Gestalt-Kommunikations-Workshop auf Kreta

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

24. 10. 1995


Aktenzeichen

9 AZR 547/94


Leitsatz des Gerichts

  1. Der Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 1 NWAWbG ist für die Dauer des Kalenderjahres befristet. Er erlischt mit dessen Ende.

  2. Hat der Arbeitnehmer Freistellung verlangt, so entsteht mit dem Erlöschen des Erfüllungsanspruchs ein Schadensersatzanspruch auf Freistellung.

  3. Dieser Anspruch kann tariflichen Ausschlußfristen unterliegen. Eine tarifliche Ausschlußfrist ist regelmäßig mit der Geltendmachung des Freistellungsanspruchs auch für den Schadensersatzanspruch gewahrt.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Parteien streiten über Ansprüche des Kl. auf Arbeitnehmerweiterbildung. Der Kl. ist seit 1977 als Kfz-Meister bei dem bekl. Unternehmen der Automobilindustrie in deren Werk B beschäftigt. Zu seinen Aufgaben gehört die Betreuung von etwa 50 Mitarbeitern. Mit Schreiben vom 11. 9. 1992 teilte der Kl. der Bekl. seine Absicht mit, an der von der Bildungswerkstatt Köln geplanten Veranstaltung "Gestalt-Kommunikations-Workshop" vom 16. bis 24. 10. 1992 auf Kreta teilzunehmen. Die Bekl. lehnte die Freistellung ab. Sie gewährte dem Kl. jedoch auf seinen daraufhin eingereichten Antrag unbezahlten Sonderurlaub vom 19. Oktober bis 23. 10. 1992. In der Rubrik "Begründung" enthält das Antragsformular die maschinenschriftlich eingefügte Bemerkung "Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme". Daneben sind im Formular Hinweise für Ast. abgedruckt. Sie lauten: "Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß für die Dauer des unbezahlten Sonderurlaubs sowohl die Arbeitspflicht des Werksangehörigen als auch die Lohnfortzahlungspflicht der A - AG ruhen und der Sonderurlaub weder durch Krankheit noch durch andere Umstände unterbrochen oder einseitig aufgehoben wird." Die Bildungswerkstatt Köln ist eine vom Kultusminister des Landes Nordrhein-Westfalen nach § 23 I NWAWbG anerkannte Einrichtung der Weiterbildung. In einem umfangreichen Programmheft 3/1992 beschreibt sie den Inhalt des Workshops folgendermaßen: "Sich von alten Abhängigkeiten und unnötiger Selbsteinschränkung zu befreien, selbständiger und selbstunterstützender in der Auseinandersetzung mit der Welt zu werden, sich selbst mehr wertzuschätzen und dem näher zu kommen, wer man/frau eigentlich ist, kleine Schritte der Veränderung in Beruf und Alltag zu wagen, ... dabei will ich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer meines Gestalt-Kommunikations-Workshops auf Kreta unterstützen und begleiten. Eine kleine Teilnehmer/-innen-Gruppe wird in einem Haus zusammenleben und "-arbeiten", am Rande eines schönen Ortes nicht weit vom Mittelmeer. Der Workshopteil umfaßt fünf Tage (jeweils mit einer langen Mittagspause). An den restlichen Tagen ist Zeit zum Ausspannen und/oder für (Berg-)Wanderungen unter der Führung eines deutschen Malers, der dort lebt."

Dazu heißt es dort weiter: "GRUPPE B: 17.-21. 10. 92. Beginn: Samstag, 17.00 Uhr. KursNr. 230842. Umfang der Workshops: 9 halbe Tag (36 UStd.). Ort: Kreta/Südküste. Kursgebühr: 850 (750) incl. Unterkunft. Teilnehmer/innen können 1-2 Tage vorher anreisen und noch 2-3 Tage nach dem Workshop bleiben. Bitte ausführliches Sonderinfo anfordern".

