Fortgeltung zweiwöchiger Kündigungsfrist für Mieter nach Beitritt

Gericht

KG


Art der Entscheidung

Berufungsbeschluss


Datum

22. 01. 1998


Aktenzeichen

8 RE-Miet 6765/97


Leitsatz des Gerichts

Die in einem während der Geltung des DDR-ZGB geschlossenen Mietvertrag enthaltene Klausel, wonach der Mieter das Wohnraummietverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen kündigen kann, gilt als wirksame vertragliche Vereinbarung nach dem 3. 10. 1990 fort.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Bekl. schlossen im Jahre 1988 im heutigen Beitrittsgebiet mit der Rechtsvorgängerin der Kl. einen schriftlichen Wohnungsmietvertrag über eine dort belegene Wohnung. Das von den Vertragsparteien unterzeichnete Vertragsformular hat unter anderem folgenden Wortlaut:

IX. Beendigung des Mietverhältnisses.

1. Das Mietverhältnis endet durch:

a) Vereinbarung der Vertragspartner

b) Kündigung durch den Mieter

c) gerichtliche Aufhebung

2. Die Kündigung muß schriftlich - spätestens zwei Wochen vor Beendigung des Mietverhältnisses - erfolgen.

Mit Schreiben vom 13. 10. 1995 kündigten die Bekl. das Mietverhältnis zum 30. 11. 1995. Sie gaben die Wohnung am 30. 11. 1995 zurück. Mit der Klage verlangt die Kl. von den Bekl. Zahlung des Mietzinses für die Monate Dezember 1995 und Januar 1996. Sie ist der Auffassung, die Kündigungsfrist betrage nicht zwei Wochen, sondern gem. § 565 II BGB mindestens drei Monate. Das AG Hohenschönhausen hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Vertragsparteien hätten unter Nr. IX des Wohnungsmietvertrages wirksam eine zweiwöchige Kündigungsfrist vereinbart. Diese vertragliche Vereinbarung sei nicht durch die Regelung des § 565 II BGB ersetzt worden, sondern gelte fort. Mit der Berufung wendet sich die Kl. gegen diese Rechtsauffassung des AG. Sie meint, der Regelung der Kündigungsfrist im Wohnungsmietvertrag komme kein eigenständiger Regelungsgehalt zu, da die Vertragsparteien lediglich den Wortlaut des § 120 II DDR-ZGB wiederholt hätten. Die mit der Berufung befaßte Kammer des LG hat am 5. 9. 1997 beschlossen, einen Rechtsentscheid des KG zu folgender Frage einzuholen:

Gilt eine vertragliche Regelung, die während der Geltung des DDR-ZGB getroffen worden ist und wonach der Mieter das Wohnraummietverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen kündigen kann, nach dem 3. 10. 1990 fort?

Das LG bejaht die Vorlagefrage und hat zur Begründung unter anderem ausgeführt: Bei der vorliegenden Formularklausel handele es sich um eine vertragliche Vereinbarung, die unbeschadet der Gesetzesänderung fortgelte. § 120 II DDR-ZGB könne nicht als zwingende Vorschrift angesehen werden und schließe daher eine vertragliche Vereinbarung nicht aus. Nach dem einschlägigen Kommentar, von dessen Maßgeblichkeit ausgegangen werden müsse, hätten in Mietverträgen längere Kündigungsfristen vereinbart werden können. Diese Interpretation stehe in Übereinstimmung mit § 45 III DDR-ZGB. Auch das DDR-ZGB sei - jedenfalls von der Konzeption her - grundsätzlich subsidiär anzuwendendes Recht gewesen. Es habe auch tatsächlich Mietverträge mit abweichenden Kündigungsfristen gegeben. Dem möglicherweise abweichenden Willen im Gesetzgebungsverfahren komme demgegenüber keine entscheidende Bedeutung zu. Darüber hinaus verbiete aber auch eine zwingende gesetzliche Vorgabe nicht, den betreffenden Sachverhalt vertraglich zu regeln, sofern die vertragliche Vereinbarung mit den zwingenden gesetzlichen Vorgaben übereinstimme. Auch einer solchen - mit den zwingenden gesetzlichen Vorgaben übereinstimmenden - vertraglichen Vereinbarung komme ein eigenständiger Regelungsgehalt zu. So könnten die Parteien eine Bestimmung bewußt treffen wollen, um etwaigen Gesetzesänderungen vorzubeugen. Es könne aber auch sein, daß die Parteien das betreffende Gesetz schlicht nicht kennen. Wenn der wahre Wille der Vertragsparteien nicht zu ermitteln sei, könne die Vertragsbestimmung schwerlich - entgegen ihrem klaren Wortlaut - dahin uminterpretiert werden, daß eine Regelung in Wirklichkeit gar nicht gewollt sei und die jeweilige gesetzliche Regelung gelten solle.

