Betriebsbedingte Kündigung - soziale Auswahl

Gericht

BAG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

12. 08. 1999


Aktenzeichen

2 AZR 12/99


Leitsatz des Gerichts

  1. Die Grundsätze, die der Senat zur Vergleichbarkeit von teilzeitbeschäftigten und vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern bei der Sozialauswahl nach § 1 III KSchG im Urteil vom 3. 12. 1998 (NZA 1999, 431 = NJW 1999, 1733 = AP Nr. 39 zu § 1 KSchG1969 Soziale Auswahl) aufgestellt hat, wonach es entscheidend auf die betriebliche Organisation der Arbeitszeitgestaltung ankommt, gelten auch im öffentlichen Dienst.

  2. Die Streichung einer Halbtagsstelle im öffentlichen Haushalt sagt danach für sich genommen noch nichts dazu aus, ob nicht lediglich eine Überkapazität im Umfang einer Halbtagsstelle abgebaut werden soll, so dass dem durch eine entsprechende Änderungskündigung gegenüber einer sozial weniger schutzbedürftigen Vollzeitkraft Rechnung getragen werden könnte.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. verfügt über einen Berufsabschluss als Facharbeiterin für Schreibtechnik und war seit 20. 1. 1989 bei dem Bekl. bzw. dessen Rechtsvorgängerin in der Verwaltung beschäftigt, und zwar zuletzt mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden als „Sachbearbeiterin Inventar“ an der Musik- und Kunstschule in R.; sie erhielt gem. VergGr. VIII BAT-O eine anteilige monatliche Vergütung. Am 16. 12. 1996 beschloss der Kreistag des Bekl., die Haushaltssatzung für 1997 einschließlich des Stellenplans, wobei die Stelle der Kl. mit einem kw-Vermerk ab 1. 7. 1997 ausgewiesen wurde. Dem lag ein Konsolidierungsprogramm des Bekl. für die Jahre 1996/97 zugrunde, und zwar unter anderem in Form einer Reduzierung des Umfangs der Aufgaben und einer vorgesehenen Umorganisation. Die der Kl. ersatzweise angebotenen zwei Stellen als teilzeitbeschäftigte Fleischkontrolleurin im Schlachthof N. lehnte die Kl. als fachfremd und daher unzumutbar ab. Nach Beteiligung der Personalvertretung kündigte daraufhin der Bekl. das Arbeitsverhältnis gegenüber der Kl. laut Schreiben vom 26. 3. 1997 zum 30. 6. 1997 mit der Begründung auf, der Arbeitsplatz sei weggefallen. Die Kl. hat ursprünglich geltend gemacht, für die Kündigung fehle es schon am betrieblichen Erfordernis; in der Berufungsinstanz hat sie nur noch vorgetragen, die Kündigung sei deshalb sozial ungerechtfertigt, weil der Bekl. keine soziale Auswahl - insbesondere im Vergleich mit weiterbeschäftigten Vollzeitarbeitnehmern - vorgenommen habe. Insofern hat sie sich darauf berufen, dass unter anderen die Arbeitnehmerinnen P, G und S sozial weniger schutzwürdig als sie selbst seien. Ihre, der Kl., Teilzeitbeschäftigung dürfe nicht nachteilig im Rahmen der Sozialauswahl berücksichtigt werden. Der Bekl. hat vorgetragen, bei der betriebsbedingten erforderlichen Kündigung sei eine Sozialauswahl nicht erforderlich gewesen, denn es gebe keine anderen Arbeitnehmer mit einer gleichen oder geringeren Arbeitszeit wie die der Kl. Die Einbeziehung der Kl. in die Vergleichbarkeit hätte zumindest ihr Einverständnis vorausgesetzt, eine Vollzeittätigkeit auszuüben; dies habe die Kl., was insofern unstreitig ist, aus persönlichen Gründen abgelehnt.

Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kl. ist erfolglos geblieben. Mit der vom LAG zugelassenen Revision erstrebt die Kl. ihr Klageziel weiter. Die Revision führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das LAG hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Nachdem das Vorliegen dringender betrieblicher Kündigungserfordernisse unstreitig sei, beschränkt sich die Überprüfung auf die Gesichtspunkte der Sozialauswahl gem. § 1 III KSchG. Insoweit bestehe jedenfalls eine arbeitsrechtliche Grenze für die anderweitige Beschäftigung der Kl., zumal sie keine Bereitschaft für eine Vollzeittätigkeit gezeigt habe. Die alternativ mögliche Änderungskündigung einer Vollzeitarbeitskraft stelle den Bekl. vor die Schwierigkeit, seinerseits eine neue Halbtagskraft finden zu müssen; im Übrigen habe der Kreistag des Bekl. gerade zu verstehen gegeben, dass er keine Halbtagsstelle mehr zur Verfügung stellen wollte.

II. Dem folgt der Senat nicht. Die Rechtsprechung des BerGer. steht nicht in Übereinstimmung mit der in der Zwischenzeit ergangenen Entscheidung des Senats vom 3. 12. 1998 (NZA 1999, 471 = NJW 1999, 1733 = AP Nr. 39 zu § 1 KSchG1989 Soziale Auswahl, auch zur Veröff. in der amtl. Sammlung vorgesehen). Die Revision rügt zutreffend, § 1 III KSchG sei jedenfalls auf der Basis der bisherigen Feststellungen des LAG verletzt.

1. Nach den für den Senat nach § 561 ZPO verbindlichen Feststellungen des LAG ist davon auszugehen, dass dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen, die einer Weiterbeschäftigung der Kl. entgegenstehen, § 1 II KSchG; die Kl. hat ein solches Erfordernis in der Berufungs- und Revisionsinstanz nicht mehr bestritten. Andererseits steht aufgrund der Feststellungen des LAG weiter fest, dass der Bekl. eine soziale Auswahl unter den in Frage kommenden Sachbearbeiterinnen deshalb nicht vorgenommen hat, weil es neben der Kl. keine teilzeitbeschäftigten Mitarbeiter, sondern nur Vollzeitarbeitskräfte gibt. Insofern hat das LAG für den Senat gem. § 561 ZPO verbindlich festgestellt, dass unter den von der Kl. aufgelisteten Arbeitnehmern des Sachgebiets „Haushalt“ sich solche befinden, die signifikant sozial weniger schutzwürdig als die Kl. sind.

2. Wie in dem der bereits erwähnten Entscheidung vom 3. 12. 1998 zugrunde liegenden Fall ist daher auch hier die Frage entscheidungserheblich, ob die Teilzeittätigkeit der Kl. im Verhältnis zu den vollbeschäftigten Arbeitnehmerinnen eine Sozialauswahl nach § 1 III KSchG ausschließt. Das Gesetz fordert vom Arbeitgeber eine Auswahl unter den für eine Kündigung in Betracht kommenden Arbeitnehmern, und zwar nach den sozialen Gesichtspunkten Alter, Betriebszugehörigkeit und Unterhaltspflichten. Maßgebend ist hier die frühere Fassung des § 1 III 1 KSchG aufgrund des Gesetzes vom 25. 9. 1996 (BGBl I 1476), die zur Zeit der hier streitigen Kündigung galt, ohne dass das so genannte Korrekturgesetz vom 19. 12. 1998 (BGBl I, 3843) hieran etwas geändert hätte (vgl. Senat, NZA 1999, 866, und Senat, NZA 1999, 702 = AP Nr. 40 zu § 1 KSchG1969 Soziale Auswahl).

a) In seinem Urteil vom 3. 12. 1998 (NZA 1999, 431 = NJW 1999, 1733 = AP Nr. 39 zu § 1 KSchG1989 Soziale Auswahl) hat der Senat, worauf wegen der Einzelheiten hier verwiesen werden kann, entschieden, es hänge von der betrieblichen Organisation ab, ob bei der Kündigung teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer Vollzeitbeschäftigte und bei der Kündigung vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer Teilzeitbeschäftigte in die Sozialauswahl nach § 1 III KSchG einzubeziehen seien; habe der Arbeitgeber eine Organisationsentscheidung getroffen, aufgrund derer für bestimmte Arbeiten Vollzeitkräfte vorgesehen seien, so könne diese Entscheidung als so genannte freie Unternehmerentscheidung nur darauf überprüft werden, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sei; liege danach eine bindende Unternehmerentscheidung vor, seien bei der Kündigung einer Teilzeitkraft die Vollzeitkräfte nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen. Wolle der Arbeitgeber dagegen in einem bestimmten Bereich lediglich die Zahl der insgesamt geleisteten Arbeitsstunden abbauen, ohne dass eine Organisationsentscheidung der erwähnten Art vorläge, seien sämtliche in diesem Bereich beschäftigten Arbeitnehmern ohne Rücksicht auf ihre Arbeitszeitvolumen in die Sozialauswahl einzubeziehen.

