Zwangsweise Vorführung zur Blutentnahme im Vaterschaftsfeststellungsverfahren

Gericht

OLG Dresden


Art der Entscheidung

Beschluss über Beschwerde


Datum

14. 08. 1998


Aktenzeichen

22 WF 359/98


Leitsatz des Gerichts

  1. In Vaterschaftsfeststellungsverfahren nach § 1600e II BGB können auch die leiblichen Eltern eines verstorbenen Mannes, dessen Vaterschaft von dem antragstellenden Kind behauptet wird, zur Duldung einer Blutentnahme verpflichtet sein.

  2. Weigern sie sich unter Angabe von Gründen, so hat das Vormundschaftsgericht (in Verfahren die nach dem 1. 7. 1998 anhängig werden, das Familiengericht) durch förmlichen Beschluß über die Rechtmäßigkeit der Weigerung zu entscheiden, ehe (in entsprechender Anwendung des § 390 ZPO oder nach § 372a II 2 ZPO) Zwangsmaßnahmen, insbesondere die zwangsweise Vorführung zum Zweck einer Blutentnahme, angeordnet werden dürfen.

  3. Hat das Vormundschaftsgericht nach dem 30. 6. 1998 eine zwangsweise Vorführung gem. § 372a II 2 ZPO angeordnet, so ist für die Entscheidung über die Beschwerde des Betroffenen der Familiensenat des OLG zuständig.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Das am 2. 11. 1995 geborene Kind (Ast.) begehrt vor dem VormG die Feststellung, daß A sein Vater ist. Der am 3. 12. 1970 geborene A ist am 27. 5. 1995 verstorben. Zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes war dessen Mutter mit B verheiratet. Durch inzwischen rechtskräftiges Urteil vom 30. 4. 1997 wurde festgestellt, daß B nicht der Vater des (jetzigen) Ast. ist. Der Ast. behauptet, daß nur A sein Vater sein könne. Das VormG hat dessen Eltern O und S am Verfahren beteiligt. Nach der formlosen Anhörung der Mutter des Ast. und des Herrn O erließ es am 19. 3. 1998 einen Beschluß, wonach zur Klärung der Vaterschaft ein Blutgruppengutachten eingeholt werden solle. In die Begutachtung sollten das Kind, dessen Mutter und die Eltern des verstorbenen A einbezogen werden. In zwei Schreiben vom 1. 4. und 14. 4. 1998 erklärten die Eltern des A, daß sie nicht bereit seien, eine Blutprobe abzugeben. Sie machten dazu u.a. geltend, daß die Mutter des Ast. in der fraglichen Zeit „mehrere Männer hatte“. Insbesondere verwiesen sie darauf, daß auch ein damaliger Nachbar T der Vater sein könne. Laut Protokoll vom 21. 1. 1998 hat die Mutter des Ast. dazu erklärt: „T war ein Freund meines Vaters; ich hatte keinen Geschlechtsverkehr mit ihm“. Weiter erklärten die Eltern des A sowohl schriftlich wie auch bei einer neuerlichen Anhörung durch das VormG am 16. 6. 1998, daß der Ehemann O nicht der leibliche Vater des verstorbenen A sei. Mehrfachen Vorladungen des Sachverständigen zur Blutentnahme waren die Bet. nicht gefolgt. Auch im Termin vom 16. 6. 1998 hielten sie ihre Weigerung, sich einer Blutentnahme zu unterziehen, aufrecht. Daraufhin entschied das VormG durch Beschluß vom 2. 7. 1998, daß die Einbeziehung des vermeintlichen Vaters von A in das Blutgruppengutachten aufgehoben werde und die Mutter des Verstorbenen A zur Blutentnahme zwangsweise vorzuführen sei (§ 372a II ZPO). Zur Begründung heißt es lediglich „Nachdem sich die Mutter des Verstorbenen geweigert hat, eine Blutentnahme geschehen zu lassen, war sie zwangsweise vorzuführen“. Mit ihrer Beschwerde hat die Mutter des A darauf hingewiesen, daß zu Lebzeiten ihres Sohnes, als die Mutter des Ast. schwanger war, nie davon die Rede gewesen sei, daß ihr Sohn der Vater sein könne, und daß die Mutter des Ast. „es nicht so genau mit der Liebe“ genommen habe. Das LG hat mit Beschluß vom 20. 7. 1998 ausgeführt, daß zur Entscheidung über das Rechtsmittel nicht das LG zuständig sei, und hat die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Das Rechtsmittel führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. 1. Die Statthaftigkeit der Beschwerde folgt daraus, daß nach § 15 I 1 FGG im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Vorschriften der ZPO über den Beweis durch Augenschein entsprechend anzuwenden sind und daß nach § 372a II 1 i.V. mit § 390 III ZPO bei Zwangsmaßnahmen gegenüber einem Bet. die Beschwerde zulässig ist.