Das KG hat wie im Leitsatz (Beschlußtenor) ersichtlich entschieden.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

III. Gem. Art. 232 § 2 I EGBGB richten sich Mietverhältnisse im Beitrittsgebiet aufgrund von Verträgen, die vor dem Wirksamwerden des Beitritts geschlossen worden sind, seit dem 3. 10. 1990 - von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen - nach den Vorschriften des BGB. Das Einführungsgesetz knüpft damit an die bestehenden, unter der Geltung des DDR-ZGB geschlossenen Mietverträge an und stellt sie den unter der Geltung des BGB vereinbarten gleich. Vertragliche Regelungen, die unter der Geltung des DDR-ZGB wirksam vereinbart wurden, gehen daher den Vorschriften des BGB vor, soweit sie nicht gegen zwingendes Recht verstoßen.

Bei der im Vorlagebeschluß genannten Kündigungsklausel handelt es sich um eine vertragliche Vereinbarung, die Vorrang vor den Vorschriften des BGB - hier speziell des § 565 II 1 und 2 BGB - hat.

Der Senat folgt im Ergebnis der Auffassung der vorlegenden Zivilkammer 65 des LG Berlin (ebenso wie hier schon in GE 1996, 1113; ebenso u.a.: LG Berlin (Zivilkammer 62), GE 1997, 1107; LG Chemnitz, WuM 1996, 475; LG Potsdam, MM 1995, 144; LG Mühlhausen und BezG Cottbus, WuM 1994, 146; LG Zwickau, WuM 1996, 40; AG Berlin Mitte, GE 1993, 1339, und Urt. v. 10. 6. 1996 - 3 C 615/95; AG Berlin Pankow/Weißensee, DWW 1997, 76; Fischer-Dieskau, WohnungsbauR, Bd. 6, Art. 232 § 2 EGBGB, S. 6 Anm. 2; Janke, NJ 1994, 390 (391); Sonnenschein, in: PIG 38, 32; Staudinger, 1996, Art. 232 § 2 EGBGB Rdnr. 65; Sternel, MietR aktuell, 3. Aufl., Rdnr. A 222), daß die Kündigungsklausel unter der Geltung des DDR-ZGB wirksam vereinbart wurde.

Der entgegenstehenden Auffassung (im wesentlichen zurückgehend auf Beuermann, ZOV 1992, 16, und GE 1993, 1298, sowie Kinne, WuM 1992, 403 (406), so u.a.: Hartmann, ZMR 1992, 317 (324); Voelskow, in: MünchKomm, 3. Aufl., Art. 232 § 2 EGBGB Rdnr. 18; LG Berlin (Zivilkammer 64), ZOV 1992, 389; AG Berlin Hohenschönhausen, MM 1996, 245ff; AG Berlin Köpenick, GE 1995, 1087, und MM 1996, 247), die auf der Meinung basiert, bei der Regelung des § 120 II DDR-ZGB habe es sich um eine zwingende Vorschrift gehandelt und es fehle an einer vertraglichen Vereinbarung, wenn der Mietvertrag lediglich zwingendes Gesetzesrecht wiederhole, kann nicht gefolgt werden. Zum einen bestehen bereits Bedenken gegen die Annahme, es habe sich bei der Regelung des § 120 II DDR-ZGB um eine zwingende Norm gehandelt. Ihre Anwendung war nämlich nicht verbindlich vorgeschrieben (vgl. § 45 III 1 DDR-ZGB). Der historischen Auslegung, mit der Beuermann (GE 1993, 298f.) ihrem Sinn und Zweck beizukommen sucht, steht die Rechtswirklichkeit im sozialistischen Staat gegenüber, nach der die Meinung des vom Ministerium der Justiz der DDR herausgegebenen Kommentars zum DDR-ZGB ausschlaggebend war, weil dieser die „die normative Leitung verwirklichende, umsetzende und weiterführende operative Leitung“ (vgl. Göhring/Posch, ZivilR, 1981, Lehrb., Teil 1, S. 180) der sozialistischen Staatsführung darstellte. Nach diesem regierungsamtlichen Kommentar konnte im Mietvertrag aber auch eine längere Kündigungsfrist vereinbart werden (§ 120 DDR-ZGB Anm. 2.1). Es ist auch keine Entscheidung der DDR-Gerichte bekannt geworden, die die Vereinbarung einer längeren Kündigungsfrist für unwirksam erklärt hat, obwohl die Vereinbarung einer Frist von zum Beispiel fünfzehn Tagen keine Seltenheit war, wie die Entscheidungen des AG Berlin Mitte, GE 1993, 1339; AG Berlin Lichtenberg, MM 1994, 283, und AG Berlin Hohenschönhausen, MM 1996, 245, zeigen.

