Rückwirkende Tariföffnungsklausel

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

20. 04. 1999


Aktenzeichen

1 AZR 631/98


Leitsatz des Gerichts

  1. Eine Tariföffnungsklausel gem. § 77 III 2 BetrVG kann nur von den Parteien desjenigen Tarifvertrags vereinbart werden, der für eine Betriebsvereinbarung geöffnet werden soll.

  2. Die zuständigen Tarifvertragsparteien können eine Betriebsvereinbarung auch rückwirkend genehmigen.Die rückwirkende Kürzung tariflicher Ansprüche (hier Verlängerung der Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich) ist allerdings begrenzt durch die Grundsätze des Vertrauensschutzes.

  3. Das schutzwürdige Vertrauen auf unverändertenFortbestand einer tariflichen Regelung entfällt, wenn die zuständige Gewerkschaft ihre Mitglieder darüber informiert, daß sie eine ungünstigere Betriebsvereinbarung genehmigt hat. Das gilt auch dann, wenn diese Genehmigung zunächst unwirksam ist, weil sie nicht mit demeigentlich zuständigen Arbeitgeberverband, sondern nur mit dem Arbeitgeber vereinbart wurde, der an der abweichenden betrieblichen Regelung beteiligt war.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten darüber, ob die für sie maßgebliche tarifliche Regelarbeitszeit durch Betriebsvereinbarung wirksam verlängert worden ist. Die Bekl. ist ein Unternehmen der Metallindustrie. Sie unterhält unter anderem in Krefeld einen Betrieb, in dem ca. 300 Arbeitnehmer tätig sind. Insgesamt beschäftigt sie ca. 5000 Arbeitnehmer. Sie ist Mitglied des Verbands der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalene.V. Die Kl. ist seit dem 18. 11. 1989 in Krefeld als Montiererin tätig. Sie ist Mitglied der IG Metall. Gem. Nr. 4 des schriftlichen „Aushilfs-Arbeitsvertrags„ vom 10. 11. 1989, der zunächst für dieZeit vom 18. 11. 1989 bis 31. 3. 1990 geschlossen wurde, gelten für das Arbeitsverhältnis „die gesetzlichen Regelungen, die Tarifverträge der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie und die Betriebsvereinbarungen des jeweiligen Standorts, sowie die Bestimmungen der Arbeitsordnung„. Nach dem Manteltarifvertrag fürdie Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie in Nordrhein-Westfalen i.d.F. vom 11. 12. 1996 betrug die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit ab dem 1. 10. 1995 35 Wochenstunden (§ 3 Nr. 1 MTV). Der Tarifvertrag wurde abgeschlossen zwischendem Verband der Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalen e.V. und der Industriegewerkschaft Metall, Bezirksleitungen Dortmund und Wuppertal. Gleichfalls am 11. 12. 1996 schlossen diese Tarifvertragsparteien einen zum 1. 1. 1997 in Kraft tretenden „Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung 1997„, dessen § 6lautet:

§ 6. Sonderfallregelung Die Tarifvertragsparteien werden sich, wie bisher, in besonders gravierenden Fällen, z.B. zur Abwendung einer Insolvenz, darum bemühen, für einzelne Unternehmen Sonderregelungen zu finden,um damit einen Beitrag zum Erhalt der Unternehmen und der Arbeitsplätze zu leisten.

Am 27. 9. 1996 schlossen der Betriebsrat des Betriebs in Krefeld und die Unternehmensleitung der Bekl. eine „Betriebsvereinbarung über Arbeitszeit/Flexible Arbeitszeit„. In dieser heißt es unter anderem:

Präambel. Im Hinblick auf die angespannte wirtschaftliche Situation sind umfangreiche Maßnahmen erforderlich, um die Wettbewerbsfähigkeit und die damit verbundene Sicherung der Arbeitsplätze zu erhalten. Unter anderem wird daher eine modifizierte Arbeitszeit mit der Möglichkeit einer flexiblen Wochenarbeitszeiteingeführt. Ziel ist es, auf Produktions- bzw. Beschäftigungsschwankungen rechtzeitig in einer bestimmten Bandbreite reagieren zu können, um somit eine optimale Auslastung sicherzustellen.

Sollte sich die wirtschaftliche Situation bei F nennenswert verbessern, wird über eine entsprechende Rücknahme bzw. Vergütung verhandelt.

Arbeitszeit / Flexible Arbeitszeit

Arbeitszeit

Die tarifliche Arbeitszeit beträgt 35 Stunden pro Woche.

Die betriebliche Regelarbeitszeit beträgt generell 40 Stunden pro Woche.

Ein Teil der mehr geleisteten Arbeitszeit (1,5 Stunden) wird in Form von 9 freien Tagen ausgeglichen. Bis Jahresende aus betrieblichen Gründen nicht in Anspruch genommenen V-Tage müssen bis spätestens 31. 3. des Folgejahres genommen werden.

Diese Tage werden in Form von Brückentagen in einer gesonderten Vereinbarung festgelegt.

Festgelegte Brückentage gelten als genommen, wenn ein Mitarbeiter an diesen Tagen arbeitsunfähig erkrankt.

Die von jedem Mitarbeiter zusätzlich erbrachte Arbeitszeit liegt jeweils um 3,5 Stunden über der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit. Eine Vergütung für diese zusätzlich geleisteten Stunden erfolgt nicht.

Monatliche Bezahlung

Die Monatsentgelte und -gehälter werden auf Basis der 35 Stunden/Woche (152,25 Monatsstunden) unverändert fortgezahlt.

Inkrafttreten und Kündigung

Diese Vereinbarung tritt am 1. 1. 1997 in Kraft. Sie kann unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten zum Halbjahresende gekündigt werden, erstmalig zum 31. 12. 1998. In beiderseitigem Einvernehmen kann sie jederzeit aufgehoben werden.

Die Kl. machte entsprechend einer Aufforderung der IG Metall mit (Formular-) Schreiben ohne Datum (Eingangsstempel derBekl. vom 20. 2. 1997) für die Zeit ab 1. 1. 1997 die Vergütung der Arbeitszeit geltend, „die über die wöchentlich individuelle Arbeitszeit liegt (35 Stunden + 1,5 Stunden Regelung Brückentage) ab 1. 1. 1997 als Mehrarbeit mit den tariflich vorgesehenen Zuschlägen„. Am 8. 4. 1997 schlossen die IG Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen, und die Bekl. eine „Vereinbarung„, in der es unteranderem heißt:

Präambel

Aufgrund des seit 1990 zu beobachtenden außerordentlichen Marktpreisverfalls und der damit verbundenen Ergebnisverschlechterung des Unternehmens, vereinbaren F-AG und die IG Metall als einen Beitrag zur Stabilisierung der Standorte Köln und Krefeld dienachstehenden Regelungen. Diese sollen F die Möglichkeit eröffnen, sich während der Laufzeit der Vereinbarung auf die veränderte Konkurrenzsituation einzustellen.

1. Geltungsbereich

Diese Vereinbarung gilt für die an den F-Standorten Köln und Krefeld jeweils am 27. 9. 1996 abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen/Regelabsprachen „über Arbeitszeit/Flexible Arbeitszeit„.

2. Spätestens im Dezember 1997 werden F, Gesamtbetriebsrat undBetriebsräte die IG Metall Bezirksleitung erstmals über die Umsetzung der obigen Betriebsvereinbarungen, die aufgelaufenen Zeitvolumen und die wirtschaftliche Situation des Unternehmens/der Betriebe informieren.

3. Im Oktober 1998 werden F, Gesamtbetriebsrat, Betriebsräte und IG Metall Bezirksleitung unter Berücksichtigung einer gegebenenfalls gegenüber dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Vereinbarung verbesserten wirtschaftlichen Situation des Unternehmenseine Vereinbarung über die Rückführung der Zeitvolumen treffen.

4. Die beiden Betriebsvereinbarungen/die Regelabsprache enden, soweit dem nicht diese Vereinbarung (Nummer 3) entgegensteht, ohne Nachwirkung am 31. 12. 1998.

5. Im übrigen gelten die Tarifverträge der metallverarbeitenden Industrie NRW in der jeweils gültigen Fassung.

6. Diese Vereinbarung tritt mit ihrer Unterzeichnung in Kraft undendet mit der vollständigen Abwicklung der Nummer 3 dieser Vereinbarung.

Dieser Vereinbarung sind gem. schriftlicher Erklärung beigetreten der Gesamtbetriebsrat sowie die Betriebsräte Krefeld und Köln. Mit Schreiben vom 17. 4. 1997 informierte die IG Metall, Verwaltungsstelle Krefeld, „alle IG Metall Mitglieder„ über den Abschluß der „Ergänzungsvereinbarung„ vom 8. 4. 1997, die sich auf den Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung vom 11. 12. 1996 beziehe.In dem Schreiben heißt es unter anderem: „Somit entfällt die Rechtsgrundlage für Klagen nach dem Individualrecht.„ Am 22. 1. 1998 schlossen die Bekl., die IG Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen, sowie der Verband Metall Nordrhein-Westfalen eine„Tarifvereinbarung„. Diese hat folgenden Wortlaut: „In Kenntnis des Urteils des Arbeitsgerichts Krefeld vom 25. Nov. 1997 - 2 Ca 2712/97 - bestätigen die unterzeichnenden Parteien die am8. April 1997 getroffene Vereinbarung, wonach die in der Betriebsvereinbarung vom 27. 9. 1996 vereinbarten Regelungen die Zustimmung der Tarifvertragsparteien (§§ 77 III 3, 87 BetrVG, § 4 MTV) haben„. Die Kl. arbeitete von Januar bis Oktober 1997 jeweils 40 Stunden in der Woche, erhielt aber nur den Tariflohn von 35 Stunden. Inwieweit 1,5 Stunden wöchentlich durch Brückentage abgegolten wurden, ist zwischen den Parteien streitig. MitSchriftsatz vom 8. 9. 1997, der Bekl. zugestellt am 12. 9., erhob die Kl. zunächst Klage mit dem Antrag festzustellen, daß die Betriebsvereinbarung vom 27. 9. 1996 nichtig und die Bekl. verpflichtet sei, die über 35 Stunden hinausgehende Arbeitszeit entsprechenddem Stundenlohn der Kl. für die 35-Stunden-Woche zu vergüten. Diese Klage erweiterte sie mit Schriftsatz vom 12. 11. 1997, der Bekl. zugegangen am 25. 11. 1997, um den Antrag auf Zahlungvon 5215,20 DM.

Die Kl. hat die Auffassung vertreten, sie habe Anspruch auf Bezahlung der tatsächlich gearbeiteten 40 Stunden mit dem tariflichen Stundenlohn. Einen Überstundenzuschlag hat sie nicht geltend gemacht. Die Betriebsvereinbarung vom 27. 9. 1996 verstoße gegen § 77 III BetrVG und sei daher nichtig. Daran ändere auch die Vereinbarung vom 8. 4. 1997 nichts. Diese sei schon ihrem Inhaltnach nicht als tarifliche Öffnungsklausel anzusehen. Sie entspreche auch nicht den Bestimmungen des Tarifvertrags über die Beschäftigungssicherung. Im übrigen müsse eine nichtige Betriebsvereinbarung neu abgeschlossen werden. Dies habe der „Beitritt„ der Betriebsräte zur Vereinbarung vom 8. 4. 1997 nicht bewirkt. Außerdem könnten kollektive Regelungen nicht rückwirkend in entstandene Ansprüche eingreifen. Dies gelte auch für die Vereinbarung vom 22. 1. 1998. Die Kl. hat für wöchentlich fünf Stunden in demZeitraum von Januar bis Oktober 1997 den rechnerisch unstreitigen Betrag von 5215,20 DM brutto geltend gemacht. Sie meint, die tarifliche Ausschlußfrist sei mit ihrem am 20. 2. 1997 zugegangenen Schreiben gewahrt. Im übrigen sei eine wirksame Geltendmachung auch in der Klageerhebung zu sehen. Dies gelte bereits für die zunächst erhobene Feststellungsklage, so daß die Ausschlußfristjedenfalls für die ab 1. 6. 1997 fällig gewordenen Ansprüche gewahrt sei. Die Kl. hat beantragt,

  1. festzustellen, daß die Betriebsvereinbarung über Arbeitszeit/Flexible Arbeitszeit vom 27. 9. 1996 nichtig ist und die Bekl. verpflichtet ist, die über 35 Stunden hinausgehende Arbeitszeitentsprechend dem Stundenlohn der Kl. für die 35-Stunden-Woche zu vergüten,

  2. die Bekl. zu verurteilen, an sie 5215,20 DM brutto nebst 4% Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 1. 11. 1997 zu zahlen.

