Sittenwidrige Mieterhöhung für Prostituiertenwohnung in Mehrfamilienhaus

Gericht

OLG Koblenz


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

15. 05. 1997


Aktenzeichen

5 U 289/96


Leitsatz des Gerichts

Geht eine Mieterin in einer 100 m² großen Wohnung, gelegen in einem Mehrfamilienhaus, mit Kenntnis des Vermieters der Prostitution nach (Monatsmiete: 1940 DM), erhöht dann der Erwerber des Mietshauses - während der Laufzeit des Mietvertrags - den monatlichen Mietpreis auf 3500 DM, und erhöht er dann weitere drei Jahre später die Miete auf 6990 DM, so ist diese Summe sittenwidrig.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Bekl. ist Mieterin einer 100 m² großen Wohnung in einem in der Mainzer Innenstadt gelegenen Haus. Dort ging sie der Prostitution nach. Ihr mit dem ursprünglichen Vermieter geschlossener Vertrag, der aus dem Jahr 1986 herrührt, wies einen monatlichen Bruttomietzins von 1940 DM aus und sollte bis in das Jahr 2001 hinein laufen. 1990 erwarb die Ehefrau des Kl. das Haus und trat so in den Mietvertrag ein. Zumindest von diesem Zeitpunkt an betrug die Miete 3500 DM im Monat. 1993 kam es zu einem „Nachtrag zum Mietvertrag„, den der Kl. und die Bekl. unterzeichneten. Darin war eine Abkürzung der Mietzeit um mehr als vier Jahre und die Anhebung des monatlichen Mietzinses auf 6990 DM vorgesehen. In der Folge leistete die Bekl. bis einschließlich März 1995 entsprechend erhöhte Zahlungen. Im April 1995 erbrachte sie nur noch etwa die Hälfte und für die Monate Mai, Juni und Juli 1995 jeweils deutlich weniger als ein Drittel des vereinbartes Betrags. Im hiesigen Rechtsstreit nimmt der Kl., der sich auf eine Forderungsabtretung durch seine Ehefrau stützt, die Bekl. auf Zahlung des für die vier vorbezeichneten Monate offenen Mietzinses in Anspruch. Er hat insoweit eine Forderung von insgesamt 20460 DM nebst Zinsen errechnet. Die Bekl. hat die Sittenwidrigkeit der Nachtragsvereinbarung aus dem Jahre 1993 eingewandt. Der Kl. habe sie unter einer Drohung zu deren Abschluß genötigt und ihr ein Mietzinsversprechen abgerungen, das zum Wert der Wohnung völlig außer Verhältnis gestanden habe.

Das LG hat die Nachtragsvereinbarung wegen Wuchers für nichtig erachtet und die Klage abgewiesen. Die Berufung des Kl. hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

2. ... Die Auffassung der Bekl., die Vereinbarung einer Monatsmiete von 3500 DM sei sittenwidrig gewesen, geht fehl. Umgekehrt ist aber auch die Ansicht des Kl., der Monatsmietzins habe durch den 1993 vorgenommenen „Nachtrag zum Mietvertrag„ über diesen Betrag hinaus rechtsgültig auf 6990 DM angehoben werden können, nicht richtig. Werden - wie dies im vorliegenden Fall geschehen ist - Räume entgeltlich zur Ausübung der Prostitution überlassen, können zwar durchgreifende Bedenken gegen die grundsätzliche Wirksamkeit derartiger mietvertraglicher Abreden nicht geltend gemacht werden (BGH, NJW 1970, 1179). Die Grenze rechtlich zulässiger Gestaltungsmöglichkeiten ist aber dort überschritten, wo ein Mietzins vereinbart ist, der in einem auffälligen Mißverhältnis zu dem objektiven Mietwert steht; ein solcher Mietzins darf gem. § 138 I BGB keinen Bestand haben (BGHZ 63, 365 [367] = NJW 1975, 638; OLG Karlsruhe, WuM 1990, 286 = ZMR 1990, 300).