Es kann jedoch letztlich dahingestellt bleiben, ob es sich bei § 120 II DDR-ZGB um dispositives oder zwingendes Recht handelte. Die Auffassung, eine vertragliche Regelung, die mit einer zwingenden gesetzlichen Vorschrift übereinstimme, stelle keine wirksame vertragliche Vereinbarung (sondern eine leere „Hülse“) dar, ist offensichtlich nicht haltbar. Zwingende Normen sind regelmäßig durch die Regelung im Gesetz gekennzeichnet, daß eine abweichende Vereinbarung unwirksam ist (vgl. z.B. § 554 II Nr. 3 und § 564b VI BGB). Das bedeutet aber umgekehrt, daß der Gesetzgeber eine mit der zwingenden Vorschrift übereinstimmende Vereinbarung als wirksam ansieht. Auch § 45 III DDR-ZGB schloß eine (wirksame) Vereinbarung nur dann aus, wenn sie von einer verbindlich vorgeschriebenen gesetzlichen Bestimmung abwich, nicht aber dann, wenn sie mit dieser übereinstimmte. Er enthielt nämlich die Regelung, daß Partner auch Vereinbarungen treffen können, die im DDR-ZGB nicht geregelt sind oder die von seinen Bestimmungen abweichen, soweit ihre Anwendung nicht verbindlich vorgeschrieben ist. Dem Wortlaut und Sinngehalt dieser Vorschrift kann bereits entnommen werden, daß das DDR-ZGB die Vereinbarung gesetzlich geregelter Sachverhalte nicht nur nicht ausschloß, sondern als Regelfall ansah. Dem Gesetzestext entsprechende vertragliche Vereinbarungen waren - jedenfalls im Mietrecht - aus Gründen der Rechtsklarheit sogar ausdrücklich erwünscht. In der DDR wurden beim Abschluß von Wohnungsmietverträgen - wie auch bei anderen Verträgen - häufig vorgedruckte Vertragsformulare verwandt (vgl. Göhring/Posch, S. 189). Die Verwendung von Mustermietverträgen wurde staatlicherseits angeraten, um im Interesse der Vertragsparteien die Rechte und Pflichten aus den Mietverhältnissen weitgehend einheitlich auszugestalten. Die mietvertraglichen Vereinbarungen sollten so getroffen werden, daß es möglichst keine Unklarheiten über die begründeten Rechte und Pflichten geben kann und zwar weder bei Vertragsabschluß noch zu einem späteren Zeitpunkt (Göhring/Posch, S. 277). Durch die Verwendung von Mustermietverträgen sollte auf einfache Weise erreicht werden, daß der Mietvertrag alle erforderlichen Festlegungen enthält und zwar sowohl die vom Gesetz verbindlich geregelten Rechte und Pflichten als auch die Fragen, die einer speziellen Vereinbarung bedürfen oder die abweichend von der gesetzlichen Regelung vereinbart werden können (vgl. Komm. zum DDR-ZGB vom 19. 6. 1975, § 98, S. 135f.). Die schriftliche Fixierung und Vereinbarung auch solcher Rechte und Pflichten (wie z.B. Kündigungsschutz), die sich unmittelbar aus Rechtsvorschriften ergeben, war zur Vermeidung von Unklarheiten ausdrücklich vorgesehen (vgl. Göhring/Posch, S. 277). Vorgedruckte Vertragsbestimmungen dienten dazu, entsprechend der Orientierung des § 60 DDR-ZGB den Vertragsinhalt näher auszugestalten. In und mit dem Vertragsformular wurde der Inhalt des Vertrages festgelegt (vgl. Göhring/Posch, S. 189).

