Teilkündigung eines Wohnraummietverhältnisses

Gericht

OLG Karlsruhe


Art der Entscheidung

Rechtsentscheid


Datum

03. 03. 1997


Aktenzeichen

3 RE-Miet 1/97


Leitsatz des Gerichts

Hat der Vermieter von Wohnraum lediglich Bedarf an einem Teil der Räume, so kann das Mietverhältnis nicht wegen Vorliegens der Voraussetzungen des § 564b II Nr. 2 BGB gekündigt werden. Beeinträchtigt im Einzelfall die den Belangen des Kündigenden entsprechende Teilkündigung die Interessen des Mieters nicht oder jedenfalls nicht unzumutbar, so ist gem. § 564b I BGB eine Teilkündigung des Wohnraummietverhältnisses möglich.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Bekl. schlossen am 17. 1. 1958 mit dem damaligen Gebäudeeigentümer einen Mietvertrag über Räumlichkeiten im 4. Obergeschoß eines Mietshauses. Ab 16. 10. 1962 nutzen sie mietweise weitere Räume (ein Zimmer und ein Brausebad im 5. Obergeschoß) sowie einen Kellerraum im selben Anwesen. Das Hausanwesen wurde im Jahre 1984 in Wohnungseigentum aufgeteilt. An den einzelnen Einheiten wurde Sondereigentum begründet. Das Sondereigentum an den Räumlichkeiten im 5. Obergeschoß (1-Zimmer-Wohnung) steht dem Kl. zu 1 zu, das Sondereigentum an den Räumlichkeiten im 4. Obergeschoß (2-Zimmer-Wohnung) dem Kl. zu 2. Im Jahre 1993 kündigte der Kl. zu 1, der nach seinem Vorbringen über keine eigene Wohnung verfügt, sondern mit seiner Mutter im selben Anwesen in einer 2-Zimmer-Wohnung zusammenlebt, das Mietverhältnis der Räumlichkeiten im 5. Obergeschoß wegen Eigenbedarfs. Die Räumungsklage des Kl. zu 1 wurde abgewiesen, die dagegen gerichtete Berufung blieb ohne Erfolg. Im Berufungsurteil vom 8. 2. 1995 wird ausgeführt, die Kündigung der Räume im 5. Obergeschoß stelle eine Teilkündigung dar und sei deshalb unwirksam. Hinsichtlich beider Wohneinheiten liege ein einheitliches Mietverhältnis vor, welches nur insgesamt beendet werden könne. Mit Schreiben vom 24. 4. 1995 kündigten beide Kl. das Mietverhältnis über alle Räume in beiden Geschossen. Dem widersprachen die Bekl. Die Räumungsklage beider Kl. wurde vom AG abgewiesen.

Das LG will die dagegen gerichtete Berufung der Kl. zurückweisen. Es vertritt die Auffassung, eine Kündigung sei in Fällen dieser Art nur möglich, wenn der Vermieter sämtliche Räume benötige. Bereits aus dem Wortlaut des § 564b II Nr. 2 BGB folge, daß die Kündigung wegen eines Teilbedarfs ausgeschlossen sei. Der Kündigungstatbestand setze nämlich voraus, daß der Vermieter „die Räume“ benötige. Unter dem Begriff der „Räume“ sei die gesamte Mietsache zu verstehen. Eine Kündigung wegen eines Teilbedarfs sei in § 564b II Nr. 2 BGB nicht vorgesehen. Insoweit unterscheide sich die Vorschrift von der vergleichbaren Regelung in § 4 des früheren Mieterschutzgesetzes. Jene Regelung habe der Gesetzgeber bei der Schaffung des 2. WKSchG nicht übernommen. Die in § 564b II Nr. 4 BGB geregelte Teilkündigung sei auf die dort genannten Fälle beschränkt. Eine entsprechende Anwendung des Abs. 2 Nr. 4 auf Sachverhalte der vorliegenden Art sei wegen der Unterschiedlichkeit der Interessenlage nicht möglich. Da der frühere Hauseigentümer bei einem begrenzten Teilbedarf ebenfalls das gesamte Mietverhältnis nicht habe kündigen können, könnten den Kl. als dessen Teilrechtsnachfolgern keine weitergehenden Rechte erwachsen sein. Da die angesprochene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung sei und weil insoweit zur Lösung des Problems in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung unterschiedliche Ansichten vertreten würden, sei ein Rechtsentscheid einzuholen. Werde die Rechtsfrage im Sinne der Ansicht der Kammer beantwortet, so sei die Klage entscheidungsreif. Im anderen Fall müsse die Kammer über die tatsächlichen Voraussetzungen des Kündigungswiderspruchs (§ 556a BGB) Beweis erheben. Die vom LG vorgelegte Rechtsfrage lautet: „Kann ein Mietverhältnis über eine Wohnung nach § 564b II Nr. 2 BGB gekündigt werden, obwohl der Vermieter lediglich Eigenbedarf an einem Teil der Räume hat?" Der Senat hat die Frage wie aus dem Entscheidungssatz ersichtlich beantwortet.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. Die Vorlage an den Senat ist gem. § 541 I 1 ZPO zulässig, da es sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handelt, welche noch nicht durch Rechtsentscheid entschieden ist. In der gewählten Formulierung erschöpft die Vorlagefrage jedoch nicht die vom LG aufgezeigte Problemstellung.

