverhältnisse. Rechtsunwirksam sind nach § 613a Abs. 4 BGB nur Kündigungen, die wegen des Inhaberwechsels gegenüber Arbeitnehmern ausgesprochen werden. Hierzu gehören Heimarbeiter nicht.

2. An dieser Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs ist auch nach der Änderung des § 613a BGB durch das Europarechtliche Anpassungsgesetz vom 13. 8. 1980 (BGBl I, 1308) festzuhalten.

Mit der Ergänzung des § 613a Abs. 1 BGB um die Sätze 2 bis 4 und der Aufnahme des Kündigungsverbots in Abs. 4 ist die EG-Richtlinie vom 14. 2. 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 5. 3. 1977 Nr. L 61, S. 26) in das deutsche Recht umgesetzt worden. Die Richtlinie überläßt es jedoch den Mitgliedstaaten, die Personen zu bestimmen, die nach dem nationalen Recht Arbeitnehmer sind oder als solche gelten. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die Richtlinie deshalb nur auf Personen anwendbar, die auf die eine oder andere Weise nach den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten als Arbeitnehmer geschützt sind. Nur für diesen Fall sichert die Richtlinie, daß ihre Rechte aus dem Arbeitsvertrag oder aus dem Arbeitsverhältnis nicht durch den Betriebsübergang geschmälert werden (EuGH Urteil vom 11. 7. 1985, Rs 105/84, Sammlung 1985, S. 2639 „Mikkelsen“; vgl. Oetker/Preis, Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, B 1100 Rz. 161; Felsner, Arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen von Unternehmensübernahmen in Europa, 1997, S. 93ff.; von Alvensleben, Die Rechte der Arbeitnehmer bei Betriebsübergang im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1992, S. 160ff., 170). Nichts anderes ist § 613a BGB zu entnehmen.


III.

§ 613a Abs. 4 BGB ist auf die Kündigung eines Heimarbeitsverhältnisses auch nicht entsprechend anzuwenden.

1. Das BAG hat in seinem Urteil vom 3. 7. 1980 (3 AZR 1077/78 - BAG 34, 34 = AP Nr. 23 zu § 613a BGB) eine entsprechende Anwendung von § 613a BGB auf Heimarbeitsverhältnisse abgelehnt. Die Entscheidung hat weitgehend Zustimmung gefunden (vgl. u.a. Erman/Hanau, BGB, 9. Aufl. 1993, § 613a Rz. 44; Soergel/Raab, BGB, 12. Aufl., § 613a Rz. 16; BGB-RGRK/Ascheid, 12. Aufl., § 613a Rz. 26; Staudinger/Richardi, BGB, 12. Aufl., § 613a Rz. 30; MünchKomm/Schaub, 3. Aufl., § 613a Rz. 12; MünchArbR/Heenen, § 231 Rz. 89; GK zum Kündigungsrecht/Rost, 4. Aufl., Arbeitnehmerähnliche Personen Rz. 37a, 159a; Dieter Gaul, Der Betriebsübergang, 2. Aufl. E II. 7; so auch Lepke, BB 1979, 526; Mehrle, AR-Blattei SD, Ausgabe 1997, Heimarbeit Rz. 138f.; Otten, Heim- und Telearbeit, 1996, B Rz. 254, Schmidt/Koberski/Tiemann/Wascher, Heimarbeitsgesetz, 4. Aufl., Anh. § 19 Rz. 37, anders: § 29 Rz. 55).

2. Für eine entsprechende Anwendung von § 613a BGB wird die den Arbeitnehmern vergleichbare soziale Schutzbedürftigkeit der Heimarbeiter angeführt und auf die mögliche Umgehung der Schutzvorschriften der §§ 29 , 29a HAG verwiesen (vgl. GK zum Kündigungsrecht/Pfeiffer, 4. Aufl., § 613a Rz. 11; Tiefenbacher, AR-Blattei SD, Ausgabe 1997, Arbeitnehmerähnliche Personen Rz. 35, 37; Schmidt/Koberski/Tiemann/Wascher, Heimarbeitsgesetz, 4. Aufl., § 29 Rz. 55; Seiter, Betriebsinhaberwechsel, 1980, S. 57). Teils wird die entsprechende Anwendung für die Heimarbeiter befürwortet, die nach § 6 Abs. 1 Satz 2 und § 6 Abs. 2 Satz 2 BetrVG als Arbeitnehmer i.S. des BetrVG gelten (Heinze, DB 1980, 205). Das LAG hält es für nicht überzeugend, zwar Arbeitnehmer ohne Kündigungsschutz in den Anwendungsbereich der Vorschrift einzubeziehen, Heimarbeitern den Schutz der Vorschrift jedoch deshalb zu versagen, weil sie nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterliegen.