Die Bekl. hält die Feststellungsklage für unzulässig, die Zahlungsklage für unbegründet. Die Vereinbarung vom 8. 4. 1997 seials Haustarifvertrag mit dem Inhalt einer tariflichen Öffnungsklausel anzusehen. Diese habe die in der Betriebsvereinbarung vom 27. 9. 1996 getroffene Regelung zum 1. 1. 1997 wirksam werden lassen. Selbst wenn man hierzu einen erneuten Abschluß der Betriebsvereinbarung verlange, sei dieser mit dem Beitritt der Betriebsräte zu der Vereinbarung vollzogen worden. Wenn die Vereinbarung vom 8. 4. 1997 nicht als Öffnungsklausel gelten könnte,dann sei sie als Haustarifvertrag mit einem der Betriebsvereinbarung entsprechenden Regelungsinhalt zu werten. Mit der weiteren Vereinbarung vom 22. 1. 1998 sei die Öffnungsklausel noch einmal ausdrücklich bestätigt worden. Eine rückwirkende Herabsetzungtariflicher Ansprüche sei grundsätzlich möglich. Die Vereinbarungen hätten dies zum 1. 1. 1997 bewirkt. Ein hinreichender Vertrauensschutz auf unveränderten Fortbestand der tariflichen Regelungen habe nicht mehr bestanden. Die Kl. habe auch allenfalls Anspruch auf Zahlung von 3,5 Stunden wöchentlich, da 1,5 Stunden durch Freizeit abgegolten seien. Die Geltendmachung durch das Schreiben vom Februar 1997 habe sich schon dem Inhalt nach nurauf die Zahlung von 3,5 Stunden wöchentlich bezogen. Die Erhebung der Feststellungsklage sei zur Wahrung der Ausschlußfrist nicht ausreichend.

Das ArbG hat den Feststellungsantrag abgewiesen und die Bekl. zur Zahlung von 1564,24 DM verurteilt (wöchentlich 5 Stundenfür August bis Oktober); weitergehende Zahlungsansprüche hat es als verfristet angesehen. Das LAG hat die Berufung der Bekl. zurückgewiesen; auf die Berufung der Kl. hat es die Bekl. zur Zahlung von insgesamt 4119,18 DM verurteilt; es ist dabei davon ausgegangen, daß die Kl. ihren Restlohn auch für die Monate Januar bis Juli1997 fristwahrend geltend gemacht habe, allerdings nur für 3,5 Stunden wöchentlich.

Nach Erlaß des zweitinstanzlichen Urteils schlossen die IG Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen und der Verband der Metall- und Elektro-Industrie Nordrhein-Westfalen e.V. am 15. 6. 1998 einen Tarifvertrag betreffend „F-AG„ (die Bekl.). Dieser enthält unter anderem folgende Regelungen: …

§ 1. Arbeitszeit / Flexible Arbeitszeit

Arbeitszeit Die tarifliche Arbeitszeit beträgt 35 Stunden pro Woche.

Die betriebliche Regelarbeitszeit beträgt generell 40 Stunden proWoche.

Ein Teil der mehr geleisteten Arbeitszeit (1,5 Stunden) wird in Form von 9 freien Tagen ausgeglichen. Bis Jahresende aus betrieblichen Gründen nicht in Anspruch genommenen V-Tage müssen bis spätestens 31. 3. des Folgejahres genommen werden.

Diese Tage werden in Form von Brückentagen in einer gesonderten Vereinbarung festgelegt.

Festgelegte Brückentage gelten als genommen, wenn ein Mitarbeiter an diesen Tagen arbeitsunfähig erkrankt.

Die von jedem Mitarbeiter zusätzlich erbrachte Arbeitszeit liegt jeweils um 3,5 Stunden über der tariflichen wöchentlichen Arbeitszeit. Eine Vergütung für diese zusätzlich geleisteten Stunden erfolgtnicht. …

Monatliche Bezahlung Die Monatsentgelte und -gehälter werden auf Basis der 35 Stunden/Woche (152,25 Monatsstunden) unverändert fortgezahlt. …

Inkrafttreten und Kündigung Diese Vereinbarung tritt am 1. 7. 1998 in Kraft.

Im Oktober 1998 werden F, Gesamtbetriebsrat, Betriebsräte, IG Metall Bezirksleitung und Metall NRW unter Berücksichtigung einer gegebenenfalls gegenüber 1996 verbesserten wirtschaftlichen Situation des Unternehmens eine Vereinbarung über eine Rückführung der Zeitvolumen treffen.

Die Regelungen enden, soweit dem nicht diese Vereinbarung(vorstehender Absatz) entgegensteht, ohne Nachwirkung am 31. 12. 1998.

Im übrigen gelten die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens in ihrer jeweils gültigen Fassung.

§ 2. Abweichende Geltungsdauer Die Regelungen des § 1 werden abweichend von § 1 viertletzter Absatz mit Wirkung vom 1. 1. 1997 in Kraft gesetzt.

§ 3. Salvatorische Klausel Die Bestimmungen des § 1 befinden sich nach der Rechtsauffassung der Tarifvertragsparteien aufgrund der bisherigen betrieblichen und tariflichen Regelungen bereits seit dem 1. 1. 1997 inKraft.

Hiervon unabhängig werden sie aus Gründen der Rechtssicherheit durch diesen Tarifvertrag zum einen durch § 1 ab 1. 7. 1998 in Kraft gesetzt, zum anderen durch § 2 rückwirkend zum 1. 1. 1997.

