Teilweise Verfassungswidrigkeit des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes

Gericht

BVerfG


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

02. 03. 1999


Aktenzeichen

1 BvL 2/91


Leitsatz des Gerichts

  1. Die Einbeziehung von Konzernobergesellschaften in die Sonderform der Montan-Mitbestimmung nach dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz ist mit Art. 3 I GG vereinbar, wenn sie einen ausreichenden Montan-Bezug aufweisen.

  2. Einen solchen Bezug vermittelt zwar die in Nr. 1 des§ 3 II 1 Mitbestimmungsergänzungsgesetzes bestimmte Montan-Umsatzquote, nicht aber die in Nr. 2 dieser Vorschrift festgelegte Arbeitnehmerzahl.

  3. Die in § 3 i.V. mit § 16 Mitbestimmungsergänzungsgesetz festgelegten unterschiedlichen Umsatzquoten für den Verbleib in der und den Eintritt in die Montan-Mitbestimmung sind mit Art. 3 I GG vereinbar.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob § 3 II 1 des Montan-Mitbestimmungsergänzungsgesetzes über dieAnwendung der Montan-Mitbestimmung auf Konzernobergesellschaften in seiner 1988 novellierten Fassung mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die für die Vorlageverfahren maßgeblichen Vorschriften des Montan-Mitbestimmungsergänzungsgesetzes (im folgenden: MitbestErgG n.F.) haben seit dem Inkrafttreten des Montan-Mitbestimmungssicherungsgesetzes folgende Fassung:

§ 3. (1) Liegen bei dem herrschenden Unternehmen die Voraussetzungen für die Anwendung des Montan-Mitbestimmungsgesetzes nach§ 2 nicht vor, wird jedoch der Unternehmenszweck des Konzerns durch Konzernunternehmen und abhängige Unternehmen gekennzeichnet, die unter das Montan-Mitbestimmungsgesetz fallen, so gelten für das herrschende Unternehmen die §§ 5 bis 13. Ist das herrschende Unternehmen eine GmbH oder eine bergrechtliche Gewerkschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, so findet § 3 des Montan-Mitbestimmungsgesetzes entsprechende Anwendung.

(2) Der Unternehmenszweck des Konzerns wird durch die unter das Montan-Mitbestimmungsgesetz fallenden Konzernunternehmen undabhängigen Unternehmen gekennzeichnet, wenn diese Konzernunternehmen und abhängigen Unternehmen insgesamt

1. mindestens ein Fünftel der Umsätze sämtlicher Konzernunternehmen und abhängigen Unternehmen erzielen, jeweils vermindert um die in den Umsätzen enthaltenen Kosten für fremdbezogene Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe und für Fremdleistungen, oder

2. in der Regel mehr als 2000 Arbeitnehmer beschäftigen.

Soweit Konzernunternehmen und abhängige Unternehmen Umsätze erzielen, die nicht auf der Veräußerung selbsterzeugter, bearbeiteter oder verarbeiteter Waren beruhen, ist ein Fünftel der unvermindertenUmsätze anzurechnen.

§ 16. (1) Die §§ 5 bis 13 sind auf das herrschende Unternehmen erst anzuwenden,

1. wenn in sechs aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren der nach § 3 berechnete Anteil der unter das Montan-Mitbestimmungsgesetzfallenden Unternehmen an den Umsätzen sämtlicher Konzernunternehmen und abhängigen Unternehmen mehr als die Hälfte betragen hat oder

2. wenn auf dieses Unternehmen das Montan-Mitbestimmungsgesetz, nach dem die Arbeitnehmer bisher ein Mitbestimmungsrecht hatten, nicht mehr anwendbar ist.

(2) Die §§ 5 bis 13 sind auf das herrschende Unternehmen nicht mehranzuwenden, wenn in sechs aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren

1. die Voraussetzungen des § 3 nicht mehr vorliegen oder

2. kein Unternehmen, in dem die Arbeitnehmer nach den Vorschriften des Montan-Mitbestimmungsgesetzes ein Mitbestimmungsrechthaben, beherrscht wird.