b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch für den vorliegenden Fall eines Wegfalls von Planstellen im öffentlichen Dienst fest (krit. hierzu Bauer/Klein, BB 1999, 1162; zust. Oetker, RdA 1999, 267 [268]). Denn es ist nicht ersichtlich, inwiefern hier zwischen Kündigungen in der Privatwirtschaft und solchen im öffentlichen Dienst Unterschiede zu machen sind. Es geht gleichermaßen um die selbe Frage, ob nämlich der Arbeitgeber bzw. Dienstherr im Wege einer so genannten unternehmerischen Entscheidung hinsichtlich der Vollzeitbeschäftigung Vorgaben gemacht hat, an denen die Arbeitsgerichte ohne Berücksichtigung der unternehmerischen Freiheit nicht vorbeigehen können. So hat der Senat in der genannten Entscheidung vom 3. 12. 1998 im Hinblick auf das Diskriminierungsverbot bei Teilzeitbeschäftigung nach Art. 1 § 2 BeschFG ausgeführt, grundsätzlich stehe zwar das betriebsbedingte Erfordernis für die Kündigung einer teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmerin nicht als Ursache mit der jeweiligen Teilzeitbeschäftigung im Zusammenhang, anders wäre aber zu entscheiden, wenn der Arbeitgeber bei Kündigungsgründen, die sich gleichermaßen auf Teilzeit- und Vollzeitkräfte bezögen, lediglich Teilzeitarbeitnehmer entließe, ohne dass hierfür sachliche Gründe bestünden. Das berücksichtigen Bauer/Klein in ihrer Kritik an der Entscheidung vom 3. 2. 1998 nach Auffassung des Senats nicht ausreichend. Ihr Ergebnis, wonach zwischen Arbeitnehmern mit unterschiedlicher Arbeitszeit - mangels Vergleichbarkeit - keine Sozialauswahl durchzuführen sein soll, läuft von vornherein auf eine Diskriminierung der Teilzeitbeschäftigten hinaus, die nach § 2 I BeschFG - ohne Vorliegen sachlicher Gründe für die unterschiedliche Behandlung von teilzeit- und vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern - gerade verboten ist. Die Lösung des Senats fördert dagegen eher die Teilzeitbeschäftigung, indem sozial weniger schutzwürdigen Vollzeitkräften zugunsten einer Teilzeitkraft beim Abbau einer Teilzeit-Überkapazität gegebenenfalls eine Änderungskündigung auszusprechen ist.

Andererseits greift auch der kritische Ansatz nicht, schon der bloße Vortrag des Arbeitgebers, künftig die anfallende Arbeit nur noch mit Vollzeitkräften oder nur noch mit Teilzeitkräften zu erledigen, reiche aus, um diese Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl auszunehmen. Dem hat der Senat im Urteil vom 3. 12. 1998 nicht das Wort geredet. Im Gegenteil: Er hat ebenso wie im Urteil vom 19. 5. 1993 (BAGE 73, 151 = NZA 1993, 1075 = NJW 1993, 3218 = AP Nr. 31 zu § 2 KSchG) konkrete Darlegungen zu einem nachvollziehbaren unternehmerischen Konzept der Arbeitszeitgestaltung verlangt.

