Telefonverzeichnis

Gericht

OLG Karlsruhe


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

11. 12. 1996


Aktenzeichen

6 U 56/96


Leitsatz des Gerichts

Die systematische und vollständige Übernahme der Teilnehmerdaten aus einem Telefonverzeichnis der TELEKOM in ein eigenes Datenwerk ist als unlautere Behinderung wettbewerbswidrig.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Zulässigkeit des Vertriebs einer CD-ROM "D-Info 2.0" durch die Bekl., in welcher Daten gespeichert sind, die den von der Kl. verlegten Telefonbüchern entnommen worden sind. Die Kl. wirft den Bekl. eine Verletzung ihr an der Sammlung dieser Daten zustehender Urheberrechte und ein wettbewerbswidriges Verhalten vor.

Die Kl. hat folgende Anträge gestellt:

1. Die Bekl. werden verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs das Produkt CD-ROM "D-Info Version 2.0" zu bewerben, anzubieten, zu vertreiben oder bewerben, anbieten oder vertreiben zu lassen.

2. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wird den Bekl. Ordnungsgeld in Höhe bis zu DM 500 000,-, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft angedroht, wobei die Ordnungshaft an den Vorstandsmitgliedern (Bekl. Ziff. 2 bis 5) zu vollziehen ist.

3. Es wird festgestellt, daß die Bekl. verpflichtet sind, der Kl. allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch Handlungen gemäß Ziff. 1 entstanden ist oder noch entsteht.

4. Die Bekl. werden verurteilt, der Kl. schriftlich in geordneter Aufstellung über den Umfang aller Handlungen nach Ziff. 1 Rechnung zu legen unter Angabe von Lieferdaten, Liefermengen, Lieferpreisen, Namen und Anschriften der Abnehmer, der Gestehungskosten und der Angabe der einzelnen Kostenfaktoren sowie des erzielten Gewinns und Auskunft zu erteilen über die einzelnen Angebote und die Werbung unter Nennung der Angebotsmengen, Angebotszeiten, Angebotspreise sowie der Namen und Anschriften der Angebotsempfänger und der einzelnen Werbeträger, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet.

Die Bekl. haben Klagabweisung beantragt.

Das LG hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung verfolgen die Bekl. ihr Klagabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Berufung hat in der Sache nur zu einem geringen Teil Erfolg. Mit zutreffenden Gründen hat das LG der Kl. die geltend gemachten Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche gemäß § 1 UWG gegen die Bekl. zugebilligt. Das Vorbringen der Bekl. im Berufungsrechtszug rechtfertigt keine hiervon abweichende Beurteilung. Erfolgreich ist die Berufung lediglich insoweit, als der vom LG zugesprochene Auskunftsanspruch einzuschränken ist.

Zu Recht geht das LG davon aus, daß die Übernahme eines fremden Leistungsergebnisses, das nicht unter Sonderrechtsschutz steht, regelmäßig wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden ist. Zur Begründung eines Unlauterkeitsvorwurfs bedarf es des Hinzutretens besonderer Umstände, die das Verhalten des Nachahmers ausnahmsweise als wettbewerbswidrig erscheinen lassen. So ist es etwa als sittenwidrig anzusehen, wenn ein Leistungsergebnis mit wettbewerblicher Eigenart nachgeahmt wird, an dem sein Schöpfer bereits einen schutzwürdigen Besitzstand erlangt hat. Daß zur Schaffung des Leistungsergebnisses Mühe und Kosten aufgewendet werden mußten, reicht für sich allein für die Zubilligung eines ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes nicht aus.

Im Streitfall kann zwar nicht davon ausgegangen werden, daß die in den von der Kl. verlegten Telefonbüchern enthaltenen Daten der Fernsprechteilnehmer in einer Weise angeordnet, ausgewählt oder gesichtet sind, die die Annahme einer wettbewerblich eigenartigen, sich vom Durchschnittlichen abhebenden Leistung oder gar eines dem Urheberrechtsschutz zugänglichen schöpferischen Werkes begründen könnte. Die Anordnung der von der Kl. gesammelten und in ihren Telefonbüchern wiedergegebenen Daten ist vorgegeben durch die alphabetische Reihenfolge der Anfangsbuchstaben der Namen der einzelnen Fernsprechteilnehmer, durch deren Zuordnung zu einem bestimmten Vorwahlbereich (Stadt, Gemeinde) und durch die sinnvolle Ausfüllung der zur Verfügung stehenden Telefonbuchseiten. Von einer über das rein handwerkliche Zusammenfügen und Aneinanderreihen der gesammelten Daten hinausgehenden eigenschöpferischen Leistung, welche die Telefonbücher der Kl. von gängigen Daten- oder Adressensammlungen unterschiede, kann nicht gesprochen werden. Der erhebliche finanzielle Aufwand, die die Kl. betreiben muß, um ihre Telefonbücher laufend zu aktualisieren, begründet für sich allein keinen ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungschutz.

Im Streitfall lassen die Umstände des Einzelfalles jedoch auch ohne das Vorliegen eines schutzwürdigen Leistungsergebnisses das Verhalten der Bekl. als anstößig und damit wettbewerbswidrig im Sinnes des § 1 UWG erscheinen. Die Kl. erbringt ihre Leistung (Herausgabe der deutschen Telefonbücher und Auflistung der darin enthaltenen Daten) nicht auf dem freien Markt in Wettbewerb mit anderen Anbietern, sondern in Erfüllung der der Deutschen Telekom AG gemäß § 3 der TELEKOM-Pflichtleistungsverordnung obliegenden Verpflichtung, mindestens einmal jährlich auf dem neuesten Stand befindliche Teilnehmerverzeichnisse über alle bundesdeutschen Rufnummern herauszugeben. Diese Verpflichtung ist von der Deutschen Telekom AG bzw. der Kl. unabhängig von der jeweiligen Marktlage zu erfüllen. Die damit verbundenen organisatorischen und sachlichen Aufwendungen und Kosten fallen an, ohne daß die Kl. hierauf Einfluß nehmen oder ihr Verhalten der Wettbewerbslage anpassen könnte. Die Kl. ist mithin gehalten, unter Einsatz erheblicher Mittel eine Leistung zu erbringen und der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, ohne sich hierbei an den Marktbedürfnissen orientieren zu können. Die Nutzung dieser in einer wettbewerblichen Zwangslage erbrachten Leistung und damit die Verwertung des in den Telefonbüchern gesammelten Datenmaterials als wirtschaftlicher Wert steht nach den Maßstäben eines lauteren Wettbewerbs der Kl. zu. Daß diese Wertzuordnung dem Willen des Gesetzgebers entspricht, kommt in der (nachträglich in Kraft getreteten) Regelung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) vom 25. 7. 1996 zum Ausdruck. Nach § 12 TKG ist die Kl. als Anbieterin von Sprachkommunikationsdienstleistungen für die Öffentlichkeit verpflichtet, auf Anforderung Teilnehmerdaten unter Beachtung der anzuwendenden datenschutzrechtlichen Regelungen anderen Lizenznehmern, die Sprachkommunikationsdienstleistungen für die Öffentlichkeit anbieten, zum Zwecke der Aufnahme eines Auskunftsdienstes oder der Herausgabe eines Verzeichnisses der Rufnummern der Teilnehmer in kundengerechter Form zugänglich zu machen (Abs. 1). Sie ist darüber hinaus verpflichtet, auf Anforderung Teilnehmerdaten unter Beachtung der anzuwendenden datenschutzrechtlichen Regelungen jedem Dritten zum Zwecke der Aufnahme eines Auskunftsdienstes oder der Herausgabe eines Verzeichnisses der Rufnummern der Teilnehmer in kundengerechter Form zugänglich zu machen (Abs. 2). Für die Erfüllung ihrer Verpflichtung nach Abs. 1 kann sie ein Entgelt erheben, das sich an den Kosten der effizienten Bereitstellung orientiert. Für die Erfüllung ihrer Verpflichtung gemäß Abs. 2 steht ihr ein angemessenes Entgelt zu. Mit dieser Regelung ist nunmehr gesetzlich festgelegt, daß der Verpflichtung der Kl., ihre Datensammlung Dritten zur Verfügung zu stellen, ein Anspruch auf Entlohnung hierfür korrespondiert. Die unter Mißachtung dieser auch schon vor Inkrafttreten des TKG gültigen wettbewerblichen Wertzuordnung vorgenommene Ausnutzung der wettbewerlichen Zwangslage der Kl. durch die systematische und vollständige Übernahme des von ihr geschaffenen Datenwerks und dessen Vermarktung durch die Bekl. entspricht nicht dem Verhalten eines anständigen Kaufmanns und stellt sich als anstößig dar. Die Kl. wird hierdurch in den ihr zugewiesenen Möglichkeiten behindert, die von ihr für die Anlage und Aktualisierung der Telefonbücher aufgewendeten Kosten auszugleichen. Die Bekl. eignen sich in Widerspruch zu der vom Gesetzgeber bestätigten Zuordnung und Bewertung von Datensystemen eine Leistung an und verwenden sie für sich, die der Kl. zusteht und für deren Nutzung durch Dritte diese ein Entgelt beanspruchen kann. Die Bekl. verschaffen sich dadurch einen Wettbewerbsvorsprung, daß sie unter Ersparung entsprechender Datenbeschaffungskosten durch die bloße Übernahme des vollständigen von der Kl. zusammengetragenen Datenwerks ein Produkt auf den Markt bringen, das die Kl. aufgrund gesetzlicher Verpflichtung geschaffen hat und dessen Nutzung ihr zu vergüten ist. Die in § 12 TKG zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung steht auch nicht in Widerspruch zu europäischen Rechtsnormen, sondern entspricht den Entwicklungen zur europäischen Vereinheitlichung des rechtlichen Schutzes von Datenbanken, welche in der Richtlinie 96/EG vom 5. 2. 1996 ihren vorläufigen Abschluß gefunden hat.

