Mutterschutz - Beschäftigungsverbot -Arbeitsunfähigkeit
Gericht
BAG
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
05. 07. 1995
Aktenzeichen
5 AZR 135/94
Mutterschutzlohn nach § 11 I 1 MuSchG wird nur geschuldet, wenn allein das ärztliche Beschäftigungsverbot für die Nichtleistung der Arbeit ursächlich ist (st. Rspr. zuletzt BAG, NZA 1995, 837).
Stellt der Arzt Beschwerden fest, die auf der Schwangerschaft beruhen, so hat er zu prüfen und aus ärztlicher Sicht zu entscheiden, ob die schwangere Frau wegen eingetretener Komplikationen arbeitsunfähig krank ist oder ob, ohne daß eine Krankheit vorliegt, zum Schutz des Lebens oder der Gesundheit von Mutter und Kind ein Beschäftigungsverbot geboten ist (§ 3 I MuSchG). Dabei steht dem Arzt ein Beurteilungsspielraum zu.
Der auf Mutterschutzlohn in Anspruch genommene Arbeitgeber kann geltend machen, daß die Voraussetzungen eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots nicht vorlagen, sondern eine zur Arbeitsunfähigkeit führende Krankheit bestand.
Allein aufgrund der Mitteilung einzelner Befunde kann im gerichtlichen Verfahren regelmäßig nicht beurteilt werden, ob eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegt oder das Aussetzen mit der Arbeit aus Gründen des Schwangerschaftsschutzes angeordnet ist.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kl. verlangt von der Bekl. Mutterschutzlohn aufgrund eines ärztlichen Beschäftigungsverbots (§§ 11 I , 3 I MuSchG). Die Kl. wurde von der Bekl. ab 15. 5. 1992 als Assistentin der Geschäftsleitung angestellt. Sie erhielt ein monatliches Bruttogehalt von 6200 DM. Am 18. oder 19. 5. 1992 teilte sie der Bekl. mit, sie sei schwanger. Für die Zeit ab 22. 5. 1992 legte die Kl. mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ihrer sie damals behandelnden Ärztin vor. Als Diagnose wurde "Hyperemesis gravidarum" angegeben. Die letzte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 27. 6. bis zum 11. 7. 1992 enthielt zusätzlich die Angabe "Grippaler Infekt in graviditate". Die Kl. bezog von der Bekl. Gehaltsfortzahlung wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 22. 5. bis zum 3. 7. 1992. Für die Zeit vom 4. bis zum 12. 7. 1992 erhielt sie Krankengeld. Die Kl. suchte auf Anraten ihrer Ärztin einen Gynäkologen auf. Dieser stellte ihr am 13. 7. 1992 folgende Bescheinigung aus: Bescheinigung. "Frau H wird aufgrund des bisherigen Schwangerschaftsverlaufs und der heutigen Untersuchungen ein Beschäftigungsverbot erteilt, weil durch die Fortführung der Beschäftigung die Gesundheit von Mutter und Kind gefährdet sind.
Diagnose: unstillbares Erbrechen, drohende Fehlgeburt bei rezidivierenden Blutungen."
Daraufhin zahlte die Bekl. der Kl. das Gehalt bis Ende August 1992 weiter. Für die Folgezeit lehnte sie die Zahlung ab. Die Kl. verlangt von der Bekl. das Gehalt für den Monat September 1992. Die Bekl. hat die Zahlung abgelehnt, weil die Kl. arbeitsunfähig krank gewesen sei. Der Zeitraum der Lohnfortzahlung wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit sei erschöpft. Eine Pflicht zur weiteren Gehaltsfortzahlung wegen des ärztlichen Beschäftigungsverbots in der Schwangerschaft komme nicht in Betracht. Die zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung der Kl. folge aus der Diagnose des Gynäkologen in der Bescheinigung vom 13. 7. 1992.
Das ArbG hat die Klage abgewiesen, das LAG hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision will die Bekl. die Wiederherstellung des Urteils des ArbG erreichen. Diese führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Auszüge aus den Gründen:
Nach den bisher getroffenen Feststellungen läßt sich noch nicht abschließend beurteilen, ob die Kl. Lohnfortzahlung für den Monat Speptember 1992 verlangen kann oder ob sie auf den Bezug von Krankengeld verwiesen ist.
