Berechtigtes Interesse für Kündigung des Mietverhältnisses gegenüber Erben des Mieters

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Vorlagebeschluss


Datum

12. 03. 1997


Aktenzeichen

VIII ARZ 3/96


Leitsatz des Gerichts

Nach dem Tod des Mieters kann der Vermieter das Mietverhältnis aufgrund des Sonderkündigungsrechts gem. § 569 BGB gegenüber dem Erben des Mieters, der mit dem verstorbenen Mieter in der Wohnung keinen gemeinsamen Hausstand geführt hat und nicht gem. § 569a BGB in das Mietverhältnis eingetreten ist, nur dann kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses i.S. des § 564b hat.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. ist Eigentümerin eines mit öffentlichen Mitteln geförderten Wohnhauses in O. Die im Erdgeschoß gelegene streitbefangene Wohnung war an die Mutter des Bekl. vermietet. Diese verstarb Ende 1994 und wurde von dem Bekl. und dessen Schwester beerbt. Der Bekl. selbst ist Mieter einer im 1. Obergeschoß des Hauses der Kl. gelegenen Wohnung. Nach dem Tod der Mutter des Bekl. kündigte die Kl. mit Schreiben an die Erbengemeinschaft vom 2. 1. 1995 ohne Angabe von Gründen das Mietverhältnis über die im Erdgeschoß gelegene Wohnung zum 31. 3. 1995. Die Erben wiesen mit Schreiben ihrer damaligen Bevollmächtigten vom 31. 1. 1995 die Kündigung zurück und teilten mit, daß der Bekl. das Mietverhältnis fortsetzen werde. Gegen die Räumungsklage hat der Bekl. sich mit der Behauptung verteidigt, er habe ebenfalls in der streitbefangenen Wohnung gewohnt. Das AG hat den Bekl. zur Räumung verurteilt. Das LG hat in der Berufungsinstanz nach Durchführung einer Beweisaufnahme über die Frage, ob der Bekl. bei der Erblasserin in der streitbefangenen Wohnung gewohnt hat, dem OLG Hamm folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt:

Kann der Vermieter, der nach dem Tod des Mieters das Mietverhältnis aufgrund des Sonderkündigungsrechts gem. § 569 BGB gegenüber dem Erben des Mieters kündigt, auch dann nur unter den Voraussetzungen des § 564b BGB kündigen, wenn der Erbe mit dem verstorbenen Mieter in der Wohnung keinen gemeinsamen Hausstand geführt hat und nicht gem. § 569a BGB in das Mietverhältnis eingetreten ist?