Gem. § 564b I BGB kann ein Vermieter ein Mietverhältnis über Wohnraum nur kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. In Abs. 2 benennt die Vorschrift Regelfälle, in denen ein berechtigtes Interesse des Vermieters anzunehmen ist. Ein solcher Sachverhalt ist gem. § 564b II Nr. 2 BGB gegeben, wenn der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, die zu seinem Hausstand gehörenden Personen oder seine Familienangehörigen benötigt. Die enge Formulierung der Vorlage beschränkt sich auf die Frage der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 564b II Nr. 2 BGB. Tatsächlich angesprochen ist jedoch vom LG die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Eigenbedarf des Vermieters und Eigentümers, der sich nur auf Teile der vermieteten Räumlichkeiten bezieht, als berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses anzusehen ist. Der Senat ist an die Formulierung des Vorlagebeschlusses jedoch nicht gebunden (BGHZ 105, 71 (76) = NJW 1988, 2790 = LM § 535 BGB Nr. 117). Er kann die vorgelegte Frage berichtigen, ergänzen oder sonst neu fassen, sofern dies zweckmäßig erscheint, wenn hierdurch der rechtliche Kern der Vorlagefrage nicht geändert wird (Senat, NJW-RR 1996, 329 (330); BayObLGZ 1987, 260 (263) = NJW-RR 1987, 1302). Auf dieser Grundlage erscheint es dem Senat zweckmäßig, die Vorlagefrage wie folgt umzuformulieren: Kann ein Mietverhältnis über Wohnraum gem. § 564b BGB gekündigt werden, obwohl der Vermieter lediglich Eigenbedarf an einem Teil der Räume hat?

III. Der Senat beantwortet die so umformulierte Vorlagefrage in der aus der Beschlußformel ersichtlichen Weise.

1. Regelmäßig konkurrieren bei einer Kündigung wegen Eigenbedarfs widerstreitende, jeweils gem. Art. 14 GG geschützte Freiheitsrechte des Mieters und des Vermieters. Dabei ist es Aufgabe des Mietrechts, die Befugnisse von Mieter und Vermieter gegeneinander abzugrenzen, die schutzwürdigen Interessen beider Seiten zu berücksichtigen und in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG entfaltet ihre freiheitssichernde Funktion in beide Richtungen. Der vertragstreue Mieter wird gegen einen Verlust seiner Wohnung geschützt, der nicht durch berechtigte Interessen des Vermieters begründet ist. Die Wohnung als der räumliche Mittelpunkt der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit, als Freiraum eigenverantwortlicher Betätigung, kann ihm nicht ohne beachtliche Gründe durch Kündigung entzogen werden. Der Vermieter wird in seiner Freiheit geschützt, die Wohnung bei Eigenbedarf wieder selbst als seinen Lebensmittelpunkt zu nutzen, wobei die Entscheidung über seinen Wohnbedarf grundsätzlich zu achten ist und ihm nicht fremde Vorstellungen über angemessenes Wohnen und seine weitere Lebensplanung aufgedrängt werden dürfen (BVerfGE 89, 1 = NJW 1993, 2025 (2036)).

