Rückübereignung bei fehlgeschlagener Enteignung nach DDR-Recht
Gericht
BVerfG
Art der Entscheidung
Beschluss über Verfassungsbeschwerde
Datum
09. 12. 1997
Aktenzeichen
1 BvR 1611/94
Die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG gewährt dem in der DDR enteigneten früheren Eigentümer keinen Rückerwerbsanspruch, wenn der Zweck der Enteignung nicht verwirklicht wurde. Dies gilt auch dann, wenn das Vorhaben, für das enteignet wurde, erst nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland endgültig aufgegeben worden ist.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der Bf. begehrte im Ausgangsverfahren die Rückübertragung eines im Beitrittsgebiet gelegenen Grundstücks, das 1988 nach dem Gesetz über die Bereitstellung von Grundstücken für Baumaßnahmen - Baulandgesetz - vom 15. 6. 1984 (GBl DDR I, 201) gegen Entschädigung zugunsten der Stadt S. für den Bau einer Schule enteignet worden war. Seinen 1990 gestellten Antrag auf Rückübertragung lehnte das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen ab. Der Widerspruch des Bf. blieb erfolglos. Mit seiner daraufhin erhobenen Klage hat der Bf. beantragt, das bekl. Land zu verpflichten, ihm das Eigentum an dem Grundstück nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz - VermG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 3. 8. 1992 (BGBl I, 1446) zurückzuübertragen; hilfsweise hat er im Hinblick darauf, daß die Stadt S. inzwischen beschlossen hatte, die Schule auf dem Grundstück nicht zu errichten, die Verpflichtung zur Rückübertragung gegen Rückzahlung der früher festgesetzten Entschädigung nach allgemeinen Grundsätzen (Rückübereignung) beantragt.
Das VG Meiningen hat dem Hilfsantrag stattgegeben (vgl. VIZ 1993, 400). Das BVerwG hat die Klage auf die Revision des Bekl. abgewiesen(vgl. BVerwGE 96, 172 = NJW 1994, 2712). Die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
B. Die Verfassungsbeschwerde, die nur noch den Hilfsantrag des Bf. betrifft, ist unbegründet. Die angegriffene Entscheidung verstößt weder gegen Art. 14 GG (I) noch gegen Art. 3 I GG (II).
I. Die Eigentumsgarantie des Art. 14 I GG wird dadurch, daß das BVerwG einen Anspruch des Bf. auf Rückenteignung des von ihm beanspruchten Grundstücks verneint hat, nicht verletzt.
1. Ein Verstoß gegen das Eigentumsgrundrecht kann nicht schon darin liegen, daß das BVerwG dem Vermögensgesetz als abschließender Regelung über die Rückgängigmachung von in der DDR vorgenommenen Enteignungen jedenfalls teilweise die Wirkung zuerkannt hat, Rückübertragungsansprüche nach anderen Rechtsvorschriften zu verdrängen. Denn es hat eine Ausschlußwirkung des Vermögensgesetzes hier ausdrücklich verneint.
2. Das angegriffene Urteil hat auch Bedeutung und Reichweite des Art. 14 GG nicht verkannt. Weder zwingt der verfassungsrechtlich verbürgte Eigentumsschutz dazu, die Vorschrift des § 102 BauGB so auszulegen, daß sie auf den Fall des Bf. angewandt wird, noch ist ihm ein verfassungsunmittelbarer Anspruch auf Rückübereignung des 1988 nach dem Baulandgesetz der DDR enteigneten Grundstücks zu entnehmen.
a) Zwar folgt aus Art. 14 GG ein Rückerwerbsrecht des früheren Grundstückseigentümers, wenn der Zweck der Enteignung nicht verwirklicht wird (vgl. BVerfGE 38, 175 = NJW 1975, 37). Das gilt jedoch nur für Enteignungen, die unter der Geltung des Grundgesetzes angeordnet und vollzogen worden sind. Dagegen läßt sich ein Rückübereignungsanspruch aus Art. 14 GG nicht auch für solche Fälle begründen, in denen vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes oder außerhalb seines räumlichen Geltungsbereichs eine dem Grundgesetz nicht verpflichtete Staatsgewalt auf vermögenswerte Rechte zugegriffen hat.