Das LG will die aufgeworfene Rechtsfrage verneinen, sieht sich hierin aber durch die Rechtsentscheide des OLG Hamburg vom 21. 9. 1993 (NJW 1984, 60 = OLGZ 1983, 493 = Grundeigentum 1983, 1017 = ZMR 1984, 247 = WuM 1983, 310 = MDR 1984, 56 = FamRZ 1984, 169), des BayObLG vom 4. 12. 1984 (BayObLGZ 1985, 279 = NJW 1985, 980 = WuM 1985, 52 = ZMR 1985, 97 = Grundeigentum 1985, 297 = MDR 1985, 324 = FamRZ 1985, 473) und des OLG Karlsruhe vom 29. 12. 1989 (NJW-RR 1990, 216 = BAnz 1990, 359 = WuM 1990, 60 = ZMR 1990, 108) gehindert. Von den genannten Rechtsentscheiden, die in der Literatur überwiegend Zustimmung gefunden haben (Palandt/Putzo, BGB, 56. Aufl., § 569 Rdnr. 8; Staudinger/Sonnenschein, BGB, 12. Aufl., § 569 Rdnrn. 10, 16; Erman/Jendrek, BGB, 9. Aufl., § 569 Rdnr. 3; Voelskow, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 569 Rdnr. 9; Emmerich/Sonnenschein, Miete, 6. Aufl., § 569 Rdnr. 10; Bub/Treier/Grapentin, Hdb. der Geschäfts- und Wohnraummiete, 2. Aufl., Kap. IV Rdnr. 234; Köhler/Kossmann, Hdb. der Wohnraummiete, 4. Aufl., § 28 Rdnr. 9; Sternel, MietR, 3. Aufl., Rdnr. IV 542; Schmidt-Futterer/Blank, WohnraumschutzG, 6. Aufl., Rdnr. B 82; a.A. Korff, Grundeigentum 1978, 798; Hablitzel, ZMR 1980, 289 (290f.); ders., ZMR 1984, 289; Honsell, AcP 186 (1986), 115 (134f.); Schläger, ZMR 1990, 241 (243)), möchte das OLG Hamm ebenfalls abweichen. Es ist der Auffassung, der Gesetzgeber überschreite seine Regelungskompetenz, wenn er die durch Art. 14 I GG geschützten Eigentümerbefugnisse des Vermieters beschränke, ohne daß ein schützenswertes Interesse des Vertragspartners vorliege. Ein Bestandsschutzinteresse dürfe nur solchen Personen zugebilligt werden, die ihren eigenen Lebensmittelpunkt in der Wohnung durch nicht nur kurzfristige Mitnutzung gefunden hätten. Der Erbe, der mit dem Erblasser nicht in einer Wohnung gelebt habe, sei in Anwendung dieser Grundsätze mangels einer Beziehung zu der Wohnung nicht schutzwürdig. Jedenfalls müsse sein Interesse, eine - vielleicht bessere - Wohnung zu erlangen, gegenüber dem Eigentumsrecht des Vermieters zurückstehen. Bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Kündigung zulässigerweise erklärt werden könne (§ 569 I 2 BGB), sei ein schützenswertes Vertrauen des Erben noch nicht entstanden. Auch ein vom Erblasser abgeleitetes schutzwürdiges Interesse an der Erhaltung der Mietwohnung sei dem Erben nicht zuzubilligen. Danach sei eine Anwendung der auf Wohnraummietverhältnisse zugeschnittenen Kündigungsschutzvorschriften auf die hier gegebene Interessenlage nicht gerechtfertigt; diese sei nicht anders zu bewerten als bei Mietverhältnissen, die sich nicht auf Wohnraum bezögen.

Das OLG hat die ihm vom LG vorgelegte Rechtsfrage dem BGH zur Entscheidung vorgelegt (WuM 1996, 752). Der BGH hat die Rechtsfrage wie aus dem Leitsatz ersichtlich beantwortet.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. Die Vorlage an den BGH ist zulässig (§ 541 I ZPO).

1. Sie hat eine vom LG als BerGer. zu entscheidende Rechtsfrage zum Gegenstand, die sich aus einem Mietvertragsverhältnis über Wohnraum ergibt. Sie betrifft die Frage der Anwendbarkeit des § 564b BGB im Falle einer gem. § 569 BGB erfolgten Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses.

2. Die vorgelegte Rechtsfrage ist für die Entscheidung des LG erheblich.

a) Der Erheblichkeit der vorgelegten Rechtsfrage steht, wie das BerGer. im Ergebnis zu Recht ausführt, nicht entgegen, daß das LG sich in seinem Vorlagebeschluß nicht mit dem Vorbringen der Kl. befaßt hat, der Bekl. könne bereits deshalb die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht verlangen, weil er nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Wohnberechtigungsscheins erfülle. Träfe dies zu, so hinderte dieser Umstand allein noch nicht die Fortsetzung des Mietverhältnisses. Die Vorschrift des § 4 VIII des WoBindG zeigt, daß das Gesetz das Mietverhältnis auch mit Unberechtigten als zunächst wirksam betrachtet; die zuständige Behörde kann lediglich eine Kündigung verlangen.

b) Da das Kündigungsschreiben vom 2. 1. 1995 keine Begründung enthält, müßte die Berufung des Bekl. mangels Darlegung eines berechtigten Interesses der Kl. an der Beendigung des Mietverhältnisses (§ 564b III BGB) Erfolg haben, wenn § 564b BGB anwendbar wäre.