Im Ausgangsverfahren ist zu entscheiden, nach welcher Mitbestimmungsregelung der Aufsichtsrat der Mannesmann AG zu besetzen ist. Die Mannesmann AG ist die Obergesellschaft des Mannesmann-Konzerns mit Beteiligungen an etwa 300 in- und ausländischen Unternehmen. Sie hat ein Grundkapital von 1,843 Mrd. DM, das sich im Streubesitz von rund 140000 Aktionären befindet (Stand: 1997). Ende 1997 beschäftigte der Mannesmann-Konzern etwa 121000 Arbeitnehmer, davon ungefähr 80000 im Inland. 1981 hat die MannesmannAG die Montan-Produktion ausgegliedert und in ihre Tochtergesellschaft, die Mannesmannröhren-Werke AG, eingebracht. Bis 1997 bildete der Montan-Bereich (genannt: „Tubes & Trading„) einen von vier Haupt-Unternehmensbereichen der Mannesmann AG. Der Anteil der Wertschöpfung aus dem Montan-Bereich betrug 1991 noch etwa20% und fiel später unter diese Grenze. Nach Auskunft der Mannesmann AG in der mündlichen Verhandlung liegt er, seit die Mannesmannröhren-Werke AG 1997 ihre Produktion eingestellt und die Röhrenherstellung in ein Joint Venture mit dem französischen Unternehmen Vallourec eingebracht hat, bei Null. Der Aufsichtsrat der Mannesmann AG war bis Ende 1988 nach dem Montan-Mitbestimmungsgesetz zusammengesetzt. Dem Aufsichtsrat gehörten insgesamt21 Mitglieder an, davon zehn Vertreter der Anteilseigner, zehn Vertreter der Arbeitnehmer und ein weiteres (neutrales) Mitglied. Die Gruppe der Arbeitnehmervertreter setzt sich wiederum aus vier Betriebsangehörigen, vier Gewerkschaftsvertretern und zwei von der Gewerkschaft vorgeschlagenen Vertretern zusammen. Die Mannesmann AG gehörte zu den Konzernobergesellschaften, deren Montan-Umsatz den Schwellenwert von 50% seit längerem nicht mehr überschritt unddie deshalb ohne die Neufassung des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes nach Ablauf der sechsjährigen Auslaufzeit gem. § 1 III MontanMitbestG i.V. mit § 1 Auslaufzeitenverlängerungsgesetz zum Jahresende 1988 aus der Montan-Mitbestimmung ausgeschieden wäre. Am 3. 1. 1989 gab der Vorstand der Mannesmann AG im Bundesanzeiger gem. § 97 I AktG bekannt, daß nach seiner Ansicht die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der Gesellschaft nicht mehr den gesetzlichenVorschriften entspreche. Der Aufsichtsrat sei vielmehr entsprechend dem neugefaßten Mitbestimmungsergänzungsgesetzes zu bilden. Daraufhin leitete die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, eine Aktionärin der Mannesmann AG, das aktienrechtliche Statusverfahren nach § 98 AktG vor dem LG ein und beantragte, gerichtlichfestzustellen, nach welchen gesetzlichen Vorschriften der Aufsichtsrat der Mannesmann AG zusammenzusetzen ist. Sie vertrat die Auffassung, das Mitbestimmungsergänzungsgesetz sei nicht anzuwenden, weil es in seiner 1988 novellierten Fassung verfassungswidrig sei. DerAufsichtsrat sei statt dessen nach den Bestimmungen des Mitbestimmungsgesetzes 1976 zu bilden. Das LG folgte dieser Auffassung nicht und stellte fest, der Aufsichtsrat der Mannesmann AG sei nach dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz in seiner geänderten Fassung zusammenzusetzen. Das OLG hat das Verfahren über die sofortige Beschwerde der Ast. ausgesetzt und dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob§ 3 II 1 MitbestErgG in der Fassung des Montan-Mitbestimmungssicherungsgesetzes mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Das BVerfG hat entschieden, daß § 3 II 1 Nr. 2 i.V. mit § 16 MitbestErgG in der Fassung des Art. 3 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes, über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten und zur Sicherung der Montan-Mitbestimmung vom 20. 12. 1988 (BGBl I, 2312) mit Art. 3 I GG unvereinbar und nichtigist, im übrigen § 3 II 1 i.V. mit § 16 des Gesetzes mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

B. Die Vorlage ist zulässig.

I. Die Entscheidung des OLG hängt von der Verfassungsmäßigkeit der zur Prüfung gestellten Vorschrift ab. Es ist unstreitig, daß die Mannesmann AG die Anwendungsvoraussetzungen des Montan-Mitbestimmungsgesetzes, nach dem ihrAufsichtsrat bisher zusammengesetzt ist, seit Ende 1988 nicht mehr erfüllt. Das OLG sieht sich deshalb im aktienrechtlichen Statusverfahren gem. § 98 I AktG vor die Frage gestellt, ob derAufsichtsrat des Unternehmens nunmehr nach dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz oder dem Mitbestimmungsgesetz 1976 zusammenzusetzen ist. Für den Ausgang des Rechtsstreits kommt es auf die Gültigkeit von § 3 II 1 MitbestErgG n.F. an, weil die Mannesmann AG die Voraussetzungen dieserVorschrift in ihrer alten Fassung - ebenfalls unstreitig - nicht erfüllt. Seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der in Frage stehenden Norm hat das OLG hinreichend dargelegt.

II. Allerdings ist § 16 MitbestErgG n.F. in die verfassungsrechtliche Prüfung einzubeziehen. Der vom OLG zur Prüfunggestellte § 3 II 1 MitbestErgG n.F. bestimmt seinem Wortlaut nach lediglich, unter welchen Bedingungen der Unternehmenszweck eines Konzerns durch die unter das Montan-Mitbestimmungsgesetz fallenden Konzernunternehmen und abhängigen Unternehmen gekennzeichnet wird. Das vorlegende Gericht wendet sich jedoch nicht gegen die inhaltliche Bestimmung des Unternehmenszwecks als solche. Im Kern erblickt esdie Verfassungswidrigkeit der Neufassung des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes vielmehr darin, daß Konzernobergesellschaften unterschiedlich behandelt werden je nachdem, ob sie im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes bereits montan-mitbestimmt waren oder nicht. Diese Rechtsfolgestellt sich erst durch das Zusammenwirken des § 3 II 1 mit § 16 MitbestErgG n.F. ein.

C. Die zur Prüfung gestellte Regelung ist teilweise mit dem Grundgesetz unvereinbar. Zwar hält sie der verfassungsrechtlichen Prüfung stand, soweit sie die Anwendung des Montan-Mitbestimmungsergänzungsgesetzes davon abhängig macht,daß die unter die Montan-Mitbestimmung fallenden Konzernunternehmen und abhängigen Unternehmen mindestens ein Fünftel der Umsätze sämtlicher Konzernunternehmen und abhängigen Unternehmen erzielen (§ 3 II 1 Nr. 1 i.V. mit § 16 MitbestErgG n.F.). Es verstößt aber gegen das Grundgesetz,daß diese Rechtsfolge auch dann eintritt, wenn die unter die Montan-Mitbestimmung fallenden Konzernunternehmen und abhängigen Unternehmen in der Regel mehr als 2000 Arbeitnehmer beschäftigen (§ 3 II 1 Nr. 2 i.V. mit § 16 MitbestErgGn.F.).

