Übermäßige Formaldehydkonzentration in vermietetem Fertighaus

Gericht

AG Köln


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

30. 09. 1986


Aktenzeichen

217 C 346/86


Leitsatz des Gerichts

Stellt das Bewohnen eines Fertighauses wegen einer überhöhten Formaldehydkonzentration eine Gesundheitsgefährdung dar, so kann der Mietpreis gemindert werden und die fristlose Kündigung gerechtfertigt sein.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. vermieteten den Bekl. am 21. 3. 1985 auf 5 Jahre ein Fertighaus der Firma X, Baujahr 1973, zu einem monatlichen Mietzins von 900 DM. Mit Schreiben vom 22. 10. 1985 kündigte die Bekl. wegen Gesundheitsgefährdung aufgrund überhöhten Formaldehydgehaltes der Raumluft fristlos. Ab September 1985 hatten die Bekl. die monatliche Miete um 500 DM gemindert und ab November 1985 zahlten sie keine Miete mehr. Die Kl., die das Haus ab 1. 6. 1986 neu vermietet haben, haben die noch offenen Mietbeträge von September 1985 bis Mai 1986 sowie 1956,26 DM an Nebenkosten und Ersatz für Beschädigungen geltend gemacht. Die Bekl. haben hilfsweise mit den Kosten für Gutachten zur Raumluft aufgerechnet. Die Klage hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

... Die Kl. haben keinen Anspruch gegen die Bekl. auf Zahlung der Restmieten für September und Oktober 1985 sowie der Mieten für November 1985 bis Mai 1986 in Höhe von insgesamt 7300 DM aus § 535 S. 2 BGB. Die Bekl. haben die Miete für die Monate September und Oktober 1985 zu Recht um monatlich 500 DM gemindert. Ihnen stand gem. § 537 BGB ein Mietminderungsrecht zu. Die Wohnung war mit einem Fehler behaftet, der den vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache gemindert hat. Ein derartiger Mangel liegt in einer überhöhten Formaldehyd-Konzentration der Innenraumluft. Nach einer Empfehlung des Bundesgesundheitsamtes aus dem Jahre 1977 soll die Formaldehyd-Konzentration der Innenraumluft in Aufenthaltsräumen 0,1 ppm. (Pars pro Million = 0,12 mg/cbm) nicht überschreiten. Für die Entscheidung ist von einer überhöhten Formaldehyd-Konzentration der Innenraumluft auszugehen.

Der empfohlene Höchstwert ist auch unter Zugrundelegung des Beweissicherungsgutachtens überschritten. Danach fanden sich bei einer Messung nach etwa 90-minütiger Nichtbelüftung im Kinderzimmer 0,11 ppm. und im Schlafzimmer 0,10 ppm., wobei der Sachverständige hinzufügte, daß diese Werte etwa 85 bis 90% des sich bei anhaltender Nichtbelüftung ergebenden Maximalwertes darstellen, so daß sich Werte von 0,117 bzw. 0,129 ppm. ergeben. Der Sachverständige führt weiter aus, daß bei wohnungshygienisch noch vertretbarem Raumklima (25i C und 60% Luftfeuchte bei mehrstündiger Nichtbelüftung) maximal eine Formaldehyd-Konzentration von 0,15 ppm. auftreten dürfte. Dabei verkennt das Gericht nicht, daß die Werte - wie der Sachverständige ausführt - gegebenenfalls durch einen Fußbodenbelag herabgesenkt werden. Andererseits ist aber zu berücksichtigen, daß die vom Sachverständigen gemessenen Werte im leeren Haus gemessen wurden. Bei normaler Möblierung des Hauses kommt es durch die Möbel zu einer Erhöhung des Wertes. Diese Erhöhung der Formaldehyd-Konzentration der Innenraumluft durch Möbel kann dem Mieter nicht angelastet werden, da es zum vertragsgemäßen Gebrauch gehört, das Haus zu möblieren und allgemein bekannt ist, daß die gängigen Möbel Formaldehydemittenten sind. Schließlich zeigt auch das Schreiben der Firma X vom 30. 8. 1985, daß Messungen 0,13 bis 0,2 ppm. - also erhöhte Werte - ergeben hätten. Dabei ist davon auszugehen, daß die Firma X eine eigene Messung durchführen ließ und die Daten entgegen der von den Kl. im Prozeß geäußerten Ansicht nicht aus den TÜV-Gutachten der Bekl. entnommen wurden, da dort nur ein einziger Wert von 0,23 mg/cbm zu finden ist und mithin keine Übereinstimmung zwischen dem TÜV-Gutachten der Bekl. und den wiedergegebenen Meßdaten der Firma X besteht.

Eine Minderung der Miete um 500 DM monatlich - was einer Mietminderung von ungefähr 56% entspricht - erscheint im Hinblick darauf, daß es sich um eine überhöhte Formaldehyd-Konzentration der Innenraumluft in zwei wichtigen Zimmern (Schlafzimmer und Kinderzimmer) handelt und im Hinblick darauf, daß die Geruchsschwelle bei 0,05 bis 1 ppm. liegt und daß schon ab 0,01 ppm. Reizungen der Augen eintreten können (vgl. Informationsschrift des Bundesgesundheitsamtes „Vom Umgang mit Formaldehyd“, S. 13) nicht überhöht.

