Kündigung während des Erziehungsurlaubs
Gericht
BAG
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
11. 03. 1999
Aktenzeichen
2 AZR 19/98
Die Kündigung ist auch dann - mangels Genehmigung der für den Arbeitsschutz zuständigen Behörde - gemäß § 18 BErzGG, § 134 BGB nichtig, wenn die oder der Erziehungsurlaubsberechtigte in einem zweiten Arbeitsverhältnis den Rest des beim früheren Arbeitgeber nochnicht vollständig genommenen Erziehungsurlaubs gemäß §§ 15 , 16 BErzGG geltend gemacht hat.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kl. war bei der Bekl., die eine Fachklinik für innere Medizin und Neurologie betreibt, seit 1. 1. 1996 als Logopädin zu einem Brutto-Monatsverdienst von1759,28 DM angestellt, und zwar in einem Teilzeitarbeitsverhältnis. Die Kl. ist Mutter eines Kindes, das am 20. 12. 1994 geboren wurde. Zu diesem Zeitpunkt war die Kl. bei ihrer früheren Arbeitgeberin, der Geriatrischen Rehabilitationsklinik in S. beschäftigt. Dort hatte die Kl. Erziehungsurlaub in Anspruch genommen. Das Arbeitsverhältnis mit der früheren Arbeitgeberin endete zum 31. 12. 1995. Gegenüber der Bekl. erklärte die Kl. vor derEinstellung, daß sie ihren Erziehungsurlaub abgebrochen und ihre Stelle bei der bisherigen Arbeitgeberin gekündigt habe. Gegenüber der Bekl. beantragte die Kl. am 25. 3. und nochmals am 1. 4. 1996 Erziehungsurlaub ab dem 1. 5. 1996. Die Bekl. lehnteden beantragten Erziehungsurlaub ab und sprach stattdessen mit Datum vom 15. 5. 1996 gegenüber der Kl. „innerhalb der Probezeit form- und fristgerecht„ die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. 5. 1996 aus. Die Kl. hat geltend gemacht, die Kündigung sei wegen Verstoßes gegen § 18 BErzGG unwirksam, da sie am 1. 5. 1996 ihren Erziehungsurlaub angetreten habe. Nach§ 15 BErzGG bestehe ein Anspruch auf Erziehungsurlaub ohne Einschränkung bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes. Auf den Erziehungsurlaub habe sie auch nicht aufgrundder Kündigung im ersten Arbeitsverhältnis verzichtet. Die Kl. hat beantragt festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Bekl. vom 15. 5. 1996 nichtzum 31. 5. 1996 beendet worden ist. Die Bekl. hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, die Kündigung sei innerhalb der Probezeit rechtmäßig erfolgt, weil die Kl. seit der Arbeitsaufnahme bis zum 8. 5. 1996 insgesamt an 31 Tagen der Arbeit ferngeblieben sei, und zwar an 19 Arbeitstagen wegen Erkrankung des Kindes, an 5 Tagen wegen persönlicher Erkrankung und an weiteren 5 Tagen wegen unentschuldigten Fehlens. Einen Anspruchauf Erziehungsurlaub habe die Kl. nur gegenüber der früheren Arbeitgeberin gehabt; ein solcher Anspruch lebe nicht beim neuen Arbeitgeber wieder auf. Auch wenn der Erziehungsurlaub in mehreren Abschnitten genommen werden könne, so gelte diesnur in demselben Arbeitsverhältnis.
Das ArbG hat nach dem Klageantrag erkannt. Die Berufung der Bekl. ist erfolglos geblieben. Mit der vom LAG zugelassenen Revision erstrebt die Bekl. erfolglos die Klageabweisung.
Auszüge aus den Gründen:
Die Revision der Bekl. ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, daß die Kündigung gem. § 18 BErzGG, § 134 BGB unwirksam ist.
I. Das LAG hat seine Entscheidung im wesentlichen unterBezugnahme auf die erstinstanzlichen Entscheidungsgründe wie folgt begründet: Die Kündigung sei gem. § 18 I 1 BErzGG nichtig, weil der Kl. ein Anspruch auf Erziehungsurlaub gem. § 15 I BErzGG zugestanden habe, den sie auchrechtzeitig geltend gemacht habe; § 15 BErzGG sage nichts darüber aus, ob der Erziehungsurlaub nur in dem Arbeitsverhältnis genommen werden dürfe, welches zur Zeit der Geburt des Kindes bestehe.
II. Dem folgt der Senat. Die Rüge der Revision, die Vorinstanzen hätten den Umfang des Anspruchs auf Erziehungsurlaub und damit § 18 BErzGG verkannt, greift nichtdurch. Dem Gesetz ist in der Tat nicht zu entnehmen, daß der Erziehungsurlaub nur in dem zur Zeit der Geburt des Kindes bestehenden Arbeitsverhältnis und nicht auch in einem später neu begründeten Arbeitsverhältnis genommenwerden kann.
1. Die Unwirksamkeit der Kündigung folgt, wie die Vorinstanzen zutreffend entschieden haben, aus § 18 I 1 BErzGG. Nach dieser Vorschrift darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ab dem Zeitpunkt, von dem an Erziehungsurlaub verlangt worden ist, höchstens jedoch sechsWochen vor Beginn des Erziehungsurlaubs, und während des Erziehungsurlaubs nicht kündigen. Wenn in § 18 I 1 BErzGG ausgeführt ist, daß der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht kündigen darf, so liegt darin ein gesetzlichesVerbot, das sich gegen die Kündigungserklärung selbst richtet; eine Kündigung, die trotzdem erfolgt, ist nach § 134 BGB nichtig (vgl. Senat, NZA 1993, 646 = AP Nr. 20 zu § 9 MuSchG1968 [zu II 3a] und BAGE 76, 35 [40f.] = NZA1994, 656 = NJW 1994, 2783 = AP Nr. 116 zu § 626 BGB [zu II 3a]). Nach den für den Senat nach § 561 ZPO verbindlichen Feststellungen des LAG hat die Bekl. die Kündigung des Arbeitsverhältnises während des Erziehungsurlaubs, nämlich mit Schreiben vom 15. 5. 1996 ausgesprochen; die Kl. hatte nach diesen Feststellungen am 29. 3. und 1. 4. 1996 Erziehungsurlaub für die Zeit ab 1. 5. 1996 beantragt.
2. Die Kl. war auch erziehungsurlaubsberechtigt i.S. des§ 15 BErzGG. Nach dieser Vorschrift haben Arbeitnehmer Anspruch auf Erziehungsurlaub bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres eines Kindes, das nach dem 31. 12. 1991 geboren ist und für welches - wie hier unstreitig - die Voraussetzungen der Ziff. 1 und 2 dieser Vorschrift vorliegen. Zwar hatte die Kl. bei ihrer früheren Arbeitgeberin bereits einen Teil des Erziehungsurlaubs in Anspruch genommen,nämlich nach der bis 14. 2. 1995 währenden Mutterschutzzeit für die Zeit vom 15. 2. 1995 bis 31. 12. 1995. Der Bekl. ist auch zuzugeben, daß dieser Erziehungsurlaub mit der Aufkündigung des früheren Arbeitsverhältnisses zum31. 12. 1995 sein Ende gefunden hat (so ErfK/Dörner, § 16 BErzGG Rdnr. 21; Gröninger/Thomas, BErzGG, Stand: April 1998, § 16 Rdnr. 19; Kasseler Handbuch/Klempt, 3.4Rdnr. 267; Leinemann/Linck, UrlaubsR, § 15 BErzGG Rdnr. 5 und § 16 BErzGG Rdnr. 2; Schaub, Arbeitsrechts-Hdb., 8. Aufl., § 102 B II 1; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, MuSchG - Mutterschaftsleistungen - BErzGG, 7. Aufl.,§ 16 BErzGG Rdnr. 15).
