Eigenbedarfskündigung und Darlegungslast des Vermieters bei plötzlichem Sinneswandel (Verkaufsauftrag vier Wochen nach Auszug)

Gericht

BVerfG (3. Kammer des Ersten Senats)


Art der Entscheidung

Beschluss über Verfassungsbeschwerde


Datum

30. 05. 1997


Aktenzeichen

1 BvR 1797/95


Leitsatz des Gerichts

Kündigt der Vermieter aus Eigenbedarf, beansprucht die Wohnung aber nicht selbst, sondern verkauft sie später weiter, so ist er zum Schadensersatz verpflichtet.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Bf. war Eigentümer einer im Frankfurter Raum gelegenen Wohnung, die er den Kl. des Ausgangsverfahrens vermietet hatte. Gegenüber dem Begehren der Kl. auf Fortsetzung des befristeten Mietverhältnisses berief er sich auf Eigenbedarf; nach dem Ende seiner bisherigen Tätigkeit bei einer Bank im Ruhrgebiet wolle er die Wohnung künftig selbst bewohnen und von dort aus die Repräsentanz einer ausländischen Hotelkette in Deutschland aufbauen. Seine Räumungsklage hatte in zweiter Instanz Erfolg, das LG gewährte den Mietern aber eine Räumungsfrist bis zum 31. 3. 1990. Diese räumten die Wohnung fristgerecht, nachdem sie auf das wiederholte Drängen des Bf., die Räumungsfrist einzuhalten, erst am 27. 3. 1990 mit der Ankündigung ihres Auszugs reagiert hatten. Mit Vertrag vom 26. 4./2. 5. 1990 beauftragte der Bf. einen Makler mit dem Verkauf der Wohnung. Der Kaufvertrag wurde am 22. 5. 1990 protokolliert. Der von den Kl. erhobenen Klage, gerichtet auf Schadensersatz in Höhe von mehr als 40000 DM, trat der Bf. mit dem Vortrag entgegen, seine Lebensplanung habe sich nach Freiwerden der Wohnung grundlegend geändert. Die beabsichtigte Zusammenarbeit mit der Hotelkette sei an der Ungewißheit gescheitert, ob die Wohnung auch wirklich ab April 1990 für den Aufbau der Repräsentanz zur Verfügung stehen werde. Wegen der Unsicherheit einer fristgerechten Übergabe der Wohnung habe er sein Arbeitsverhältnis trotz Kündigung zum 31. 12. 1989 zunächst fortgesetzt und nach dem Scheitern der Zusammenarbeit mit der Hotelkette am 10. 7. 1990 eine Vereinbarung mit der Bank getroffen, daß das Arbeitsverhältnis zum 31. 7. 1991 ende. Es komme hinzu, daß sich ab Frühjahr 1990 sein langjähriges Rückenleiden wesentlich verstärkt habe. Den mit der geplanten Tätigkeit für die Hotelkette verbundenen Autofahrten habe er sich deshalb nicht mehr gewachsen gefühlt.

Das AG hat die Klage nach Zeugenvernehmung des Geschäftsführers der Hotelkette abgewiesen. Auf die Berufung der Kl. hat das LG das erstinstanzliche Urteil abgeändert und den Bf. wegen positiver Forderungsverletzung durch unberechtigte Geltendmachung von Eigenbedarf dem Grunde nach zum Schadensersatz verurteilt. Werde der behauptete Eigenbedarf vom Vermieter nicht realisiert, so kehre sich zugunsten des Mieters, der einen Schadensersatzanspruch geltend mache, zwar nicht die Beweislast um. Der Vermieter müsse aber mit hohem Niveau stimmige Tatsachen vortragen, die ergäben, warum der Eigenbedarfsgrund erst nach dem Auszug der Mieter weggefallen sei. Das Vorbringen des Bf. reiche - wie das Gericht sodann näher begründet - weder in seinen Einzelaspekten noch in deren zusammenfassender Würdigung aus, eine solche plausible Darstellung zu geben. Mit seiner fristgerecht eingelegten Verfassungsbeschwerde rügte der Bf. in erster Linie Verstöße gegen Art. 3 I GG und führt dazu im einzelnen aus, daß das Gericht die Anforderungen an eine erst nachträgliche Aufgabe des Selbstnutzungswunschs durch den Vermieter willkürlich überspannt, gänzlich lebensfremde Schlüsse gezogen und mit haltlosen Verdächtigungen gearbeitet habe. Das gelte insbesondere in bezug auf das Scheitern einer Zusammenarbeit mit der ausländischen Hotelkette, die wesentliche Verschlechterung seines Gesundheitszustands und die Bedeutung, die das Verhalten der Kl. vor Auszug für die weitere Entwicklung gehabt habe. Außerdem machte der Bf. Verstöße gegen Art. 2 I , 14 I und 103 I GG sowie - nach Ablauf der Beschwerdefrist - gegen Art. 101 I 2 GG geltend. Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. Namentlich sind durch die Rechtsprechung des BVerfG zur Eigenbedarfskündigung (BVerfGE 79, 292 (303ff.) = NJW 1989, 970; BVerfGE 81, 29 (33f.) = NJW 1990, 309; BVerfGE 85, 219 (223f.) = NJW 1992, 1379; BVerfGE 89, 1 (5ff.) = NJW 1993, 2035) die Anforderungen an den verfahrens- und materiellrechtlichen Eigentumsschutz von Mieter und Vermieter so weit geklärt, daß auch für die hier zu beurteilende Fallgestaltung hinreichend konkretisierte Maßstäbe zur Verfügung stehen. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der vom Bf. als verletzt bezeichneten Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