Ein Mietzinsanspruch für November 1985 bis Mai 1986 in Höhe von 6300 DM besteht nicht, da die Bekl. das Mietverhältnis mit Schreiben vom 22. 10. 1985 fristlos gekündigt haben. Die Bekl. hatten einen Kündigungsgrund nach § 544 BGB, da das Haus so beschaffen war, daß die Benutzung mit einer erheblichen Gefährdung der Gesundheit verbunden war. Dabei muß die Gefahr konkret drohen, d. h. naheliegend sein, die zu befürchtende Gesundheitsbeschädigung muß selbst über ein bloß vorübergehendes Unbehagen hinausgehen (vgl. dazu Staudinger-Emmerich, BGB, 12. Aufl., 2. Bearb. (1981), § 544 Rdnr. 10 m. w. Nachw.). Davon ist hier auszugehen. Wie gezeigt, übersteigen die Werte die Empfehlungen des Bundesgesundheitsamtes von 1977. Außerdem ist bekannt, daß bei Werten von 0,05 ppm. bis 1,0 ppm. die Geruchsschwelle liegt, bei Werten von 0,01 bis 1,6 ppm. die Schwelle für Reizungen der Augen und bei 0,08 bis 1,6 ppm. Augen und Nase gereizt werden (vgl. Informationsschrift des BGA, S. 14 unter Berufung auf Henschler, 1983). Berücksichtigt man weiter, daß 95 bis 100% der eingeatmeten Formaldehydmenge vom Körper resorbiert wird (vgl. BGA, S. 13), daß Formaldehyd noch viele Jahre nach der Verwendung ausdünstet (vgl. BGA, S. 20), daß chronische Wirkungen auftreten können, wenn man längere Zeit erhöhten Formaldehyd-Konzentrationen ausgesetzt ist (BGA, S. 13, 14) und daß Formaldehyd als schwach krebserregend eingestuft wird (vgl. Katalyse, Heft 1, „Formaldehyd - Ursachen und Sanierung - S. 3 m. w. Nachw.), so ist eine erhebliche Gefährdung der Gesundheit hinreichend belegt.

Den Bekl. ist hier das Kündigungsrecht auch nicht deshalb verwehrt, weil - wie die Kl. vortragen - eine Abhilfemöglichkeit bestanden hat. Eine Abhilfemöglichkeit braucht der Mieter aber nur dann einzuräumen, wenn der Mangel leicht und in verhältnismäßig kurzer Zeit zu beheben war (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Staudinger-Emmerich, § 544 Rdnr. 12; Gelhaar, in: RGRK, 12. Aufl., § 544 Rdnr. 5). Dabei kommt es für die Frage der Abhilfemöglichkeit auf den Sachstand an, der zur Zeit der Ausübung des Kündigungsrechts bekanntgewesen ist (vgl. Gelhaar, in: RGRK, § 544 Rdnr. 5).

Eine einfache Abhilfemöglichkeit im Sinne der oben angegebenen Ausführungen lag seinerzeit nicht vor. Als Abhilfe kam - wie die Schreiben der Firma X vom 26. 7. und 30. 8. 1985 zeigen - nur eine Ammoniak-Begasung in Betracht. Diese ist jedoch - wie das Beweissicherungsgutachten zeigt - kein unbedingt einfacher Weg, wenn man bedenkt, daß es sich bei Ammoniak um ein gesundheitsschädliches Mittel handelt, das Gebäude während der Begasung, die mindestens 6 Tage dauert, nur mit Schutzkleidung und Atemmaske betreten werden kann und daß erst einige Monate nach der Behandlung „auch unter ungünstigen Witterungsbedingungen keine Gerüche mehr auftreten“ sollten. Eine Kündigung ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die erhöhte Formaldehyd-Raumluftkonzentration nicht alle Räume betraf, da durch die Beeinträchtigung von Schlafzimmer und Kinderzimmer als wesentliche Räume des Hauses die Benutzbarkeit des gesamten Hauses beeinträchtigt wird (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Staudinger-Emmerich, § 544 Rdnr. 15).

Ob darüberhinaus den Bekl. noch ein Kündigungsgrund nach § 542 BGB zur Seite stand, konnte nach den vorstehenden Ausführungen offenbleiben. Dafür spricht, daß die Mietsache nicht vollständig zum vertragsgemäßen Gebrauch zur Verfügung gestellt wurde und daß eine Fristsetzung hier entbehrlich sein dürfte, da eine Abhilfemöglichkeit - wie gezeigt - mit unzumutbaren Belastungen des Mieters verbunden war (vgl. dazu Palandt-Putzo, BGB, 43. Aufl., § 542 Anm. 3 d).

Die Kl. haben jedoch einen Anspruch auf Zahlung von 743,77 DM an Nebenkosten aus § 535 S. 2 BGB gegen die Bekl. (Wird ausgeführt). Die Kl. haben weiterhin einen Anspruch auf Zahlung von 299,57 DM wegen der nicht entfernten Teppich- und Klebereste aus positiver Vertragsverletzung gegen die Bekl. (Wird ausgeführt.) Der Anspruch der Kl. auf Zahlung von insgesamt 1043,34 DM (743,77 + 299,57 DM) ist jedoch durch die Hilfsaufrechnung mit der Forderung der Bekl. auf Erstattung der TÜV-Gutachterkosten gem. § 389 TÜV-Gutachterkosten haben gegen die Kl. einen Anspruch auf Ersatz der TÜV-Gutachterkosten als Mangelfolgeschaden aus § 538 BGB, da das Haus - wie gezeigt - mit einem Mangel nach § 537 BGB behaftet gewesen ist. Soweit die Kl. die Höhe der Kosten angreifen, ist dies unspezifiziert. Da die Bekl. Rechnungen eingereicht haben, hätten die Kl. ihre Beanstandungen im einzelnen anhand der Rechnungen darlegen müssen. Das haben sie nicht getan.

Rechtsgebiete

Mietrecht

Normen

BGB §§ 537, 544