Nach alldem stellt sich das Verhalten der Bekl. als eine wettbewerbswidrige Behinderung der Kl. dar. Diese kann auch nicht, wie die Bekl. meinen, damit gerechtfertigt werden, daß die Kl. für die Zurverfügungstellung von Daten überhöhte Preise verlange. Den Bekl. verbliebe in einem solchen Falle die Möglichkeit, kartellrechtliche Maßnahmen gegen die Kl. einzuleiten. Sie waren aber nicht berechtigt, ohne weiteres kostenlos auf die Leistung der Kl. zurückzugreifen.

Das LG hat der Kl. daher zu Recht die geltend gemachten Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche gegen die Bekl. zugebilligt.

Die Bekl. haben auch schuldhaft gehandelt, da ihnen die Umstände, die ihr Verhalten als wettbewerblich anstößig erscheinen lassen, bekannt waren. Der Annahme eines Verschuldens der Bekl. steht auch nicht entgegen, daß in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten wird, ihr Verhalten sei wettbewerbsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar handelt nicht schuldhaft, wer der Rechtsprechung des höchsten Gerichtes vertraut und seinen Wettbewerb danach einrichtet. Auf andere Gerichte läßt sich das jedoch nicht ohne weiteres ausdehnen (Baumbach/Hefermehl, UWG, 18. Aufl., Einl. Rdn. 371). Bei zweifelhafter Rechtslage darf man nicht einfach die günstigere Rechtsauffassung zugrunde legen, die Berufung auf eine nicht gesicherte Rechtsauffassung schließt Verschulden nicht aus (BGH GRUR 1954, 163 - Bierlieferungsverträge). Im Streitfall wird das Verhalten der Bekl. in der Rechtsprechung der Instanzgerichte unterschiedlich beurteilt. Eine höchstrichterliche Klärung ist noch nicht erfolgt. Bei dieser Sachlage können die Beklagten 2 bis 5 bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung ihres Verhaltens nicht ohne weiteres von der für sie günstigsten Rechtsauffassung ausgehen. Alle Bekl. sind daher der Kl. nicht nur zur Unterlassung, sondern auch zur Schadensersatzleistung verpflichtet.

Der vom LG der Kl. zugesprochene Auskunftsanspruch war jedoch auf die Liefermengen und Lieferpreise der streitgegenständlichen CD-ROM zu beschränken. Die Kl. kann lediglich den konkreten, ihr erwachsenen Schaden ersetzt verlangen, zu dessen Bezifferung sie die von ihr mit ihrem Auskunftsbegehren weiter geforderten Angaben nicht benötigt. Anders als bei Eingriffen in fremde gewerbliche und geistige Schutzrechte besteht bei Schäden, die einem Unternehmen durch unlauteren Wettbewerb zugefügt werden, grundsätzlich kein Anspruch auf Zahlung einer Lizenzgebühr oder auf Herausgabe des Verletzergewinns (BGH GRUR 1965, 313, 314 - Umsatzauskunft). Eine derartige Schadensberechnung wird dem Verletzten allenfalls bei einer wettbewerbswidrigen Nachahmung dann zugebilligt, wenn diese wegen des besonderen Schutzwerts des nachgebildeten Erzeugnisses auch "jedem anderen" untersagt ist und somit eine dem Immaterialgüterschutz vergleichbare Leistungsposition zur eigenen Gewinnerzielung ausgenutzt worden ist (Baumbach/Hefermehl, UWG, 19. Aufl., Einl. Rdn. 386 mit weiteren Nachw.). Im Streitfall steht der Kl., wie ausgeführt, eine einem Immaterialgüterrecht vergleichbare geschützte Leistungsposition nicht zu, da ihre Telefonbücher mangels der erforderlichen wettbewerblichen Eigenart einem ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz nicht zugänglich sind. Auch kann nicht davon ausgegangen werden, daß der von den Bekl. erzielte Umsatz der Umsatzeinbuße auf seiten der Kl. entspricht. Die Kl. hat nicht vorgetragen, daß die Bekl. als einzige die beanstandete CD-ROM vertrieben haben. Der Kl. steht daher ein Rechnungslegungsanspruch in dem von ihr geltend gemachten Umfang nicht zu. Die vom LG ausgesprochene Verurteilung war insoweit einzuschränken.

Rechtsgebiete

Verbraucherschutzrecht; Datenschutzrecht

Normen

UWG § 1; TELEKOM-Pflichtleistungsverordnung § 3; TKG § 12