3. Diese Erwägungen rechtfertigen die analoge Anwendung von § 613a Abs. 4 BGB nicht. An der Rechtsprechung des BAG ist festzuhalten.

Eine entsprechende Anwendung kommt regelmäßig nur in Betracht, wenn die gesetzliche Regelung planwidrig lückenhaft erscheint, insbesondere der allgemeine Gleichheitssatz sie gebietet (vgl. BAG Urteil vom 12. 11. 1992 - 8 AZR 157/92 - BAG 71, 355 = AP Nr. 6 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX; BAG Urteil vom 9. 11. 1994 - 7 AZR 19/94 - BAG 78, 244 = AP2 Nr. 33 zu Art. 33 Abs. GG; BAG Urteil vom 24. 6. 1986 - 3 AZR 1/85 - BAG 52, 238 = AP Nr. 2 zu § 29 HAG).

Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.

a) Soweit der Gesetzgeber bisher Heimarbeiter den Arbeitnehmern gleichstellen wollte, hat er dies durch entsprechende Verweisung oder Fiktionen ausdrücklich geregelt (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 2 ArbGG; §§ 10 , 11 EntgeltFG; § 12 BUrlG; § 1 Abs. 2 Ziff. 1 BSchG). Das betrifft auch den Kündigungsschutz. Dieser bestimmt sich innerhalb des HAG nach § 29 und § 29a HAG. In den kollektiven Kündigungsschutz von § 102 BetrVG (vgl. BAG Urteil vom 7. 11. 1995 - 9 AZR 268/94 - AP Nr. 74 zu § 102 BetrVG1972) werden Heimarbeiter nur über § 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 BetrVG einbezogen. Auch der für Arbeitnehmer bestehende öffentlich-rechtliche Kündigungsschutz gilt für Heimarbeiter jeweils aufgrund gesetzlicher Anordnung. Nach dem geltenden Recht wird in diesem Bereich die Gruppe der in Heimarbeit Beschäftigten nicht einmal einheitlich behandelt. So setzt der Kündigungsschutz für Wehrpflichtige und Zivildienstleistende voraus, daß der in Heimarbeit Beschäftigte aus der Heimarbeit seinen Lebensunterhalt bezieht (§ 7 ArbPlSchG, § 78 Abs. 1 ZDG). Im Erziehungsurlaub sind Heimarbeiter vor Kündigung geschützt, die ihnen Gleichgestellten nur dann, wenn sie am Stück mitarbeiten (§ 20 Abs. 2 BErzGG). Während nach § 49 SchwbG alle Schwer behinderten, in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten Kündigungsschutz haben, gilt demgegenüber § 9 MuSchG zwar für alle Heimarbeiterinnen, für Gleichgestellte aber nur dann, wenn die Gleichstellung hierauf ausdrücklich erstreckt ist. Auch das Betriebsverfassungsrecht enthält eine differenzierte Lösung. Als Arbeitnehmer gelten nur Heimarbeiter, die in der Hauptsache für den Betrieb arbeiten; Gleichgestellte können keinen kollektiven Schutz erwerben (§ 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 BetrVG).