I. Nach § 11 I 1 MuSchG hat der Arbeitgeber einer schwangeren Frau das Arbeitsentgelt weiterzuzahlen, wenn die Frau wegen eines ärztlichen Beschäftigungsverbots nach § 3 I MuSchG ganz oder teilweise mit der Arbeit aussetzt. Gem. § 3 I MuSchG dürfen werdende Mütter nicht beschäftigt werden, soweit nach ärztlichem Zeugnis Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet ist.
II. Der Anspruch auf den Mutterschaftslohn nach § 11 I 1 MuSchG setzt voraus, daß die schwangere Frau "wegen eines Beschäftigungsverbots" mit der Arbeit aussetzt. Das BerGer. hat dieses Merkmal bejaht. Ob dies zutrifft, kann noch nicht abschließend entschieden werden.
1. Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung angenommen, daß das Beschäftigungsverbot die alleinige und nicht wegzudenkende Ursache für das Nichtleisten der Arbeit sein muß; nur dann wird ein Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts ausgelöst (BAGE 22, 418 = NJW 1970, 2261 = AP Nr. 4 zu § 11 MuSchG1968; BAG, NZA 1995, 837; vgl. auch BSGE 68, 222 = NZA 1991, 909 = BB 1991, 1642). Diese Auffassung wird in der Literatur ganz überwiegend geteilt (Meisel/Sowka, Mutterschutz und Erziehungsurlaub, 4. Aufl., § 11 MuSchG Rdnr. 11; Gröninger/Thomas, MuSchG, Stand: November 1994, § 11 Rdnr. 49; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, MuSchG, 7. Aufl., § 11 Rdnr. 13; Bulla/Buchner, MuSchG, 5. Aufl., § 11 Rdnrn. 23-25; Schaub, ArbeitsR-Hdb., 7. Aufl., S. 1271; a.A. Heilmann, MuSchG, 2. Aufl., § 11 Rdnr. 26). Der Senat hält an dieser Auffassung fest. Hiernach steht der schwangeren Frau kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung zu, wenn andere als die in § 3 MuSchG beschriebenen Gründe allein oder zusätzlich zu dem ärztlichen Beschäftigungsverbot dazu führen, daß die schwangere Arbeitnehmerin keine Arbeit leistet und sie deshalb keinen oder einen geringeren Arbeitslohn erhält. Der Ursachenzusammenhang ist dann unterbrochen. Der Verdienstausfall hat dann seine ausschließliche Ursache nicht in dem aus Gründen des Mutterschutzes erteilten Beschäftigungsverbot.
Wird die Frau während der Schwangerschaft arbeitsunfähig krank, so gilt nichts anderes. Auch dann hat die Schwangere keinen Verdienstausfall aus mutterschutzrechtlichen Gründen. Der Ursachenzusammenhang wird auch nicht wieder hergestellt, wenn nach Ablauf von sechs Wochen der Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen Arbeitsunfähigkeit erschöpft ist. Das mutterschutzrechtliche Beschäftigungsverbot lebt nicht allein deshalb als Ursache für das Nachleisten der Arbeit wieder auf. Ist die schwangere Frau weiterhin arbeitsunfähig krank, so ist sie auf die Leistungen der Krankenversicherung verwiesen. Auch dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats und der herrschenden Meinung in der Literatur (zuletzt das Urteil des Senats, NZA 1995, 837 m.w. Nachw.).
