Beweislastverteilung bei Ansprüchen aus Produkthaftung

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

02. 02. 1999


Aktenzeichen

VI ZR 392/97


Leitsatz des Gerichts

Wird bei bestimmungsgemäßer Verwendung eines Erzeugnisses (hier: Torfsubstrat) eine Sache dadurch beschädigt, daß das Produkt fehlerhaft hergestellt war, so muß der Hersteller beweisen, daß ihm hinsichtlich des Mangels keine objektive Pflichtwidrigkeit oder kein Verschulden zur Last fällt.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Bekl. handelt mit Torferzeugnissen. Sie stellt u.a. aus Torf sogenannte Substrate her, die im Gartenbau zur Auf- und Weiterzucht von Topfpflanzen verwendet werden. Der Kl. hat sich als Inhaber eines Gartenbaubetriebes auf die Kultivierung von Azaleen spezialisiert. Er sprach am 2. 9. 1993 telefonisch mit einem Mitarbeiter der Bekl. über ein für seine Zwecke geeignetes Azaleen-Substrat und entschied sich sodann für eine bestimmte Zusammensetzung dieses Produkts. Das Substrat wurde dem Kl. am 6. 9. 1993 von dem landwirtschaftlichen Betrieb G, der die Torferzeugnisse der Bekl. vertreibt, geliefert und über die Union gartenbaulicher Absatzmärkte (UGA) S mit 2799,39 DM in Rechnung gestellt. Der Kl. verwendete das Substrat in der Zeit vom 15. 9. bis 14. 12. 1993 zur Bewurzelung von Azaleenstecklingen und zur Aufzucht von Azaleenpflanzen. Mitte November 1993 stellte er an den Stecklingen eine verzögerte Wurzelbildung und an den Jungpflanzen ein stark gestörtes Wachstum fest. Er führt dies auf das von der Bekl. hergestellte Produkt zurück und behauptet, die Pflanzen hätten von ihm nicht vermarktet werden können. Nach Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens nimmt er die Bekl. auf Schadensersatz in Höhe von (jetzt noch) 517977,17 DM in Anspruch.

Das LG hat durch Grund- und Teilurteil die Bekl. zur Zahlung von 40513 DM nebst Zinsen verurteilt und die Klage im übrigen dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das BerGer. hat die Klage abgewiesen. Die Revision war erfolgreich und führte zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das BerGer.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat es im Gegensatz zum LG nicht für erwiesen erachtet, daß zwischen den Parteien unmittelbare Vertragsbeziehungen in Form eines Werklieferungsvertrags zustande gekommen sind. Andere Anspruchsgrundlagen seien vom Kl. nicht schlüssig vorgetragen worden. Ein Anspruch aus unerlaubter Handlung nach § 823 I BGB scheide schon deshalb aus, weil der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kl. ein Verschulden der Bekl. nicht dargetan habe.

II. Das Berufungsurteil hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.

1. Die Revision rügt mit Erfolg, daß das BerGer. die Beweislastverteilung bei Ansprüchen aus Produkthaftung nach § 823 I BGB verkannt hat.

a) Aufgrund des Sachvortrags des Kl. und des Beweisergebnisses des LG ist mangels gegenteiliger Feststellungen des BerGer. für die Revisionsinstanz davon auszugehen, daß das an den Kl. gelieferte Substrat bereits im Betrieb der Bekl. durch wachstumshemmende Stoffe verunreinigt worden ist. Der revisionsrechtlichen Prüfung ist ferner die Behauptung des Kl. zugrunde zu legen, daß das verunreinigte und damit von der Bekl. fehlerhaft hergestellte Torfprodukt zu nachteiligen Auswirkungen auf das Wachstum der Azaleenstecklinge und -pflanzen geführt hat. Das wird auch von der Revisionserwiderung der Bekl. nicht in Frage gestellt.

b) Auf dieser Grundlage ist von einer Verletzung des Eigentums des Kl. an den Azaleen durch das Produkt der Bekl. auszugehen. Es ist nicht lediglich, wie die Revisionserwiderung geltend macht, das Äquivalenz-(= Erfüllungs-)Interesse des Kl. an der vertragsgemäßen Lieferung eines sauberen Substrats beeinträchtigt worden; die bestimmungsgemäße Verwendung des von der Bekl. hergestellten Produkts hat vielmehr zu einer Verletzung der Integritätsinteressen des Kl. an seinen zuvor gesunden Stecklingen und Jungpflanzen geführt (vgl. BGHZ 51, 91 [102] = NJW 1969, 269 = LM § 823 [J] BGB Nr. 22; BGHZ 105, 346 [350] = NJW 1989, 707 = LM § 823 [Ac] BGB Nr. 46; Senat, NJW 1987, 1694 = LM § 823 [Bf] BGB Nr. 93 = VersR 1987, 587 [588]). Der vom Kl. daraus hergeleitete Schaden deckt sich auch nicht etwa mit dem Unwert, welcher dem von der Bekl. hergestellten Substrat bei seinem Erwerb durch den Kl. anhaftete und für den die Bekl. auf deliktischer Grundlage keinen Ersatz schulden würde (zur Abgrenzung von Äquivalenz- und Integritätsinteresse s. allg. BGHZ 138, 230ff. = NJW 1998, 1942 = LM H. 8-1998 § 823 [Ac] BGB Nr. 66 = VersR 1998, 855 [856ff.]).

