Gleitschirmpropellermotor als Fahrradantrieb

Gericht

OLG Oldenburg


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

03. 05. 1999


Aktenzeichen

Ss 105-99 I 38


Leitsatz des Gerichts

Wird ein Fahrrad zusätzlich mit einem am Rücken des Fahrers befestigten Gleitschirmpropellermotor angetrieben, so handelt es sich um ein Kraftfahrzeug i.S. des § 1 I StVG.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Angekl. befuhr mit einem Herrenfahrrad die N-Straße in O. Auf seinen Rücken geschnallt trug er einen Gleitschirmpropellermotor mit einem Rahmendurchmesser von 1,09 m, einem Hubraum von 350 ccm und einer Leistung von 14,7 kW (20 PS). Der Antrieb wurde mit einem vom Angekl. mit Klebeband am Lenker befestigten Handgashebel, der über einen Bowdenzug mit dem Motor verbunden war, aktiviert und reguliert. Bei Verlassen des Leerlaufs durch Betätigung des Handgashebels erfolgte der Vorschub durch den Propeller. Durch die Übertragung des Vorschubs auf den Angekl. bewegte sich das von ihm gelenkte Fahrzeug fort, ohne daß er die Pedale betätigen mußte, wobei es eine Geschwindigkeit von über 25 km-h erreichte. Die StA hat dem Angekl. zur Last gelegt, tateinheitlich vorsätzlich ein Kraftfahrzeug geführt zu haben, obwohl er die dazu erforderliche Fahrerlaubnis nicht hatte, und vorsätzlich ein Fahrzeug auf öffentlichen Wegen oder Plätzen gebraucht zu haben, obwohl der für das Fahrzeug erforderliche Haftpflichtversicherungsvertrag nicht bestand (§ 21 I Nr. 1 StVG, §§ 1 , 6 I PflVersG, § 52 StGB). Demgegenüber hat das AG die Auffassung vertreten, der Angekl. habe diese Straftatbestände nicht erfüllt, denn bei dem vom Angekl. gelenkten Fahrzeug habe es sich nach wie vor um ein Fahrrad, nicht hingegen um ein Kraftfahrzeug gehandelt. Da der Angekl. ein Fahrrad im öffentlichen Straßenverkehr benutzt habe, das so nicht zugelassen sei, habe er allerdings ordnungswidrig gehandelt.

Das AG hat deshalb gegen ihn „wegen fahrlässigen Verstoßes gegen eine Grundregel im Straßenverkehr (§ 1 II StVO)„ eine Geldbuße von 80 DM verhängt. Die Revision der StA hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Bei dem vom Angekl. gelenkten Fahrzeug handelte es sich um ein Kraftfahrzeug. Kraftfahrzeuge sind nach der Legaldefinition des § 1 II StVG Landfahrzeuge, die durch Maschinenkraft fortbewegt werden, ohne an Bahngleise gebunden zu sein. Ähnlich heißt es im Übereinkommen über den Straßenverkehr vom 8. 11. 1968 (BGBl II 1977, 811) in Art. 1o: „Kraftfahrzeug ist jedes auf der Straße mit eigener Kraft verkehrende Fahrzeug mit Antriebsmotor … mit Ausnahme der Schienenfahrzeuge„, während als „Fahrrad„ nach Art. 1l jenes Übereinkommens „jedes Fahrzeug mit wenigstens zwei Rädern„ definiert wird, „das ausschließlich durch die Muskelkraft auf ihm befindlicher Personen, insbesondere mit Hilfe von Pedalen oder Handkurbeln, angetrieben wird„.

Daß es sich bei dem vom Angekl. gelenkten Gefährt um ein nicht an Bahngleise gebundenes Landfahrzeug handelte, bedarf keiner Vertiefung. Es wurde auch durch Maschinenkraft fortbewegt. Nach einhelliger Auffassung ist der Begriff Maschinenkraft als Gegenstück zur Naturkraft und zur menschlichen oder tierischen Kraft zu verstehen. Die Art des maschinellen Antriebs (Elektromotor, Verbrennungsmotor etc.) ist unerheblich. Ebenfalls ohne Belang ist, ob die Kraft mittels Ketten, Wellen etc. auf die Räder übertragen oder ob das Fahrzeug durch einen Propeller oder den Rückstoß eines Raketenantriebs vorwärts getrieben wird (Greger, HaftungsR des Straßenverkehrs, 3. Aufl., § 7 StVG Rdnr. 14; Jagusch-Hentschel, StraßenverkehrsR, 35. Aufl., § 1 StVG Rdnrn. 2f.; Rüth, StraßenverkehrsR, 2. Aufl., § 1 StVG Rdnr. 9). Das Fahrzeug muß sich mit eigener Kraft fortbewegen, d.h. die Maschine muß sich während der Fahrt auf dem Fahrzeug selbst befinden. Nicht erforderlich ist, daß zwischen dem Fahrgestell und dem Antrieb eine ständige feste Verbindung besteht. Auch nur vorübergehend mit einem maschinellen Antrieb versehene Landfahrzeuge sind Kraftfahrzeuge i.S. des § 1 II StVG. Es macht ferner keinen Unterschied, ob der Antrieb mit dem Fahrzeug direkt verbunden ist - beispielsweise durch Befestigung des Propellermotors auf dem Gepäckträger des Zweirads - oder ob das Antriebsaggregat nur indirekt mit dem Fahrzeug verbunden ist, weil es von dem das Zweirad lenkenden Menschen getragen wird. In beiden Fällen ist das Antriebsaggregat während der Fahrt mit dem Fahrzeug verbunden. Zum Führen des durch den Gleitschirmpropellermotor angetriebenen Fahrzeugs war mit Rücksicht darauf, daß dessen erreichbare Fahrgeschwindigkeit über 25 km-h liegt, der Hubraum des Motors über 125 ccm und die Leistung über 11 kW beträgt, nach dem zur Tatzeit geltenden Recht gem. § 5 I 1 StVZO eine Fahrerlaubnis der Klasse 1a oder 1 erforderlich. Zudem ist der Halter eines Kraftfahrzeugs bei Verwendung auf öffentlichen Wegen oder Plätzen nach §§ 1 , 2 PflVG verpflichtet, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen.

Da der Angekl. weder die erforderliche Fahrerlaubnis besaß noch eine Haftpflichtversicherung für das Fahrzeug bestand, hat er durch seine auf öffentlichen Straßen unternommene Fahrt den objektiven Tatbestand der § 21 I Nr. 1 StVG und §§ 1 , 6 PflVersG erfüllt.

Rechtsgebiete

Straßenverkehrs- und Straßenrecht

Normen

StVG § 1 II