2. Das LAG hat gegen diese Auffassung Bedenken erhoben. Es geht davon aus, daß es für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 11 I 1 MuSchG ausreichen müsse, wenn eine auf der Schwangerschaft beruhende, zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung und das Beschäftigungsverbot nach § 3 I MuSchG für das Aussetzen mit der Arbeit mit ursächlich seien. Dem kann sich der Senat nicht anschließen.
a) Es trifft allerdings zu, daß der Zweck des § 11 MuSchG dahin geht, der Schwangeren den bisherigen Lebensstandard zu erhalten und den Anreiz zu beseitigen, entgegen einer ärztlichen Anordnung aus wirtschaftlichen Gründen die Arbeit fortzusetzen und dadurch sich oder ihr ungeborenes Kind zu gefährden. Gleichwohl hat der Gesetzgeber § 11 MuSchG nicht als eine alle möglichen Fälle erfassende Schutznorm ausgestaltet. Die Vorschrift soll nur das Risiko des Verdienstausfalls wegen des mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots sichern, nicht aber ein Verdienstausfallrisiko in der Zeit der Schwangerschaft aus anderen Gründen. Dies kommt auch in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck. Im Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit heißt es, Voraussetzung für die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Fortzahlung des bisherigen Durchschnittsverdienstes sei, daß die Frau nicht krank i.S. der Reichsversicherungsordnung sei; in diesem Fall stehe ihr nur der Anspruch auf Lohnfortzahlung nach den Vorschriften über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu (Bericht zu BT-Dr IV 3652, S. 6 (zu Nr. 12)).
b) Die Unterscheidung des Gesetzgebers ist ohne weiteres einsichtig, soweit es darum geht, äußere Ursachen einer Arbeitsverhinderung durch Krankheit, etwa eine Fraktur, von Schwangerschaftsbeschwerden abzugrenzen. Die Gesetzesbegründung zeigt aber, daß auch ein Schwangerschaftsverlauf, der eine Arbeitsunfähigkeit wegen Erkrankung auslöst, nur zur Lohnfortzahlung wegen Erkrankung führt, nicht aber die Grundlage für ein ärztliches Beschäftigungsverbot i. S. des § 3 I MuSchG abgibt.
(1) Ein Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit setzte nach den bis zum 31. 5. 1994 geltenden Recht (§ 616 II BGB, § 63 HGB, § 133c II GewO und § 1 LFZG) voraus, daß die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit die einzige Ursache dafür war, daß der Arbeitnehmer seine Arbeit nicht leistete. Auch nach § 3 des ab 1. 6. 1994 geltenden Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG - Art. 53 des Pflegeversicherungsgesetzes - BGBl I, 1014ff.) gilt insoweit nichts anderes. Daraus folgt entgegen der Ansicht des LAG jedoch nicht, daß die werdende Mutter weder einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall hat noch einen Anspruch nach § 11 I MuSchG, wenn ihr ein Beschäftigungsverbot nach § 3 I MuSchG erteilt worden ist und sie allein schwangerschaftsbedingt arbeitsunfähig krank ist. Entgegen der Annahme des LAG schließen sich das ärztliche Beschäftigungsverbot nach § 3 I MuSchG und eine auf Schwangerschaft beruhende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit gegenseitig aus. Beruhen die Beschwerden allein auf der Schwangerschaft, so kommt es darauf an, ob es sich um einen krankhaften Zustand handelt, der zur Arbeitsunfähigkeit der Schwangeren führt; haben die Schwangerschaftsbeschwerden keinen Krankheitswert, so kommt das Beschäftigungsverbot nach § 3 I MuSchG in Betracht. Je nach dem hat die Schwangere dann entweder einen - auf sechs Wochen beschränkten (§ 3 EFZG) - Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit gegen den Arbeitgeber und anschließend auf Krankengeld gegen die Krankenkasse (§ 44 SGB V) oder sie hat gegen den Arbeitgeber einen - nicht auf sechs Wochen beschränkten - Anspruch nach § 11 I 1 MuSchG.
(2) Der Senat verkennt nicht, daß diese begriffliche Abgrenzung in der Praxis schwierig sein kann, insbesondere in Fällen der sogenannten Risikoschwangerschaft. Es obliegt dem behandelnden Arzt, in solchen Fällen abzuwägen und verantwortlich zu entscheiden, ob die nicht normal verlaufende Schwangerschaft Krankheitswert hat oder ob - z.B. im Vorfeld krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit - die schwangere Frau mit der Arbeit aussetzen muß, um Mutter und Kind vor anderenfalls zu befürchtenden Schäden zu schützen. Hierbei muß dem Arzt ein Beurteilungsspielraum zustehen. Er muß eine Prognose abgeben, kann also seine Entscheidung nie mit letzterer Sicherheit treffen. Andererseits darf der Arzt nicht leichtfertig handeln. Verneint er einen Krankheitswert der Beschwerden der schwangeren Frau und entschließt er sich dazu, das vom Gesetzgeber in seine Entscheidung gestellte Beschäftigungsverbot auszusprechen, dann bedarf es für ihn deutlicher und greifbarer Hinweise aus medizinischer Sicht. Dabei hat der Arzt auch zu entscheiden, ob er das Beschäftigungsverbot bis zur Entbindung oder nur vorübergehend erteilt.