I. Prüfungsmaßstab ist vornehmlich der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 I GG).

1.a) Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßenWillkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Die Abstufung der Anforderungen folgt aus Wortlaut und Sinn von Art. 3 I GG sowie aus seinem Zusammenhang mit anderen Verfassungsnormen. Da der Grundsatz, daß alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlungvon Personen verhindern soll, unterliegt der Gesetzgeber bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung. Diese ist um so enger, je mehr sich diepersonenbezogenen Merkmale den in Art. 3 III GG genannten annähern und je größer deshalb die Gefahr ist, daß eine an sie anknüpfende Ungleichbehandlung zur Diskriminierung einerMinderheit führt (vgl, BVerfGE 88, 87 [96] = NJW 1993, 1517). Die engere Bindung ist jedoch nicht auf personenbezogene Differenzierungen beschränkt. Sie gilt vielmehr auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbareine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt. Bei lediglich verhaltensbezogenen Unterscheidungen hängt das Maß der Bindung davon ab, inwieweit die Betroffenen in derLage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Merkmale zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird. Überdies sind dem Gesetzgeber desto engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig auswirken kann (vgl. BVerfGE 88, 87 [96] = NJW 1993, 1517).

Für juristische Personen, soweit sie gem. Art. 19 III GG Träger von Grundrechten sind, gilt grundsätzlich nichts anderes.Viele von ihnen bilden Zusammenschlüsse natürlicher Personen. Dieser Umstand verbietet es, eine Ungleichbehandlung juristischer Personen von vornherein als sachverhaltsbezogene zu behandeln. Allerdings ist die individuelle Betroffenheit derhinter den juristischen Personen stehenden natürlichen Personen je nach Rechtsform, Größe, Mitgliederstruktur und Vereinigungszweck unterschiedlich ausgeprägt. Bei Kapitalgesellschaften kann sie von der individuellen Betroffenheit des Gesellschafters einer Ein-Mann-Gesellschaft bis zu der lediglich einen geringen Teil des Vermögens berührenden Betroffenheit des Aktionärs einer AG im Streubesitz reichen. Das fällt beider Maßstabsbildung ins Gewicht (vgl. BVerfGE 95, 267 [317] = NJW 1997, 1975).

Der unterschiedlichen Weite des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums entspricht eine abgestufte Kontrolldichte bei der verfassungsgerichtlichen Prüfung. Kommt als Maßstab nur das Willkürverbot in Betracht, so kann ein Verstoß gegen Art. 3 I GG erst festgestellt werden, wenn die Unsachlichkeit der Differenzierung evident ist. Dagegen prüft das BVerfG bei Regelungen, die Personengruppen verschieden behandeln oder sich auf die Wahrnehmung von Grundrechten nachteilig auswirken, im einzelnen nach, ob für die vorgeseheneDifferenzierung Gründe von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 88, 87 [97] = NJW 1993, 1517). Die Erwägungen, die dieser Abstufung zugrunde liegen, sind auch für die Frage von Bedeutung, inwieweit dem Gesetzgeber bei der Beurteilung der Ausgangslage undder möglichen Auswirkungen der von ihm getroffenen Regelung eine Einschätzungsprärogative zukommt. Für die Überprüfung solcher Prognosen gelten ebenfalls differenzierte Maßstäbe, die von der bloßen Evidenzkontrolle bis zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrollereichen. Dabei sind insbesondere die Eigenart des jeweiligen Sachverhalts und die Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter zu berücksichtigen; außerdem hängt der Prognosespielraum auch von der Möglichkeit des Gesetzgebers ab, sich im Zeitpunkt der Entscheidung ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden (vgl. BVerfGE 50, 290[332f.] = NJW 1979, 699; BVerfGE 88, 87 [97] = NJW 1993, 1517).

b) Bei der Neuregelung der Montan-Mitbestimmung im Montan-Mitbestimmungssicherungsgesetz war der Gesetzgeber einerseits nicht bloß an das Willkürverbot gebunden. Andererseits unterlag er aber auch nicht den strengen Bindungen an Verhältnismäßigkeitserfordernisse. Es genügt vielmehr, daßdie differenzierende Regelung in diesem Gesetz auf hinreichend sachbezogenen, nach Art und Gewicht vertretbaren Gründen beruht. Das ergibt sich aus der Zuordnung der zum Teil gegenläufigen Gesichtspunkte, die für die Konkretisierungdes Gleichheitsmaßstabs ausschlaggebend sind. Die zur Prüfung stehende Regelung unterwirft Konzernobergesellschaften, die die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen, der qualifizierten Montan-Mitbestimmung, während für die übrigen Konzernobergesellschaften das allgemeine Mitbestimmungsgesetz gilt. Die Folge besteht in unterschiedlichen Maßgaben für die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der Gesellschaften, die wiederum Auswirkungen auf die Unternehmenstätigkeit haben kann. Allerdings sind die dadurch bewirkten Unterschiede nicht sehr gewichtig. Konzernobergesellschaften mitausreichendem Montan-Bezug werden nicht dem besonders weitgehenden Montan-Mitbestimmungsgesetz 1951, sondern dem durch die Novelle von 1988 modifizierten Mitbestimmungsergänzungsgesetz unterworfen, das durch die Novellierung dem Mitbestimmungsgesetz 1976 weiter angenähertworden ist. Zwar bleibt es im Bereich der Montan-Mitbestimmung bei der paritätischen Zusammensetzung des Aufsichtsrats. Doch hat sich der Einfluß der Gewerkschaften auf die Berufung der Arbeitnehmervertreter verringert, und bei der Wahl des Arbeitsdirektors besitzt die Arbeitnehmerbank kein Vetorecht.

