Vaterschaftsfeststellungsklage vor der Geburt des Kindes

Gericht

OLG Schleswig


Art der Entscheidung

Beschluss über Beschwerde


Datum

15. 12. 1999


Aktenzeichen

13 WF 122/99


Leitsatz des Gerichts

Vaterschaftsfeststellungsklage und Klage auf Unterhaltszahlungen können schon erhoben werden, bevor das Kind geboren wurde.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Landkreis ist gem. § 1713 I BGB vorgeburtlicher Beistand und damit gesetzlicher Vertreter eines von Frau A mit dem voraussichtlichen Geburtsdatum 1. 2. 2000 erwarteten Kindes. Als Beistand hat der Kreis Prozesskostenhilfe für einen Klageentwurf beantragt, mit dem beantragt werden soll, festzustellen, dass der Bekl. der Vater des erwarteten Kindes ist. Weiter soll der Bekl. verurteilt werden, dem erwarteten Kind vom Tag der Geburt an Unterhalt in Höhe von 100% des jeweiligen Regelbetrags abzüglich des hälftigen Kindergeldes zu zahlen. Das AG - FamG - hat den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen.Gemäß § 1 BGB beginne die Rechtsfähigkeit eines Menschen mit der Vollendung der Geburt. Nach § 50 I ZPO sei nur parteifähig, wer rechtsfähig sei. Gesetzliche Ausnahmen von diesem Grundsatz gebe es nicht. Daher sei das noch nicht geborene Kind nicht rechtsfähig und könne auch nicht Kl.sein. Die beabsichtigte Klage sei zur Zeit unzulässig. Hiergegen wendet sich der Kreis mit seiner für das erwartete Kind eingelegten Beschwerde, mit der er die Auffassung vertritt, man müsse im Wege der Analogie das erwartete Kind als parteifähig ansehen.

Das Rechtsmittel hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

… Der Kreis ist Beistand und gesetzlicher Vertreter des noch nicht geborenen Kindes. Aus § 1712 I Nrn. 1 und 2 BGB ergibt sich, dass auf schriftlich - hier vorliegenden - Antrag eines Elternteils das Jugendamt Beistand des Kindes für die Aufgaben der Feststellung der Vaterschaft und der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen wird. Diese durch Art. 1 Nr. 4 BeistandschaftsG neu eingefügte Vorschrift regelt, unter welchen Voraussetzungen eine Beistandschaft eintritt, wer Beistand wird und welche Aufgabe er hat. Die Regelung ersetzt die Beistandschaft der aufgehobenen §§ 1685ff.BGB a.F. und zugleich die gesetzliche Amtspflegschaft der § 1705ff.BGB a.F. (Palandt/Diederichsen, BGB, 58. Aufl., § 1712 Rdnr. 1). Aus § 1713 I BGB ergibt sich, dass der Antrag auf Beistandschaft schon vor Geburt des erwarteten Kindes gestellt werden kann; denn dort heißt es, den Antrag könne ein Elternteil stellen, den für den Aufgabenkreis der beantragten Beistandschaft die alleinige elterliche Sorge zustehe oder zustünde, wenn das Kind bereits geboren wäre. Im vorliegenden Fall stünde die elterliche Sorge zweifelsfrei der Mutter des erwarteten Kindes allein zu.

Gemäß § 1714 BGB tritt die Beistandschaft ein, sobald der Antrag dem Jugendamt zugeht. Nach Satz 2 dieser Vorschrift gilt dies auch, wenn der Antrag vor der Geburt des Kindes gestellt wird. Hieraus ergibt sich, dass eine vorgeburtliche Beistandschaft zulässig und wirksam ist und zwar allein aufgrund des Eingangs des entsprechenden Antrags beim Jugendamt, ohne dass es einer zusätzlichen behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung bedürfte (Palandt/Diederichsen, § 1715 Rdnr. 5). Die Wirkungen der Beistandschaft ergeben sich aus § 1716 BGB. Danach wird durch die Beistandschaft die elterliche Sorge zwar nicht eingeschränkt. Jedoch ist das Jugendamt unbeschadet der Vertretungsbefugnis des antragstellenden Elternteils gesetzlicher Vertreter des Kindes (§§ 1793 S. 1, 1915 I , 1716 S. 2 BGB).