Geht der Arzt so vor, so kommt seinem Attest ein hoher Beweiswert zu. Die Grundsätze, die der Senat zum Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entwickelt hat, können herangezogen werden (BAGE 28, 144 = NJW 1977, 350 = AP Nr. 2 zu § 3 LohnFG). Es bleibt dem in Anspruch genommenen Arbeitgeber aber unbenommen, Umstände vorzutragen, die den Schluß zulassen, daß ein Arzt ein Beschäftigungsverbot nach § 3 MuSchG zu Unrecht erteilt hat, etwa indem er leichtfertig gehandelt oder für die Beurteilung wesentliche Umstände nicht oder fehlerhaft bewertet hat. In Zweifelsfällen wird das Tatsachengericht sich die näheren Gründe für ein Beschäftigungsverbot vom Arzt erläutern lassen. Dabei wird dem Arzt Gelegenheit zu geben sein, nicht nur, wie bei der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, seinen Befund darzulegen, sondern auch seine für das - anspruchsbegründende - Beschäftigungsverbot maßgeblichen Gründe vorzutragen. Das Gericht wird das nachvollziehbare fachliche Urteil des Arztes weitgehend zu respektieren haben, es kann nicht seine eigenen - wirklichen oder vermeintlichen - Fachkenntnisse zum Anlaß nehmen, über die ärztliche Prognose hinwegzugehen. Dazu reicht jedenfalls die Angabe einzelner Befunde nicht aus (insoweit möglicherweise mißverständlich Urteil des Senats vom 14. 11. 1984, BAGE, 47, 195 = NZA 1985, 501 = NJW 1985, 1419 = AP Nr. 61 zu § 1 LohnFG).
(3) Das LAG hat für seine Ansicht, die Mitursächlichkeit reiche aus, weiter angeführt, § 11 MuSchG sei die speziellere Norm zu den allgemeinen Bestimmungen über die Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfall. Zu Unrecht stützt es sich insoweit auf das Urteil des BAG vom 26. 8. 1960 (BAGE 10, 7 (13) = NJW 1961, 479 L = AP Nr. 20 zu § 63 HGB). Diese Entscheidung befaßt sich mit der Frage des Verhältnisses von § 11 MuSchG zu den (damaligen) gesetzlichen Bestimmungen über die Entgeltfortzahlung wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht. Vielmehr hat das Bundesarbeitsgericht dort angenommen, für das während der Schutzfristen von der Krankenkasse nach § 13 MuSchG zu zahlende Wochengeld (seit 1968 Mutterschaftsgeld) ergebe die Systematik des Gesetzes einen gewissen Anhaltspunkt dafür, daß die Schwangere keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gegen den Arbeitgeber haben solle, solange sie einen Anspruch auf Wochengeld gegen die Krankenkasse habe. Dies werde den Interessen der Beteiligten am besten gerecht. Durch § 13 MuSchG würden die "sehr weitgehenden" Verpflichtungen des Arbeitgebers aus den §§ 10 bis 12 MuSchG, die "über die Belastungen aus den allgemeinen Bestimmungen weit hinausgehen, in einem gewissen Umfang ausgeglichen".