Die Zuständigkeit für die Entscheidung richtet sich gem. Art. 15 § 1 II 3 KindRG nach den Vorschriften, die für die von den Familiengerichten entschiedenen Sachen gelten. Da die angegriffene Entscheidung erst am 2. 7. 1998 erging und nach § 1600e BGB n.F. über die Feststellung der Vaterschaft in Verfahren, die nach dem 1. 7. 1998 anhängig werden, das FamG entscheidet, ist für die Entscheidung über die Beschwerde, wie bereits das LG im Beschluß vom 20. 7. 1998 zutreffend dargelegt hat, gem. § 119 I 2 GVG n.F. der Familiensenat des OLG zuständig.

2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Entscheidung des VormG verstößt gegen die maßgebenden Verfahrensvorschriften. Vor der Anordnung von Zwangsmaßnahmen hätte das VormG über die Rechtmäßigkeit der Weigerung der Bf., sich einer Blutentnahme zu entziehen, förmlich entscheiden müssen. Erst wenn rechtskräftig festgestellt ist, daß die Weigerung unbegründet ist, dürfen Zwangsmaßnahmen angeordnet werden. Im einzelnen:

2.1. Zwar sieht § 372a II 2 ZPO bei wiederholter unberechtigter Verweigerung der Blutentnahme auch die Anordnung der zwangsweisen Vorführung vor. Zu beachten sind dabei aber gem. § 372a II 1 ZPO die Vorschriften der §§ 386-390 ZPO. Die den Zeugenbeweis betreffenden und hier entsprechend anwendbaren Bestimmungen der §§ 386 , 390 ZPO unterscheiden zwischen den Fällen, in denen ein Zeuge sich unter Angabe von Gründen weigert, auszusagen, und denjenigen, in denen das Zeugnis ohne Angabe eines Grundes oder aus einem rechtskräftig für unerheblich erklärten Grund verweigert wird. Nur im zweiten Fall gestattet § 390 ZPO die Anordnung von Zwangsmaßnahmen. Werden hingegen von einem Zeugen Umstände vorgebracht und gegebenenfalls glaubhaft gemacht, auf die er seine Weigerung gründet, so ist nach § 387 ZPO zunächst in einem Zwischenstreit über die Rechtmäßigkeit der Weigerung zu entscheiden.

Die in § 372a II 1 ZPO angeordnete entsprechende Anwendung dieser Vorschriften auf den Fall, daß jemand sich weigert, eine Blutentnahme zu dulden, bedeutet, daß der Betreffende geltend machen kann, daß die in § 372a I ZPO normierten Voraussetzungen für die Pflicht zur Duldung einer Blutentnahme nicht vorliegen und daß in diesem Fall vor der Anordnung jeglicher Zwangsmaßnahmen zunächst über die Rechtmäßigkeit der Weigerung zu befinden ist (vgl. dazu näher OLG Karlsruhe, FamRZ 1962, 395f.; OLG Frankfurt a.M., NJW-RR 1988, 714; Damrau, in: MünchKomm-ZPO, § 372a Rdnr. 23; Zöller-Greger, ZPO, 20. Aufl., § 372a Rdnr. 13 und schon Bosch, DRiZ 1951, 137 [138]).

