Voneinander abweichende Gratifikationsregelung in Arbeitsvertrag und Tarifvertrag

Gericht

LAG Rheinland-Pfalz


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

27. 07. 1998


Aktenzeichen

9 Sa 233/98


Leitsatz des Gerichts

Enthält ein von beiderseits tarifgebundenen Parteien abgeschlossener Arbeitsvertrag eine vom einschlägigen Tarifvertrag zu Ungunsten des Arbeitnehmers abweichende Gratifikationsregelung, so erlangt diese während der Laufzeit des Tarifvertrags unwirksame Vereinbarung nach dessen Kündigung nicht ohne weiteres als „andere Abmachung„ i.S. des § 4 TVG Wirksamkeit. Eine solche Regelung kann den Tarifvertrag in Nachwirkung jedenfalls dann nicht ersetzen, wenn die Parteien lediglich einen Formulararbeitsvertrag verwendeten, ohne dessen Regelungen im einzelnen zu vereinbaren und keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, daß eine entsprechend schwebend unwirksame Regelung beabsichtigt war.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob die Bekl. verpflichtet ist, dem Kl. ein 13. Monatseinkommen für das Kalenderjahr 1996 zu zahlen. Der Kl. war seit dem 1. 6. 1994 bei der Bekl., einem Betrieb des Fliesenlegergewerbes, als Fliesenleger beschäftigt. Beide Parteien sind tarifgebunden; auf sie finden die Tarifverträge des Bauhauptgewerbes/Fliesenleger Anwendung. Die Bekl. hat das Arbeitsverhältnis mit dem Kl. mit Schreiben vom 25. 11. 1996 zum 9. 12. 1996 gekündigt. Der Kl. stützt seinen Klageanspruch auf § 2 I des Tarifvertrags über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe in der damaligen Fassung. Der Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe in der Fassung vom 23. 6. 1995 ist zum 31. 10. 1996 gekündigt worden. Die Parteien streiten darüber, ob im Arbeitsvertrag eine Regelung vereinbart worden ist, die den Anspruch des Kl. auf Zahlung eines 13. Monatseinkommens aufgrund des Tarifvertrags in Nachwirkung hat entfallen lassen. Der zwischen den Parteien am 17. 6. 1995 abgeschlossene Arbeitsvertrag hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

§ 1. Inhalt und Beginn des Arbeitsverhältnisses. Herr H tritt ab 17. 6. 1995 als Fliesenleger auf unbestimmte Dauer in die Dienste des oben bezeichneten Arbeitgebers. Für das Arbeitsverhältnis gilt der für das Bauhandwerk gültige Lohn- bzw. Akkordtarifvertrag. Die Probezeit beträgt ab Arbeitsbeginn 6 Monate. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt 39 Stunden. Die Verwendung des Arbeitnehmers richtet sich nach den betrieblichen Bedürfnissen des Arbeitgebers …

§ 3. Besondere Bezüge. (1) In (neben) dem in § 2 festgelegten Arbeitsentgelt sind (werden) folgende Leistungen oder Sachbezüge enthalten (vereinbart) …

(2) Soweit dem Arbeitnehmer eine Gratifikation (z.B. Weihnachtsgratifikation) nicht auf vertraglicher Grundlage, sondern ausschließlich oder über die tarifliche Leistung hinaus auf betrieblicher Grundlage gewährt wird, erfolgt freiwillig, ohne Begründung eines Rechtsanspruchs. Voraussetzung für die Leistung einer solchen Gratifikation ist, daß sich der Arbeitnehmer am 31. 12. des Bezugsjahrs in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis befindet. Dies gilt auch für einen Aufhebungsvertrag. Scheidet der Arbeitnehmer durch Eigenkündigung, Aufhebungsvertrag oder durch Kündigung des Arbeitnehmers aus Gründen, die im Verhalten oder in der Person des Arbeitnehmers liegen a) bei einer Gratifikation von weniger als einem Monatsbezug (im Auszahlungsmonat) vor dem 31. 3. des folgenden Jahres, b) bei einer Gratifikation von einer vollen Monatsvergütung (im Auszahlungsmonat) bis zum 31. 3. des folgenden Jahres, c) bei einer Gratifikation von mehr als einer vollen Monatsvergütung vor dem 30. 6. des folgenden Jahres aus dem Arbeitsverhältnis aus, so entfällt die Gratifikation. Bereits geleistete Zahlungen sind entweder zurückzugewähren oder können bei der nächsten Gehaltszahlung unter Beachtung der Pfändungsfreigrenze einbehalten werden. Diese Rückzahlungsvereinbarung gilt nicht, wenn die Gratifikation 200 DM nicht übersteigt.