Im Hinblick darauf konnte die Bekl. zu monatlichen Zahlungen von 3500 DM, nicht jedoch weitergehend zur Leistung von 6990 DM verpflichtet werden. Das ergibt sich unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des Einzelfalls. Dabei ist zunächst das allgemeine Mietpreisniveau für gewerblich genutzte Räume ähnlicher Größe in der Mainzer Innenstadt zu beachten, zu dem die Bekl. - unter Vorlage eines Mietspiegels - substantiierten Vortrag gemacht hat. Daraus läßt sich freilich kein unmittelbarer Vergleichsmaßstab entnehmen (vgl. auch Palandt/Heinrichs, BGB, 56. Aufl., § 138 Rdnr. 67).

Vielmehr ist nachhaltig der besonderen Situation Rechnung zu tragen, daß die Bekl. die vermieteten Räume nutzte, um der Prostitution nachzugehen, und damit auf Vermieterseite die Möglichkeiten beeinträchtigt wurden, für die weiteren Wohnungen des Hauses einen angemessenen Mietpreis zu erzielen. Das rechtfertigt konkret einen im Verhältnis zu sonstigen Gewerberäumen nicht unerheblichen Mietaufschlag, so daß unter den Umständen des vorliegenden Falls selbst ein Mietzins in doppelter Höhe des Nutzungsentgelts für mittlere Gewerberäume in vergleichbarer Lage und Fläche nicht zu beanstanden ist. Dieser Rahmen wird durch den Betrag von 3500 DM noch nicht gesprengt. Der Aufschlag kann allerdings keinesfalls so groß sein, wie es im „Nachtrag zum Mietvertrag„ von 1993 mit insgesamt 6990 DM vorgesehen wurde.

Ob diese - bereits im Hinblick auf den Mietpreis ohne weiteres sittenwidrige - vertragsändernde Vereinbarung auch deshalb hinfällig ist, weil sie unter einer Drohung gegen die Kl. zustandegekommen ist und auf der Ausnutzung einer Zwangslage beruht (§ 138 II BGB), bedarf daneben keiner Entscheidung.

3. Die danach für die Monate April, Mai, Juni und Juli 1995 in Höhe von jeweils 3500 DM begründeten Mietzinsforderungen hat die Bekl. teilweise erfüllt. (Die Berechnung weist eine offene Forderung von 4600 DM aus.)

4. Diese Forderung ist durch die von der Bekl. in der Berufungsinstanz nach Maßgabe der gem. §§ 396 I 1, 406 BGB erklärten Hilfsaufrechnung erloschen, die auf Rückerstattungsforderungen (§ 812 I 1 BGB) wegen Überzahlung des Mietzinses gestützt ist und wegen ihres Sachzusammenhangs mit dem Klageverlangen keinen Zulässigkeitsbedenken begegnet (§ 530 II ZPO). Die Rückerstattungsforderungen entstanden, nachdem man mit Wirkung zum August 1993 die Anhebung des monatlichen Mietzinses auf 6990 DM vereinbart, und die Bekl. ihre Zahlungen entsprechend erhöht hatte. Bereits die Überzahlung in den ersten beiden Monaten (wobei für August 1993 der volle Betrag und für September 1993 ein Teilbetrag von 1170 DM zu berücksichtigen sind) genügte, um die Aufrechnung gegenüber der Klageforderung von 4660 DM zu tragen.

Die Rückforderungsberechtigung der Bekl. scheitert nicht an § 814 BGB. Denn es ist weder behauptet noch sonst ersichtlich, daß der Bekl. im Zeitpunkt der Überzahlung die Unwirksamkeit des „Nachtrags zum Mietvertrag„ bewußt gewesen wäre. Im Hinblick darauf kann offen bleiben, ob für die Anwendbarkeit des § 814 BGB bereits deshalb kein Raum ist, weil das Rückerstattungsrecht der Bekl. außer auf § 812 I 1 BGB möglicherweise auch auf § 817 S. 1 BGB gegründet werden kann.

Rechtsgebiete

Mietrecht

Normen

BGB §§ 138, 812, 814