Sollte eine dieser Regelungen unwirksam sein, berührt dies nicht die Wirksamkeit der anderen Bestimmungen dieses Vertrags.

Mit der nur für die Bekl. zugelassenen Revision begehrt diese,teilweise erfolgreich, die Klage insgesamt abzuweisen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Revision der Bekl. führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LAG, soweit dieses der Zahlungsklage stattgegeben hat. Die hierfür gegebene Begründung hält derrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Sache ist jedoch noch nicht entscheidungsreif, da es weiterer Feststellungen bedarf.

1. Das LAG hat angenommen, die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Kl. in der Zeit vom 1. 1. bis 31. 10.1997 habe 35 Stunden betragen. Das folge aus der für das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft beiderseitiger Tarifbindung maßgeblichen tariflichen Arbeitszeitregelung. Sie sei weder durch die Betriebsvereinbarung vom 27. 9. 1996noch durch die Vereinbarungen vom 8. 4. 1997 bzw. 22. 1. 1998 für den hier allein streitbefangenen Zeitraum wirksam abgeändert worden. Die Kl. könne daher grundsätzlich dieBezahlung der über die wöchentliche Regelarbeitszeit hinaus geleisteten Arbeitsstunden mit dem tariflichen Stundensatz verlangen.

II. Die Begründung des LAG reicht nicht aus. Ihr ist zwar im Ergebnis darin zu folgen, daß die Vereinbarung vom 8. 4. 1997 noch keine Änderung der für die Kl. maßgeblichen tariflichen Arbeitszeit bewirkte. Entgegen der Auffassung desLAG hat aber die Tarifvereinbarung vom 22. 1. 1998 der umstrittenen Betriebsvereinbarung rückwirkend Geltung verschafft und damit zur entsprechenden Abänderung derArbeitszeit und des Lohns der Kl. geführt. Diese Rückwirkung ist allerdings begrenzt durch die Grundsätze des Vertrauensschutzes. Die Kl. mußte jedoch mit einer rückwirkenden Genehmigung der Betriebsvereinbarung rechnen, nachdem die IG Metall sie über den Abschluß der Vereinbarung vom 8. 4. 1997 unterrichtet und darauf hingewiesen hatte, daß somit die Rechtsgrundlage für Klagen entfalle.

1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die tariflichen Bestimmungen derEisen-, Metall- und Elektroindustrie für Nordrhein-Westfalen Anwendung. Gem. § 3 Nr. 1 Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 11. 12. 1996 (MTV) betrug die regelmäßígewöchentliche Arbeitszeit ab 1. 10. 1995 und damit auch im hier streitigen Zeitraum (1. 1. bis 31. 10. 1997) 35 Stunden wöchentlich. Gem. § 3 Nr. 3 MTV kann die individuelleArbeitszeit mit Zustimmung des Arbeitnehmers auf bis zu 40 Stunden wöchentlich verlängert werden, wobei der Arbeitnehmer dann allerdings einen Anspruch auf eine dieser Arbeitszeit entsprechende Bezahlung hat (§ 3 Nr. 3 S. 3MTV). Eine derartige Vereinbarung ist indes zwischen den Parteien nicht getroffen worden.

Die für das Arbeitsverhältnis der Parteien maßgeblichen und bis zum 31. 12. 1996 auch praktizierten tariflichen Regelungen sind durch die Betriebsvereinbarung vom 27. 9. 1996 (BV 1996) zunächst nicht abgeändert worden.Diese verstieß gegen § 77 III BetrVG. Danach können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Die BV 1996 verlängerte jedoch die „betriebliche Regelarbeitszeit auf generell 40 Stunden pro Woche„. Sie hältselbst fest, daß die tarifliche Arbeitszeit nur 35 Stunden pro Woche beträgt, also von der betrieblichen Regelung abweicht. Die Dauer der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit unterliegt auch nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 I Nr. 2 BetrVG (st. Rspr., vgl. nur BAGE 73, 291 = NZA 1994, 184 = AP Nr. 22 zu § 23 BetrVG1972 [unter B III 2c aa]). Der Tarifvorrang des § 77 III BetrVG gilt also uneingeschränkt.

Die BV 1996 legt weiter fest, daß 1,5 Stunden in Form von freien Tagen ausgeglichen werden, während für weitere 3,5 Stunden eine Vergütung ausgeschlossen wird; dieMonatsentgelte und -gehälter bleiben trotz der Arbeitszeitverlängerung unverändert. Die BV 1996 regelt damit Fragen, die tariflich abweichend geregelt sind, nämlich die regelmäßige Wochenarbeitszeit einerseits wie auch die Lohnhöhe andererseits. Indem die Verlängerung der Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich angeordnet wird, führt die Regelung zu einer Lohnkürzung. Diese Verletzung desTarifvorgangs führt zur Unwirksamkeit der betrieblichen Regelung.

2. Das LAG ist weiter davon ausgegangen, daß auch die zwischen der Bekl. und der IG Metall am 8. 4. 1997 abgeschlossene „Vereinbarung„ nicht zu einer wirksamen Erhöhung der Regelarbeitszeit ohne Lohnausgleich nachMaßgabe der BV 1996 geführt hat. Die Vereinbarung vom 8. 4. 1997 seit zwar als Haustarifvertrag anzusehen, dieser enthalte aber keine Tariföffnungsklausel i.S. des § 77 III 2BetrVG. Eine solche Klausel müsse sich aus einem Tarifvertrag eindeutig und positiv ergeben; es genüge nicht, daß sie sich im Wege ergänzender Vertragsauslegung ermitteln lasse. An einer entsprechend klaren Regelung fehle es hier jedoch. Der Wortlaut der Vereinbarung lasse auchnicht hinreichend erkennen, daß die Tarifvertragsparteien den Inhalt der Betriebsvereinbarung als eigene Regelung übernehmen wollten. Die bloße Anheftung der unwirksamen Betriebsvereinbarung stelle keine solche Übernahmedar. Es hätte mindestens eines entsprechenden Hinweises im Text bedurft, wenn man nicht den gesamten Wortlaut wiederholen wollte. Dieser Begründung kann der Senat nicht folgen (a), dem Ergebnis ist aber dennoch zuzustimmen (b).