(3) Die vorstehende Regelung des § 3 III findet entsprechende Anwendung auf alle freiwillligen Sonderleistungen.

Der Kl. hat seinen Anspruch mit Schreiben vom 7. 2. 1997 der zuständigen Gewerkschaft Bau-Agrar-Umwelt geltend gemacht. Der Kl. hat beantragt, die Bekl. zu verurteilen, an den Kl. 4757,43 DM brutto zzgl. 4% Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Das ArbG Ludwigshafen hat der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Bekl. war erfolglos.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. Das ArbG ist sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu Recht davon ausgegangen, daß der Kl. von den Bekl. die Zahlung von 4757,43 DM brutto nebst 4% Zinsen seit dem 19. 3. 1997 (als Gesamtschuldner) verlangen kann. Das ArbG ist im Ergebnis wie auch in der Begründung zutreffend davon ausgegangen, daß entgegen der sorgfältig begründeten Auffassung der Bekl. in § 3 des Arbeitsvertrags vom 17. 6. 1995 keine Abmachung i.S. des § 4 V TVG zu sehen ist, die zum Wegfall des Anspruchs hätte führen können. Dabei kann nach Auffassung der Kammer offen bleiben, ob sich dies bereits aufgrund seines Wortlauts ergibt, wonach § 2 Gratifikationen erfaßt, die „nicht auf vertraglicher Grundlage, sondern ausschließlich oder über die tarifliche Leistung hinaus auf betrieblicher Grundlage gewährt„ werden. Denn unabhängig davon kann dem Anspruch des Kl. aus § 2 I des Tarifvertrags über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens i.V. mit § 4 V TVG nicht entgegengehalten werden, daß § 3 des Arbeitsvertrags von den Parteien für die Dauer der Tarifbindung nur als „schlafend unwirksam„ gewollt war, nach Ablauf der Tarifbindung aber „aufleben„ sollte. Das BAG (NZA 1990, 351 = AP Nr. 43 zu § 77 BetrVG1972) hat für die Beurteilung des Verhältnisses Arbeitsvertrag/Tarifvertrag im hier maßgeblichen Zusammenhang ausgeführt: „Bei der Beantwortung dieser Frage muß nach dem Inhalt der jeweiligen einzelvertraglichen Vereinbarung unterschieden werden. Eine Vereinbarung des Inhalts, daß zwingende tarifvertragliche Bestimmungen keine Anwendung finden sollen, ist sicherlich nichtig. Werden aber durch die arbeitsvertragliche Vereinbarung dem Arbeitnehmer Ansprüche eingeräumt, so sollen diese dem Arbeitnehmer grundsätzlich zustehen. Es ist dies gewissermaßen der vereinbarte Mindeststandard für den Arbeitnehmer. Wird diese auch entgegen dem Willen der Arbeitsvertragsparteien von außen - normativ - durch eine zwingende tarifliche Regelung erhöht, so spricht nichts dafür, daß auch der einmal vereinbarte Mindeststandard nicht mehr gelten soll, wenn die zwingende Wirkung der Tarifnorm wegfällt. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Parteien bei Abschluß der vertraglichen Vereinbarung des Eingreifens zwingender tariflicher Regelungen überhaupt nicht in Betracht gezogen haben.„