Durch die neugefassten Vorschriften über die - auch vorgeburtliche - Beistandschaft hat der Gesetzgeber keine ausdrückliche Regelung darüber getroffen, ob das erwartete Kind - gesetzlich vertreten durch den Beistand - bereits rechtsfähig und parteifähig ist. Nach Auffassung des Senats ist diese Frage jedoch im Wege der Analogie zu bereits bestehenden Vorschriften des BGB zu bejahen.

Ausgangspunkt ist § 1 BGB, nach dem grundsätzlich die Rechtsfähigkeit des Menschen mit der Vollendung der Geburt beginnt. Danach ist ein bereits erzeugtes, aber noch nicht geborenes Kind nicht rechtsfähig. Es wird aber durch eine Reihe von Sondervorschriften des BGB geschützt, die ihm Rechtsfähigkeit und Parteifähigkeit zuerkennen. Aus § 1923 II BGB ergibt sich, dass es erbfähig ist. Nach § 823 I BGB wird ein noch nicht geborenes Kind gegen vorgeburtliche Schädigungen geschützt, indem ihm ein entsprechender Schadensersatzanspruch zuerkannt wird. Aus § 331 II BGB ergibt sich, dass ein noch nicht geborenes Kind durch einen Vertrag zu Gunsten Dritter begünstigt werden kann.

Nach § 1594 IV BGB i.V. mit § 1595 III BGB können die Anerkennung der Vaterschaft eines Kindes und die hierfür erforderliche Zustimmung der Mutter schon vor der Geburt des Kindes erklärt bzw. erteilt werden. Nach § 1615o I BGB kann auf Antrag des Kindes durch einstweilige Verfügung angeordnet werden, dass der Mann, der die Vaterschaft anerkannt hat oder der als Vater vermutet wird, den für die ersten drei Monate dem Kinde zu gewährenden Unterhalt zu zahlen hat. Nach Satz 2 dieser Vorschrift kann der entsprechende Antrag bereits vor der Geburt des Kindes gestellt werden. Nach § 1912 I BGB kann ein noch nicht geborenes Kind zur Wahrung seiner künftigen Rechte, soweit diese einer Fürsorge bedürfen, einen Pfleger erhalten. Schließlich kann das noch nicht geborene Kind bereits Erbe (§ 1923 II BGB), Nacherbe (§ 2108 BGB) und Vermächtnisnehmer (§ 2178 BGB) sein.

Der Gesetzgeber des BGB hat mithin davon abgesehen, einen allgemeinen Satz über die Rechtsfähigkeit noch nicht geborener Kinder aufzustellen. Er hat sich damit begnügt, einzelne Sonderregeln zu ihren Gunsten aufzustellen (Staudinger/Habermann/Weik, BGB, 12. Aufl., § 1 Rdnr. 11). Diese einzelnen Vorschriften stellen zwar eine nur lückenhafte Regelung dar. Diese Lücken sind aber im Wege der Rechtsanalogie zu den bestehenden Vorschriften zu schließen. Einer solchen Analogie stehen aufgrund der Entstehungsgeschichte und der Intention des Gesetzgebers keine Bedenken entgegen (Gitter, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 1 Rdnr. 26). Auch Ausnahmerechtssätze sind analogiefähig, soweit das in ihnen verkörperte Rechtsprinzip auch auf ähnliche Fälle zutrifft. Im Ergebnis kommt man damit jedenfalls in der Praxis über den Wortlaut des § 1 BGB hinaus zu einer beschränkten Rechtsfähigkeit eines noch nicht geborenen Kindes (allg. Auffassung, vgl. insoweit die Nachw. bei Gitter, in: MünchKomm, § 1 Rdnr. 26).

Alle genannten Vorschriften des BGB, die einem noch nicht geborenen Kind Rechte einräumen, betreffen Sachverhalte, in denen es um den Vorteil und die Wahrung von Rechtspositionen des erwarteten Kindes geht. Einen solchen Sachverhalt regelt auch der neu geschaffene § 1712 BGB. Sowohl die Feststellung der Vaterschaft als auch die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen liegen im Interesse des Kindes. Es ist daher konsequent, ein noch nicht geborenes Kind als rechtsfähig anzusehen, soweit es um die Feststellung der Vaterschaft und der Unterhaltsansprüche geht.