(4) Schließlich trägt auch der vom LAG aufgeführte "Geist der Gesamtregelung" seine Schlußfolgerung nicht, bei Arbeitsunfähigkeit infolge schwangerschaftsbedingten Erkrankungen genüge die Mitursächlichkeit des Beschäftigungsverbot zur Begründung eines Anspruchs nach § 11 I MuSchG. Dem Verfassungsgebot des Art. 6 IV GG dient zwar auch der gesetzliche Mutterschutz (BVerfGE 37, 121 = NJW 1974, 1461 = AP Nr. 1 zu § 14 MuSchG1968). Hieraus läßt sich aber nicht folgern, bei einem Widerstreit zwischen Mutterschaftslohn und Krankengeld (§ 44 SGB V) sei stets dem Mutterschaftslohn Vorrang zu geben, weil die Schwangere sonst Einbußen erleide. Das Krankengeld beträgt 80 % des zuvor erzielten regelmäßigen (Brutto-)Arbeitsentgelts, darf jedoch das Nettoarbeitsentgelt nicht übersteigen (§ 47 I SGB V). Vielfach entsteht beim Bezug von Krankengeld für die Schwangere netto keine spürbare Einbuße ihrer Einkünfte. Art. 6 IV GG gebietet zudem nicht, daß Arbeitseinkünfte der werdenden Mutter nicht einmal geringfügig hinter ihrem Arbeitseinkommen zurückbleiben dürfen. Ebnsowenig läßt sich aus Art. 6 IV GG ableiten, die wirtschaftliche Last müsse auch dann vom Arbeitgeber und nicht von der Solidargemeinschaft oder vom Staat zu tragen sein, wenn die werdende Mutter nicht gerade und nur wegen des ärztlichen Beschäftigungsverbots nach § 3 I MuSchG mit der Arbeit aussetzt.
3. Insgesamt sieht der Senat keinen hinreichenden Anlaß, seine bisherige Rechtsprechung zur notwendigen Alleinursächlichkeit des ärztlichen Beschäftigungsverbots zu ändern.
III. Das Berufungsurteil beruht auf der rechtsfehlerhaften Auslegung des § 11 I 1 MuSchG. Da sich das LAG nicht mit dem Inhalt und der Tragweite des ärztlichen Beschäftigungsverbots vom 13. 7. 1972 auseinandergesetzt hat, ist der Rechtsstreit an das LAG zurückzuverweisen. Die Parteien müssen Gelegenheit erhalten, sich zu der Frage zu äußern, ob sich die ärztliche Bescheinigung in der Verhängung eines schwangerschaftsbedingten Beschäftigungsverbots erschöpft oder ob die Klägerin arbeitsunfähig krank war. Die Vorinstanzen haben allein aus den vom behandelnden Arzt mitgeteilten Befunde "unstillbares Erbrechen" und "drohende Fehlgeburt bei rezidivierenden Blutungen" geschlossen, die Kl. sei schwangerschaftsbedingt arbeitsunfähig gewesen, es habe eine Risikoschwangerschaft vorgelegen. Mit dieser Annahme wird die entscheidende Frage nicht geklärt, nämlich, ob entweder eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorlag oder ob, ohne daß eine Arbeitsunfähigkeit vorlag, das Aussetzen mit der Arbeit aus Gründen der Schwangerschaft angezeigt war. Diese Frage läßt sich aus dem Attest allein nicht beantworten. Der behandelnde Arzt hat in seinem Attest eine aktuelle Arbeitsunfähigkeit weder ausdrücklich bestätigt noch ausgeschlossen. Seine Befragung hätte nahegelegen. Sie wird ggf. nachzuholen sein. Dabei wird es darauf angenommen, ob die festgestellten Beschwerden der Kl. den Rahmen normaler Schwangerschaftsbeschwerden derartig überstiegen, daß ein insgesamt gestörter Ablauf der Schwangerschaft zu befürchten oder schon eingetreten war. Trifft dies zu, dann war die Kl. arbeitsunfähig krank (Gröninger/Thomas, MuSchG, Stand: November 1994, § 3 Rdnr. 29).
Wurde das Beschäftigungsverbot hingegen "prophylaktisch" verhängt, um ein bei Fortsetzung der Arbeit gefährdetes gutes Ende der Schwangerschaft sicherzustellen, so ist nicht eine Arbeitsunfähigkeit, sondern das Beschäftigungsverbot wegen der Schwangerschaft Ursache für das Aussetzen mit der Arbeit. Die vom Arzt zu verantwortende Beurteilung aus medizinischer Sicht muß maßgebend bleiben.
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