Verwirkung des nachehelichen Unterhalts trotz Rechtshängigkeit

Gericht

OLG Schleswig


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

25. 08. 1999


Aktenzeichen

15 UF 237/98


Leitsatz des Gerichts

  1. Auch rechtshängige Forderungen unterliegen der Verwirkung (§ 242 BGB).

  2. Einem Unterhaltsgläubiger kann es nach Treu und Glauben unter dem Blickwinkel der Verwirkung sein, sich im Rahmen des § 1585b III BGB auf Mahnungen und/oder auf die - auf Grund der Erhebung einer Stufenklage eingetretene - Rechtshängigkeit zu berufen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. begehrt rückständigen und laufenden Geschiedenenunterhalt für die Zeit ab 1. 4. 1995. Diesem Begehren hat das AG - FamG - für die Zeit bis zum 31. 7. 1998 im Wesentlichen entsprochen; im übrigen hat es die Klage - auch für die Zeit danach - abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Bekl. Berufung eingelegt, mit der er die Abweisung der Klage auch im Übrigen erstrebt. Hierzu macht er im Wesentlichen geltend, das AG habe sowohl § 1587b III BGB als auch den Gesichtspunkt der Verwirkung (§ 242 BGB) übersehen. Die Kl. vertritt die Auffassung, rechtshängige Unterhaltsansprüche unterlägen nicht der Verwirkung.

Die Berufung des Bekl. hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

1. Entgegen dem AGist die Klage auch mit Blick auf den Zeitraum vom 1. 4. 1995 bis zum 31. 7. 1998 unbegründet. Die für die Zeit bis vom 25. 11. 1995 geltend gemachten Unterhaltsansprüche liegen außerhalb der Einjahresfrist des § 1585b III BGB und können schon deshalb nicht verlangt werden. Im Übrigen sind die Unterhaltsansprüche jedenfalls verwirkt (§ 242 BGB).

a) Der Verwirkung steht nicht entgegen, dass die Unterhaltsansprüche bereits - mit Zustellung der Stufenklage am 25. 11. 1996 - rechtshängig geworden waren. Es gibt keinen Rechtssatz dahin, dass rechtshängige Forderungen nicht der Verwirkung unterliegen. Der Grundsatz von Treu und Glauben beherrscht das gesamte Zivilrecht und die Prozessordnung. Der Sonderfall, dass ein rechtshängiges Verfahren über einen längeren Zeitraum nicht betrieben wird, ist nicht nur an der - im Übrigen gerade auch auf dem Gedanken der Verwirkung beruhenden - Vorschrift des § 1585b BGB (vgl. Richter, in: MünchKomm, 3.Aufl., § 1585b Rdnr. 1 m.w. Nachw.) zu messen. Der in § 211 BGB enthaltene allgemeine Rechtsgedanke belegt, dass eingetretene Rechtshängigkeit nicht vor den materiellrechtlichen Rechtsfolgen einer nachlässigen Anspruchsverfolgung schützt. Für rechtshängige Unterhaltsansprüche kann nichts anderes gelten (vgl. OLG Köln, NJW 1990, 2630). Im Gegenteil kann gerade von einem Unterhaltsgläubiger, der dringend auf Unterhaltsleistungen angewiesen ist, eher als von einem Gläubiger anderer Forderungen erwartet werden, dass er sich um eine zeitnahe Durchsetzung seiner Ansprüche bemüht (vgl. BGH, NJW 1988, 1137 [1138]).

b) An die Voraussetzungen für eine Verwirkung sind im Unterhaltsrecht keine strengen Anforderungen zu stellen. Das gilt insbesondere für das Zeitmoment (vgl. BGH, NJW 1988, 1137 [1138]). Sieht ein Unterhaltsgläubiger von einer zeitnahen Durchsetzung seiner Ansprüche ab, erweckt sein Verhalten in aller Regel den Eindruck, er sei in dem fraglichen Zeitraum nicht bedürftig. Unterhaltsrückstände können zudem zu einer erdrückenden Schuldenlast anwachsen. Diese Gründe, die eine möglichst zeitnahe Geltendmachung von Unterhalt nahelegen, sind so gewichtig, dass das Zeitmoment schon dann erfüllt sein kann, wenn der zurückliegende Zeitraum etwas mehr als ein Jahr beträgt (vgl. BGH, NJW 1988, 1137 [1138]). Unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Falls sind die Voraussetzungen der Verwirkung - Zeit- und Umstandsmoment - erfüllt.

Der Prozess war zunächst ohne förmliche Antragstellung betrieben worden. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 28. 12. 1996 hatte der Prozessbevollmächtigte der Kl. lediglich weitere Unterlagen und Auskünfte von den Bekl. verlangt und sich vorbehalten, die Unterhaltsforderung nach Erteilung der geforderten zusätzlichen Auskünfte und Belege zu beziffern. Nachdem darauf das AG beschlossen hatte, neuen Termin nur auf Antrag der Kl. anzuberaumen, reichte der Bekl. in der Folgezeit Belege ein und erteilte weitere Auskünfte, zuletzt mit Schriftsatz vom 17. 4. 1997. Obwohl der Bekl. letztmalig im März 1997 Unterhalt in Höhe von 500 DM gezahlt hatte, betrieb die Kl. das Verfahren zunächst nicht mehr weiter. Dies geschah erst 14 Monate später (nach Erhalt des Schriftsatzes vom 7. 4. 1997) mit der Bezifferung ihres Unterhaltsanspruchs im Schriftsatz vom 6. 8. 1998, der bei Gericht am 12. 8. 1998 einging und dem Bekl. am 18. 8. 1998 zugestellt wurde.

Damit genügte die Kl. ihrer Obliegenheit zur zeitnahen Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen nicht. Nachdem der Bekl. seine wirtschaftlichen Grundlagen dargelegt hatte, wäre es Sache der Kl. gewesen, ihren Unterhaltsanspruch alsbald zu beziffern und dem Gerichtsverfahren Fortgang zu geben. Das lag auch deshalb besonders nahe, als der Bekl. nach der letzten Zahlung im März 1997 keinerlei Unterhalt mehr leistete. Wenn die Kl. eine zeitnahe Weiterverfolgung ihres Begehrens gleichwohl unterließ, brauchte der Bekl. angesichts eines „Ruhens“ des Verfahrens von mehr als 14 Monaten nicht mehr damit zu rechnen, dass die Kl. - zumal angesichts ihrer verschiedenen eigenen Einkommensquellen - noch Rückstände beanspruchen würde. Dem Bekl. konnte und durfte sich der Eindruck aufdrängen, die Auswertung der erteilten Auskünfte und Belege habe auf Seiten der Kl. zu der Einschätzung geführt, dass Unterhaltsansprüche jedenfalls mit Blick auf die Vergangenheit nicht mehr bestünden. Dann aber ist es der Kl. nach Treu und Glauben verwehrt, aus den behaupteten vorprozessualen Mahnungen sowie aus der Rechtshängigkeit der Stufenklage noch Rechte herzuleiten; diese hatten ihre Warnfunktion längst eingebüßt. Dies wiederum hat zur Folge, dass die Voraussetzungen, die das Gesetz in § 1585b BGB an die Geltendmachung rückständigen Unterhalts stellt, nicht gegeben sind. Schon deshalb hätten Unterhaltsansprüche bis zum 31. 7. 1998 nicht zugesprochen werden dürfen. Die Klage war daher auch im Übrigen abzuweisen.

Rechtsgebiete

Unterhaltsrecht

Normen

BGB §§ 242, 1585b III