Wolläuse

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

07. 07. 1995


Aktenzeichen

V ZR 213/94


Leitsatz des Gerichts

Ein Grundstückseigentümer hat grundsätzlich keinen Abwehranspruch gegen das Eindringen von Ungeziefer, das den Baum eines Nachbarn (hier: Wolläuse) befallen hat.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien sind Nachbarn. Auf dem Grundstück des Bekl. steht seit vierzehn Jahren eine Lärche in rd. 19 m Entfernung zum angrenzenden Grundstück des Kl. Der Kl. hat behauptet, diese Lärche sei in erheblichem Umfang mit Wolläusen befallen. Diese verbreiteten sich auf sein Grundstück und hätten dort stehende Kiefern befallen und geschädigt. Er hat beantragt, den Bekl. zu verurteilen, das Eindringen von Wolläusen auf sein Grundstück zu verhindern.

Die Klage hatte in den Instanzen keinen Erfolg. Die - zugelassene - Revision des Kl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Das BerGer. hält die Klage für unschlüssig, weil dem Bekl. für die ausschließlich auf Naturkräfte zurückgehende Einwirkung die Störereigenschaft fehle. Der Läusebefall gehe nicht von den Lärchen selbst und deren Wachstum aus, sondern von einem zusätzlichen Naturgeschehen, das auch nicht mittelbar auf den Willen des Bekl. zurückgeführt werden könne. Den Bekl. treffe auch keine rechtliche Verpflichtung, die Wolläuse zu bekämpfen. Der geltend gemachte Anspruch folge auch nicht aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis. Ein dafür notwendiger Ausnahmefall liege hier nicht vor.

2. Mit Recht verneint das BerGer. einen Abwehranspruch des Kl. (§ 1004 I BGB) schon nach seinem eigenen Vortrag. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BGH, daß der Tatbestand des § 1004 BGB nicht erfüllt ist, wenn die Beeinträchtigung ausschließlich auf Naturkräfte zurückgeht. Der Abwehranspruch setzt voraus, daß der Bekl. als Störer verantwortlich ist. Der bloße Umstand des Eigentums an demjenigen Grundstück, von dem die Einwirkung ausgeht, reicht dazu nicht aus; die Beeinträchtigung muß vielmehr wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers zurückgehen (vgl. BGHZ 28, 110 (111) = NJW 1958, 1580; BGHZ 90, 255 (266) = NJW 1984, 2207 = LM § 823 (Aa) BGB Nr. 70; BGHZ 114, 183 (187) = NJW 1991, 2770 = LM LandeswasserG Nr. 10; BGHZ 120, 239 (254) = NJW 1993, 925 = LM H. 5/1993 § 823 (Dd ) BGB Nr. 22; BGHZ 122, 283 (284) = NJW 1993, 1855 = LM H. 9/1993 § 906 BGB Nr. 91 je m.w. Nachw.). Durch Naturereignisse ausgelöste Störungen sind dem Eigentümer eines Grundstücks nur dann zuzurechnen, wenn er sie durch eigene Handlungen ermöglicht hat oder wenn die Beeinträchtigung durch ein pflichtwidriges Unterlassen herbeigeführt worden ist (BGHZ 90, 255 (266) = NJW 1984, 2207 = LM § 823 (Aa) BGB Nr. 70; BGHZ 114, 183 (187) = NJW 1991, 2770 = LM LandeswasserG Nr. 10; BGHZ 122, 283 (284) = NJW 1993, 1855 = LM H. 9/1993 § 906 BGB Nr. 91). Dies entspricht auch der ganz überwiegenden Auffassung in der Literatur (vgl. z.B. Pikart, in: RGRK, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 72; Erman/Hefermehl,BGB, 9. Aufl., § 1004 Rdnrn. 14, 18; Medicus, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 1004 Rdnrn. 21, 38; Palandt/Bassenge, BGB, 54. Aufl., § 1004 Rdnr. 6; Soergel/Mühl, BGB, 12. Aufl., § 1004 Rdnr. 105; Staudinger/Gursky, BGB, 13. Bearb., § 1004 Rdnr. 52).