In einem zusätzlichen Informationsblatt der Bildungswerkstatt wird das Seminar folgendermaßen umschrieben:

"Zielstrebiges und zweckmäßiges Handeln im Beruf verlangt bewußte Wahrnehmung der Gegebenheiten und die Umsetzung dieser Bewußtheit in situationsentsprechende Handlungen. Häufig sind kreative Lösungen entstehender Probleme gefordert. Und ebenso häufig verhindern "eingefahrene" Handlungsweisen wirklich kreative Lösungen dieser Probleme. Der gestaltpädagogische Ansatz dieses Seminars ermöglicht es dem einzelnen, alltägliche Situationen und Probleme ebenso wie die gewohnten Lösungsstrategien von einer anderen, einer neuen Seite wahrzunehmen. Im bewußten Neuerleben dieser Alltagssituationen gewinnt er neue kreative Handlungsmöglichkeiten und kann so lernen, alte, "eingefahrene" Handlungsweisen den Erfordernissen der aktuellen Situation entsprechend zu verändern. Der gestaltpädagogische Ansatz des Seminars ist auf die Förderung und Entwicklung des kreativen Gesamtpotentials der Persönlichkeit gerichtet. Ausgangsbasis ist es, eine komplexe Bewußtheit (Awareness) der jeweiligen Situation zu entwickeln. Voraussetzung dafür ist der wache und aufmerksame Gebrauch aller Sinne. Durch unsere Sinne werden wir uns ja dessen bewußt, was mit uns und um uns herum geschieht. Dieses Erkennen liefert uns Energie und Richtung für unser Handeln und Lernen. Fördern der Bewußtheit geschieht im Kontakt mit der Welt, mit den Dingen - deshalb nehmen in diesem Seminar auch sinnhafte Erfahrungen einen zentralen Platz ein, gefördert durch Awarenessübungen und die Arbeit mit kreativen Medien und Ausdrucksmitteln. In diesen Tagen haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Gelegenheit, über Erfahrung im Arbeitsalltag zu sprechen, sie zu reflektieren und mit Hilfe kreativer Ausdrucksmittel neu zu erleben. Gestaltpädagogisch begründete Gruppengespräche unterstützen die bewußte Aneignung der neuen Erfahrungen, ihre Integration in die Gesamtpersönlichkeit und bereiten die Umsetzung in den Arbeitsalltag vor."

Die Veranstaltungszeit wird hier abweichend vom Programmheft mit den Daten 16.-24. 10. 1992 angegeben. Der vom Kl. übergebene Seminarplan hat folgenden Inhalt:

Freitag, 16. 10. 92: Anreise nach Kreta

Samstag, 17. 10. 92:

vormittags: z.T. noch Anreise auf Kreta

nachmittags: Begrüßung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ausführliche Vorstellungsrunde: "Ich und meine Arbeit" (3 UStd.)

Sonntag, 18. 10. 92:

vormittags: Probleme am Arbeitsplatz: Teilnehmer/innen berichten (3 UStd.)

nachmittags: Differenzierung I: Kommunikationsprobleme am Arbeitsplatz (3 UStd.).

Montag, 19. 10. 92:

vormittags: Kommunikationsprobleme am Arbeitsplatz/Teil B (3 UStd.)

nachmittags: Kommunikationsübungen zur Erweiterung der Kommunikativen Kompetenz (3 UStd.).

Dienstag, 20. 10. 92:

vormittags: Differenzierung II: Wahrnehmungsprobleme am Arbeitsplatz (3 UStd.)

nachmittags: Wahrnehmungsprobleme am Arbeitsplatz/Teil B (3 UStd.)

Mittwoch, 21. 10. 92:

vormittags: Wahrnehmungsübungen zur Erweiterung Komplexer Bewußtheit der Situation (Awareness); Teil A: Selbstwahrnehmung (3 UStd.)

nachmittags: Fortsetzung vom Vormittag; Teil B: Fremdwahrnehmung (3 UStd.)

Donnerstag, 22. 10. 92:

vormittags: Transfer: Übertragung des Gelernten aus den Übungsphasen auf die konkrete berufliche Situation der Teilnehmer/innen/Teil A (3 UStd.).

nachmittags: Fortsetzung vom Vormittag (3 UStd.)

Freitag, 23. 10. 92:

vormittags: Abschlußkritik, Reflexion des Gelernten, Offene Fragen etc. (3 UStd.)

nachmittags: z.T. Rückreisebeginn auf Kreta

Samstag, 24. 10. 92: Rückreise"

Der Kl. hat erstinstanzlich beantragt, die Bekl. zu verurteilen, an ihn 1500 DM nebst Zinsen zu zahlen.