c) War aber das von der Bekl. hergestellte Substrat mangelhaft und hat dieser Mangel bei bestimmungsgemäßer Verwendung des Produkts zu einer Eigentumsverletzung des Kl. geführt, so ist es entgegen der Rechtsansicht des BerGer. nicht Sache des Kl., ein Verschulden der Bekl. darzulegen und zu beweisen. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats hat sich vielmehr in solchen Fällen der Produzent zu entlasten und dabei das Fehlen einer objektiven Pflichtwidrigkeit oder eines Verschuldens darzutun (BGHZ 51, 91 [102ff.] = NJW 1969, 269 = LM § 823 [J] BGB Nr. 22; BGHZ 116, 104 [107ff.] = NJW 1992, 1039 = LM H. 7-1992 § 823 [J] BGB Nr. 41; Senat, NJW 1996, 2507 = LM H. 10-1996 § 823 [J] BGB Nr. 45 = VersR 1996, 1116 [1117]). Dies gilt auch für die Beweislastverteilung im Verhältnis von Gewerbetreibenden untereinander, wie sie im Streitfall zu beurteilen ist (BGHZ 105, 346 [352] = NJW 1989, 707 = LM § 823 [Ac] BGB Nr. 46).

d) Der hiernach der Bekl. obliegende Entlastungsbeweis ist nach den bisherigen Feststellungen des BerGer. nicht erbracht. Die Bekl. hat insbesondere nicht bewiesen, daß sie bei Anwendung der von einem Hersteller zu erbringenden Sorgfalt nicht mit einer Verunreinigung des Substrats in ihrem Betrieb rechnen mußte (vgl. BGHZ 105, 346 [352ff.] = NJW 1989, 707 = LM § 823 [Ac] BGB Nr. 46).

2. Da auf der Grundlage des bislang festgestellten Sachverhalts von einer Schadensersatzpflicht der Bekl. aus dem Gesichtspunkt einer deliktischen Produzentenhaftung nach § 823 I BGB auszugehen ist, kommt, soweit diese auch Folgeschäden umfassende Haftung reicht (vgl. dazu Senat, NJW 1996, 2507 = LM H. 10-1996 § 823 [J] BGB Nr. 45 = VersR 1996, 1116 [1117], und BGHZ 138, 230ff. = NJW 1998, 1942 = LM H. 8-1998 § 823 [Ac] BGB Nr. 66 = VersR 1998, 855 [856ff.]), eine Einstandspflicht der Bekl. aus dem von der Revision zusätzlich geltend gemachten „Auffangtatbestand„ eines Eingriffs in den Gewerbebetrieb des Kl. nicht in Betracht (s. BGHZ 105, 346 [350] = NJW 1989, 707 = LM § 823 [Ac] BGB Nr. 46; Senat, NJW 1983, 812 = LM § 823 [Ac] BGB Nr. 36 = VersR 1983, 346f.). Es wird Sache des Kl. sein, dem BerGer. im Rahmen der ohnehin erforderlichen weiteren Verhandlung näher darzulegen, aus welchen Gründen ein etwa nicht der Produzentenhaftung unterfallender Teil der Klageansprüche aus dem Gesichtspunkt eines Eingriffs der Bekl. in den Gewerbebetrieb des Kl. gerechtfertigt sein kann.

III. Das Berufungsurteil ist aufzuheben und der Rechtsstreit gem. § 565 I ZPO zur weiteren Sachaufklärung an das BerGer. zurückzuverweisen. Bei der neuen Verhandlung wird die Bekl. dann auch Gelegenheit haben darzulegen, daß sie nicht gegen die einem Hersteller u.U. obliegende Befundsicherungspflicht (BGHZ 104, 323 [333ff.] = NJW 1988, 2611 = LM § 823 [E] BGB Nr. 16) verstoßen hat, obwohl sie von Vegetationstests abgesehen hat, die nach den Ausführungen der Sachverständigen im selbständigen Beweisverfahren seinerzeit von der Mehrzahl der torfverarbeitenden Betriebe bereits durchgeführt wurden.

Rechtsgebiete

Schadensersatzrecht

Normen

BGB § 823; ZPO § 282