Mitfahrt in überbesetztem Pkw

Gericht

OLG Karlsruhe


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

09. 07. 1999


Aktenzeichen

10 U 55/99


Leitsatz des Gerichts

Den Beifahrer trifft ein Mitverschulden, wenn er in einem nur mit zwei Rücksitzen versehenen und demzufolge auch nur mit zwei Sicherheitsgurten ausgestatteten Pkw (Sportwagen) neben zwei weiteren Personen in der Mitte der Rückbank ohne Anschnallmöglichkeit mitfährt und bei einem Verkehrsunfall durch Herausschleudern aus dem Fahrzeug schwere Kopf- und Beckenverletzungen erleidet.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. fuhr im Sportcoupé des Bekl. zu 1) mit.Sie saß auf der nur für zwei Personen vorgesehenen Rückbank zwischen zwei anderen Mitfahrerinnen und war - wie diese - nicht angeschnallt. Bei einem vom Bekl. zu 1) verschuldeten Unfall überschlug sich das Fahrzeug. Die Kl. wurde herausgeschleudert und schwer verletzt.

Das LG hat den Bekl. zu 1) und seinen Haftpflichtversicherer zu vollem Schadensersatz verurteilt. Auf die Berufung der Bekl. rechnete das OLG der Kl. eine Mitverantwortung von 20% (bezogen auf Körperschaden und Schmerzensgeld) an.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Bekl. wenden zu Recht ein, daß dieKl. an der Entstehung des Schaden ein Mitverschulden trifft. Die Bekl. stützen den Vorwurf der Obliegenheitsverletzung in zweiter Instanz nur noch auf den Umstand, daß die Kl. nicht angeschnallt war. Dieser Einwand kann zwar auch von dem in Anspruch genommenen Halter oder Fahrer den Insassen des eigenen Kfz entgegengehalten werden (Greger, HaftungsR des Straßenverkehrs, 3.Aufl., § 9 Rdnr. 49). Denn das Nichtanlegen eines Sicherheitsgurts stellt nach feststehender Rechtsprechung (BGH, NJW 1979, 1363; BGHZ 119, 268) - auch des Senats -ein ins Gewicht fallendes Mitverschulden dar, dessen Höhe von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Seit Inkrafttreten der Anschnallpflicht auf den Rücksitzen gilt dies auch, wenn aufdem Rücksitz kein Gurt benutzt wird. Der Kl. kann jedoch ein Verstoß gegen die in § 21a StVO normierte Gurtanlegepflicht nicht angelastet werden. Wie die in erster Instanz durchgeführteBeweisaufnahme ergeben hat, saß die Kl. zum Unfallzeitpunkt auf der Rückbank des Pkw in der Mitte zwischen zwei weiteren Mitfahrerinnen. Unstreitig handelt es sich bei dem vom Kl. gefahrenen Unfallfahrzeug um ein sog. zwei-plus-zwei-sitzigesCoupé, das auf der Rückbank für zwei Personen zugelassen ist und auch nur zwei Personen Platz bietet. Für die beiden vorgesehenen Plätze auf der Rückbank sind zwei Sicherheitsgurte vorhanden. Der in der Mitte sitzenden Kl. kann daher nicht der Vorwurf gemacht werden, einen vorhandenen Gurt nicht benutzt zu haben.

Die Kl. hat sich jedoch in eine Situation begeben, in der sie erkennbar einer höheren Gefährdung ausgesetzt war. Ein Mitverschulden i.S. des § 254 BGB liegt nicht nur dann vor, wenn derGeschädigte gegen Vorschriften verstoßen, sondern auch dann, wenn er vorwerfbar gegen seine wohlverstandenen Interessen gehandelt hat („Verschulden gegen sich selbst„). Es kann dahingestellt bleiben, ob es, wie die Bekl. meinen, der Kl. zumutbar war, die anderen Beifahrer zu bitten, ihr einen Platz mit Sicherheitsgurtzu überlassen. Der von der Kl. eingenommene Platz war kein ausgewiesener Sitzplatz in dem für vier Personen zugelassenen Sportcoupé. Die höchstzulässige Zahl der in einem Pkw zu befördernden Personen ist allerdings gesetzlich nicht bestimmt, so daß - solange andere Bestimmungen (etwa über das zulässige Gesamtgewicht) nicht verletzt sind - weder dem Bekl. zu 1) noch der Kl. ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, daß mehr Personen in dem Fahrzeug mitgefahren sind, als Plätze und Gurte vorhanden waren(OLG Düsseldorf, VRS 50, 315; OLG Karlsruhe, VerkMitt. 1981, 36; Jagusch/Hentschel, StraßenverkehrsR, 35.Aufl., § 21a StVO Rdnr. 9; Mühlhaus/Janiszewski, StVO, 14.Aufl., Rdnr. 16; a.A.Kuckuk/Werny, StraßenverkehrsR, 8. Aufl., § 23 StVO Rdnr. 18). Die Kl. hat jedoch bewußt durch die Mitfahrt auf einem von der Konstruktion des Pkw nicht vorgesehenen und daher auch nichtmit einem Gurt versehenen Platz auf der Mitte der Rückbank eine Risikoerhöhung im Falle eines Unfalls in Kauf genommen, die dazu führt, daß sie eine Mitverantwortung für den Schaden in Form einer Quote tragen muß.

Unstreitig wären die Verletzungen der Kl. deutlich geringer ausgefallen, wenn sie einen Gurt getragen hätte. Die Kl. hat der Behauptung der Bekl. nicht widersprochen, daß die Verletzungen amKopf und im Beckenbereich durch das Herausschleudern aus dem Fahrzeug entstanden sind. Gegen das Herausgeschleudertwerden aus dem Fahrzeug bei einem Überschlagunfall bietet gerade einangelegter Sicherheitsgurt erhöhten Schutz.

Bei der Bemessung der Mithaftungsquote war zu berücksichtigen, daß es sich hier nicht um den typischen Fall der vorwerfbaren und sanktionsbewehrten Nichtanlegung eines vorhandenen Gurts handelt. Diese Situation war bei den beiden anderen Mitfahrerinnen auf der Rückbank gegeben, deren Ersatzansprüche gegenüberdem Bekl. in Parallelverfahren um eine Quote von 40% gekürzt wurden. Die Obliegenheitsverletzung der Kl. wiegt deutlich weniger schwer, so daß der Senat eine Quote von 20% für ausreichend und angemessen erachtet.

Rechtsgebiete

Straßenverkehrs- und Straßenrecht

Normen

StVG § 9; BGB § 254