Des weiteren hat das BAG (NZA 1991, 779 = AP Nr. 10 zu § 3 TVG) ausgeführt, daß es zwar denkbar sei, daß die Parteien eines Arbeitsverhältnisses eine Vereinbarung darüber schließen, daß bei Beendigung der Laufzeit des Tarifvertrags wieder die früher getroffenen einzelvertraglichen Abmachungen gelten sollen. Das BAG (NZA 1991, 779 = AP Nr. 10 zu § 3 TVG) hat dann offengelassen, ob eine solche Vereinbarung wegen § 4 V TVG Bestand hätte, weil für eine solche Vereinbarung Anhaltspunkte ebensowenig ersichtlich waren, wie für eine die tarifvertraglichen Nachwirkungen ablösende andere Abmachung.

Vorliegend sind nach Auffassung der Kammer bereits keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür gegeben, daß die Parteien bei Abschluß des schriftlichen Vertrags den rechtsgeschäftlichen Willen hatten (§§ 145ff. BGB), eine zunächst für die völlig ungewisse normative Laufzeit des Tarifvertrags über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens unwirksame, nach dessen Kündigung bzw. Ablauf der jeweiligen Kündigungsfrist eintretende Nachwirkung, diese ablösend, wirksam werdende Gratifikationsregelung - zu ungünstigeren Bedingungen als die im Wege der Nachwirkung geltenden tariflichen - zu vereinbaren. Dabei ist zum einen darauf hinzuweisen, daß die Parteien bei Abschluß der vertraglichen Vereinbarung nicht nur das Eingreifen zwingender tariflicher Regelungen in Betracht gezogen haben, sondern darüber hinaus - unabhängig von der beiderseitigen Tarifbindung - die „für das Bauhandwerk jeweils gültigen Tarifverträge„ als Gegenstand des Arbeitsverhältnisses ausdrücklich vereinbart haben. Dazu gehört aber auch der Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe. Zum anderen entspricht, wie der Bekl., Herr M, in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 27. 7. 1998 - was der Kl. nicht bestritten hat - vorgetragen hat, der Inhalt des zwischen den Parteien abgeschlossenen Arbeitsvertrags nicht dem Ergebnis von Verhandlungen. Es handelt sich um einen Vordruck, den sich die Bekl. bei der Handwerkskammer beschafft hatten. Von daher hätte es konkreter Anhaltspunkte bedurft, davon auszugehen, daß die Arbeitsvertragsparteien einerseits in § 1 die Anwendbarkeit des streitigen Tarifvertrags vereinbart hätten, mit der Maßgabe, daß die in § 3 enthaltene Regelung zunächst nichtig, sodann aber für den - völlig unabsehbaren - Fall der Kündigung des Tarifvertrags dessen Nachwirkung verschlechternd auszuschließen. Hinsichtlich eines derartigen Geschäftswillens lassen sich dem Sachvortrag der Parteien keinerlei konkreten Anhaltspunkt hinsichtlich Inhalt, Ort, Zeitpunkt und bet. Personen entnehmen.

Deshalb kann auch offen bleiben, ob - wofür viel spricht - nicht ohnehin der Auffassung von Löwisch (Münchener Hdb. z. ArbeitsR, § 266 Rdnr. 12; Löwisch, Anm. zu BAG, NZA 1990, 351 = AP Nr. 43 zu § 77 BetrVG1972) zu folgen ist, wonach eine „andere Abmachung„ i.S. des § 4 V TVG grundsätzlich erst nach Ablauf des Tarifvertrags gemacht werden muß.

Vorinstanzen

ArbG Ludwigshafen, 5 Ca 262/97 L, 16.12.1997

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

Tarifvertrag über die Gewährung eines 13. Monatseinkommens im Baugewerbe i.d.F. vom 23. 6. 1995 § 2 I; TVG § 4 V