Flankieren lebenslänglichen Mietvertrags durch Nießbrauchbestellung - Senatsabweichung vom FG-Berichterstatter

Gericht

BFH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

03. 02. 1998


Aktenzeichen

IX R 38/96


Leitsatz des Gerichts

Die gleichzeitige Vereinbarung eines Nießbrauchs und eines Mietvertrags ist jedenfalls dann kein Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts (§ 42 AO 1977), wenn das dingliche Nutzungsrecht lediglich zur Sicherung des Pacht- oder Mietverhältnisses vereinbart und nicht tatsächlich ausgeübt wird.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. wurden im Streitjahr zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Der Kl. erwarb am 9. 4. 1990 von seiner Mutter eine Eigentumswohnung zum Kaufpreis von 175000 DM. In dem notariellen Kaufvertrag wurde ein „Grundstücksübertragungsvertrag„ zum Gegenstand der Urkunde gemacht, den die Parteien dem Notar übergeben hatten. In diesem sollte für die Verkäuferin, die Mutter des Kl., ein Wohnungsrecht an der verkauften Wohnung bestellt werden. Gleichzeitig wurde ein lebenslänglicher Mietvertrag zwischen der Mutter und ihrem Sohn vereinbart. Das Wohnungsrecht sollte nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Urkunde zur Verstärkung des Mietverhältnisses dienen. In dem notariellen Kaufvertrag wurde in Abänderung des übergebenen „Grundstücksübertragungsvertrags„ vereinbart, daß der Verkäuferin anstelle des dort vorgesehenen Wohnungsrechts der Nießbrauch an dem verkauften Wohnungseigentum zustehen sollte. Der Inhalt des Nießbrauchs bestimmte sich nach den gesetzlichen Bestimmungen. Das Recht, den Nießbrauch Dritten zur Ausübung zu überlassen, wurde ausgeschlossen. Am 2. 5. 1990 schlossen die Vertragspartner einen weiteren Vertrag, durch den die Mutter dem Kl. ein mit 6,5% zu verzinsendes und auf zehn Jahre unkündbares Darlehen in Höhe des vereinbarten Kaufpreises gewährte. In ihrer gemeinsamen Einkommensteuererklärung erklärten die Kl. ab dem 1. 5. 1990 Mieteinnahmen von mtl. 300 DM entsprechend 2400 DM im Jahr 1990. Außerdem machten sie Werbungskosten in einer Gesamthöhe von 19271 DM geltend. Das bekl. Finanzamt erkannte die negativen Einkünfte in Höhe von 16871 DM nicht an, da die Mutter des Kl. die Wohnung aufgrund eigenen Rechts (Nießbrauchs) genutzt habe. Eine mietweise Überlassung der Räume habe nicht vorgelegen. Der Einspruch der Kl. blieb erfolglos.

Das FG wies die daraufhin erhobene Klage mit der Begründung ab, daß die vertraglichen Gestaltungen einen Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts i.S. des § 42 AO 1977 darstellten (EFG 1997, 175). Mit der Revision rügten die Kl. die Verletzung materiellen Rechts und beriefen sich auf Verfahrensmängel. Die Revision hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. . . . Das FG hat zu Unrecht die Berücksichtigung des Werbungskostenüberschusses bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (§ 21 EStG) abgelehnt, weil das Mietverhältnis des Kl. mit seiner Mutter wegen Mißbrauchs von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO 1977) steuerlich nicht anzuerkennen sei.