3. Das vorlegende OLG will i.S. des § 541 I 3 ZPO von der Entscheidung eines anderen OLG abweichen. Hierbei kann dahinstehen, ob die von dem vorlegenden OLG genannten Rechtsentscheide des OLG Hamburg und des BayObLG den hier zu entscheidenden Fall, daß der Erbe mit dem verstorbenen Mieter in der Wohnung keinen gemeinsamen Hausstand geführt hat, zum Gegenstand haben. Jedenfalls der Rechtsentscheid des OLG Karlsruhe vom 29. 12. 1989 befaßt sich ausdrücklich mit dieser Fallgestaltung und unterstellt die Kündigung des Vermieters gem. § 569 BGB auch hier den in § 564b BGB genannten Anforderungen.

III. Der Senat beantwortet die Vorlagefrage wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich. Für die Kündigung des Vermieters gem. § 569 BGB ist ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses i.S. des § 564b BGB auch dann erforderlich, wenn der Erbe zu Lebzeiten des Mieters nicht in der Wohnung gelebt hat und wenn aus diesem Grunde auch die Voraussetzungen für eine Fortsetzung des Mietverhältnisses nach den §§ 569a oder 569b BGB nicht gegeben sind.

1. Sollten die Ausführungen des vorlegenden OLG zu der Eigentumsgarantie gem. Art. 14 GG dahingehend zu verstehen sein, daß es die Anwendung des § 564b BGB auch in dem Fall, daß der Erbe die Wohnung bisher nicht benutzt hat, für verfassungswidrig hält, kann ihm hierin nicht gefolgt werden. Das BVerfG hat in zwei nicht veröffentlichten Beschlüssen vom 27. 9. 1989 (1 BvR 1087/89) und vom 10. 10. 1990 (1 BvR 660/90) ausgeführt, selbst dann, wenn der Erbe die Wohnung nicht selbst nutzen wolle, stelle es keine einseitige Belastung des Wohnungseigentümers dar, wenn der Gesetzgeber dem Erben den Verlust dieser Position nur für den Fall zumute, daß der Vermieter ein berechtigtes Interesse an der Wiedererlangung des unmittelbaren Besitzes geltend machen könne. Das BVerfG begründet diese Erwägungen damit, daß der Eigentümer dann, wenn er den - nach herrschender Meinung auch zugunsten des Vermieters dispositiven - § 569 I BGB nicht zu seinen Gunsten abbedinge, auf die personale Komponente des Mietverhältnisses verzichte und diesem damit einen von der Person des Erben losgelösten Inhalt verleihe. Das BVerfG (Beschl. v. 10. 10. 1990) sieht den Gesetzgeber auch als befugt an, den Eintritt des Erben in das Mietverhältnis für den Fall anzuordnen, daß der Erbe in der Vergangenheit eigene Vertragstreue nicht hat beweisen müssen.

2. In der Sache folgt der Senat der Rechtsauffassung, die von der ganz überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum vertreten wird.