Auch in tatsächlicher Hinsicht läßt sich nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung keine besonders nachhaltige Erschwerungder unternehmerischen Entscheidungsabläufe oder Verminderung der Rentabilität feststellen. Zwar mag der bei diesem Mitbestimmungsmodell bestehende erhöhte Kompromißzwang dazu führen, daß Entscheidungen verzögert werden oder in Einzelfällen ganz unterbleiben. Dem stehen aber die breitere Konsensbasis und die damit regelmäßigverbundene größere Tragfähigkeit der Entscheidungen gegenüber. So konnte auch der Aufsichtsratsvorsitzende der Mannesmann AG, deren Mitbestimmungsstatut im Ausgangsverfahren zur Klärung ansteht, eine spürbare Behinderung der Geschäftspolitik oder Ertragslage des Konzerns nicht bestätigen. Die Irritation, die die Sonderform der Mitbestimmung nach Angaben des Konzernvorstands gelegentlichbei ausländischen Anlegern hervorruft, hat ebenfalls keine erkennbaren Nachteile für das Unternehmen hervorgerufen. Der Umstand, daß die zur Prüfung stehende Regelung zu einer Ungleichbehandlung von (juristischen) Personen führt, zwingt nicht zur Anwendung einesstrengen Gleichheitsmaßstabs. Denn bei den von der Regelung betroffenen Konzernobergesellschaften tritt das personale Element typischerweise stark zurück. Regelmäßig handelt es sich um Gesellschaften, die Großunternehmen steuern. Sie setzen sich ihrerseits gewöhnlich aus juristischen Personen oder einem breit gestreuten Kreis natürlicher Personen zusammen, von denen keine einzelne bestimmenden Einfluß auf die Lenkung des Konzerns hat. Auch ist der personale Gehalt eines solchen Aktieneigentums typischerweise gering (vgl. BVerfGE 50, 290 [342f.] = NJW 1979, 699).

Ferner sind die Differenzierungsmerkmale, an die das Gesetz anknüpft, nicht personen-, sondern verhaltensbezogen. Ausschlaggebend für die Anwendung der zur Prüfung stehenden Vorschriften ist zum einen der Montan-Bezug der Konzernunternehmen und abhängigen Unternehmen, zum anderen das Mitbestimmungsstatut zur Zeit des Inkrafttretens derNeuregelung. Der Montan-Bezug ergibt sich aus den geschäftlichen Aktivitäten des Konzerns. Die Fortgeltung der Montan-Mitbestimmung knüpft ebenfalls an den - früheren - Gegenstand der Unternehmenstätigkeit an. Allerdings sind die Konzernobergesellschaften bei der Wahl ihres Verhaltens angesichts der Gesetzeslage nicht völlig frei. Entscheidungen über den Unternehmensgegenstand hängen von vielfältigen, teilweise nur schwer und meist nicht kurzfristig beeinflußbaren Faktoren ab. Die zurückliegende Geschäftstätigkeit ist ihrerDisposition gänzlich entzogen.

Zu berücksichtigen ist schließlich, daß sich die Regelung auf die Wahrnehmung von Grundrechten aus Art. 12 und 14 GG auswirkt. Hinsichtlich der Eigentumsgarantie sind jedoch im wesentlichen nurdie mitgliedschaftsrechtlichen Befugnisse der Anteilseigner betroffen, während das vermögensrechtliche Element des Anteilseigentums nicht berührt wird. Außerdem fällt der nur wenig ausgeprägte personale Bezug der Anteilsrechte in ihre mitgliedschaftsrechtlichen Bedeutung insGewicht (vgl. BVerfGE 50, 290 [341ff.] = NJW 1979, 699). Ähnliches gilt hinsichtlich der Berufsfreiheit der Unternehmen. Im Fall von Großunternehmen, um die es hier geht, ist die Berufsfreiheit nicht Element der Ausformung der Persönlichkeit des Menschen, sondern grundrechtliche Gewährleistung eines Verhaltens, dessen Auswirkungen weit über das wirtschaftliche Schicksal des Unternehmens hinausweisen (vgl. BVerfGE 50, 290 [363f.] = NJW 1979, 699).

Dementsprechend ist der soziale Bezug der grundrechtlichgeschützten Tätigkeit hier stark ausgeprägt. Insbesondere stehen den grundrechtlich geschützten Belangen der Unternehmen und der Anteilseigner eben solche der Arbeitnehmer gegenüber (vgl. BVerfGE 50, 290 [347, 349] = NJW 1979, 699). Der Gesetzgeber versteht die Montan-Mitbestimmung als Teil der auf partnerschaftliches Zusammenwirken angelegten Sozial- und Wirtschaftsordnung. Beim Ausgleich derartiger Interessenkonflikte steht ihm regelmäßig ein beträchtlicherSpielraum zu.