Insofern hat auch der Bekl. bisher nicht dargestellt, dass das auf dem Kreistagsbeschluss vom 4. 9. 1995 beruhende Konsolidierungsprogramm für die Jahre 1996/97 gerade den Wegfall der haushaltsrechtlich festgelegten Teilzeitbeschäftigung erforderlich machte. Mit anderen Worten: Der Bekl. hat bisher nicht geltend gemacht, dass vor oder jedenfalls mit der Kündigung eine Organisationsentscheidung getroffen worden sei, die aus nicht offenbar unsachlichen Gründen den Fortbestand der Vollzeitbeschäftigungen erforderlich, dagegen den Wegfall einer Teilzeitbeschäftigung im Umfang von 20 Stunden notwendig mache. Bestand demnach aufgrund des Kreistagsbeschlusses vom 16. 12. 1996 lediglich ein Kapazitätsüberangebot von 20 Stunden im Bereich der Sachbearbeitung „Haushalt“, so erforderte die Berücksichtigung sozialer Auswahlgesichtspunkte nach § 1 III KSchG a.F. eine Auswahlentscheidung zugunsten der Kl. Der Bekl. hätte insofern in die Arbeitsbedingungen der sozial am wenigstens schutzwürdigen Mitarbeiterin eingreifen können, er hätte mit einem entsprechenden Angebot auf Teilzeitarbeit dieser Mitarbeiterin eine betriebsbedingte Änderungskündigung aussprechen und die Kl. weiterbeschäftigen können. Hätte die sozial weniger schutzbedürftige Mitarbeiterin das entsprechende Angebot angenommen, war der betriebsbedingt notwendige Abbau der Überkapazität erreicht; lehnte dagegen die Arbeitnehmerin das Angebot ab, war deren Kündigung betriebsbedingt sozial gerechtfertigt, und der Bekl. konnte auf dem Arbeitsmarkt den Fehlbedarf decken (ebenso Senat, NZA 1999, 341 = NJW 1999, 1733 [zu II 4b]). Dies sei auch - so hat die Kl. mit der Revision bisher unwidersprochen vorgetragen - ohne weiteres möglich. Andererseits hat jedenfalls die Kl. dargestellt, dass ihr aufgrund der Krankheit ihres Ehemanns eine Vollzeitbeschäftigung nicht möglich sei.

Wenn das LG in diesem Zusammenhang auf die unternehmerische Entscheidung des Kreistags des Bekl. zur Streichung einer Halbtagsstelle hinweist, so verfängt das nicht. Mit dieser Entscheidung ist nur ein dringendes betriebliches Erfordernis dargestellt, das eine Beschäftigungsmöglichkeit im Umfang einer so genannten Halbtagsstelle entfallen lässt. Der kw-Vermerk sagt allein noch nichts zu dem konkreten Beschäftigungsbedarf in der Verwaltung. Es bedarf insofern vielmehr erst noch einer organisatorischen Umsetzung, wie bereits der Große Senat des BAG in einer Entscheidung vom 28. 11. 1956 (BAGE 3, 245 = NJW 1957, 517 = AP Nr. 20 zu § 1 KSchG) ausgeführt hat. Dem entspricht es, wenn in der Rechtsprechung des BAG (vgl. u.a. Senat, NZA 1999, 431 = NJW 1999, 1733 [zu II 4b] m.w. Nachw.) nicht darauf abgestellt wird, ob ein bestimmter Arbeitsplatz weggefallen, sondern ob und in welchem Umfang ein Beschäftigungsbedürfnis entfallen ist. Damit ist - vorbehaltlich einer bindenden unternehmerischen Vorgabe in dem oben beschriebenen Sinne - nichts dazu gesagt, auf welches Arbeitsverhältnis der Mangel an Beschäftigungsmöglichkeit „durchschlägt“, und zwar unter Beachtung sozialer Auswahlgesichtspunkte, vorliegend nach § 1 III KSchG a.F. Sollten das Konsolidierungsprogramm des Bekl. für 1996/97 und der Beschluss des Kreistags vom 16. 12. 1996 so zu verstehen sein, dass ohne weiteres gerade und nur die Teilzeitstelle der Kl. persönlich entfallen sollte, verstieße eine hierauf gestützte Kündigung wegen § 2 BeschFG gegen ein gesetzliches Verbot i.S. des § 134 BGB und wäre deshalb unwirksam.

c) Da die Entscheidung des Senats vom 3. 12. 1998 erst nach Verkündung des vorliegenden Berufungsurteils vom 9. 10. 1998 ergangen ist und sich beide Parteien, insbesondere der bekl. Arbeitgeber, hierauf bisher nicht einstellen konnten, ist der Rechtsstreit zurückverweisen, um insbesondere dem Bekl. Gelegenheit zu ergänzendem Sachvortrag zu einer eventuell vorliegenden unternehmerischen Entscheidung auf Beibehaltung der Vollzeitbeschäftigung zu geben. Das Vorbringen in der Revisionsinstanz könnte wegen § 561 ZPO ohnehin nicht berücksichtigt werden.

Rechtsgebiete

Arbeitsrecht

Normen

KSchG § 1 III