1. Die Revision der Kl. hat allerdings keinen Erfolg, soweit diese einen Verfahrensmangel geltend machen. Die Rüge einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO) ist von den Kl. schon nicht schlüssig vorgetragen worden (vgl. BFHE 143, 325 = BStBl II 1985, 417). Aus dem Vorbringen der Kl. ergibt sich weder, daß sie sich zu bestimmten Sach- und Rechtsfragen nicht äußern konnten, noch daß das finanzgerichtliche Urteil auf neue, bisher nicht erörterte rechtliche Gesichtspunkte gestützt worden ist. Das FG war auch nicht allein deshalb, weil der Berichterstatter im Erörterungstermin möglicherweise eine bestimmte Rechtsauffassung vertreten hat, verpflichtet, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Indem die Kl. in Kenntnis sämtlicher Schriftsätze und des Protokolls des Erörterungstermins wirksam auf mündliche Verhandlung verzichtet haben, haben sie sich bewußt der Möglichkeit begeben, vor dem vollständigen Senat des FG vorzutragen.

2. Entgegen der Auffassung des FG sind die Voraussetzungen eines Mißbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts (§ 42 AO 1977) nicht gegeben.

a) Ein Gestaltungsmißbrauch im Sinne dieser Vorschrift ist gegeben, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die, gemessen an dem erstrebten Ziel, unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (st. Rspr.: Senat, BFHE 179, 400 = BStBl II 1996, 214 = NJW 1996, 2327 = NJWE-MietR 1996, 211 L, m.w. Nachw.). Das Motiv, Steuern zu sparen, macht eine steuerliche Gestaltung noch nicht unangemessen (GS, BFHE 137, 433 [444] = BStBl II 1983, 272). Auch Angehörigen steht es frei, ihre Rechtsverhältnisse untereinander steuerlich möglichst günstig zu gestalten. Eine rechtliche Gestaltung ist erst dann unangemessen, wenn der Steuerpflichtige die vom Gesetzgeber vorausgesetzte Gestaltung zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Ziels nicht gebraucht, sondern dafür einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzgebers das Ziel nicht erreichbar sein soll (BFHE 179, 400 = BStBl II 1996, 214 = NJW 1996, 2327 = NJWE-MietR 1996, 211 L).

Die gleichzeitige Vereinbarung eines dinglichen Nutzungsrechts und eines Mietvertrages ist jedenfalls dann kein Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts, wenn das dingliche Nutzungsrecht zur Sicherung des Pacht- oder Mietverhältnisses vereinbart wird.

b) Die Sicherung eines obligatorischen Mietverhältnisses durch ein dingliches Nutzungsrecht ist zivilrechtlich möglich. Über dieselbe Wohnung kann sowohl ein Mietvertrag und gleichzeitig oder auch nachträglich ein dingliches Nutzungsrecht bestellt werden (BGH, NJW 1974, 702 = Rpfleger 1974, 187; LM § 398 BGB Nr. 20 = BB 1968, 767; Schön, Der Nießbrauch an Sachen, S. 372; Joost, in: MünchKomm, § 1093 Rdnr. 16; Staudinger/Ring, BGB, § 1093 Rdnr. 3; Rothe, in: RGRK, § 1093 Rdnr. 5). Zwar kann ein Miet- oder Pachtvertrag nicht zum Inhalt eines dinglichen Rechts gemacht werden, weil dies gegen die Formenstrenge des Sachenrechts verstößt (BGH, WM 1965, 649; NJW 1962, 1392 = WM 11962, 746). Es ist jedoch zulässig, außerhalb und unabhängig vom obligatorischen Mietvertrag ein dingliches Nutzungsrecht für denselben Vertragspartner zu begründen (BGH, WM 1966, 1088 [1089]).

Ein Nießbrauch kann auch zur Sicherung eines bestehenden Miet- oder Pachtverhältnisses eingesetzt werden (vgl. ausf. z. Sicherungsnießbrauch Schön, S. 370ff.). Bereits in seinem Urteil vom 25. 4. 1968 (BFHE 92, 303 = BStBl II 1968, 509) hat der BFH entschieden, daß ein Nießbrauch, der dem Mieter sicherheitshalber eingeräumt worden ist, das Mietverhältnis nicht beeinträchtigt, wenn der Nießbrauch tatsächlich nicht ausgeübt worden ist. In seiner jüngeren Rechtsprechung hat der erkennende Senat eine im Zuge einer (teil-)entgeltlichen Übertragung eines Grundstücks vereinbarte Einräumung eines (dinglichen) Wohnungsrechts durch den Übernehmer und den gleichzeitigen Abschluß eines Mietvertrags anerkannt (BFH, BFH/NV 1996, 598).