2. Bei Zugrundelegung des dargestellten Prüfungsmaßstabs ist die in Frage stehende Regelung nicht in vollem Umfang mit Art. 3 I GG vereinbar.

a) Das OLG erblickt die verfassungswidrige Ungleichbehandlungdarin, daß herrschende Montan-Altunternehmen schon dann in der Montan-Mitbestimmung bleiben, wenn die beherrschten Montan-Gesellschaften mindestens 20% der Wertschöpfung aller Konzernunternehmen oder abhängigen Unternehmen erzielen oder mehr als 2000 Arbeitnehmer beschäftigen, während herrschende Montan-Neuunternehmen erst dann in die Montan-Mitbestimmung eintreten,wenn der Umsatz der beherrschten Montanunternehmen mehr als die Hälfte des Umsatzes aller abhängigen Unternehmen beträgt. Eine Ungleichbehandlung aufgrund der zur Prüfung stehenden Regelung, auf die das OLG nicht abgestellt hat, findet aber auch zwischen Unternehmen mit und Unternehmen ohne Montan-Bezug statt. Auch diese Differenzierung muß vor Art. 3 I GG Bestand haben.

b) Die Differenzierung zwischen Konzernobergesellschaften mit Montan-Bezug und solchen ohne Montan-Bezug imSinn von § 3 II MitbestErgG n.F. ist mit Art. 3 I GG nur zum Teil vereinbar.

aa) Das Ziel das der Gesetzgeber mit der Novellierung des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes verfolgte, begegnet allerdings keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Dem Gesetzliegt das Bestreben zugrunde, die Montan-Mitbestimmung angesichts veränderter Verhältnisse zu sichern. Das kommt bereits im Namen des Änderungsgesetzes zum Ausdruck, ergibt sich aber auch aus der Begründung des Gesetzentwurfs (vgl. BT-Dr 11/2503, S. 1 [22]). Die Sicherheitsabsicht war durchdie Entwicklung im Bereich der Montan-Industrie auch ausreichend indiziert. Aufgrund des Rückgangs der Montan-Anteile in den bisher montan-mitbestimmten Gesellschaften stand 1989 mit einer einzigen Ausnahme für alle Konzernobergesellschaften das Ende des Montan-Status nach dem Montan-Mitbestimmungsgesetz oder dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz bevor. Infolge der Konzernbildung wäre dadurch zudem die Fortgeltung der Montan-Mitbestimmung beiden konzernangehörigen Montanunternehmen in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigt worden.

Der Gesetzgeber konnte auch davon ausgehen, daß die Montan-Mitbestimmung als Sonderform der Unternehmensmitbestimmung weiterhin sicherungswüdrig war. Zwar läßt sich das nicht allein aus der langen Tradition dieser Mitbestimmungsform ableiten. Die lange Geltung einer Regelungkommt als Legitimationsgrund für Ungleichbehandlungen nicht in Betracht. Auch wenn eine lange Tradition für die Existenz sachlicher Differenzierungsgründe in der Vergangenheit sprechen mag, taugt sie zur fortdauernden Legitimation nur,wenn diese Gründe weiterhin vorhanden oder durch tragfähige neue abgelöst worden sind. Wo solche Gründe fehlen, kann die Regelungstradition sie nicht ersetzen. Von der bloßen traditionellen Rechtfertigung ist allerdings der Legitimationsgrund zu unterscheiden, der in der langjährigen praktischen Bewährung einer Regelung liegt. Von einer derartigen Bewährung ist der Gesetzgeber bei der Novellierung des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes ausgegangen (vgl. BT-Dr 11/2503,S. 22, und BT-Dr 11/3618, S. 13). Diese Einschätzung, für die dem Gesetzgeber ein beträchtlicher Spielraum zusteht, ist vertretbar. Sie wird namentlich durch den Bericht der Mitbestimmungskommission gestützt (Teil III, S. 29ff.) und ist auch in der mündlichen Verhandlung nicht in Abrede gestellt worden.Aufgrund dessen bildet das Anliegen, die Montan-Mitbestimmung beizubehalten, einen grundsätzlich tragfähigen Differenzierungsgrund im Verhältnis zwischen den Montan-Altunternehmen, die unter § 3 II i.V. mit § 16 I Nr. 2 MitbestErgG n.F. fallen, und den Unternehmen ohne eine solche Montan-Tradition. Der Gesetzgeber durfte auch davon ausgehen, daß die Beibehaltung der Montan-Mitbestimmung zur Bewältigung derjenigen Anpassungsprobleme beitragen werde, diesich gerade in diesem Industriezweig stellen und noch nicht vollständig gelöst sind.

Bei Einführung der Montan-Mitbestimmung galt die Montan-Industrie noch als Schlüsselindustrie. Die Kohle war der wichtigste Energieträger, Eisen und Stahl bildeten die wichtigsten Fertigungsstoffe der industriellen Produktion. Ganze Regionen wiesen eine auf dieseIndustriezweige ausgerichtete Wirtschaftsstruktur auf. Die dort ansässige Bevölkerung war vom Wohlergehen dieser Industrien abhängig. Inzwischen haben andere Energieträger und Fertigungsstoffe die Montan-Produktion zum großen Teil ersetzt. Insgesamt ist der Produktionssektor von dem Dienstleistungssektor in den Hintergrund gedrängt worden. Zahlreiche Arbeitsplätze sind verlorengegangen, vieleMontanunternehmen haben ihre Geschäftstätigkeit verändert, Montan-Regionen sind einem Strukturwandel ausgesetzt, der die Abhängigkeit der Bevölkerung von diesem Industriezweigs erheblich mindert.

Die Montan-Industrie hat aus diesen Gründen viel von ihrer ursprünglichen Sonderstellung eingebüßt. Ihre wirtschaftliche und soziale Bedeutung ist deswegen aber nicht geschwunden.