Es liegt am Problem des gesetzlich nicht näher geregelten und höchst umstrittenen Störerbegriffs (vgl. dazu neuerdings Herrmann, JuS 1994, 273 m.w. Nachw.), daß insb. im Bereich von Natureinwirkungen aus dem Zustand eines Grundstücks immer wieder schwierige Abgrenzungsprobleme auftreten, die sich nicht begrifflich allgemein gültig, sondern nur in wertender Betrachtungsweise von Fall zu Fall lösen lassen. Legt man für die Frage, ob ein Eigentümer eine natürliche Einwirkung „durch eigene Handlungen ermöglicht“ hat, den rein naturwissenschaftlichen Kausalitätsbegriff zugrunde, so würden dem Grundstückseigentümer viel zu weitgehend auch Einwirkungen zugerechnet, die ein allgemeines Risiko darstellen und für die er nach Sinn und Zweck der nachbarrechtlichen Regelung des Nutzungskonflikts (§§ 903ff . BGB) nicht mehr verantwortlich gemacht werden kann. Der Grundstückseigentümer hätte dann beispielsweise auch durch eine Nutzungsänderung im Rahmen landwirtschaftlicher Bewirtschaftung als Oberlieger auf abschüssigem Gelände den verstärkten Abfluß von Oberflächenwasser auf das Nachbargrundstück ermöglicht (vgl. BGHZ 114, 183 (187) = NJW 1991, 2770 = LM LandeswasserG Nr. 10) oder durch Pflanzen von Bäumen deren späteres Umstürzen bei Sturm verursacht (vgl. BGHZ 122, 283 (285) = NJW 1993, 1855 = LM H. 9/1993 § 906 BGB Nr. 91). Der BGH hat in diesen Fällen jedoch eine Verantwortung der Grundstückseigentümer abgelehnt. Er hat in einem Fall auf die seit jeher bestimmungsgemäß betriebene normale landwirtschaftliche Nutzung und die natürliche Eigenart des Grundstücks (BGHZ 114, 183 (188) = NJW 1991, 2770 = LM LandeswasserG Nr. 10; vgl. auch BGHZ 90, 255 (267) = NJW 1984, 2207 = LM § 823 (Aa) BGB Nr. 70) und im anderen Fall darauf abgestellt, daß der vom Eigentümer geschaffene Zustand (Anpflanzen und Aufzucht widerstandsfähiger Bäume) keine konkrete Gefahrenquelle für das Nachbargrundstück gebildet habe und Sturmschäden bei gesunden Bäumen normalerweise nicht zu erwarten seien (BGHZ 122, 283 (285) = NJW 1993, 1855 = LM H. 9/1993 § 906 BGB Nr. 91). Ähnlich verhält es sich mit dem vorliegenden Schädlingsbefall. Mit dem Pflanzen der Lärche hat der Bekl. insoweit keine konkrete Gefahrenquelle geschaffen, die sich später verwirklicht hat. Die vom Kl. beanstandeten Einwirkungen gehen auf ein zufälliges und zusätzliches Naturereignis zurück, das alle Grundstückseigentümer als allgemeines Risiko trifft und zur natürlichen Eigenart jeder Art von Anpflanzung gehört. Das zeigt sich nicht zuletzt auch an den Schwierigkeiten der tatsächlichen Feststellungen dazu, auf welchem Grundstück der Läusebefall seinen Ausgang genommen hat. Entgegen der Auffassung der Revision kann der vorliegende Fall auch nicht mit Sachverhalten verglichen werden, in denen der Eigentümer des beeinträchtigenden Grundstücks den Ungezieferbefall durch eine besondere Nutzung begünstigt hat (vgl. RGZ 160, 381 zur Fliegenbelästigung; Dehner, NachbarR, B § 16 II 3). Die streitgegenständliche Beeinträchtigung kann bei wertender Betrachtung mithin auch nicht mehr mittelbar auf den Willen des Grundstückseigentümers zurückgeführt werden. Der Senat folgt damit nicht der vom OLG Köln vertretenen gegenteiligen Auffassung (OLGZ1992, 121 = VersR 1991, 556 - Langwanzenbefall, abl. auch Staudinger/Gursky, § 1004 Rdnr. 61).