Die Bestellung eines Sicherungsnießbrauchs macht es dem Grundstückseigentümer auch nicht unmöglich, dem Nießbrauchsberechtigten aufgrund eines Mietvertrags den Gebrauch des Grundstücks zu gewähren. Unmöglichkeit würde erst eintreten, wenn der Begünstigte seinen Nießbrauch tatsächlich ausüben würde (vgl. BFHE 92, 303 = BStBl II 1968, 509). Es ist jedoch vorliegend nicht erkennbar, daß die Mutter des Kl. den Nießbrauch tatsächlich ausgeübt hat.

c) Die Vereinbarung des Kl. mit seiner Mutter ist ferner nicht deshalb als Mißbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten zu beurteilen, weil er in dem notariellen Vertrag vom 9. 4. 1990 gleichzeitig einen Mietvertrag vereinbart und seiner Mutter einen (Sicherungs-)Nießbrauch eingeräumt hat. In dieser Vertragsgestaltung ist keine den wirtschaftlichen Zielen der Beteiligten gegenüber unangemessene Gestaltung zu sehen. Ein Mißbrauch liegt nicht schon deshalb vor, weil gleichzeitig zwischen dem ehemaligen und dem jetzigen Eigentümer ein Mietvertrag über die übertragene Wohnung abgeschlossen worden ist (vgl. BFHE 178, 542 = BStBl II 1996, 158 = NJW 1996, 1623). Den Vertragsparteien stand es frei, die Wohnung ohne jede Auflage oder Einschränkung auf den Kl. zu übertragen oder im Zuge der entgeltlichen Übertragung eine - wie auch immer geartete - Nutzungsmöglichkeit für den Übertragenden vorzusehen. Dabei ist es in der Regel nicht unangemessen, ein Grundstück unter gleichzeitiger Vereinbarung eines Mietvertrags mit dem vormaligen Eigentümer zu übertragen. Im Streitfall ergibt sich aus dem insoweit eindeutigen Vertrag, daß der Kl. seiner Mutter die Wohnung im Rahmen eines Mietverhältnisses gegen Entgelt überlassen hat.

Ein Mißbrauch ergibt sich auch nicht aus der gleichzeitigen Bestellung des Nießbrauchs für die vormalige Eigentümerin des Grundstücks. Es handelt sich nicht um eine den wirtschaftlichen Zielen der Beteiligten gegenüber unangemessene Gestaltung. Dabei ist eine an der Interessenlage der Vertragsparteien orientierte Vertragsauslegung zugrunde zu legen, die der Senat selbst vornehmen kann (BFH, BFH/NV 1996, 598; Senat, BFHE 1163, 560 = BStBl II 1992, 718 = NJW 1992, 335 m.w. Nachw.). Im Streitfall haben die Beteiligten den Nießbrauch zur Absicherung des gleichzeitig abgeschlossenen Mietvertrags bestellt. Dies ergibt sich aus dem ursprünglichen Vertragstext, in dem das dingliche Recht „zur Verstärkung„ des Mietvertrags vereinbart worden ist. Auch nach den Feststellungen des FG ging es der Mutter des Kl. darum, abgesichert zu sein und in der Wohnung möglichst auf Lebenszeit bleiben zu können.

Eine solche Absicherung ist entgegen der Ansicht des Finanzamts und des FG nicht nur im Wege des Vorbehaltsnießbrauchs denkbar. Zwar behält sich insbesondere bei einer Grundstücksübertragung von Eltern auf ihre Kinder der vormalige Eigentümer häufig einen (unentgeltlichen) Nießbrauch an dem übertragenen Grundstück vor. Es ist jedoch nicht zwingend, daß jedes dingliche Nutzungsrecht, welches in zeitlichem Zusammenhang mit der Grundstücksübertragung zugunsten des übergebenden Eigentümers bestellt wird, als unentgeltlich vorbehaltenes Nutzungsrecht zu qualifizieren ist. Vielmehr ist denkbar, daß das dingliche Sicherungsrecht(teil-) entgeltlich bestellt wird oder - wie im Streitfall - lediglich der Absicherung eines schuldrechtlich vereinbarten Mietvertrags dient.

Die gleichzeitige Vereinbarung von Mietvertrag und Sicherungsnießbrauch kann auch außersteuerlichen Zwecken dienen. Ein dinglich gesichertes Nutzungsrecht gibt dem Nutzer eine größtmögliche Sicherheit. Durch den gleichzeitig abgeschlossenen Mietvertrag erhält der Käufer einen regelmäßigen Ertrag aus dem erworbenen Grundstück. Würde lediglich ein unentgeltlicher Vorbehaltsnießbrauch anerkannt, müßte der Erwerber auf diesen Ertrag verzichten. Darüber hinaus hat die Vereinbarung eines Mietzinses den Vorteil, daß die mit großen Unsicherheiten verbundene Bewertung eines unentgeltlichen Vorbehaltsnießbrauchs vermieden werden kann. Daß diese Vertragsgestaltung gleichzeitig steuerrechtlich von Vorteil ist, führt nicht zu einem Mißbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten. Im übrigen ist eine gleichzeitige Vereinbarung von Mietrecht und dinglichem Nutzungsrecht auch unter fremden Dritten möglich und sinnvoll (vgl. BFHE 92, 303 = BStBl II 1968, 509; Schön, S. 371; Stein, DStR 1997, 1469 [1471]).

3. Die im Streitfall getroffenen Vereinbarungen entsprechen auch den Anforderungen, die die Rechtsprechung an Verträge zwischen nahen Angehörigen stellt. Danach setzt die steuerrechtliche Anerkennung solcher Verträge voraus, daß sie zum einen bürgerlichrechtlich wirksam geschlossen sind und darüber hinaus (sog. Fremdvergleich) sowohl die Gestaltung als auch die Durchführung des Vereinbarten dem zwischen Fremden Üblichen entspricht (Senat, BStBl II 1998, 106; BFHE 180, 377 = BStBl II 1997, 196 = NJW 1996, 3167). Die im Streitfall getroffenen Vereinbarungen sind bürgerlichrechtlich wirksam (vgl. o. 2b). Die vorliegende Gestaltung hält dem sog. Fremdvergleich stand. Die Vereinbarung eines Sicherungsnießbrauchs mag zwar nicht die typische Vertragsgestaltung im Rahmen der Übertragung eines Grundstücks sein. Sie ist jedoch grundsätzlich unter Fremden möglich und wird entsprechend vereinbart (vgl. z.B. BFHE 92, 303 = BStBl II 1968, 509).

Die gewählte Gestaltung ist auch nicht deshalb zu beanstanden, weil gleichzeitig mit der Übertragung des Grundstücks zwischen dem Kl. als neuem Eigentümer und seiner Mutter als früherer Eigentümerin eine Vereinbarung über die entgeltliche Nutzungsüberlassung der Wohnung getroffen worden ist (vgl. Senat, BFHE 178, 542 = BStBl II 1996, 158 = NJW 1996, 1623; BFH/NV 1996, 598 [600]).

Die Vereinbarungen sind in einer unter Fremden üblichen Weise tatsächlich durchgeführt worden. Das Finanzamt hat die tatsächliche Durchführung der vertraglichen Regelungen ebensowenig beanstandet wie das FG.

Rechtsgebiete

Steuerrecht

Normen

AO 1977 § 42; EStG § 21