Die Eigentumsgarantie des Art. 14 I 1 GG steht in einem komplementären Verhältnis zur Enteignungsermächtigung in Art. 14 III GG (vgl. dazu und zum folgenden BVerfGE 38, 175 (179ff.) = NJW 1975, 37). Art. 14 I 1 GG sichert den konkreten Bestand des Eigentums in der Hand des einzelnen Eigentümers. Der Bürger muß allerdings den Zugriff des Staates auf sein Eigentum dulden, wenn die Voraussetzungen des Art. 14 III GG erfüllt sind. Nach dessen Satz 1 ist eine Enteignung nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Die öffentliche Aufgabe, der die Enteignung dienen soll, ist danach einerseits deren Zweck, andererseits aber auch deren Legitimation. Wird sie nicht ausgeführt oder das enteignete Grundstück hierzu nicht benötigt, so entfällt diese Legitimation und mit ihr der Rechtsgrund für den Eigentumserwerb durch die öffentliche Hand. Damit entfaltet die Garantie des Art. 14 I 1 GG wieder ihre Schutzfunktion. Die durch die Enteignung erlangte Rechtsposition der öffentlichen Hand kann dann keinen Vorrang vor der verfassungsrechtlich geschützten Rechtsstellung des Bürgers mehr haben. Mit dem Wegfall der die Enteignung legitimierenden verfassungsrechtlichen Voraussetzungen entbehrt auch das Eigentum in der öffentlichen Hand für die Zukunft der Rechtfertigung. Der Enteignete kann daher aufgrund der Garantie des Art. 14 I 1 GG nach Maßgabe näherer Ausgestaltung durch den Gesetzgeber die Wiederherstellung des verfassungsmäßigen Zustandes, d.h. die Rückübereignung des enteigneten Objekts, fordern.
Entscheidend für das Entstehen dieses Anspruchs sind danach der an die Voraussetzungen des Art. 14 III GG gebundene Enteignungsvorgang, der dementsprechend begrenzte Zugriff auf das durch Art. 14 I 1 GG geschützte Eigentum und die Abhängigkeit des Fortbestands der durch ihn zugunsten der öffentlichen Hand geschaffenen Eigentumslage vom Erreichen des Enteignungszwecks. Die im Einklang mit Art. 14 III 1 GG vollzogene Enteignung steht deshalb unter dem Vorbehalt, daß das enteignete Objekt auch tatsächlich dem Zweck zugeführt wird, zu dem es enteignet worden ist und der die Enteignung gerechtfertigt hat. Das durch Art. 14 I 1 GG geschützte Eigentumsrecht wirkt im Anschluß an eine Enteignung in dem Sinne nach, daß dem enteigneten Bürger eine eigentumsrechtlich geschützte Restposition, das Recht auf Rückerwerb des Eigentums, verbleibt, die wirksam wird, wenn es später nicht zu der vorgesehenen Verwendung des enteigneten Gegenstands kommt.
Ein auf Art. 14 GG gestützter Anspruch auf Rückübereignung kommt infolgedessen allein in Betracht, wenn bereits die Enteignung im Zeitpunkt ihrer Vornahme den Anforderungen des Art. 14 III 1 GG unterlag. Nur dann kann sich die aus dieser Vorschrift folgende Nachwirkung ergeben. Umgekehrt ist für einen Rückerwerbsanspruch auf der Grundlage des Art. 14 GG kein Raum, wenn der Eigentümer vor der Enteignung eine durch diese Vorschrift geschützte vermögenswerte Rechtsprechung nicht innehatte.
b) Für Enteignungen, die in der DDR - hier nach dem Baulandgesetz - durchgeführt wurden, galten die Voraussetzungen des Art. 14 III GG nicht, weil sich der Geltungsbereich des Grundgesetzes auf das Gebiet der DDR nicht erstreckte (vgl. BVerfGE 84, 90 (122f.) = NJW 1991, 1597; BVerfGE 95, 267 (309) = NJW 1997, 1975) und das Grundgesetz für dieses Gebiet auch nicht rückwirkend in Kraft getreten ist (vgl. Art. 3 i.V. mit Art. 1 I EinigungsV). Die Enteignung durch nicht an das Grundgesetz gebundene Stellen der DDR stand daher nicht unter dem sich aus Art. 14 III 1 GG ergebenden Vorbehalt der Verwendung des Enteignungsobjekts für das die Enteignung rechtfertigende gemeinwohlorientierte Vorhaben. Der Wegfall des Enteignungszwecks kann demnach auch nicht einen unmittelbar aus Art. 14 GG folgenden Anspruch auf Rückübereignung des Enteignungsgegenstands auslösen, und zwar unabhängig davon, ob das Vorhaben, für das enteignet wurde, vor oder nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland aufgegeben worden ist. Ebensowenig gebietet Art. 14 GG, § 102 BauGB auf Enteignungen der hier in Rede stehenden Art zu erstrecken.
3. Art. 14 GG wird auch nicht dadurch verletzt, daß das BVerwG im angegriffenen Urteil die Existenz eines nach dem Recht der DDR entstandenen und nach deren Beitritt von der Bundesrepublik Deutschland zu erfüllenden Anspruchs auf Rückübereignung verneint hat.
Nach den vom BVerwG getroffenen Feststellungen zum Recht der DDR sah dieses für den Fall, daß ein dort enteigneter Gegenstand dem Enteignungszweck nicht zugeführt wurde, ein Rückerwerbsrecht des Enteigneten nicht vor. Weder das Baulandgesetz noch andere einfachrechtliche Rechtsvorschriften der DDR hätten einen etwa dem § 102 BauGB vergleichbaren Anspruch auf Rückübereignung bei Verfehlung oder Fortfall des Enteignungszwecks gewährt. Auch unmittelbar aus Art. 16 DDR-Verf. habe ein solcher Anspruch nicht hergeleitet werden können. Der Rechtsordnung der DDR seien Grundrechte als verfassungsverbürgte subjektive Rechte des Bürgers gegenüber dem Staat fremd gewesen.
An diese Erkenntnisse ist das BVerfG bei seiner Entscheidung im Grundsatz gebunden. Zwar geht es dabei um Feststellungen auch zum Inhalt verfassungsrechtlicher Normen. Doch handelt es sich bei diesen um Verfassungsnormen eines anderen Staates. Sie haben nicht die Qualität innerstaatlichen Verfassungsrechts. Die Ermittlung ihres Inhalts (vgl. dazu auch § 293 ZPO) ist deshalb wie die Feststellung und Würdigung des entscheidungserheblichen Sachverhalts und die Auslegung und Anwendung des innerstaatlichen einfachen Rechts Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte. Das BVerfG kann insoweit nur unter besonderen Umständen korrigierend eingreifen (vgl. BVerfGE 18, 85 (92f., 96) = NJW 1964, 1715). Im Fall des Bf. wären die Voraussetzungen für ein solches Eingreifen nur gegeben, wenn die dem angegriffenen Urteil zugrundeliegende Würdigung des Rechts der DDR im Hinblick auf das Nichtbestehen von Rückübereignungsansprüchen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot verletzen würde (vgl. dazu BVerfGE 89, 1 (13f.) = NJW 1993, 2035).
Dafür ist jedoch nichts ersichtlich. Die Beurteilung der Rechtslage in der DDR durch das BVerwG ist nachvollziehbar begründet. Sie entspricht der Beurteilung anderer Gerichte (vgl. etwa BGH, NJW 1995, 1280 = DtZ 1995, 244 = VIZ 1995, 285; LG Dresden, VIZ 1994, 191 (194)) und wird auch im Schrifttum weitgehend geteilt (vgl. Uechtritz, VIZ 1994, 97 (103f.); Wessels, NJ 1994, 108 (110); ders., DVBl 1994, 458 (460f.); jeweils m.w. Nachw.). Für die Annahme, daß das angegriffene Urteil insoweit im Sinne des Willkürverbots auf sachfremden Erwägungen beruhen könnte, fehlt damit jeder Anhaltspunkt.
Das Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Verfassung der DDR (Verfassungsgrundsätze) vom 17. 6. 1990 (GBl DDR I, 299) zwingt schon deshalb nicht zu einer anderen Einschätzung, weil es ausweislich seines Art. 10 Geltung nur für die Zeit vom 17. 6. 1990 bis zur Inkraftsetzung eines Grundgesetzes beanspruchte. Die Verfassungsgrundsätze regelten die Rechtslage der DDR also, worauf die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme mit Recht hingewiesen hat, nur für die Zukunft; sie änderten sie dagegen nicht rückwirkend. Von daher ist kein Raum für die Annahme, daß vor dem Inkrafttreten der Verfassungsänderung vollzogene Enteignungen nachträglich unter den Vorbehalt der Rückgängigmachung beim Wegfall des Enteignungszwecks gestellt worden sind.
4. Der Bundesgesetzgeber war auch verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, für in der DDR vollzogene Enteignungen, deren Zweck nach der Wiedervereinigung aufgegeben worden ist oder wird, einen Rückübereignungstatbestand zu schaffen. Der Umstand, daß die Rechtsordnung der DDR einen Anspruch auf Rückerwerb des Eigentums für den Fall der Nichtverwirklichung des Zwecks der Enteignung nicht vorsah, wies nicht einen derartigen Unrechtsgehalt auf, daß es nach Art. 14 GG oder nach rechtsstaatlichen Maßstäben hätte geboten sein können, im Recht der Bundesrepublik auch für Enteignungen, die in der DDR vorgenommen wurden, ihren Zweck aber erst nach deren Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland endgültig verfehlt haben, die Möglichkeit einer Rückabwicklung zu eröffnen (vgl. BVerfGE 84, 90 (126) = NJW 1991, 1597 m.w. Nachw.; BVerfGE 95, 267 (307) = NJW 1997, 1975). Dafür spricht auch, daß sich in der Bundesrepublik Deutschland die Erkenntnis von der Notwendigkeit, dem früheren Eigentümer beim Wegfall des Enteignungszwecks von Verfassungs wegen ein Rückerwerbsrecht zu gewähren, erst nach der erwähnten Entscheidung des BVerfG (BVerfGE 38, 175 = NJW 1975, 37) allgemein durchgesetzt hat.
II. Auch der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 I GG ist nicht verletzt. Ein verfassungsrechtlich bedenklicher Gleichheitsverstoß liegt nicht darin, daß das BVerwG die Anwendung des § 102 BBauG/BauGB für bestimmte Enteignungen, die vor dem Inkrafttreten dieser Regelung vorgenommen wurden, bejaht, sie für Enteignungen in der DDR dagegen verneint hat.
Der allgemeine Gleichheitssatz verbietet, wesentlich Gleiches ohne sachlich rechtfertigenden Grund ungleich, und gebietet, wesentlich Ungleiches entsprechend seiner Eigenart ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 90, 145 (195f.) = NJW 1994, 1577). Das BVerfG hat unter Bezugnahme auf sein Urteil vom 15. 12. 1989 (NJW 1990, 2400) unter anderem ausgeführt, § 102 BBauG/BauGB sei nur auf solche vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes erfolgten städtebaulichen Enteignungsvorgänge zu erstrecken, in denen der frühere Eigentümer entweder ein verfassungsunmittelbares oder ein durch vorkonstitutionelles Recht eingeräumtes Rückerwerbsrecht geltend machen kann; es hat weiter festgestellt, daß das Recht der DDR Rückerwerbsrechte nicht gekannt hat. Enteignungen in der DDR unterscheiden sich danach wesentlich von Enteignungen, für die das BVerfG einen Rückübereignungsanspruch angenommen hat. Der Bf. wird nicht anders behandelt als solche Eigentümer in Deutschland, die vor Inkrafttreten des Grundgesetzes unter einer Rechtsordnung enteignet wurden, die ein Rückerwerbsrecht nicht vorsah. Eine verfassungsrechtliche Pflicht der Bundesrepublik Deutschland, die Bürger, die im Beitrittsgebiet gelebt haben, nachträglich so zu stellen, als hätten sie unter dem Recht der Bundesrepublik Deutschland gelebt, besteht nicht (vgl. BVerfGE 84, 90 (122f.) = NJW 1991, 1597; BVerfGE 95, 267 (309) = NJW 1997, 1975).
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