Die wörtliche oder sinngemäße Wiederholung von gesetzlich verbindlich geregelten Rechten und Pflichten in Formularverträgen hatte daher sowohl rechtserläuternde als auch vertragsgestaltende Funktion.

Es handelte sich demnach auch nach dem Recht der DDR bei der im Vorlagebeschluß genannten Kündigungsklausel - obgleich sie sinngemäß dem Gesetzestext des § 120 II DDR-ZGB entspricht - um eine eigenständige und wirksame Vereinbarung und nicht nur um eine „leere Hülse“. Die Qualität einer vertraglichen Vereinbarung wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß die Vertragsfreiheit durch die Verwendung der „empfohlenen“ Mustermietverträge - jedenfalls beim Vertragsabschluß des Bürgers mit Betrieben wie den kommunalen Wohnungsverwaltungen oder den Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften - zumindest stark eingeschränkt war.

Der Annahme einer eigenständigen Vereinbarung steht - wie das LG in seinem Vorlagebeschluß zutreffend ausgeführt hat - auch nicht die die ständige Rechtsprechung des BAG bestimmende Rechtsansicht entgegen, nach der in Tarifverträgen übernommene gesetzliche Vorschriften grundsätzlich nur deklaratorisch aufgeführt sind. Die auf Tarifverträge angewandten Auslegungskriterien gelten nicht für Mietverträge, da diese nicht normativ, sondern nur zwischen den Vertragspartnern wirken.

Es trifft schließlich auch nicht zu, daß wörtliche Wiederholungen zwingenden Rechts in einem Mietvertrag mit einer Gesetzesänderung ihre Wirksamkeit verlieren (so aber Beuermann, ZOV 1992, 16). An der Wirksamkeit der vertraglichen Vereinbarung der zweiwöchigen Kündigungsfrist hätte sich - eine zwingende gesetzliche Regelung unterstellt - weder etwas geändert, wenn § 120 II DDR-ZGB noch zu DDR-Zeiten dahin geändert worden wäre, daß für die Kündigungsfrist des Mieters auch eine dreiwöchige Frist vereinbart werden darf, noch ist ihre Wirksamkeit dadurch hinfällig geworden, daß das DDR-ZGB durch den Einigungsvertrag aufgehoben wurde und seit dem 3. 10. 1990 auf den Mietvertrag grundsätzlich die Regelungen des BGB anzuwenden sind. Vertragliche Vereinbarungen, die mit zwingendem Gesetzesrecht übereinstimmen, werden nur dann unwirksam, wenn die einschlägige zwingende Norm durch eine andere zwingende Norm ersetzt wird. Dann folgt die Unwirksamkeit der Vereinbarung aber nicht aus der Aufhebung des mit der vertraglichen Vereinbarung übereinstimmenden zwingenden Gesetzes (wie Beuermann (ZOV 1992, 16) es ausdrückt, weil der Vertragsklausel „die Stütze entzogen“ wird), sondern aus der Tatsache, daß dann neues zwingendes Gesetzesrecht ihrer Wirksamkeit entgegensteht.

Die vertragliche Vereinbarung einer zweiwöchigen Kündigungsfrist, deren Beginn nicht auf einen festen Tag des Monats gelegt ist, sondern nur vom Zugang der Kündigungserklärung abhängt, verstößt nicht gegen im BGB normiertes zwingendes Recht. Nach der Regelung des BGB können die Parteien für die Kündigung durch den Mieter eine kürzere Frist vereinbaren, ohne daß hierfür gesetzlich eine Mindestzeit vorgegeben ist. Ferner ist es zulässig, eine nach festen Zeitabschnitten bemessene Kündigungsfrist zu vereinbaren, für die kein bestimmter Kündigungstag festgelegt wird (vgl. Palandt/Putzo, BGB, 56. Aufl., § 565 Rdnr. 6; Staudinger, BGB, 1996, Art. 232 § 2 EGBGB Rdnr. 65).

Rechtsgebiete

Mietrecht

Normen

DDR-ZGB §§ 45 III, 120 II; BGB § 565 II; EGBGB Art. 232 § 2 I