Sie ergibt sich zum einen aus ihrem weiterhin bestehenden Charakter als Grundstoffindustrie, zum anderen aus den schwierigen Anpassungsproblemen, denen gerade sie immernoch ausgesetzt ist. Daher läßt sich die aufgrund der Erfahrung mit der Montan-Mitbestimmung angestellte Prognose des Gesetzgebers nicht beanstanden, daß diese Mitbestimmungsform auch künftig einen Beitrag zur Bewältigung der Montan-Problematik leisten könne. Der erforderliche sachliche Zusammenhang zwischen dem Zweck der Regelung unddem als Mittel gewählten Differenzierungsmerkmal ist dadurch gegeben. Der Gesetzgeber konnte sich bei seiner Entscheidung schließlich auch auf den Sozialstaatsgrundsatz berufen. Allerdings stellt dieser Verfassungsgrundsatz den Gesetzgeber nicht von der Beachtung des Gleichbehandlungsgebots frei. Aus dem Sozialstaatsprinzip können sich aber rechtfertigende Gründe für eine differenzierende Regelung ergeben. Das ist hier der Fall. Die langjährige Bewährung der Montan-Mitbestimmung kann auch in der noch nicht voll bewältigten Sturkturkrise dieses Industriezweigs zu einer sozial verträglichen Lösung beitragen. Da die Montan-Mitbestimmung nochstärker als die allgemeine Unternehmensmitbestimmung auf einvernehmliche Problembewältigung angelegt ist, eignet sie sich besonders dazu, neben dem Rentabilitätsinteresse der Unternehmen und den Renditeerwartungen der Anteilseignerauch die Interessen der Arbeitnehmer an der Sicherung von Arbeitsplätzen angemessen zu berücksichtigen.

bb) Die Differenzierungsmerkmale, die der Gesetzgeber zur Erreichung seines verfassungsrechtlich bedenkenfreien Zielsgewählt hat, sind allerdings nicht durchweg mit Art. 3 I GG vereinbar.

(1) Die Sonderform der Montan-Mitbestimmung kann auch in der Ausprägung des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes nur durch solche Merkmale gerechtfertigt werden, diegerade auf die Montan-Industrie zutreffen und sie folglich von anderen Industriezweigen unterscheiden. Grundbedingung für die Verfassungsmäßigkeit ihrer Fortgeltung ist daher, daßnur Unternehmen von der Regelung erfaßt werden, die einen ausreichenden Montan-Bezug aufweisen. Fehlt es an einem derartigen Bezug, so entbehrt die Ungleichbehandlung gegenüber den nicht montan-mitbestimmten Unternehmen desrechtfertigenden Grundes. Exakte Abgrenzungskriterien für den Montan-Bezug lassen sich freilich aus dem Grundgesetz nicht ableiten. Bei der Festlegung steht dem Gesetzgeber daherein weiter Einschätzungsspielraum zu. Das gilt sowohl für die Wahl des Kriteriums als auch für seine zahlenmäßige Fixierung. Der Einschätzungsspielraum endet erst dort, wo das gewählte Kriterium keine Aussagekraft über den Montan-Bezug besitzt oder derart niedrig angesetzt wird, daß von einem denUnternehmenscharakter mitprägenden Faktor nicht mehr die Rede sein kann. Dabei ist aber zu berücksichtigen, daß der Fortfall der Montan-Mitbestimmung in der Konzernobergesellschaft die Bedeutung dieser Mitbestimmungsform in denbeherrschten Montanunternehmen erheblich mindern würde. Diese Überlegung rechtfertigt jedenfalls eine Grenze, die unterhalb der 50%igen Wertschöpfungsquote des bisherigen Rechts liegt.

(2) Die vom Gesetzgeber in § 3 II 1 Nr. 1 MitbestEgG n.F.als Kriterium gewählte Montan-Wertschöpfungsquote ist mit Art. 3 I GG vereinbar. Mit einer Höhe von 20% des Umsatzes aller konzernabhängigen Unternehmen erscheint die Wertschöpfungsquote zwar sehr niedrig. In Anbetracht der Bedeutung, die der Gesetzgeber dem Anliegen der Sicherung derMontan-Mitbestimmung beimessen durfte, ist sie aber als Beleg eines hinreichenden Montan-Bezugs noch vertretbar. Dies gilt um so mehr, als die Quote nur auf die zuvor schon der Montan-Mitbestimmung unterworfenen ObergesellschaftenAnwendung findet, in denen diese Mitbestimmungsform sich als eingespieltes Instrument des sozial verträglichen Interessenausgleichs bewährt hat, und schwerwiegende Nachteile nicht erkennbar geworden sind. Auch die Frist von sechs Jahren, in der die Quote nach § 16 MitbestErgG n.F. unterschritten sein muß, bis eine Konzernobergesellschaft aus der Montan-Mitbestimmung ausscheidet, hält sich im Rahmen des verfassungsrechtlich Vertretbaren. Dem Gesetzgeber ging es darum, einen Wechsel des Mitbestimmungsstatuts durch kurzfristige Schwankungen oder absichtsvoll herbeigeführte, jedochnicht auf längere Dauer angelegte Veränderungen zu verhindern. Die Sechsjahresfrist steht zu diesem Ziel nicht derart außer Verhältnis, daß hieraus ein Gleichheitsverstoß abgeleitet werden könnte.

(3) Dagegen hält das Kriterium in § 3 II I Nr. 2 MitbestErgG n.F., das bei Nichterfüllung der Wertschöpfungsquote auf die Beschäftigtenzahl bei den montan-mitbestimmtenKonzernunternehmen und abhängigen Unternehmen abstellt, einer Prüfung am Gleichheitsgrundsatz nicht stand. In der vom Gesetzgeber gewählten Form ist die Belegschaftsstärkeungeeignet, einen ausreichenden Montan-Bezug, der die Fortgeltung der Montan-Mitbestimmung rechtfertigt, zu gewährleisten. Zwar bildet die Zahl der Beschäftigten, die in montan-mitbestimmten Konzernunternehmen tätig sind, kein grundsätzlich ungeeignetes Kriterium für die Feststellung des Montan-Bezugs. Doch kann die Wahl einer absoluten Zahl im Unterschied zu einer Prozentzahl wie beim Wertschöpfungskriterium den Grad des Montan-Bezugs nicht hinreichend zum Ausdruck bringen. Sie kann zwar einen Anhaltspunkt für die Größe des Unternehmens bieten. Einen Hinweis auf den Montan-Anteil ergibt die Beschäftigtenzahl aber erst im Vergleichmit der Gesamtzahl der Arbeitnehmer im Konzern.

Es ist auch kein Anhaltspunkt für die Annahme ersichtlich, daß die absolute Zahl von 2000 Mitarbeitern in montan-mitbestimmten Unternehmen regelmäßig auf einen entsprechend hohen Anteil der Montan-Produktion im Konzern hindeutet.Das zeigen gerade die in der mündlichen Verhandlung vom Mannesmann-Vorstand vorgelegten Zahlen. Bei einer Inlandsbelegschaft von rund 80000 Arbeitnehmern im Jahr 1997 ergäben 2000 in montan-mitbestimmten UnternehmenBeschäftigte einen Anteil von 2,5% der Gesamtbelegschaft. Ein derart niedriger Anteil reicht nicht aus, Konzerne als so montangeprägt auszuweisen, daß die unterschiedliche Behandlung im Vergleich mit Unternehmen ohne Montan-Anteilgerechtfertigt wäre. Soweit das Kriterium in der Gesetzesbegründung mit dem Hinweis gerechtfertigt wird, es greife Erwägungen auf, die bereits dem Mitbestimmungsgesetz 1976 zugrunde lagen, vermag dies die Entscheidung nicht zu tragen. Zwar ist eine Zahl von 2000 Arbeitnehmern nach § 1 I MitbestG Voraussetzung für die Anwendung dieses Gesetzes.Dem liegt aber die Erwägung zugrunde, daß erst Unternehmen dieser Größe eine ausreichend differenzierte Organisation aufwiesen, an der die Mitbestimmungsregelung wirkungsvoll ansetzen könne (vgl. BT-Dr 7/2172, S. 19). Diese Überlegung hat jedoch mit dem hier in Rede stehenden Montan-Bezug desKonzerns, der durch ein konzernangehöriges Unternehmen vermittelt wird, nichts zu tun. Ebensowenig können Praktikabilitätserwägungen, auf die die Gesetzesbegründung ferner verweist, eine nach unten hin nahezu unbegrenzte Verwässerung des Montan-Bezugs rechtfertigen.

c) Die Differenzierung zwischen Konzernobergesellschaftenmit Montan-Bezug, je nachdem, ob sie bisher schon der Montan-Mitbestimmung unterlagen oder nicht, ist ebenfalls nicht in vollem Umfang mit Art. 3 I GG vereinbar.

aa) Mit der Novellierung des Mitbestimmungsergänzungsgesetzes hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen für den Verbleib einer bisher montan-mitbestimmten Konzernobergesellschaft im Montan-Statut von einer Montan-Wertschöpfungsquote der beherrschten Unternehmen von mehr als 50% auf 20% oder 2000 Arbeitnehmer gesenkt, während eine bishernicht montan-mitbestimmte Konzernobergesellschaft erst bei einer Montan-Wertschöpfungsquote von 50% ihrer beherrschten Unternehmen in das Montan-Statut eintritt. Aufgrund dieser Regelung ist es möglich, daß Obergesellschaften, die weitgehende Ähnlichkeiten in der Produktionsstruktur dervon ihnen beherrschten Unternehmen aufweisen und sogar auf gleichen Märkten konkurrieren können, nur deswegen nicht demselben Mitbestimmungsstatut unterfallen, weil dieeinen der Montan-Mitbestimmung schon 1988 unterlagen, die anderen hingegen nicht. Wegen der Spreizung von Eintritts- und Austrittskriterien um 30% kann sogar der Fall eintreten, daß die nicht montan-mitbestimmten Konzernobergesellschaften einen stärkeren Montan-Bezug aufweisen als die montan-mitbestimmten.

bb) Der vom Gesetzgeber mit der Regelung verfolgte Zweckläßt sich auch hier verfassungsrechtlich nicht beanstanden. Wie dargelegt, war für den Gesetzgeber die Absicht bestimmend, die schon früher montan-mitbestimmten Unternehmen in dieser Mitbestimmungsform zu halten. Dabei ging er davonaus, daß die qualifizierte Mitbestimmung hier seit langem eingespielt war und sich bewährt hatte. Daß der Gesetzgeber das Ziel der Kontinuitätswahrung verfolgen durfte, wurde schon im Zusammenhang mit der ungleichen Behandlung von Konzernobergesellschaften mit und ohne Montan-Bezug ausgeführt. Dagegen stehen die übrigen dort zur Rechtfertigung derDifferenzierung herangezogenen Überlegungen hier nicht zur Verfügung. Sie beziehen sich durchweg auf Besonderheiten der Montan-Industrie, die dann keine Geltung beanspruchen können, wenn beide Vergleichsgruppen zum Montan-Sektor gehören.