Aus der (beschränkten) Rechtsfähigkeit des noch nicht geborenen Kindes folgt eine (beschränkte) Parteifähigkeit. Das noch nicht geborene Kind ist zur Geltendmachung seiner Rechte parteifähig (Palandt/Heinrichs, § 1 Rdnr. 7). Auch insoweit handelt es sich um ein in einem Ausnahmefall gesetzlich normiertes Prinzip. Es ergibt sich aus der bereits erwähnten Vorschrift des § 1615o I BGB, wonach ein Kind schon vor seiner Geburt einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Sicherung des Unterhalts für die ersten drei Monate nach der Geburt stellen kann (Gitter, in: MünchKomm, § 1 Rdnr. 30).

Auch das RG hat in zwei Entscheidungen (RGZ 61, 356, u. RGZ 65, 281) unter Hinweis auf einzelne Spezialregelungen zu Gunsten noch nicht geborener Kinder die Auffassung vertreten, aus der Rechtsfähigkeit ergebe sich - soweit sie reiche - auch eine Parteifähigkeit. Das RG hat es daher für zulässig angesehen, dass noch nicht geborene Kinder Prozesse um die Eintragung einer Hypothek oder Drittwiderspruchsklagen führten. In der grundlegenden Entscheidung (RGZ 65, 281) hat das RG dazu, nachdem es sich mit der Bedeutung der danach vorhandenen gesetzlichen Spezialregelung auseinandergesetzt hat, ausgeführt:

„Ist aber auf diese Weise einmal ihre (noch nicht geborener Kinder) Rechtsfähigkeit wirklich eingetreten, so ist die notwendige Folge hiervon, dass sie, soweit sich nicht von selbst aus der Eigentümlichkeit ihrer Stellung notwendige Ausnahmen ergeben, im Rechtsverkehre, namentlich im Forderungs- und Sachenrechte, den übrigen Rechtssubjekten gleichgestellt werden müssen, insbesondere Forderungen und dingliche Rechte wenigstens sicherungshalber erwerben, sie verlieren, darüber verfügen und als parteifähig darüber Rechtsstreitigkeiten führen können.“

Nach diesem Maßstab ist nach Auffassung des Senats auch im Rahmen des neu geschaffenen § 1712 BGB noch nicht geborenen Kindern korrespondierend zu einer hierauf erstreckten Rechtsfähigkeit auch die zugehörige Parteifähigkeit zuzuerkennen. Nur so wird dem Rechtsprinzip der beschränkten Rechtsfähigkeit Genüge getan, und nur so können noch nicht geborene Kinder von ihren Rechten sinnvoll Gebrauch machen. Insbesondere gilt dies, soweit es um vorgeburtliche Klagen auf Feststellung der Vaterschaft geht. Insoweit hat nämlich der Kreis als Bestand nachvollziehbar unter Berufung auf ein Gutachten des deutschen Instituts für Vormundschaft (DAVorm 1999, 377) vorgetragen, dass durch die Weiterentwicklung medizinischer Techniken mit der DNA-Analyse inzwischen ein Verfahren zur Verfügung steht, das den herkömmlichen Blutgruppengutachten gleichwertig oder sogar überlegen ist. Diese DNA-Analyse kann durchgeführt werden, wenn dem neugeborenen Kind nach Beendigung der Geburt aus der Nabelschnur eine Blutprobe entnommen wird. Damit steht eine zuverlässige, schonende und das neugeborene Kind nicht belastende Methode für die schnelle Feststellung der Vaterschaft zur Verfügung. Die sonst erforderliche zumindest mehrmonatige Wartezeit, die aufgrund der physiologischen Zusammensetzung des Blutes des Neugeborenen bei der Erstattung herkömmlicher Gruppengutachten einzuhalten wäre, entfällt damit.

Durch die Einräumung vorgeburtlicher Rechts- und Parteifähigkeit wird dem noch ungeborenen Kind die Möglichkeit gegeben von diesen Vorteilen Gebrauch zu machen. Dass es auch im Sinne des Kindes ist, sobald wie möglich Unterhaltsansprüche durchzusetzen und zu sichern, liegt auf der Hand.

Rechtsgebiete

Unterhaltsrecht; Ehe- und Familienrecht

Normen

BGB §§ 1, 1712; ZPO § 50 I