1. Das angegriffene Urteil verstößt nicht gegen Art. 14 I GG. Das LG hat weder bei der Bestimmung des Maßstabs, der an die Darlegungen des Vermieters zum Wegfall des Eigenbedarfs nach dem Auszug des Mieters anzulegen ist, noch bei der Anwendung dieses Maßstabs das Ziel eines verhältnismäßigen Ausgleichs zwischen den beiderseitigen Eigentumspositionen verfehlt.

a) Das Gericht vertritt die Meinung, daß zwar die Beweislast für das Fehlen eines ernsthaften Selbstnutzungswunschs des Vermieters vor der Räumung beim Mieter verbleibe, daß aber der Vermieter „mit hohem Niveau stimmige Tatsachen" für den Fortbestand des Selbstnutzungswunschs bis zur Räumung vortragen müsse. Dies ist nicht Ausdruck einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Eigentumsgarantie für den Eigentümer von Wohnraum. Der Selbstnutzungswunsch als Grundlage einer Eigenbedarfskündigung ist eine innere Tatsache. Der verläßlichen Beurteilung seiner Ernsthaftigkeit sind, solange er nicht realisiert ist, Grenzen gesetzt. Dem entspricht es, daß der Vermieter ihn lediglich nachvollziehbar darlegen muß (vgl. BVerfGE 89, 1 (11) = NJW 1993, 2035). Wird der behauptete Selbstnutzungswunsch nach der Räumung nicht realisiert, so liegt der Verdacht nahe, der Eigenbedarf sei nur vorgeschoben gewesen. Dann ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, wenn die Zivilgerichte dem Vermieter die Darlegungslast für die in seinem Kenntnisbereich liegenden Umstände, die den Sinneswandel bewirkt haben sollen, auferlegen und insoweit strenge Anforderungen stellen.

b) Auch bei der Anwendung dieses Maßstabs hat das LG die seinem Wertungsspielraum eigentumsrechtlich gezogenen Grenzen nicht überschritten. Es hat das Verhalten des Bf., der kaum vier Wochen nach Auszug der Kl. konkrete Anstalten zum Verkauf der Wohnung machte, und die dafür gegebenen Erklärungen an seinen früheren Angaben zum Eigenbedarf gemessen und dabei detailliert Umstände aufgezeigt, die die Plausibilität eines nachträglichen Sinneswandels in Frage stellen. Das gilt für die rasche Aufgabe der neuen beruflichen Perspektive, die nach den gerichtlichen Feststellungen seitens des Vertragspartners noch nicht definitiv zunichte gemacht worden war, ebenso wie für die angeblich rapide Verschlechterung des schon lange währenden Rückenleidens. Daß das LG eine nähere Begründung erwartete und eine plausible Erklärung vermißte, warum die verstärkten Beschwerden so schnell - nämlich innerhalb von weniger als vier Wochen - den Bf. zu einer tiefgreifenden Änderung seiner Lebensplanung veranlaßt bzw. mitveranlaßt haben sollen, ist nachvollziehbar. Selbst wenn die gerichtliche Bewertung des Sachverhalts nicht zwingend sein sollte, ist sie jedenfalls im Blick auf die Eigentumsgarantie nicht zu beanstanden.

2. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt zugleich, daß die Urteilsbegründung nicht schlechthin unverständlich ist und damit nicht gegen das Willkürverbot verstößt.

3. Die weiteren Rügen greifen ebenfalls nicht durch. Insoweit wird nach § 93d I 3 BVerfGG von einer Begründung abgesehen.

Rechtsgebiete

Mietrecht

Normen

GG Art. 14 I, 2 I, 3 I, 101 I, 103 I