Soweit die Revision auf die Rechtsprechung des Senats zum Eindringen von Baumwurzeln in die Abwasserleitungen des Nachbargrundstücks verweist (vgl. z.B. BGHZ 97, 231 = NJW 1986, 2640 = LM § 1004 BGB Nr. 168; BGHZ 106, 142 = NJW 1989, 1032 = LM § 1004 BGB Nr. 183), übersieht sie, daß diese Rechtsprechung entscheidend auf dem kraft ausdrücklicher Regelung (§ 910 BGB) grundsätzlich gegebenen Abwehrrecht des Nachbarn beruht (vgl. auch BGHZ 122, 283 (286) = NJW 1993, 1855 = LM H. 9/1993 § 906 BGB Nr. 91). Der vorliegende Fall ist auch nicht vergleichbar mit der Beeinträchtigung durch Froschlärm, der von einem künstlich in der Nähe eines Feuchtgebiets angelegten Gartenteich ausgeht (BGHZ 120, 239 (254) = NJW 1993, 925 = LM H. 5/1993 § 823 (Dd ) BGB Nr. 70). Insoweit hat sich durch das Ansiedeln der Frösche eine besondere Gefahrenquelle verwirklicht, die bereits durch den Bau des Teichs künstlich angelegt war. Wie sich im übrigen aus § 907 II BGB ergibt, zählen Bäume und Sträucher gerade nicht zu den Anlagen im Sinne dieser Bestimmung. Daraus muß jedenfalls die gesetzgeberische Wertung entnommen werden, daß abgesehen von der spezialgesetzlichen Regelung zum Überhang von Zweigen und zu den grenzüberschreitenden Wurzeln (§ 910 BGB) die natürlichen Auswirkungen solcher Pflanzen, die den landesgesetzlich vorgeschriebenen Grenzabstand einhalten, regelmäßig keine abwehrfähige Eigentumsbeeinträchtigungen darstellen. Auch die außerordentlich weitgehende und vom BGH bisher abgelehnte sog. Eigentumstheorie bejaht eine Verantwortlichkeit für Störungen durch derartige Einflüsse unmittelbar kraft Eigentums nur dann, wenn sich die der Sache selbst innewohnende Gefährlichkeit verwirklicht (vgl. Pleyer, AcP 156, 291 (307)). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

Eine Störereigenschaft des Bekl. käme daher nur dann in Betracht, wenn ihm ein pflichtwidriges Unterlassen vorzuwerfen wäre. Die Revision verweist lediglich auf die Möglichkeit, den Befall mit Wolläusen durch Spritzmittel zu bekämpfen. Es geht aber zunächst allein darum, ob dem Bekl. eine Garantenstellung zukommt, er mithin eine Rechtspflicht zum Handeln hat (BGHZ28, 110 (111) = NJW 1958, 1580). Zutreffend hat das BerGer. aber keine Grundlage gesehen, aus der sich eine Verpflichtung des Bekl. ergeben könnte, den vorliegenden Schädlingsbefall zu bekämpfen. Dies kann im Einzelfall anders sein, wenn positiv-rechtliche Regelungen die Verpflichtung aufstellen, dagegen anzugehen. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor; die Revision zeigt insoweit auch nichts auf.

Mit Recht hält das BerGer. den Klageanspruch auch unter dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses nicht für gegeben. I.d.R. begründet dieser auf Treu und Glauben fußende Gedanke keine selbständigen Ansprüche, sondern wirkt sich hauptsächlich als bloße Schranke der Rechtsausübung aus (vgl. BGHZ 88, 344 (351) = NJW 1984, 729 = LM § 1004 BGB Nr. 161; Senat, BGHZ 113, 384 = NJW 1991, 1671 (1672) = LM H. 1/1992 § 839 (Cb ) BGB Nr. 77). Darüber hinaus kann das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme der Nachbarn untereinander nicht ohne weiteres die fehlenden Tatbestandsvoraussetzungen des § 1004 BGB und damit die Anspruchsgrundlage ersetzen. Mit Rücksicht auf die nachbarrechtlichen Sonderregelungen muß dies vielmehr eine aus zwingenden Gründen gebotene Ausnahme bleiben und kann nur dort zur Anwendung kommen, wenn ein über die gesetzliche Regelung hinausgehender billiger Ausgleich der widerstreitenden Interessen dringend geboten erscheint (vgl.Senat, NJW 1991, 2826 (2827) = LM H. 3/1992 § 1004 BGB Nr. 197 m.w. Nachw.).

Auch dann würde dem Betroffenen in erster Linie das Recht zustehen können, selbst auch auf dem Grundstück seines insoweit duldungspflichtigen Nachbarn Bekämpfungsmaßnahmen durchzuführen, wenn die Einwirkungen einerseits zu unzumutbaren Beeinträchtigungen führen und die entsprechende Duldungspflicht den Nachbarn nur gering belastet. Ein derartiger Anspruch wird hier aber nicht geltend gemacht.

Rechtsgebiete

Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht