Keine Vertragsauslegung durch Vergleich mit den Gebührentatbeständen der HOAI
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
22. 10. 1998
Aktenzeichen
VII ZR 91/97
Die HOAI enthält keine normativen Leitbilder für den Inhalt von Architekten- und Ingenieurverträgen.
Die Auslegung des Werkvertrags und der Inhalt der vertraglichen Verpflichtungen des Architekten oder Ingenieurs können nicht in einem Vergleich der Gebührentatbestände der HOAI und der vertraglich vereinbarten Leistungen bestimmt werden.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Das kl. Land (künftig: der Kl.) verlangt von den Bekl. Schadensersatz in Höhe von 302811,30 DM und Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz weiterer Schäden. Der Kl. hatte im Jahre 1988 mit dem Bekl. zu 1 und B, dessen Erben die Bekl. zu 2 und 4 (künftig allgemein: die Bekl.) sind, mehrere Verträge zur Grundinstandsetzung des Bühnenhauses des Staatstheaters B geschlossen, unter anderem den Vertrag über „Technische Ausrüstung“ vom 22. 1. 1988-2. 8. 1988. Die Baumaßnahme wurde von der Firma S ausgeführt, die inzwischen in Konkurs gegangen ist. Der Streitgehilfe zu 1 der Bekl., der TÜV . . ., hatte am 23. 8. 1991 eine Abnahmeprüfung vorgenommen. Am 24. 4. 1995 hatten Bühnenarbeiter auf der Hauptbühne das Stück einer größeren Schraube gefunden. Tags darauf fiel das schwere Hinterbühnentor auf die Bühne. Ursächlich dafür war ein Versagen der geschraubten Verbindung des Seilrollenblocks mit dem Antriebsrahmen. Der Seilrollenblock war nach den Feststellungen des Sachverständigen mit zu kurzen Schrauben und ohne Unterlagscheiben ausgeführt, die Muttern waren nicht gegen Lockern gesichert.
Der Kl. legt den Bekl. Fehler bei der Planung und Objektüberwachung zur Last. Schäden in Höhe von 302811,30 DM stünden bereits fest, weitere könnten noch nicht abschließend beziffert werden.
Die Leistungs- und Feststellungsklage ist in beiden Instanzen ohne Erfolg geblieben. Die Revision des Kl. führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das BerGer.
Auszüge aus den Gründen:
I. Das BerGer. ist der Ansicht, Schäden, die der Sachverständige auf eine fehlerhafte Ausführungsplanung zurückführe, fielen nicht in den Verantwortungsbereich der Bekl. Die Bekl. hätten auch nicht ihre Pflichten bei der Objektüberwachung verletzt, ihnen hätten schadensursächliche Verstöße gegen die Regeln der Technik oder der einschlägigen Vorschriften nicht schon während der Ausführung im Rahmen der Bauleitung auffallen müssen. Soweit gehe der Umfang der Überwachungspflichten, wie er sich aus § 73 III Nr. 8 HOAI ergebe, nicht. Diese seien von der fachtechnischen Abnahme, welche von den Bekl. nicht übernommen worden sei, abzugrenzen. Die Bekl. hätten sich darauf verlassen dürfen, daß Mängel in der Verschraubung bei der technischen Abnahme erkannt würden.
Den Bekl. könne auch nicht vorgeworfen werden, sie hätten die Mängel der Verbindungen bei der Abnahme feststellen müssen. Sie seien vertraglich nur zum „Mitwirken bei der Abnahme der Leistungen“ verpflichtet gewesen. Von den Aufgaben in dem hier entscheidenden Bereich, nämlich der Feststellung von Mängeln bei der fachtechnischen Abnahme, seien die Bekl. befreit gewesen. Zudem habe der Kl. auf ihre Empfehlung die technische Prüfung dem Streitgehilfen zu 1 übertragen. Aufgrund der einvernehmlichen Handhabung könnten den Bekl. Fehler bei der Mitwirkung der Abnahme der Leistung nicht angelastet werden.
II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung weitgehend nicht stand. Das BerGer. geht rechtsfehlerhaft davon aus, daß die Bekl. ihre Pflicht zur Objektüberwachung nicht verletzt haben. Es begrenzt den Umfang der Überwachungspflichten zum Teil unrichtig durch einen Rückgriff auf § 73 HOAI (1) und verneint im übrigen rechtsfehlerhaft Vertragspflichten der Bekl. zur Objektüberwachung (Bauüberwachung) aus 3.6.1 des Vertrages über „technische Ausrüstung“ (2).
1. Nach der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 133, 399 = NJW 1997, 586 = LM H. 4-1997 LM HOAI Nr. 32 = ZfBR 1997, 74 = BauR 1997, 154) enthält die HOAI keine normativen Leitbilder für den Inhalt von Architekten- und Ingenieurverträgen. Für die Frage, was der Architekt oder Ingenieur zu leisten hat, ist allein der geschlossene Werkvertrag nach Maßgabe der Regelungen des BGB und der dazu im einzelnen getroffenen Vereinbarung von Bedeutung. Die Auslegung des Werkvertrags und der Inhalt der vertraglichen Verpflichtungen des Architekten oder Ingenieurs können nicht in einem Vergleich der Gebührentatbestände der HOAI und der vertraglich vereinbarten Leistungen bestimmt werden.
Verfehlt ist deshalb der Ansatzpunkt des BerGer., aus der Tatsache, daß die vertragliche Vereinbarung der Parteien nicht auch die in § 73 III Nr. 8 HOAI erwähnte „Fachtechnische Abnahme der Leistungen und Feststellen der Mängel“ enthalte, sei zu schließen, die Bekl. seien zur Überprüfung der technischen Vorrichtungen für die Funktionstüchtigkeit des Hinterbühnentors, insbesondere der Übereinstimmung der Antriebsvorrichtung mit den technischen Regeln nicht verpflichtet. Diese Verpflichtung ist vielmehr Inhalt der vertraglichen Absprache.
2. a) Zur Objektüberwachung (Bauüberwachung) gehört nach 3.6.1 des Vertrags u.a. das Überwachen der Ausführung des Objekts mit den Ausführungsplänen, den anerkannten Regeln der Technik und den einschlägigen Vorschriften. Entgegen der Ansicht des BerGer. läßt sich der Vertrag nicht einschränkend dahin auslegen, daß die Objektüberwachung nicht für solche Mängel gilt, die erst bei ruhiger Prüfung der Leistung im Detail erkennbar werden. Diese Auslegung läßt sich nicht aus dem Wortlaut des Vertrags herleiten. Sie entspricht nicht Sinn und Zweck des Vertrags und widerspricht den Maßstäben, die der Senat (BGHZ 125, 111 = NJW 1994, 1276 = LM H. 6-1994 HOAI Nr. 24 = ZfBR 1994, 131 = BauR 1994, 392) an die Bauaufsicht des Architekten stellt. Zu der fehlerfreien Überwachung gehört hier die fachliche Überprüfung der technischen Unterlagen auf ihre Vollständigkeit und Richtigkeit sowie der Übereinstimmung der Ausführung mit den Plänen.
b) Aus den oben ausgeführten Gründen (II 1) im Ansatz schon verfehlt ist die Auslegung des Begriffes der Abnahme in 3.6.1 des Vertrags im Sinne einer nicht den Bekl. obliegenden fachtechnischen Abnahme. Der Vertrag läßt sich auch nicht dahin verstehen, daß die Bekl. durch die Formulierung „Mitwirken bei der Abnahme der Leistungen“ in dem „hier entscheidenden Bereich . . ., nämlich der Feststellung von Mängeln bei der fachtechnischen Abnahme“ befreit gewesen wären. Eine derartige Einschränkung läßt sich dem Vertrag nicht entnehmen. Dagegen spricht, daß das Mitwirken bei der Abnahme im Vertrag selbst näher u.a. dahin beschrieben wird, daß dazu insbesondere gehören: Vorbereiten der rechtsgeschäftlichen Abnahme und Teilnahme daran, Prüfen der Leistungen auf vertragsgemäße Erfüllung, Feststellen und Auflisten der Mängel, Überwachen der Beseitigung der bei der Abnahme der Leistung festgestellten Mängel.
3. Verfehlt ist auch die Annahme, durch die Empfehlung an den Kl., die „technische Prüfung“ dem Streitgehilfen zu 1 zu übertragen, könnten den Bekl. Fehler bei „Mitwirken bei der Abnahme der Leistungen“ nicht vorgeworfen werden; denn durch die Empfehlung ist ihre eigene vertragliche Verpflichtung weder ausdrücklich noch konkludent aufgehoben worden.
III. Nach alledem ist die Sache an das BerGer. zur weiteren Sachaufklärung zurückzuverweisen. Insbesondere fehlen bislang Feststellungen dazu, ob der technische Mangel der Verbindung von Antriebsrahmen und Antrieb von den Bekl. hätte erkannt werden müssen. Anders als die Revisionserwiderung meint, durften sich die Bekl. dabei nicht auf die Prüfung allein der Montage- und Werkstattzeichnungen beschränken, sondern hatten auch die Einhaltung der technischen Regeln vor Ort, insbesondere zur Ausführung der Schraubverbindung, zu prüfen. Gegebenenfalls wird sich das BerGer. auch mit der Frage des Mitverschuldens des Kl. zu befassen haben.
Kanzlei Prof. Schweizer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH © 2020
Impressum | Datenschutz | Cookie-Einstellungen