b) Der Heimarbeiter ist daher nur unter besonderen Voraussetzungen vor einer Beendigung durch Kündigung geschützt. Allgemeiner Kündigungsschutz besteht nur nach § 29 HAG. Er verwirklicht sich durch die Verpflichtung des Auftraggebers, je nach Dauer des Beschäftigungsverhältnisses Kündigungsfristen einzuhalten. Für diesen Zeitraum besteht Entgeltschutz nach Maßgabe von § 29 Abs. 7 HAG. Der Heimarbeiter erwirbt damit regelmäßig keinen dem KSchG vergleichbaren Bestandsschutz. Hiermit läßt sich die Heranziehung von § 613a Abs. 4 BGB nicht vereinbaren. Die Norm gewährleistet einen Bestandsschutz, den Heimarbeitnehmer ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung nicht haben. Die Gefahr einer Umgehung von § 29 HAG begründet deshalb auch nicht die Anwendung von § 613a BGB. Vielmehr widerspricht es der Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers, gerade in der Phase des Wechsels des Betriebsinhabers eine Kündigungsmöglichkeit auszuschließen.

c) Das geltende Recht kann allerdings zu unbefriedigenden Folgen führen. Denn die Nichtanwendung von § 613a BGB kann die Funktionsfähigkeit des Betriebsrates beeinträchtigen, wenn die Beschäftigungsverhältnisse der nach § 29a HAG geschützten Heimarbeiter nicht auf den Betriebserwerber übergehen. Ob in diesen Fällen eine entsprechende Anwendung von § 613a Abs. 4 BGB in Betracht kommt, kann offenbleiben. d) Eine entsprechende Anwendung von § 613a Abs. 4 BGB ist nicht nach Art. 3 Abs. 1 GG geboten. Das gilt auch unter Berücksichtigung von Art. 12 GG.

Die Kündigungsfristen nach § 29 Abs. 3 und Abs. 4 HAG für die Heimarbeiter, die überwiegend von einem Auftraggeber beschäftigt werden, sind erst durch das Kündigungsfristengesetz vom 7. 10. 1993 (BGBl I, 1668) mit Wirkung zum 15. 10. 1993 den für Arbeitnehmer geltenden Fristen des § 622 BGB angepaßt worden. Die Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern und Heimarbeitern in der früheren Regelung, wonach bei Heimarbeitern die Beschäftigungszeiten vor Vollendung des 35. Lebensjahres für die Berechnung der Kündigungsfristen unerheblich waren, hat das BAG bereits als verfassungskonform beurteilt (BAG Urteil vom 24. 6. 1986 - 3 AZR 1/85 - BAG 52, 238 = AP Nr. 2 zu § 29 HAG). Das gilt auch für die insgesamt schwächere Ausgestaltung des Kündigungsschutzes bei Heimarbeitern im Verhältnis zu dem der Arbeitnehmer. Heimarbeiter sind dadurch nicht schutzlos willkürlichen Kündigungen ausgesetzt. Vielmehr sind die Generalklauseln in den §§ 134 , 138 und 242 BGB maßgeblich (vgl. hierzu auch BVerfG Beschluß vom 27. 1. 1998 - 1 BvL 15/87 - AP Nr. 17 zu § 23 KSchG1969).

Die Revision macht nicht geltend, daß die Kündigung aus einem dieser Gründe unwirksam wäre.

e) Entgegen der Auffassung des LAG ist es nicht widersprüchlich, wenn das Kündigungsverbot zwar auch für Arbeitnehmer ohne den Bestandsschutz nach §§ 1 ff. KSchG gilt (vgl. BAG Urteil vom 31. 1. 1985 - 2 AZR 530/83 - BAG 48, 40 = AP Nr. 40 zu § 613a BGB), nicht aber für Heimarbeiter.

Die Einbeziehung der Arbeitnehmer ohne Kündigungsschutz in den Geltungsbereich des § 613a BGB ist bloße Nebenfolge der für Arbeitsverhältnisse grundsätzlich geltenden Bestandsschutzvorschriften. Sie ist überdies durch das Gemeinschaftsrecht zwingend vorgegeben. Denn zu den Arbeitnehmern i.S. der Richtlinie 77/187 gehören alle Personen, die nach nationalem Recht Kündigungsschutz als Arbeitnehmer haben. Kündigungsschutz i.S. der Richtlinie sind auch Kündigungsfristen (EuGH Urteil vom 15. 4. 1986 - Rs 237/84 - Vertragsverletzungsverfahren gegen das Königreich Belgien - Amtl. Samml. 1986, 1247).

Vorinstanzen

Landesarbeitsgericht Düsseldorf

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BGB § 613a