Bei der Auslegung und Anwendung des § 564b I , II Nr. 2 BGB sind deshalb die durch die Eigentumsgarantie gezogenen Grenzen zu berücksichtigen. Die im Gesetz aufgrund verfassungsmäßiger Grundlage zum Ausdruck kommende Interessenabwägung ist in einer Weise nachzuvollziehen, die den beiderseitigen Eigentumsschutz beachtet und unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkungen vermeidet. Nach Auffassung des Senats sind dadurch der Auslegung und Anwendung des Gesetzes enge verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt, da jede Überdehnung der Rechtsposition der einen Seite grundgesetzlich geschützte Positionen des Vertragspartners beeinträchtigen kann.

2. Der in § 564b II Nr. 2 BGB normierte Regelfall einer Eigenbedarfskündigung setzt voraus, daß der Vermieter die Räume als Wohnung „benötigt“. Dies bedeutet, daß er sie selbst nutzen oder durch zu seinem Hausstand gehörende Personen oder seine Familienangehörigen nutzen lassen will und hierfür vernünftige und nachvollziehbare Gründe hat (BGH, NJW 1988, 904 = LM § 564b Nr. 5 = WuM 198, 47; BVerfG, NJW 1993, 1637). Die erforderliche Eignung des Mietobjekts zur Erfüllung der Vermieterinteressen bezieht sich schon nach dem Wortlaut der Vorschrift auf die gesamte gekündigte Wohnung. Hat der Vermieter nur Bedarf an einem Teil des vermieteten Objekts, so ist grundsätzlich eine Eigenbedarfskündigung gem. § 564b II Nr. 2 BGB, der einen Regelfall des berechtigten Interesses des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses normiert, ausgeschlossen. Der Vermieter, der nur Teile des vermieteten Wohnraums für seine eigene Lebensführung bedarf, macht nämlich gerade nicht von seinem grundgesetzlich geschützten Recht Gebrauch, das Mietobjekt als solches selbst als Lebensmittelpunkt zu nutzen. Insoweit hat er die Nachteile zu tragen, die sich daraus ergeben, daß sich die möglichen Nutzungsformen seines vermieteten Eigentums mit seinen eigenen Bedürfnissen nicht decken. § 564b II Nr. 2 BGB setzt damit voraus, daß das Nutzungsinteresse bei Eigenbedarf sich auf das gesamte Mietobjekt bezieht (Barthelmess, WKSchG/MHRG, 5. Aufl., § 564b BGB Rdnr. 67g).

§ 564b II Nr. 2 BGB vermag mit seinen tatbestandlichen Voraussetzungen nicht nur eine Kündigung des Mietverhältnisses für die gesamten Mieträume wegen eines Teilbedarfs des Vermieters nicht zu rechtfertigen, sondern steht als Vorschrift für den Regelfall auch einer - allgemein als unzulässig angesehenen (OLG Karlsruhe, NJW 1983, 1499) - Teilkündigung des Mietverhältnisses hinsichtlich der vom Vermieter benötigten Räume entgegen. Auch insoweit muß sich der Vermieter entgegenhalten lassen, daß er es im Rahmen seiner Privatautonomie selbst in der Hand gehabt hat, sich den späteren Zugriff auf sein Eigentum im Rahmen der gesetzlichen Kündigungsvorschriften zu sichern bzw. darüber hinaus zu erschweren. Vor den Folgen solcher selbstverantworteter wirtschaftlicher Entscheidungen schützt ihn die Eigentumsgarantie nicht. Bietet sich das Mietobjekt objektiv für eine Aufteilung in mehrere Wohnungen an, so läßt sich das regelmäßig schon bei der Vermietung übersehen. Vermietet der Eigentümer das Objekt gleichwohl einheitlich, kann er daran festgehalten werden. Die Verfügungsbefugnis über sein Eigentum gibt ihm nicht die Freiheit, sich über besondere vertragliche Bindungen hinwegzusetzen, sobald er deren Auswirkung als nachteilig empfindet. Dabei ist zu berücksichtigen, daß mit einer Teilkündigung regelmäßig in erheblichem Maße in die private Lebensgestaltung des Mieters eingegriffen würde (BVerfG, NJW 1994, 308 (309); Barthelmess, § 564b BGB Rdnr. 679; Sternel, MietR aktuell, 3. Aufl., Rdnr. 1030; Voelskow, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 564b Rdnr. 67a).