a) Entgegen der Auffassung des LAG ist davon auszugehen, daß die Parteien der Vereinbarung vom 8. 4. 1997 eineTariföffnungsklausel i.S. des § 77 III 2 BetrVG schaffen wollten.

aa) Die Vereinbarung kann formal als tarifliche Regelung betrachtet werden. Sie ist abgeschlossen worden zwischenTarifvertragsparteien gem. § 2 I TVG, nämlich zwischen der IG Metall - hier vertreten durch den satzungsgemäß abschlußbefugten Landesbezirk - und der Bekl. als Arbeitgeberin. Die Schriftform ist gewahrt, § 1 II TVG. Erkennbares Regelungsziel war es, den maßgebenden Tarifvertrag für dieBV 1996 zu öffnen. Das ergibt die Auslegung der Vereinbarung (vgl. zu den Grundsätzen der Tarifauslegung nur BAGE 73, 364 = NZA 1994, 181 = AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung).

Die Vereinbarung vom 8. 4. 1997 regelt zwar nicht wörtlich, daß sie den Abschluß einer ergänzenden Betriebsvereinbarung zulassen will, dieses Ziel kommt aber deutlich schon in Nr. 1 der Regelung zum Ausdruck. Wenn dort als„Geltungsbereich„ die an den Standorten jeweils am 27. 9. 1996 abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen bezeichnet werden, so zeigt das, daß man diese Betriebsvereinbarungenals wirksam behandeln, also eine Öffnung gegenüber dem Tarifvertrag zulassen wollte. Dies folgt ferner aus den Bestimmungen, in denen vereinbart wird, daß die Betriebspartner die IG Metall über „die Umsetzung der obigen Betriebsvereinbarungen„ informieren (Nr. 2) und mit der IG Metall im Oktober 1998 eine Vereinbarung über die Rückführung der Zeitvolumina treffen wollen (Nr. 3). Die Betriebsvereinbarungen sollen ohne Nachwirkung am 31. 12.1998 enden (Nr. 4).

Dies alles ist nur vor dem Hintergrund verständlich, daß die Partner der Vereinbarung vom 8. 4. 1997 die betriebliche Regelung zulassen wollten. Sie setzten diese nicht nur als wirksam voraus, wie dies das LAG angenommen hat. Gerade vor dem Hintergrund der schon entstandenen Diskussionen um die Wirksamkeit der BV 1996 - verdeutlicht anden formularmäßigen Schreiben, mit denen die Gewerkschaftsmitglieder ihre Ansprüche geltend machten - ging es den Parteien erkennbar um diese Problematik. Wortlaut, Zusammenhang und Anlaß der Regelung lassen hinreichend deutlich erkennen: Ziel der Vereinbarung war es, derBV 1996 als Betriebsvereinbarung Wirksamkeit zu verschaffen. Geplant war eine Öffnungsklausel i.S. des § 77 III 2 BetrVG. Auch wenn man mit dem LAG strenge Anforderungen an die Eindeutigkeit einer solchen Klausel stellt - gem. § 77 III 2 BetrVG ist sie „ausdrücklich„ zu vereinbaren -, bestehen hier keine Zweifel.

Dieses Ergebnis wird unterstrichen durch die spätere Vereinbarung vom 22. 1. 1998, in der die Parteien der Vereinbarung vom 8. 4. 1997 (neben dem Arbeitgeberverband)bestätigen, daß „die in der Betriebsvereinbarung vom 27. 9. 1996 vereinbarten Regelungen die Zustimmung der Tarifvertragsparteien (§§ 77 III , 87 BetrVG, § 4 MTV) haben„.

bb) Die Vereinbarung vom 8. 4. 1997 ist danach nicht als Haustarifvertrag auszulegen, der die Regelungen der BV1996 als eigene tarifliche Regelungen inhaltlich übernehmen wollte. Das ergibt sich nach der hier vertretenen Auslegung schon aus dem Regelungsziel. Eine Tariföffnungsklausel setzt gerade voraus, daß die Tarifvertragsparteien keine eigene inhaltliche Regelung treffen wollen, sondern dies den Betriebspartnern überlassen. Wortlaut und Gesamtzusammenhang der Vereinbarung vom 8. 4. 1997 lassen keinen Zweifel daran, daß die Bet. davon ausgingen, die inhaltliche Regelung solle in der Betriebsvereinbarung zu findensein. Diese sollte umgesetzt werden. Ihre Laufzeit wurde ausdrücklich festgehalten. Nur im übrigen sollte es bei der Geltung der tariflichen Bestimmungen bleiben (Nr. 5). Daßes nicht um eine eigenständige Regelung der Arbeitsbedingungen durch Tarifvertrag ging, macht weiter der ausdrückliche „Beitritt„ der Betriebspartner deutlich. Daß die Parteien der Vereinbarung vom 8. 4. 1997 nur eine Tariföffnung schaffen wollten, wird bestätigt durch die Vereinbarung vom 22. 1. 1998, in der ausdrücklich auf § 77 III BetrVG verwiesen wird. Deutlicher als durch diese „authentische Interpretation„ kann das Ziel der Vereinbarung vom 8. 4. 1997 nichtumschrieben werden.

b) Geht man dementsprechend davon aus, daß die Vereinbarung vom 8. 4. 1997 zwar nicht die Bestimmungen der Betriebsvereinbarung als eigene übernommen hat, entgegen der Ansicht des LAG aber als Tariföffnungsklausel anzusehenist, ändert sich dennoch nichts an dem Ergebnis des LAG. Diese Öffnungsklausel konnte nämlich den gem. § 77 III BetrVG zu beachtenden Vorrang des maßgeblichen MTVnicht beseitigen, weil sie nicht von den dafür allein zuständigen Parteien des MTV abgeschlossen wurde. Auf der Arbeitgeberseite war nicht der tarifschließende Arbeitgeberverband, sondern „nur„ die tarifgebundene Arbeitgeberin beteiligt.

