Räumung eines "tierreichen" Hauses

Gericht

OLG Karlsruhe


Art der Entscheidung

Beschluss über Beschwerde


Datum

04. 12. 1996


Aktenzeichen

14 W 64/96


Leitsatz des Gerichts

Der Gerichtsvollzieher ist bei einer Räumungsvollstreckung nicht zuständig für die Unterbringung und Versorgung der Tiere des Räumungsschuldners. Räumungstitel werden aber nicht unvollziehbar, denn der Gerichtvollzieher kann die zuständige Ordnungs- und Polizeibehörde von der beabsichtigten Räumung eines u. A. von Tieren bewohnten Grundstücks in Kenntnis setzen und diese kann zum Zwecke der Gefahrenabwehr tätig werden.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Gläubigerin hat gegen die Schuldner ein rechtskräftiges Versäumnisurteil des AG L. vom 26. 6. 1996 erwirkt, durch das diese verurteilt sind, das von der Gläubigerin angemietete Haus zu räumen und an diese herauszugeben. Im schriftlichen Mietvertrag war den Mietern - unter Verbot der Tierhaltung mit Ausnahme von Ziervögeln und Zierfischen im übrigen - die Haltung von zwei Gänsen gestattet. Ein Vollstrekungsschutzantrag der Schuldner nach § 765a ZPO ist ohne Erfolg geblieben. Der Gerichtsvollzieher hat am 12. 9. 1996 die Zwangsräumung eingestellt. Er hat in seinem Protokoll festgestellt, daß sich auf dem Grundstück neben den Schuldnern und vier Kindern 108 Tiere befinden (darunter 29 Gänse, 16 Enten, 12 Hühner und 3 Küken, 3 Stallhasen, 6 Katzen, ein Hund sowie 10 Wellensittiche). Nachdem er die Stadt L. - Amt für öffentliche Ordnung - schon mit Schreiben vom 23. 8. 1996 aufgefordert habe, für die Übernahme der auf dem Grundstück befindlichen Tiere Sorge zu tragen, beim Räumungstermin vom 12. 9. 1996 von der Behörde indes niemand erschienen sei, habe er die Zwangsvollstreckung eingestellt (unter Hinweis auf LG Oldenburg, DGVZ 1995, 44 (45) und Geißler, DGVZ 1995).

Die hiergegen gerichtete Erinnerung der Gläubigerin hat das AG L. mit Beschluß vom 19. 9. 1996 zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat das LG O. den Beschluß des AG im Kostenpunkt aufgehoben und im übrigen dahingehend abgeändert, daß der zuständige Gerichtsvollzieher angewiesen wird, die Zwangsräumung fortzusetzen. Die sofortige Beschwerde der Schuldner hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. 1. Die sofortige weitere Beschwerde der Schuldner ist zulässig (§§ 793 II , 568 II ZPO; zur Beschwerdebefugnis des Schuldners nach der Anweisung des Gerichtsvollziehers zur Fortsetzung der Zwangsvollstreckung im Rahmen eines Erinnerungsverfahrens nach § 766 ZPO vgl. Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 20. Aufl., § 766 Rdnr. 46; s. auch OLG Frankfurt a.M., OLGZ 1982, 238). Sie machen auch eine Beeinträchtigung eigener Rechte geltend (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 20. Aufl., § 793 Rdnr. 4 m. § 766 Rdnr. 12).

2. Das Rechtsmittel der Schuldner ist auch begründet. Das AG hat mit Recht die Einstellung der Zwangsräumung durch den Gerichtsvollzieher nicht beanstandet; der Senat kann sich der gegenteiligen Auffassung des LG nicht anschließen.

a) Nach § 885 II ZPO hat der Gerichtsvollzieher im Rahmen einer Räumungsvollstreckung bewegliche Sachen, die nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung sind, wegzuschaffen und dem Schuldner oder einer Hilfsperson des Schuldners zu übergeben oder zur Verfügung zu stellen. Ist weder der Schuldner noch eine derartige Hilfsperson anwesend, so hat der Gerichtsvollzieher die Sachen auf Kosten des Schuldners in das Pfandlokal zu schaffen oder anderweit in Verwahrung zu bringen (§ 885 III ZPO). Im Falle der Verzögerung der Abholung durch den Schuldner kann das Vollstreckungsgericht den Verkauf der Sachen und die Hinterlegung des Erlöses anordnen (§ 885 IV ZPO). Das LG hat keine Bedenken gesehen, diese Vorschriften auch auf die Tiere eines Schuldners anzuwenden, der von einer Räumungsvollstreckung betroffen ist.

b) Der Senat folgt demgegenüber der Ansicht von Geißler (DGVZ 1995, 145 (146f.)), der es als ausgeschlossen ansieht, Tiere unter den Begriff der „beweglichen Sache" in § 885 II ZPO zu subsumieren. Dies mag nicht schon aus dem durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung des Tieres im bürgerlichen Recht vom 20. 8. 1990 eingeführten § 90a BGB zu entnehmen sein; nicht zu übersehen ist allerdings, daß dieses Gesetz gerade für das Zwangsvollstreckungsrecht Neuerungen eingeführt hat (§§ 765a I 2, 811c ZPO), denen praktische und damit weitergehende Bedeutung zukommt als den materiellrechtlichen Vorschriften des Gesetzes. Geißler ist aber darin zuzustimmen, daß Tiere nicht in das genau abgestimmte System der Absätze 2-4 des § 885 ZPO „hineinpassen“:

Man kann es sich noch vorstellen, daß der Gerichtsvollzieher befugt sein soll, Tiere von dem zu räumenden Grundstück wegzunehmen und dem Schuldner oder einem Beauftragten des Schuldners zu übergeben (vgl. § 885 II ZPO; für Anwendung dieses Teils der Vorschrift auch Zöller/Stöber, § 885 Rdnr. 10a). In vielen Fällen der Zwangsräumung kommt dem aber keine nennenswerte praktische Bedeutung zu: § 885 II ZPO setzt voraus, daß der Schuldner oder sein Beauftragter bereit (und auch in der Lage) ist, die wegzunehmenden „beweglichen Sachen" (hier: Haustiere) wieder an sich zu nehmen (vgl. nur Schilken, in: MünchKomm-ZPO, 1992, § 885 Rdnr. 23); wenn der Schuldner in eine Obdachlosenunterkunft eingewiesen werden soll - wie hier - und eine Vielzahl von Tieren nicht dorthin mitgenommen werden kann, wäre der Weg des § 885 II ZPO selbst dann nicht gangbar, wenn man Tiere weiterhin als „bewegliche Sachen" begreifen wollte. Die Frage, ob alsdann nach § 885 III ZPO vorzugehen ist und die Tiere in das Pfandlokal zu schaffen oder „anderweit in Verwahrung zu bringen“ sind, beantwortet sich von selbst; dieses Vorgehen ist für die Lagerung von Mobiliar und ähnlichen Gerätschaften passend, nicht aber für die artgerechte Unterbringung und Betreuung lebender Tiere geeignet (so mit Recht Geißler, DGVZ, 1995, 146). Auch die schon erwähnten „neuen“ Bestimmungen der §§ 765a I 2, 811c ZPO sprechen im übrigen gegen eine schematische Gleichstellung von Tieren mit „beweglichen Sachen" beliebiger Art, die sich in eine Pfandkammer stellen lassen.

c) Verfassungsrechtliche Gründe, namentlich der Schutz des Eigentums (Art. 14 GG), stehen entgegen der Meinung der Gläubigerin nicht in Widerspruch zu der vom AG gebilligten Ansicht des Gerichtsvollziehers. Verneint man die Zuständigkeit des Gerichtsvollziehers zur Unterbringung und Versorgung der Tiere des Räumungsschuldners, werden damit Räumungstitel nicht etwa unvollziehbar: Angesichts der drohenden Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung (§ 1 BWPolG), namentlich des Straßenverkehrs, durch eine Vielzahl „herrenlos“ gewordener Tiere wird es den Ordnungs- und Polizeibehörden obliegen, zum Zwecke der Gefahrenabwehr tätig zu werden (LG Oldenburg, DGVZ 1995, 44; Zöller/Stöber, § 885 Rdnr. 10a). Anlaß zum Einschreiten besteht, wenn die Behörde durch den Gerichtsvollzieher von der beabsichtigten Räumung eines u.a. von Tieren „bewohnten“ Grundstücks Kenntnis erlangt (zum Verbot der Störung der öffentlichen Ordnung durch Vollstreckungsmaßnahmen des Gerichtsvollziehers vgl. allg. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 55. Aufl., § 885 Rdnr. 21). Ob im Streitfall die Stadt oder der Landkreis berufen gewesen wären, zur Gefahrenabwehr tätig zu werden, ist nicht von den Zivilgerichten zu entscheiden.

Das Gebot eines effektiven Schutzes des Eigentums (Art. 14 GG) spricht nach Auffassung des Senats im übrigen nicht gegen, sondern eindeutig für die oben vertretene Ansicht. Wollte man mit dem LG § 885 III LGO in einem weiteren Sinne auslegen und hierunter auch die Unterbringung aller auf einem Grundstück vorhandenen Tiere des Schuldners in Heimen oder im Tierasyl verstehen, hätte dies einschneidende, im schlimmsten Fall ruinöse Auswirkungen auf das Eigentum: Der Eigentümer/Gläubiger ist für die Kosten der „Verwahrung“ beweglicher Sachen Kostenschuldner (§ 3 I Nr. 1 GvKostG) und damit (§ 5 GvKostG) vorschußpflichtig (Schilken, in: MünchKomm-ZPO, § 885 Rdnr. 35 m.Nachw. in Fußn. 105). Im Fall der Unterbringung von Tieren erreicht die Höhe des zu leistenden und vom Schuldner in aller Regel nicht mehr beizutreibenden Vorschusses leicht Beträge, die das Eigentum einzuschnüren drohen (in der Erinnerung der Gläubigerin vom 16. 9. 1996 - S. 5 - ist von 50000 DM die Rede; im Falle des AG Brake, DGVZ 1995, 44, ging es sogar um einen vom Gerichtsvollzieher angeforderten Vorschuß von 110000 DM; zu alledem vgl. auch Geißler, DGVZ 1995, 146). Wenn der Gläubiger Vorschüsse in dieser Höhe, die dem - oft nicht einmal realisierten - Bruttomietertrag mehrerer Jahre entsprechen wird, nicht aufbringen kann, droht tatsächlich das Leerlaufen von Räumungstiteln und eine Aushöhlung des Eigentums. Das LG Oldenburg (DGVZ 1995, 44 (45)) - Beschwerdeentscheidung zu AG Brake, DGVZ 1995, 44 - hat unter diesen Umständen mit Recht ausgeführt, daß es dem Staat obliegt, in diesem Problembereich für Abhilfe zu sorgen.

Rechtsgebiete

Mietrecht

Normen

ZPO § 885