Das ArbG hat die Klage abgewiesen, auf Kreta habe nur in der Zeit vom 17.-21. 10. 1992 ein Gestalt-Kommunikations-Workshop stattgefunden, bei dem über den Freizeitwert hinaus allenfalls Persönlichkeitsbildung, nicht aber berufliche Weiterbildung stattgefunden habe. In der Berufungsinstanz hat der Kl. zusätzlich hilfsweise beantragt, die Bekl. zu verurteilen, ihm 5 Tage Arbeitnehmerweiterbildungs-Freistellung aus dem Jahre 1992 zu gewähren. Das LAG hat die Berufung insgesamt zurückgewiesen. Der Kl. habe keinen Zahlungsanspruch nach Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz oder Vereinbarung. Ein möglicher Schadenersatzanspruch sei wegen Versäumung der tariflichen Ausschlußfrist verfallen. Hiergegen wendet sich die Revision des Kl., der weiterhin seine zweitinstanzlichen Anträge stellt. Nach Maßgabe des Hilfsantrags führte die Revision zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das LAG hat den Zahlungsanspruch des Kl. zu Recht zurückgewiesen.

1. Der Kl. hat keinen Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nach §§ 1 , 7 NWAWbG. Er ist von der Bekl. nicht nach diesen Vorschriften von der Arbeit freigestellt worden. Das ist aber Voraussetzung für diesen Anspruch (st. Rspr. des Senats seit BAGE 73, 135 = NZA 1993, 1087 = AP Nr. 2 zu § 1 BildungsurlaubsGNRW; vgl. weiter Senat, NZA 1994, 454 = AP Nr. 7 zu § 1 BildungsurlaubsGNRW).

2. Das LAG hat eine besondere Vereinbarung der Parteien über eine nachträgliche Zahlungspflicht der Bekl. nach gerichtlicher Klärung des Streits der Parteien zum Inhalt der Veranstaltung zu Recht verneint (dazu vgl. BAGE 72, 200 = NZA 1993, 1032 = NJW 1994, 278 L = AP Nr. 1 zu § 9 BildungsurlaubsGHessen; Senat, Urt. v. 24. 8. 1993 - 9 AZR 252/89 unveröff. und Senat, NZA 1994, 456 = AP Nr. 9 zu § 1 BildungsurlaubsGNRW). Die hiergegen gerichteten Angriffe der Revision sind unbegründet.

a) Die Gewährung des unbezahlten Sonderurlaubs auf einem Formular der Bekl. erweist sich wegen der besonderen Begründung und wegen der für die Auslegung maßgeblicher Umstände des Einzelfalls als atypische Vereinbarung. Der Senat kann das Auslegungsergebnis des LAG daher nur eingeschränkt überprüfen, ob das BerGer. das Auslegungsrecht der §§ 133 , 157 BGB verletzt hat oder nicht.

b) Die Verletzung von Auslegungsrecht ist nicht erkennbar. Zu Recht hat das LAG dem Begründungssatz im Sonderurlaubsantrag nicht den Erklärungsinhalt beigemessen, die Bekl. wolle sich verpflichten, das Arbeitsentgelt nach gerichtlicher Klärung zugunsten des Kl. nachzuzahlen. Der Satzteil sagt dazu auch im Zusammenhang mit der Vorgeschichte überhaupt nichts. Das Gegenteil ergibt sich vielmehr aus dem beistehend abgedruckten Hinweis. Die Rüge der Revision, das LAG habe die damalige Vorstellung beider Parteien über die Rechtslage nicht gewürdigt, ist unerheblich. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit die bestrittenen Vorstellungen der Parteien für die Auslegung des gegengezeichneten Sonderurlaubsantrags als Schuldverpflichtung der Bekl. von Bedeutung sein kann. Die Erwartung, nach dem Seminar mit einer Zahlungsklage in Anspruch genommen zu werden, ist nicht gleichbedeutend mit einer schuldverpflichtenden Sondervereinbarung i. S. der Rechtsprechung des Senats.

II. Die Entscheidung des LAG zum Schadenersatzanspruch des Kl. ist dagegen rechtsfehlerhaft und kann deshalb keinen Bestand haben. Der mögliche Schadenersatzanspruch des Kl. ist nicht nach § 19 Nr. 2 des Manteltarifvertrags für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 29. 2. 1988 verfallen.

1. Der gesetzliche Freistellungsanspruch des Arbeitnehmers ist auf das Kalenderjahr befristet. Er erlischt am Ende des Jahres, sofern er nicht nach § 5 II NWAWbG auf das Folgejahr übertragen ist. In diesem Fall erlischt er mit Ablauf den nächsten Jahres.