aa) § 77 III BetrVG sichert den Vorrang der aktualisiertenund ausgeübten Tarifautonomie (vgl. nur BAGE 82, 89 = NZA 1996, 948 = AP Nr. 8 zu § 77 BetrVG1972 Tarifvorbehalt [unter I 1]). Im Geltungsbereich tariflicher Bestimmungen sollen betriebliche Regelungen grundsätzlich ausscheiden. Sie sind dann zulässig, wenn die Tarifvertragsparteien ihre Regelungsbefugnis ausdrücklich zurücknehmen ( § 77 III 2 BetrVG). Die Entscheidung darüber, ob sie einesolche Öffnung gegenüber ihren eigenen Regelungen zulassen wollen, kann aber nur von den Parteien des jeweiligen Tarifvertrags selbst getroffen werden. Tarifvertragsparteien können nicht unter Verzicht auf eine eigene inhaltliche Regelung lediglich zulassen, daß die Betriebspartner von Regelungen anderer Tarifvertragsparteien abweichen. Insoweitfehlt ihnen die Regelungskompetenz.

Daran scheitert die Vereinbarung vom 8. 4. 1997. Die regelmäßig wöchentliche Arbeitszeit folgt aus § 3 MTV. Dieser ist abgeschlossen worden zwischen der IG Metall -Bezirksleitungen Dortmund und Wuppertal - einerseits und dem Arbeitgeberverband Metall andererseits. Der Haustarifvertrag vom 8. 4. 1997 ist demgegenüber auf Arbeitgeberseite nicht von dem tarifschließenden Verband, sondern von der Arbeitgeberin selbst abgeschlossen worden. Daß derVerband dem zugestimmt oder die Arbeitgeberin zum Abschluß ermächtigt hätte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus § 6 TV Beschäftigungssicherung 1997 vom 11. 12. 1996. Danach verpflichten sich die Tarifvertragsparteien, sich in besonders gravierenden Fällen, z.B. zur Abwendung einer Insolvenz, darum zu bemühen, für einzelne Unternehmen Sonderregelungen zu finden, um damit einen Beitrag zum Erhalt der Unternehmen und der Arbeitsplätze zu leisten. Tarifvertragsparteien sind aber auch hier die IG Metall und der Arbeitgeberverband. § 6 TV Beschäftigungssicherung eröffnet alsokeine Regelungskompetenz auf Unternehmensebene.

bb) Diese Kompetenzgrenze kann auch nicht mit dem Argument überwunden werden, daß die Parteien der Vereinbarung vom 8. 4. 1997 in der Lage gewesen wären, eine dem Manteltarifvertrag vorgehende eigene inhaltliche Regelung durch Haustarifvertrag zutreffen. Allerdings wäre der Abschluß eines solchen Haustarifvertrags denkbar gewesen. Daß die Bekl. als Mitglied des Arbeitgeberverbands an die von diesem abgeschlossenen Verbandstarifverträge gebunden ist, steht dem nicht grundsätzlich entgegen. Die Frage, welcher der Tarifverträge bei einem Nebeneinander von Verbands-und Haustarifvertrag zur Anwendung kommt, richtet sich nach den Grundsätzen der Tarifkonkurrenz, wobei der Haustarifvertrag als der sachnähere regelmäßig den Vorrang hat (BAG, NZA 1991, 736= AP Nr. 20 zu § 4 TVG Tarifkonkurrenz [unter B II 3]; vgl. auch Däubler, TarifvertragsR, 3. Aufl., Rdnr. 1490; Löwisch/Rieble, TVG, § 4 Rdnr. 306). Eine solche Konkurrenz setzt aber voraus,daß der Haustarifvertrag eine eigene inhaltliche Regelung enthält. Das ist hier nicht der Fall (oben 2a bb).

3. Das LAG hat weiter angenommen, daß auch aus der Tarifvereinbarung vom 22. 1. 1998 für den hier streitigenZeitraum (Januar bis Oktober 1997) keine wirksame Abänderung der tariflichen Regelarbeitszeit abgeleitet werden könne. Dies scheide schon deshalb aus, weil die Regelung nicht zu Lasten der betroffenen Arbeitnehmer rückwirkendürfe. Dem ist weder im Ergebnis noch in der Begründung zu folgen.

a) Die „Tarifvereinbarung„ vom 22. 1. 1998 wurde von den zuständigen Tarifvertragsparteien geschlossen, nämlichvom Arbeitgeberverband und der IG Metall (Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen) als den Parteien des Manteltarifvertrags. Mit ihr sollte eine Öffnungsklausel für die abweichende Regelung der Arbeitszeit in der Betriebsvereinbarung vom 27. 9. 1996 geschaffen werden. Diese Auslegung istzweifelsfrei. Die Tarifvereinbarung bestätigt nämlich die Vereinbarung vom 8. 4. 1997 und hält ausdrücklich fest, daß die dort vereinbarte Regelung die Zustimmung der Tarifvertragsparteien habe. Der in Klammern enthaltene Hinweis auf § 77 III BetrVG unterstreicht nachdrücklich, daß esden Tarifvertragsparteien nicht um eigene inhaltliche Regelung ging, sondern um eine Öffnungsklausel i.S. dieser Vorschrift.

b) Die Rückwirkung der Öffnungsklausel scheitert entgegen der Auffassung der Kl. auch nicht bereits daran, daß eine nachträgliche Genehmigung der Betriebsvereinbarung wegen deren „Nichtigkeit„ gar nicht in Betracht käme undnur ein Neuabschluß den Mangel heilen konnte.

