Anwaltliche Rechtsberatung über Telefon-Hotline

Gericht

OLG Frankfurt a.M.


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

05. 11. 1998


Aktenzeichen

6 U 130/98


Leitsatz des Gerichts

Die Einziehung einer Zeitvergütung (3,63 DM pro Minute) für eine telefonische Rechtsberatung unter der Service-Telefonnummer 0190 verstößt gegen die Grundsätze der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte und § 1 UWG.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Ast. betreiben eine in B. und H. ansässige Anwaltskanzlei. Der in K. als Anwalt ansässige Ag. beteiligt sich an einem von der Firma G GmbH unter der Bezeichnung „InfoGenie! - Recht“ unterhaltenen Service zur telefonischen Rechtsberatung unter einer „0190“-Nummer, auf den in der Programmzeitschrift „rtv Service“, Nr. 12, wie folgt hingewiesen wurde: Holen Sie sich ihr Recht per Telefon! Rechtsberatung am Telefon - schnell und unkompliziert. - Bei vielen Rechtsfragen des Alltags läßt sich die eigene Rechtssicherheit durch ein kurzes Telefonat mit einem Rechtsanwalt maßgeblich verbessern. Die bei „InfoGenie!Recht“ angeschlossenen Anwälte stehen täglich von 8 bis 22 Uhr zur Verfügung, auch am Wochenende, und haften für die Richtigkeit ihrer Auskünfte. Ihre Vorteile: sofortige Auskunft, kein Gang zum Anwalt erforderlich, Beratung kann anonym stattfinden. Machen Sie die Probe aufs Exempel - rufen Sie an! Bei einem Anruf unter der angegebenen Nummer wird der Rechtssuchende mit einem ihm bis dahin unbekannten Anwalt verbunden. Der Anrufer hat an die Deutsche Telekom eine Gesprächsgebühr von 3,63 DM pro Minute zu entrichten, von der ein Anteil in Höhe von 2,48 DM an den Servicebetreiber bzw. den beteiligten Anwalt weitergeleitet wird. Der Ast. zu 1 wurde anläßlich eines Testanrufs unter der fraglichen Nummer mit dem Ag. verbunden. Die Ast. nehmen den Ag. auf Unterlassung der Werbung für eine Rechtsberatung zu diesen Kosten in Anspruch.

Mit Urteil vom 18. 5. 1998 hat das LG die beantragte einstweilige Verfügung gegen den Ag. erlassen. Hiergegen wandte sich der Ag. mit der Berufung ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Den Ast. steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch in der aus dem Tenor ersichtlichen Form aus § 1 UWG i.V. mit § 3 I BRAGO zu. Die Einziehung einer Zeitvergütung für telefonische Rechtsberatung unter einer „0190“-Nummer in der beanstandeten Höhe ist mit den Vorschriften über die Vereinbarung und Erhebung von Zeitvergütungen (§ 3 BRAGO) in zweierlei Hinsicht nicht vereinbar.

Zum einen beanstanden die Ast. mit Recht, daß eine solche pauschale Zeitvergütung im Einzelfall die gesetzlichen Gebühren der BRAGO in unangemessener Weise unterschreiten kann (§ 3 V 4 BRAGO). Denn ob eine Zeitvergütung in angemessenem Verhältnis zu Leistung, Verantwortung und Haftungsrisiko des Anwalts steht, läßt sich regelmäßig nur an Hand des konkret in Aussicht stehenden Mandatsverhältnisses beurteilen, während im vorliegenden Fall die Höhe der Zeitvergütung gerade nicht individuell vereinbart wird, sondern unterschiedslos auf alle denkbaren Beratungsfälle Anwendung findet. Zum anderen kann die vom Ag. erhobene Zeitvergütung - wogegen sich die Ast. sowohl mit der Begründung ihres Verfügungsbegehrens als auch mit dem Unterlassungsantrag in der zuletzt gestellten Fassung ebenfalls wenden - aber auch über der gesetzlichen Gebühr liegen, ohne daß die hierfür vorgesehenen Formvorschriften (§ 3 I BRAGO) beobachtet werden.

Das streitgegenständliche Angebot telefonischer Rechtsberatung ist vorrangig auf die Beantwortung alltäglicher Rechtsfragen gerichtet, die auch Fälle mit sehr niedrigen Streitwerten betreffen können. Bei einem Streitwert bis zu 600 DM entstehen aus einer telefonischen Beratung, die über einen Rat oder eine Auskunft i.S. von § 20 BRAGO hinausgeht und daher eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, unter Zugrundelegung einer Geschäftsgebühr (Mittelgebühr) nach § 118 I Nr. 1 BRAGO folgende gesetzlichen Gebühren:

7,5-10 aus der vollen Gebühr (50 DM) 37,50 DM
16% Mehrwertsteuer 6,00 DM

42,50 DM

Dieser Betrag kann bei Inanspruchnahme der streitgegenständlichen „0190“-Servicenummer durchaus überschritten werden. Selbst wenn man zum Zwecke der Vergleichsberechnung lediglich denjenigen Teil der Gesprächsgebühren berücksichtigt, den die Deutsche Telekom an den Anwalt bzw. den Systembetreiber weiterleitet (2,48 DM pro Minute), ist die Höhe der gesetzlichen Gebühren von 42,50 DM bereits nach einer Gesprächsdauer von gut 17 Minuten erreicht. Eine solche Dauer ist für eine vollständige Beratung nicht unrealistisch, da auch bei Fällen mit geringem Streitwert die Klärung der tatsächlichen und rechtlichen Fragen gerade bei weniger gewandten Mandanten eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen kann. Der Ag. beruft sich in diesem Zusammenhang ohne Erfolg darauf, daß die Mehrzahl der eingehenden Anrufe ohnehin nur wenige Minuten in Anspruch nehme, da viele Anrufer lediglich eine erste Einschätzung haben wollten, ob sich in ihrem Fall das Aufsuchen eines Anwalts überhaupt lohne. Die Abgabe einer solchen Einschätzung - für die Anwälte in der Regel ohnehin keine Kostennote stellen werden - löst allenfalls eine Ratsgebühr (§ 20 BRAGO) an der unteren Grenze des Gebührenrahmens (0 bis 10-10) aus. Unter Zugrundelegung eines geringen Streitwertes entstehen dabei sehr geringe gesetzliche Gebühren, deren Höhe durch einen Anruf unter der „0190“-Nummer wiederum bereits nach wenigen Minuten erreicht wird.

Die demnach im vorliegenden Fall jedenfalls mögliche Vereinnahmung einer über den gesetzlichen Gebühren liegenden Zeitvergütung ist mit § 3 I BRAGO unvereinbar, weil die in dieser Vorschrift vorgesehene Schriftform nicht gewahrt wird und aufgrund des Gebührenerhebungssystems auch nicht gewahrt werden kann. Zwar ist dem Rechtsanwalt die Vereinbarung einer höheren Zeitvergütung ohne Beachtung der Schriftform nicht schlechthin verboten; er ist in einem solchen Fall nach § 3 I 1 BRAGO lediglich gehindert, die höhere Vergütung zu verlangen, während der Auftraggeber seinerseits die freiwillig und ohne Vorbehalt geleistete höhere Vergütung nicht zurückfordern kann (§ 3 I 2 BRAGO). Die „Freiwilligkeit“ der Leistung setzt in diesem Zusammenhang jedoch voraus, daß der Auftraggeber weiß, daß seine Zahlung die gesetzliche Vergütung übersteigt (vgl. Gerold-Schmidt-v. Eicken-Madert, BRAGO, 13. Aufl., § 3 Rdnr. 7). Daran fehlt es hier, nachdem der Systembetreiber, dem sich der Ag. angeschlossen hat, gerade mit der Preisgünstigkeit seines Angebots wirbt. In den Fällen der Überschreitung der gesetzlichen Gebühren zieht der Ag. daher eine Vergütung ein, auf die er in dieser Höhe auch unter Berücksichtigung der Regelung in § 3 I 2 BRAGO keinen Anspruch hat.

Mit dem Verstoß gegen die Vorschriften des § 3 BRAGO verschaffen sich die Anwälte, die sich dem in Rede stehenden Telefonservice angeschlossen haben, zugleich einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorsprung vor anderen Anwälten, die die gesetzlichen Beschränkungen bei der Vereinbarung von Zeitvergütungen beachten.

Aus der Wettbewerbswidrigkeit dieser Form der Einziehung von Zeitvergütungen ergibt sich weiter, daß auch die Werbung hierfür mit § 1 UWG unvereinbar ist. Die in „rtv Service“ Nr. 12 erschienene Veröffentlichung ist schon im Hinblick auf ihre Aufmachung kein redaktioneller Beitrag, sondern stellt objektiv Werbung für den „InfoGenie!Recht“-Telefonservice dar, die auch dem Ag. zugute gekommen ist.

Die Passivlegitimation des Ag. für die wettbewerbswidrige Werbung ergibt sich bereits daraus, daß er sich dem „InfoGenie!Recht“-Telefonservice angeschlossen hat. Denn daß für diesen Service unter Hinweis auf die Abrechnungsmodalitäten geworben werden würde, war nicht nur vorhersehbar, sondern Bestandteil der Geschäftsidee. Ob der Ag. von der konkreten Gestaltung der Anzeige Kenntnis hatte, ist unter diesen Umständen unerheblich. Die Ast. sind auch aktivlegitimiert, da sie durch die Verletzungshandlung unmittelbar betroffen sind. Das hierfür ausreichende konkrete Wettbewerbsverhältnis (vgl. BGH, NJW 1998, 3203 = WRP 1998, 973 - Fotovergrößerungen) ist gegeben, weil wegen der örtlich unbeschränkten Werbung des Ag. jedenfalls denkbar ist, daß ein im Raum B. oder H. ansässiger Anrufer, der mit dem Ag. verbunden wird, sich ansonsten an die Ast. gewandt hätte.

Die erhobene Verjährungseinrede greift schon deswegen nicht durch, weil das Vorbringen des Ag. im Prozeß jedenfalls eine (neue) Begehungsgefahr begründet; der Ag. hat keinen Zweifel daran gelassen, daß er ohne ein gerichtliches Verbot weiterhin in der beanstandeten Weise werben bzw. für sich werben lassen würde. Ob darüber hinaus die vom Ag. betriebene Form der Rechtsberatung im Hinblick auf den anonymen Charakter des Angebots, die unmittelbare Einziehung der Zeitvergütung durch die Deutsche Telekom und die damit beispielsweise verbundenen Haftungsfragen weiteren rechtlichen Bedenken begegnet, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Eilverfahrens.

Rechtsgebiete

Wettbewerbsrecht

Normen

UWG § 1; BRAGO § 3