cc) Die Festsetzung unterschiedlicher Montan-Wertschöpfungsquoten für den Austritt aus der und den Eintritt in dieMontan-Mitbestimmung ist mit Art. 3 I GG noch vereinbar. Zwar wirken sich hier - im Unterschied zu der vorn angestellten Prüfung (C I 1b) - die unterschiedlichen Konsequenzen der Mitbestimmungsstatute auf Unternehmen aus, die hinsichtlich ihres Montan-Bezugs ähnlich strukturiert sind und ineinem Konkurrenzverhältnis stehen. Die Spanne von 30% zwischen Montan-Eintritts- und Austrittsquote kann sogar dazu führen, daß relativ montanferne Altunternehmen derMontan-Mitbestimmung verhaftet bleiben, während relativ montannahe Obergesellschaften dem Mitbestimmungsstatut nicht unterworfen werden. Andererseits fällt aber ins Gewicht, daß der Gesetzgeber die Unterschiede im Mitbestimmungsstatut nicht tiefgreifend ausgestaltet hat, ferner demZiel der Kontinuitätswahrung hohen Rang beimessen durfte und schwerwiegende Verzerrungen des Wettbewerbs aufgrund der unterschiedlichen Organisationsstruktur, die infolge der Regelung gilt, nicht befürchten mußte. Unter Zugrundelegung des Gleichheitsmaßstabs, der hier Anwendung findet, kann daher dieses Unterscheidungsmerkmal noch als hinnehmbar angesehen werden.

dd) Dagegen ist das Austrittskriterium der Beschäftigtenzahl von dem allein an Wertschöpfungsquoten gemessenen Eintrittskriterium derart weit entfernt, daß die Ungleichbehandlung darauf nicht gestützt werden kann. Es senkt die bereits an der Grenze des verfassungsrechtlich Hinnehmbarenliegende Schwelle vielmehr in einer Weise ab, die vor Art. 3 I GG keinen Bestand hat.

II. Art. 19 I 1 GG ist nicht verletzt.

1. Art. 19 I 1 GG verbietet grundrechtseinschränkende Gesetze, die nicht allgemein sind, sondern nur für den Einzelfall gelten. Die Anforderung, daß das Gesetz allgemein zu sein hat,ist dann erfüllt, wenn sich wegen der abstrakten Fassung der gesetzlichen Tatbestände nicht absehen läßt, auf wieviele und welche Fälle das Gesetz Anwendung findet (vgl. BVerfGE 10,234 [242] = NJW 1960, 235; st. Rspr.), wenn also nicht nur ein einmaliger Eintritt der vorgesehenen Rechtsfolgen möglich ist (vgl. BVerfGE 25, 371 [396] = NJW 1969, 1203). Daß deGesetzgeber eine Anzahl konkreter Fälle vor Augen hat, die er zum Anlaß seiner Regelung nimmt, verleiht dieser nicht den Charakter eines Einzelfallgesetzes, wenn sie nach der Art derin Betracht kommenden Sachverhalte geeignet ist, unbestimmt viele weitere Fälle zu regeln (vgl. BVerfGE 10, 234 [243f.] = NJW 1960, 235). Die abstrakt-generelle Formulierung darfmithin nicht zur Verschleierung einer einzelfallbezogenen Regelung dienen (vgl. BVerfGE 24, 33 [52] = NJW 1968, 1467).

2. Nach diesen Grundsätzen ist § 3 II i.V. mit § 16 I Nr. 2 MitbestErgG n.F. kein Einzelfallgesetz. Es handelt sich vielmehr um ein „Anlaßgesetz„ im vorgenannten Sinn. Anlaß zu der Regelung gaben dem Gesetzgeber zwar konkrete Fälle, indenen ihm das bevorstehende Ausscheiden bestimmter Konzernobergesellschaften aus der Montan-Mitbestimmung vor Augen stand. Die Regelung ist aber abstrakt formuliert und auf eine im Zeitpunkt ihres Erlasses nicht abschließend bestimmte Zahl von Unternehmen bezogen. Auf Fälle künftig inden Anwendungsbereich des Montan-Mitbestimmungsgesetzes fallender Obergesellschaften findet sie in gleicher Weise Anwendung wie auf die Anlaßfälle. Ein verdecktes Einzelfallgesetz könnte deshalb nur dann vorliegen, wenn solche künftigen Anwendungsfälle von vornherein ausgeschlossen wären. Zur zeit lassen sich solche zwar nicht absehen, sind aber bei einer veränderten wirtschaftlichen Entwicklung der Montan-Wirtschaft keineswegs undenkbar.

Auch in der Zusammenschau mit dem Auslaufzeitenverlängerungsgesetz von 1987 wird die zur Prüfung stehende Regelung nicht zumEinzelfallgesetz. Dieses Gesetz hat die Anwendbarkeit des Montan-Statuts für die von der Regelung betroffenen Unternehmen verlängert. § 16 I Nr. 2 MitbestErgG n.F. knüpft aber nicht an diese Regelung, sondern an das jeweils geltende Mitbestimmungsstatut an, ohne dadurch zu unterscheiden, durch welche Vorschrift seine Geltung begründet worden war. Die Rechtsfolge ist eine einheitliche. Das bestehende Statut wird aufrechterhalten. Eine Sonderbehandlung von Einzelfällen liegt darin nicht. Auch der Umstand, daß die Aufrechterhaltung der Zugangsvoraussetzungen in § 16 I Nr. 1 MitbestErgG n.F.,die bei Erlaß des Montan-Mitbestimmungssicherungsgesetzes von keinem Unternehmen erfüllt wurde, dazu führt, daß für einen Zeitraum von sechs Jahren allein die zuvor der Montan-Mitbestimmung unterworfenen, der Zahl nach bekannten Obergesellschaften betroffen sind, kann daran nichts ändern. Eine unbefristet geltende Normbüßt ihren allgemeinen Charakter nicht dadurch ein, daß ihre Anwendungsfälle für einen bestimmten Zeitraum absehbar sind.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

GG Art. 3 I, 19 IV; MitbestErgG §§ 3 II, 16