Eine gegen § 77 III BetrVG verstoßende Betriebsvereinbarung ist unwirksam (ständige Senatsrechtsprechung, siehe nur BAGE 82, 89 = NZA 1996, 948 = AP Nr. 8 zu § 77 BetrVG1972 Tarifvorbehalt; BAGE 85, 208 = NZA 1997,951 = AP Nr. 10 zu § 77 BetrVG1972 Tarifvorbehalt; Kreutz, in: GK-BetrVG, 6. Aufl., § 77 Rdnr. 104 m. ausf. Nachw.). Die Vorschrift ist als kompetenzbegrenzendeNorm ausgestaltet, sie beschränkt die rechtliche Gestaltungsmacht der Betriebspartner. Kompetenznormen sind aber nicht ohne weiteres einer Verbotsnorm i.S. des § 134 BGB gleichzusetzen (Kreutz, § 77 Rdnr. 104; Birk, ZfA1986, 73 [102]; Fischer, Die tarifwidrigen Betriebsvereinbarungen, S. 212; vgl. allgemein nur Palandt/Heinrichs, BGB, 58. Aufl., § 134 Rdnr. 1). Gegen die Annahme einer Verbotsnorm mit Nichtigkeitsfolge spricht auch der Gesetzeswortlaut, wonach tariflich geregelte Arbeitsbedingungen nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein „können„. Bei Formulierungen dieser Art handelt es sich in derRegel nicht um ein gesetzliches Verbot, sondern nur um eine zur endgültigen oder schwebenden Unwirksamkeit führende Einschränkung der Gestaltungsmacht (s. nur Palandt/Heinrichs, § 134 Rdnr. 7).

Selbst wenn man im übrigen von einem Verbotsgesetz i.S. des § 134 BGB ausginge, träte Nichtigkeit nur ein, wenn sich aus dem Gesetz nichts anderes ergibt (s. dazu Palandt/Heinrichs, § 134 Rdnr. 7). Davon ist hier aber auszugehen.Der mit § 77 III BetrVG verfolgte Zweck, den Tarifvertragsparteien zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie den Regelungsvorrang einzuräumen, verlangt keine generelle Nichtigkeit entgegenstehender Betriebsvereinbarungen. Die ausdrückliche Zulassung von Tariföffnungsklauseln in § 77 III 2 BetrVG macht deutlich, daß es den Tarifvertragsparteien gerade vorbehalten bleibt, ob sieabweichende Betriebsvereinbarungen zulassen wollen oder nicht. Sie sollen selbst darüber entscheiden, inwieweit sie den Betriebspartnern die diesen gem. § 77 III 1 BetrVGgrundsätzlich entzogene Gestaltungsmacht zurückgeben. Dieser Schutzzweck ist auch dann gewahrt, wenn sie nachträglich über die Billigung einer tarifvorbehaltswidrigen Betriebsvereinbarung durch entsprechende Öffnungsklausel entscheiden. Insofern liegt ein Vergleich mit genehmigungsbedürftigen Rechtsgeschäften nahe, für die gleichfallsangenommen wird, daß sie in der Regel schwebend unwirksam sind, wenn sie ohne die erforderliche Genehmigung vorgenommen werden (vgl. etwa Soergel/Hefermehl, BGB, 12. Aufl., § 134 Rdnr. 44).

c) Die rückwirkende Genehmigung einer Betriebsvereinbarung durch eine Tariföffnungsklausel ist allerdings nicht unbegrenzt möglich. Eine Grenze findet sie in den Grundsätzen des Vertrauensschutzes. Diese Grenze ist im vorliegenden Fall zum Teil überschritten.

aa) Das LAG ist im Ansatz zutreffend davon ausgegangen,daß hier die für die Rückwirkung von Tarifverträgen entwickelten Grundsätze maßgeblich sind. Die nachträgliche Genehmigung der betrieblichen Regelung führt dazu, daß Vergütungsansprüche, die sich aus der bis dahin geltenden tariflichen Wochenarbeitszeit von 35 Stunden ergeben hatten, rückwirkend entfielen. Dies ist ein Fall sogenannter echter Rückwirkung (zum Begriff vgl. nur Löwisch/Rieble,TVG, § 1 Rdnr. 205).

Das LAG verneint die Zulässigkeit einer Rückwirkung allerdings zu Unrecht schon deshalb, weil eine (in der Heraufsetzung der Arbeitszeit ohne Lohnausgleich) liegende rückwirkende Lohnsenkung grundsätzlich unzulässig sei. Dies trifft nicht zu. Tarifliche Regelungen enthalten auch während ihrer Laufzeit den immanenten Vorbehalt ihrer rückwirkenden Abänderbarkeit durch Tarifvertrag in sich. Dies gilt auch für bereits entstandene und fällig gewordene, abernoch nicht abgewickelte Ansprüche, die aus einer Tarifnorm folgen; diese genießen keinen Sonderschutz gegen rückwirkende Änderungen (BAGE 78, 309 = NZA 1995, 844 = AP Nr. 12 zu § 1 TVG Rückwirkung unter Aufgabe der bis dahin vertretenen entgegenstehenden Auffassung und unterumfassender Darlegung des Meinungsstands; s. auch Bott, in: Festschr. f. Schaub, S. 47ff.). Eine Rückwirkung der tariflichen Öffnungsklausel vom 22. 1. 1998 scheidet danach nicht schon deshalb aus, weil sie im Zusammenhang mit derbetrieblichen Regelung, die sie genehmigt, den Verlust entstandener (aber noch nicht erfüllter) tariflicher Lohnansprüche zur Folge hätte.

bb) Der Rückwirkung von Tarifverträgen sind aber die gleichen Grenzen gesetzt wie der Rückwirkung von Gesetzen (BAG 78, 309 = NZA 1995, 844 [unter II 2c dd]; entsprechend für die Rückwirkung von Betriebsvereinbarungen BAGE 81, 38 = NZA 1996, 386 = AP Nr. 61 zu § 77 BetrVG1972 [unter II 1b]; s. im einzelnen auch ErfK/Schaub, § 4 TVG Rdnr. 26; Kempen/Zachert, TVG, 3. Aufl., § 4 Rdnr. 35; Löwisch/Rieble, TVG, § 1 Rdnr. 204; Bott, in: Festschr. f. Schaub, S. 47 alle m.w. Nachw.). Eine echte Rückwirkung kommt danach nur in Betracht, wenn der Normadressat im Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens der Norm keinen hinreichendenVertrauensschutz auf den Fortbestand der bisherigen Rechtslage mehr genießt. Dies ist etwa dann anzunehmen, wenn er mit einer abweichenden Neuregelung rechnenmußte, ferner wenn die geltende Regelung unklar oder verworren war, schließlich wenn er sich (z.B. wegen widersprüchlicher Rechtsprechung) nicht auf eine bestimmte Auslegung der Norm verlassen durfte (BAGE 78, 309 =NZA 1995, 844 m.w. Nachw.). In diesem Sinne entfällt der Vertrauensschutz in den Fortbestand einer tariflichen Regelung etwa dann, wenn die Tarifvertragsparteien eine„gemeinsame Erklärung„ über den Inhalt der Tarifänderung und den beabsichtigten Zeitpunkt ihres Inkrafttretens vort Abschluß des Tarifvertrags abgeben und diese den betroffenen Kreisen bekanntgemacht wird (BAGE 78, 309 = NZA 1995, 844).