a) Damit ist indessen nichts dazu gesagt, daß die Kl. - solange der auf drei Jahre befristete Erziehungsurlaubsanspruch (§ 15 I BErzGG) noch nicht vollständig abgegolten war - keinen weiteren (Teil-)Anspruch gegen die Bekl. geltend machen konnte. Schon aus den gesetzlichen Regelungen in § 16 I 1 und 2 BErzGG ergibt sich, daß der Erziehungsurlaub in Teilabschnitten genommen werden kann. Das BerGer. hat außerdem zutreffend darauf hingewiesen,§ 15 BErzGG besage nichts darüber, ob der Erziehungsurlaub nur in dem Arbeitsverhältnis genommen werden dürfe, welches zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes bestehe. Gegen diese Annahme spricht schon, daß nicht nur Mütter, sondern auch erziehende Väter erziehungsurlaubsberechtigtsind, so daß im letzteren Fall, wenn z.B. die Berechtigten nach einer erstmaligen Inanspruchnahme durch die Mutter etwa nach sechs Monaten wechseln, nicht darauf abgestelltwerden kann, ob das nunmehr „betroffene„ Arbeitsverhältnis des Vaters auch schon zur Zeit der Geburt seines Kindes zu demselben Arbeitgeber bestand. Schließlich hat bereits das erstinstanzliche Gericht zutreffend darauf hingewiesen,daß nach § 16 I 2 BErzGG die Inanspruchnahme von Erziehungsurlaub - abgesehen vom Wechsel der Berechtigten - insgesamt dreimal zulässig ist, wobei allerdings der Gesetzgeber davon ausgegangen ist (vgl. BT-Dr 12/1125 zu Nr. 12, S. 8), daß der Erziehungsurlaub von dem Berechtigten inAbschnitten genommen werden kann und in diesem Fall mit der Erklärung über den Erziehungsurlaub dem Arbeitgeber mitgeteilt werden muß, für welche Zeit oder für welcheZeiten er genommen werden soll (vgl. Kasseler Handbuch/Klempt, 3.4 Rdnrn. 247, 252; Leinemann/Linck, UrlaubsR, § 15 BErzGG Rdnr. 26). Die insoweit nach § 16 I 1 BErzGG im vorhinein erforderliche Erklärung des Arbeitnehmers mag zwar zwangsläufig nur gegenüber demselbenArbeitgeber abgegeben werden können; das besagt aber nichts darüber, daß im Falle einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses - wie vorliegend - ein noch nicht abgegoltener Teil des Erziehungsurlaubs nicht auch nach Neubegründungdes Arbeitsverhältnisses etwa bei demselben Arbeitgeber diesem gegenüber ebenso wie gegenüber einem anderen Arbeitgeber beantragt werden kann.
Das ergibt sich aus Sinn und Zweck des Bundeserziehungsgeldgesetzes, insbesondere aus dem Zweck des Kündigungsverbotes nach § 18 BErzGG. Das Ziel des Gesetzes istnämlich, die ständige Betreuung des Kindes in der ersten Lebensphase durch einen Elternteil in der Familie und außerhäuslicher Erwerbstätigkeit zu schaffen; dieses Ziel zu erreichen, ist Zweck des Kündigungsverbotes dadurch, daß dem Arbeitnehmer der Arbeitsplatz ab dem Verlangen des Erziehungsurlaubs, höchstens jedoch sechs Wochen vorher, und während des Erziehungsurlaubs erhalten und ihm so die Befürchtung vor einer Kündigung genommen wird (vgl. dieBegründung zum jeweiligen Entwurf eines ersten und zweiten Änderungsgesetzes zum Bundeserziehungsgeldgesetz BT-Dr. 11/4687, S. 6 und BT-Dr 12/1125, S. 7). Der Arbeitnehmer soll durch den starken Kündigungsschutz motiviert werden, den Erziehungsurlaub tatsächlich in Anspruch zu nehmen (Zmarzlik/Zipperer/Viethen, § 18 Rdnr. 1). Diesem Zweck würde es widersprechen, den Kündigungsschutz der Kl. i.S. der Revision zeitlich einzugrenzen.
b) Eine Einschränkung dahin, daß Erziehungsurlaub nurgegenüber ein- und demselben Arbeitgeber verlangt werden kann, enthalten §§ 15 , 16 BErzGG nicht. § 15 BErzGG regelt insofern neben den Voraussetzungen jedenfalls auch die Einschränkung des Erziehungsurlaubsanspruchs - siehe insbesondere Absatz 2 - abschließend. Etwas anderes ergibtsich auch nicht aus § 16 BErzGG. Im Gegenteil: § 16 I BErzGG geht jedenfalls für den Fall eines Erziehungsurlaubswechsels unter den Berechtigten davon aus, daß hiervon mehrere Arbeitgeber „betroffen„ sein können. Wenn die Revision demgegenüber reklamiert, es sei Wille des Gesetzgebers gewesen, für die bei der Geburt des Kindes bestehenden Arbeitsverhältnisse einen derartigen Schutz zu begründen, und insoweit auf § 6 MuSchG verweist, führt diesin der Sache nicht weiter, weil es hier um die Interpretation der Vorschriften über den Erziehungsurlaub nach §§ 15 , 16 BErzGG geht. Der Senat teilt nicht die Auffassung der Revision, es müsse umgekehrt im Gesetzeswortlaut zum Ausdruck kommen, daß der Anspruch auf Erziehungsurlaubauch bei einem Arbeitsplatzwechsel bestehe. Die Revision beharrt insofern auf ihrer Prämisse, das Gesetz stelle auf das bei der Geburt des Kindes bestehende Arbeitsverhältnis ab.Davon ist jedoch in § 15 BErzGG nicht die Rede, insbesondere wird in Absatz 1, der den zeitlichen Umfang des Erziehungsurlaubsanspruchs definiert, nicht auf ein zu einem bestimmten Arbeitgeber bestehendes Arbeitsverhältnis abgestellt. Das Wort „Arbeitgeber„ taucht in dieser Bestimmung erstmals in Absatz 4 auf, der u.a. regelt, Teilerwerbstätigkeit sei auch bei einem anderen Arbeitgeber möglich, bedürfeaber der Zustimmung des (bisherigen) Arbeitgebers. Wenn der Gesetzgeber in dieser Regelungen von verschiedenen Arbeitgebern spricht, läßt das keine Rückschlüsse darauf zu,er habe in der Ausgangsnorm des § 15 I BErzGG nur das Arbeitsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber gemeint. Sieht man den Sinn des Gesetzes darin (siehe oben), mehr Wahlfreiheit für die Entscheidung zwischen Tätigkeit in derFamilie und außerhäuslicher Erwerbstätigkeit zu schaffen, so hätte der Gesetzgeber deutlich machen müssen, wenn er diesen Zweck nur auf das erstmals zur Zeit der Geburt desKindes bestehenden Arbeitsverhältnis hätte beschränken wollen.
c) Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht aus § 19 BErzGG, wonach der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältniszum Ende des Erziehungsurlaubs nur unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten kündigen kann. Dabei handelt es sich nicht um ein exklusives Kündigungsrecht indem Sinne, daß eine Kündigung etwa allein zum Ende des dreijährigen Erziehungsurlaubs ausgesprochen werden könnte; vielmehr besteht das Sonderkündigungsrecht nachdieser Vorschrift (vgl. dazu BAG, NZA 1992, 793 = AP Nr. 1 zu § 19 BErzGG) neben dem allgemeinen Kündigungsrecht während des Erziehungsurlaubs, wie es hier von der Kl. im vorhergehenden Arbeitsverhältnis ausgeübt worden ist. Sinn des § 19 BErzGG ist es nur, dem Arbeitnehmerzum Ende des Erziehungsurlaubs ein Sonderkündigungsrecht unter Abkürzung einer eventuell sonst einzuhaltenden längeren Kündigungsfrist und gleichzeitig dem Arbeitgeber eine vorausschauende Personalplanung zu ermöglichen (vgl.u.a. ErfK/Dörner, § 19 BErzGG Rdnr. 1; Glatzel, AR-Blattei, SD 680 Rdnr. 130; Küttner/Reinecke, Personalbuch 1998, Erziehungsurlaub Rdnr. 42; Gröninger/Thomas, § 19 Rdnrn. 4, 5; Pfeiffer, in: KR, 5. Aufl., § 19 BErzGG Rdnrn. 2, 3; Meisel/Sowka, MuSchG, 4. Aufl., § 19 BErzGG Rdnrn. 1, 3; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, § 19Rdnrn. 2, 3). Ersichtlich haben die Parteien die Kündigung der Kl. gegenüber ihrer früheren Arbeitgeberin, der Geriatrischen Rehabilitationsklinik in S., auch nicht im abschließenden Sinne einer Erledigung des Erziehungsurlaubs verstanden. Denn nach den Feststellungen des LAG hat die Kl. der Bekl. vor der Einstellung erklärt, sie habe den Erziehungsurlaub abgebrochen, d.h. es ist deutlich geworden,daß die Parteien nicht davon ausgegangen sind, der Erziehungsurlaub sei vollständig abgegolten.
d) Die Kl. hat ihren (weiteren) Erziehungsurlaubsanspruch gegenüber der Bekl. auch rechtzeitig geltend gemacht, § 16 I 2 BErzGG. Auf das Einverständnis der Bekl. kam es nicht an (vgl. u.a. BAGE 59, 62 [65] = NZA 1989, 13 = AP Nr. 1 zu § 15 BErzGG [zu I 2b] m. zust. Anm.Sowka).
3. Der Verstoß gegen das gesetzliche Verbot des § 134 BGB führt zur völligen Nichtigkeit der von der Bekl. erklärten Willenserklärung, d.h. es besteht auch keine Möglichkeit der Umdeutung in eine Beendigung zum Ende der durch den Erziehungsurlaub verlängerten Probezeit, nämlich dem 19. 12. 1997, wie dies die Bekl. in der Berufungsinstanz geltend gemacht hatte. Die Revision ist hierauf auchnicht mehr zurückgenommen, so daß sich hierzu weitere Ausführungen erübrigen.
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