2.2. Im vorliegenden Fall hat die Bet. die Gründe für ihre Weigerung, sich einer Blutentnahme zu unterziehen, wiederholt schriftlich und mündlich u.a. damit begründet, daß noch andere Männer, die sie teilweise namentlich genannt hat, als Vater des Ast. in Betracht kämen. Sie meint, daß sie als völlig Unbeteiligte nicht in Anspruch genommen werden könne und daß jedenfalls vorrangig geklärt werden müsse, ob nicht ein Dritter Vater sei. Es kann daher nicht gesagt werden, daß ihre Weigerung völlig grundlos und eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit dieser Weigerung entbehrlich wäre.

2.3. Eine entsprechende Entscheidung fehlt bisher. Es ist lediglich im Protokoll vom 16. 6. 1998 festgehalten, „daß das Gericht eine Begutachtung, zumindest der Mutter des Verstorbenen, für durchaus erforderlich hält. Die Weigerungsgründe werden so nicht anerkannt“. Eine derartige formlose Meinungsäußerung des Gerichts genügt den Vorschriften des § 387 ZPO, auch wenn sie im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach § 15 FGG nur entsprechend anwendbar sind, nicht. § 387 III ZPO sieht vor, daß über die Rechtmäßigkeit der Weigerung durch ein Zwischenurteil zu entscheiden ist, gegen das die sofortige Beschwerde stattfindet. Dem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind Urteilsentscheidungen fremd. Das bedeutet aber nur, daß in diesem Verfahren nicht durch Zwischenurteil, sondern durch Beschluß zu entscheiden ist (Jansen, FGG, 2. Aufl., § 15 Rdnrn. 18, 47 und Keidel-Amelung, FGG, 13. Aufl., § 15 Rdnrn. 13 a.E. und 33). Von einer förmlichen Vorabentscheidung über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung der Blutentnahme kann auch in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht abgesehen werden, selbst wenn das Gericht - wie hier - die Bet. mündlich angehört hat. Denn erst wenn die Weigerung rechtskräftig für unerheblich erklärt ist, sind nach § 390 I ZPO Zwangsmaßnahmen zulässig (vgl. OLG Frankfurt a.M., NJW-RR 1988, 714; Jansen, § 15 Rdnr. 51; Keidel-Amelung, § 15 Rdnr. 34).

2.4. Der angefochtene Beschluß ist daher ersatzlos aufzuheben und die Sache an das AG zurückzuverweisen, damit dieses Gericht darüber entscheidet, ob die Bet. trotz der von ihr vorgebrachten Gründe die Entnahme einer Blutprobe zu dulden hat. Vorsorglich sei die Bet. aber darauf hingewiesen, daß der Gesetzgeber in § 372a I ZPO das Interesse an der Klärung der Abstammung grundsätzlich höher bewertet hat als das Interesse auch unbeteiligter Dritter an ihrer körperlichen Unversehrtheit. Diese Grundentscheidung des Gesetzgebers ist, wie das BVerfG bereits 1956 entschieden hat (NJW 1956, 896) verfassungsgemäß.

Das ändert allerdings nichts daran, daß im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 372a I ZPO, insbesondere bei der Frage der Erforderlichkeit der Untersuchung zu bedenken ist, daß mit einer Blutentnahme gegen den Willen des Betroffenen dessen Grundrecht aus Art. 2 I GG tangiert wird (vgl. Zöller-Greger, § 372a Rdnr. 1 und allgemein zur Grenzziehung zwischen den Individualinteressen und dem Interesse an der Wahrheitsfindung im Bereich des § 372a ZPO Bosch, DRiZ 1951, 107ff.). Schließlich wird zu prüfen sein, ob nicht wegen der Verweisung in § 372a II 1 ZPO auf § 390 ZPO der Anordnung einer zwangsweisen Vorführung die Erfolglosigkeit von Maßnahmen nach § 390 I 2 ZPO vorausgehen muß (vgl. OLG Frankfurt a.M., NJW-RR 1988, 714).

Rechtsgebiete

Ehe- und Familienrecht

Normen

BGB § 1600e II; ZPO § 372a