cc) Für eine entsprechende Einschränkung des Vertrauensschutzes der Kl. ist allerdings für die Zeit vor dem 8. 4.1997 nichts ersichtlich. Soweit der 1. 1. 1997 als frühester Zeitpunkt des Inkrafttretens in Frage steht, fehlte es zu diesem Zeitpunkt an erkennbaren Erklärungen der für die Tariföffnung zuständigen Tarifvertragsparteien. Es lag nur eine gegen die Regelung des Manteltarifvertrags verstoßendeBetriebsvereinbarung vor. Daß die Tarifvertragsparteien dieser nachträglich und zudem rückwirkend zustimmen würden, war nicht abzusehen. Auch die Vereinbarung vom8. 4. 1997, die sich selbst keine Rückwirkung auf den 1. 1. 1997 beigemessen hat, konnte den Vertrauensschutz noch nicht erschüttern.

Das Vertrauen auf die unveränderte Fortgeltung der tariflichen Regelung ist aber entscheidend beeinträchtigtworden durch die an die Gewerkschaftsmitglieder gerichtete Mitteilung der IG Metall, Verwaltungsstelle Krefeld. In deren Schreiben vom 17. 4. 1997 wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, daß nunmehr Rechtsansprüche fürKlagen nach dem Individualrecht entfielen. Außerdem wurde auf § 6 TV Beschäftigungssicherung Bezug genommen. Seit Kenntnis dieses Schreibens mußte die Kl. davon ausgehen, daß die Tarifvertragsparteien der Betriebsvereinbarung zustimmen. Sie mußte auch mit einer rückwirkenden Regelung rechnen für den Fall, daß die Regelungvom 8. 4. 1997 Mängel enthalten sollte. Daß an dieser Regelung nicht der an sich zuständige Arbeitgeberverband mitgewirkt hatte, war im Hinblick auf den Vertrauensschutz der Kl. schon deshalb unerheblich, weil jedenfalls auf der ihre Interessen vertretenden Gewerkschaftsseite diezuständige Stelle gehandelt hatte. Für den Wegfall des Vertrauensschutzes spricht auch der in der Mitteilung der IG Metall enthaltene Hinweis auf § 6 TV Beschäftigungssicherung. Dies unterstrich erkennbar, daß es sich nicht um eine atypsische Vereinbarung handelte, sondern daß voneinem tarifvertraglich vorgesehenen Regelungsinstrument Gebrauch gemacht werden sollte.

Bei dieser Sachlage bedarf es keiner Entscheidung, ob eine rückwirkende Änderung der tariflichen Arbeitszeitregelung letztlich auch durch den nach Erlaß des zweitinstanzlichen Urteils am 15. 6. 1998 geschlossenen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag bewirkt werden konnte, der die Regelungen der Betriebsvereinbarungnunmehr inhaltlich übernommen hat. Auch die Rückwirkung dieses Tarifvertrags hätte die Grundsätze des Vertrauensschutzes zu beachten. Insoweit gelten die gleichen Überlegungen wie für die Rückwirkung der Tarifvereinbarung vom 22. 1. 1998. Der Tarifvertrag vom 15. 6. 1998 könnte also nicht weiter zurückwirken als die Vereinbarung vom 22. 1. 1998.

III. Die angefochtene Entscheidung kann daher keinenBestand haben, soweit das LAG eine Rückwirkung der Tarifvereinbarung vom 22. 1. 1998 insgesamt ausgeschlossen hat. Der geltend gemachte tarifliche Anspruch ist nur bis zu dem Zeitpunkt begründet, in dem das schutzwürdige Vertrauen der Kl. am Fortbestand der bisherigen Regelung entfallen war; insoweit ist das LAG auch zutreffend von derWahrung der tariflichen Ausschlußfrist ausgegangen. Der maßgebende Zeitpunkt steht allerdings noch nicht fest. Das LAG hat - aus seiner Sicht konsequent - keine Feststellungen darüber getroffen, wann und in welcher Form die Mitteilung der IG Metall vom 17. 4. 1997 bekanntgemachtwurde. Die Sache ist daher an das LAG zur entsprechenden Sachaufklärung zurückzuverweisen. Das Urteil war insgesamt aufzuheben, soweit die Bekl. zur Leistung verurteilt wurde, da dem Senat aufgrund der bisherigen Feststellungendie genaue Berechnung eines Teilbetrags, der der Kl. in jedem Fall zusteht, nicht möglich ist.

Den Parteien ist Gelegenheit zu geben, zu den angesprochenen Fragen Stellung zu nehmen. Das LAG wird dabei auch zu berücksichtigen haben, daß es letztlich nicht darauf ankommt, wann und ob die Kl. selbst positive Kenntnis vomInhalt des Schreibens der IG Metall erlangt hat. Es geht um einen kollektivrechtlichen Tatbestand. Ausreichend und entscheidend ist daher die Kenntnis der betroffenen Kreise,hier also der gewerkschaftsangehörigen Belegschaft insgesamt (vgl. BAGE 78, 309 = NZA 1995, 844 = AP Nr. 12 zu § 1 TVG Rückwirkung [unter II 2c dd]). Von Bedeutung kann insoweit auch der im Schreiben vom 17. 4. 1997 enthaltene Hinweis auf eine demnächst stattfindende Betriebsversammlung sein, auf der weitere Informationen erteiltwerden sollten.

Vorinstanzen

LAG Düsseldorf, 3 [4] Sa 2170/97, 9.6.1998

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

BetrVG § 77 III; BGB § 134; TVG §§ 1, 2