Gleiches gilt auch, wenn in einem einheitlichen Mietvertrag zwei getrennte Wohneinheiten dem Mieter als einheitliche Wohnung überlassen worden sind. Der Senat hat in diesem Zusammenhang keine Überprüfung der Auffassung des LG vorzunehmen, wonach es sich im vorliegenden Fall um ein derartiges einheitliches Mietverhältnis für die beiden Wohneinheiten handelt. Der Senat ist nämlich an die Feststellung und die Würdigung des LG gebunden, sofern sich diese nicht als eindeutig unhaltbar erweisen (OLG Karlsruhe, NJW-RR 1993, 79; ZMR 1992, 488 (489) m.w.Nachw.). Letzteres ist hier nicht der Fall.

3. Der Senat ist allerdings der Auffassung, daß durch diese Auslegung des § 564b II Nr. 2 BGB es nicht in allen Fällen eines teilweisen Eigenbedarfs des Eigentümers ausgeschlossen ist, eine Teilkündigung der Wohnräume vorzunehmen. Der Senat hat bereits ausgeführt, daß die in § 564b II BGB geregelten Sachverhalte Regelfälle darstellen, die das Vorliegen eines berechtigten Interesses an der Kündigung aus anderen, nicht ausdrücklich genannten Umständen nicht ausschließen (Voelskow, in: MünchKomm, § 564b Rdnr. 67a). Der Gesetzgeber war nämlich nicht gehalten, jeden atypischen Einzelfall so zu regeln, daß er abschließend unter eine der Regelfallnormierungen in § 546b II BGB gebracht werden kann (BVerfG, NJW 1994, 308). Mit dem LG Duisburg (NJW-RR 1996, 718) geht der Senat davon aus, daß ein berechtigtes Interesse an einer teilweisen Beendigung des Mietverhältnisses i.S. von § 564b I BGB anzunehmen ist, wenn die Teilkündigung einerseits den Belangen des Kündigenden entspricht, andererseits hierdurch die Interessen des Mieters nicht oder jedenfalls nicht unzumutbar beeinträchtigt werden.

Ein solcher Sachverhalt kann beispielsweise gegeben sein, wenn sich der Wohnraumbedarf des Mieters, insbesondere durch den Weggang früher in der Wohnung lebender Kinder oder anderer Hausgenossen, deutlich eingeschränkt hat und der vom Vermieter beanspruchte Teil der überlassenen Mieträume so von dem, dem Mieter verbleibenden Teil abgetrennt ist oder abgetrennt werden kann, daß der Mieter dort ohne Einschränkungen weiterhin den räumlichen Mittelpunkt für die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und seiner eigenverantwortlichen Betätigung findet. Behauptet der Vermieter substantiiert einen solchen Sachverhalt, wird der Mieter deshalb gehalten sein, vernünftige und nachvollziehbare Gründe für den Fortbestand seines bisherigen Wohnraumbedarfs trotz geänderter Verhältnisse vorzutragen, und zwar in ähnlicher Weise, wie es dem Vermieter bei der Darlegung seines Eigenbedarfs (BGH, NJW 1988, 904 = LM § 564b BGB Nr. 5 = WuM 1988, 47; BVerfG, NJW 1993, 1637) obliegt.

Dies ergibt sich nach Auffassung des Senats schon aus der Anwendung einfachen Rechts. § 564b BGB gestattet dem Vermieter, sich unter bestimmten, im Interesse des Mieters allerdings eingeschränkten Voraussetzungen von seiner mietvertraglichen Überlassungsverpflichtung zu lösen. Sind Interessen des Mieters aber nicht ernsthaft betroffen, so kann sein Beharren auf einer rein formalen Rechtsstellung der Durchsetzung eines berechtigten Eigenbedarfs des Vermieters unter dem Gesichtspunkt des Schikaneverbots (§ 242 BGB) letztlich nicht im Wege stehen. Jedenfalls aber gebietet eine verfassungskonforme Auslegung von § 564b I BGB in derartigen Ausnahmefällen eine Berücksichtigung der Vermieterinteressen, denen keine ernsthaften und damit schützenswerten Belange des Mieters gegenüberstehen.

Die Einschränkung der durch Art. 14 GG geschützten Position des Vermieters läßt sich - hat der Vermieter darauf nicht weitergehend vertraglich verzichtet - nämlich nur durch die Konkurrenz ähnlich gewichtiger Freiheitsrechte des Mieters rechtfertigen. Rein formale Rechtsstellungen des Mieters erfüllen diese Voraussetzungen nicht.

Rechtsgebiete

Mietrecht

Normen

BGB § 564b; GG Art. 14