2. Hat sich der Arbeitgeber zu Unrecht geweigert, den vom Arbeitnehmer geltend gemachten Freistellungsanspruch zu erfüllen, so entsteht mit dem Erlöschen des Erfüllungsanspruchs ein Schadenersatzanspruch nach den §§ 280 I , 284 I , 286 I , 287 S. 2, 249 , 251 BGB. Dieser Schadenersatzanspruch ist entgegen der Auffassung des LAG nicht auf die Zeit des Folgejahres befristet. § 5 II 2 NWAWbG findet weder direkt noch analog Anwendung.

3. Vielmehr unterliegt der Schadenersatzanspruch keinerlei gesetzlichen Befristungen, wohl aber der Ausschlußfrist des § 19 Nrn. 2, 4 MTV Metall. Er ist nämlich ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis i. S. dieser Vorschrift.

4. Der Kl. hat seinen Schadenersatzanspruch rechtzeitig i.S. der Vorschrift geltend gemacht. Der Senat hat bereits zum Anspruch des Arbeitnehmers auf Erholungsurlaub entschieden, daß der Schadenersatzanspruch auf Ersatzurlaub zwar auf einer anderen Anspruchsgrundlage als der Erfüllungsanspruch auf gesetzlichen oder tariflichen Urlaub beruht. Beide Ansprüche haben jedoch denselben Inhalt, nämlich Freistellung von der Arbeit. Wird der Schuldner eines Urlaubsanspruchs einmal zur Erfüllung eines Anspruchs aufgefordert und damit darauf hingewiesen, daß der Arbeitnehmer seinen befristeten Anspruch nicht verfallen lassen will, genügt die verzugsbegründende Mahnung auf Erfüllung von Urlaub auch den Anforderungen an die tarifliche Ausschlußfrist hinsichtlich der zwischenzeitlich entstandenen Ersatzansprüche (BAGE 68, 362 (366f.) = NZA 1992, 797 = AP Nr. 1 zu § 47 SchwbG1986; Senat, NZA 1993, 472 = NJW 1993, 2198 L = AP Nr. 23 zu § 1 BUrlG (zu 6)).

5. So verhält es sich auch bei der Geltendmachung des gesetzlichen Freistellungsanspruchs nach dem Arbeitnehmerweiterbildungsgesetz. Der Arbeitnehmer, der einmal Freistellung zu Weiterbildungszwecken verlangt hat und zu Unrecht abgewiesen worden ist, hat deutlich gemacht, daß er den nach dem Gesetz befristeten Anspruch nicht verfallen lassen will. Er muß ihn dann, wenn der Anspruch auf Freistellung sich wegen Zeitablaufs in einen auf dieselbe Handlung gerichteten Schadenersatzanspruch gewandelt hat, nicht noch einmal schriftlich geltend machen. Der Zweck der tariflichen Ausschlußfristen, alsbald Rechtsklarheit und Rechtsfrieden über Einzelansprüche im Arbeitsverhältnis zu schaffen (vgl. BAG, NZA 1995, 1048), ist gewahrt.

III. Da das LAG nicht geprüft hat, ob die vom Kl. besuchte Veranstaltung den gesetzlichen Anforderungen des § 1 NWAWbG genügt oder nicht, muß die Sache hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs an das LAG zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden.

Das LAG wird nunmehr zu prüfen haben, ob das Seminar auf Kreta der beruflichen Weiterbildung diente, wenn es so durchgeführt worden ist, wie es der Kl. von Anfang an hinsichtlich der Thematik, der Zeitaufteilung und der Dauer vorgetragen hat. Dabei wird das LAG die Widersprüche aufzuklären und zu würdigen haben, die sich aus dem Programmheft einerseits und dem Informationsblatt andererseits ergeben. Das LAG wird unter Berücksichtigung der vom Kl. vorgelegten Unterlagen und der dazu von der Bekl. abgegebenen Stellungnahme auch zu unterscheiden haben, ob die Veranstaltung für jedermann zugänglich war.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

NWAWbG §§ 1 I, 7 S. 1; BGB §§ 280 I, 284 I, 286 I, 287 S. 2, 249, 251; MTV für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 29. 2. 1988 § 19 Nrn. 2, 4