a) Mit der Regelung des § 564b BGB, der aufgrund des 2. Wohnraumkündigungsschutzgesetzes vom 18. 12. 1974 (BGBl I, 3603) in das BGB eingefügt worden ist, wurde beabsichtigt, einen lückenlosen Kündigungsschutz des vertragstreuen Mieters zu gewährleisten. Der Mieter soll vor willkürlichen Kündigungen seitens des Vermieters und damit dem Verlust seiner Wohnung bewahrt werden. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien zu § 564b BGB eindeutig ergibt, sollte dabei diese Vorschrift auch auf (vorzeitige) Kündigungen unter Einhaltung der gesetzlichen Frist, somit auch auf Kündigungen des Vermieters nach dem Tod des Mieters gem. § 569 BGB - diese Bestimmung wird ausdrücklich genannt -, Anwendung finden; eine Klarstellung, daß bei solchen Kündigungen ebenfalls ein berechtigtes Interesse des Vermieters vorliegen muß, wurde nicht für erforderlich gehalten (BT-Dr 7/2011, S. 8; BT-Dr 7/2638, S. 2). Eine ähnliche Einschränkung, wie sie in den seit Inkrafttreten des 2. Mietrechtsänderungsgesetzes vom 14. 7. 1964 (BGBl I, 457) geltenden Vorschriften der §§ 569a , 569b BGB enthalten ist und die hier dahin gehen würde, daß der Erbe jedenfalls zu Lebzeiten des Mieters in der Wohnung gewohnt haben müßte, hat der Gesetzgeber bei dem Erlaß der Bestimmung des § 564b BGB in bezug auf ihre Anwendbarkeit auf das Kündigungsrecht des Vermieters nach § 569 BGB nicht vorgenommen; dafür läßt sich auch aus den Gesetzesmaterialien nichts herleiten.

b) Es ist zwar zutreffend, daß der Erbe, der mit dem Erblasser nicht gemeinsam in der Wohnung gewohnt hat, eines Schutzes aus dem Gesichtspunkt des Verlustes der Wohnung als seines bisherigen Lebensmittelpunktes nicht bedarf, mag er auch im Einzelfall ein Interesse daran haben, den durch den Erbfall erlangten Mietbesitz zu behalten. Soweit der Erbe mit dem verstorbenen Mieter als dessen Ehegatte, Familienangehöriger oder Partner einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft einen gemeinsamen Hausstand geführt hat, tritt er bereits gem. § 569a BGB in das Mietverhältnis ein. In dem von der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Mietrechtsvereinfachung“ vorgelegten Bericht mit Textvorschlägen zur Neugliederung und Vereinfachung des Mietrechts ist deshalb in § 575b des Entwurfs nunmehr vorgesehen, daß die Kündigung des Vermieters gegenüber dem Erben des Mieters ein berechtigtes Interesse nicht mehr voraussetzt (siehe Bemerkungen zu §§ 566, 575d des Entwurfs).

c) Bis zu einer gesetzlichen Neuregelung sind die Gerichte jedoch an die eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers, zu deren Ermittlung die Entstehungsgeschichte der Vorschrift heranzuziehen ist (BGHZ 46, 74 (76, 79) = NJW 1967, 343 = LM § 16 GWB Nr. 7; vgl. auch Soergel/Hefermehl, BGB, 12. Aufl., Anh. § 133 Rdnr. 8; Krüger-Nieland/Zöller, in: RGRK, 12. Aufl., § 133 Rdnrn. 50ff.), gebunden. Eine grundlegende Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, die der Gesetzgeber nicht bedacht hat und auch nicht bedenken konnte, so daß die Entstehungsgeschichte ihre Bedeutung für die Auslegung verloren hätte (vgl. BGHZ 47, 324 (335f.) = NJW 1967, 2109), ist seitdem nicht eingetreten. Eine Auslegung des Gesetzes gegen den eindeutigen Willen des Gesetzgebers ist den Gerichten im Hinblick auf Art. 20 III GG verwehrt (BGHZ 46, 74 (85) = NJW 1967, 343 = LM § 16 GWB Nr. 7).

d) Einem minderen oder sogar fehlenden Schutzbedürfnis des Erben, dem der Vermieter gem. § 569 BGB gekündigt hat, kann daher nach der gegenwärtigen Rechtslage nur dadurch Rechnung getragen werden, daß an das berechtigte Interesse des Vermieters i.S. des § 564b BGB keine zu hohen Anforderungen gestellt sowie die beiderseitigen Interessen bei der Abwägung gem. § 556a I 1 BGB berücksichtigt werden (Rechtsentscheid des BayObLG v. 4. 12. 1984; Köhler/Kossmann, § 28 Rdnr. 9; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 10. 10. 1990).

Rechtsgebiete

Mietrecht

Normen

BGB §§ 569, 564b