Verkehrssicherungspflicht des Bauunternehmers bei Abdeckung eines Deckendurchbruchs

Gericht

OLG Koblenz


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

18. 08. 1998


Aktenzeichen

3 U 713/95


Leitsatz des Gerichts

  1. Helfen Arbeiter des Rohbauunternehmers mit dessen Wissen in privater Wochenendtätigkeit einem Mieter dabei, auf der Baustelle unter Ausnutzung eines Deckendurchbruchs Einrichtungsteile in den Keller zu schaffen, so trifft auch den Unternehmer die Pflicht, sicherzustellen, daß nach dem Einräumen die Deckenöffnung wieder unfallsicher abgedecktwird. Die Wahrung der Baustellensicherheit steht nicht zur Disposition des Mieters. Insoweit bleiben die diesem privat helfenden Arbeiter Verrichtungsgehilfen des Unternehmers.

  2. Bei Bestimmung seiner Verkehrssicherungsmaßnahmen im Zugangsbereich eines von ihm aufgestellten Abfallcontainers muß der Bauunternehmer in Rechnung stellen, daß ein solcher Container zumindest gelegentlich auch von dritten auf der Baustelle tätigen Handwerkern zur Abfallentsorgung aufgesucht wird.

  3. Ein mit einer undurchsichtigen Plane abgedeckter Bodenbereich einer Baustelle darf, wenn überhaupt, bei Wahrung der erforderlichen Sorgfalt erst dann betreten werden, wenn zuvor Gewißheit darüber erlangt wurde, was unter der Plane ist (dem dies mißachtenden Bauhandwerker wurde hier ein 2/5-Mitschuldanteil an seinem Sturz durch den Deckendurchbruch angelastet).

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. fordert wegen eines BaustellenunfallsSchadensersatz. Die Bekl. führte im Juli 1992 im Auftrag des Eigentümers des Hauses L die bei einem Um- und Aufbau entstehenden Rohbauarbeiten durch. Zur Entsorgung des anfallenden Bauschutts hatte sie auf dem Hof gegenüber dem Vorbau einen Container aufgestellt. In dem Bereich zwischen der Wand des Vorbaus und dem Container, jedoch seitwärts von diesem, hatte die Bekl. in der Standebene des Containers einen 1,12 × 1,12 m großen Durchbruch zu dem darunter liegenden Keller- bzw. Untergeschoß geschaffen. Sie will diesen Durchbruch die ganzen Tage bis einschließlich Freitag, den 24. 7. 1992, durch 1,50 × 0,50 m große Schaltafeln und gegen Niederschlagswasser durch eine darüber befestigte, nicht durchsichtige grüne Kunststoffplane gesichert haben. Am Samstag, den 25. 7. 1992 wurden durch diese Öffnung Einrichtungsgegenstände für das Juwelierunternehmen K, welches Räumlichkeiten im Objekt angemietet hatte, in das Untergeschoß verbracht. Beteiligt hieran waren neben dem Zeugen K, dem Streithelfer der Bekl., zwei damalige Mitarbeiter der Bekl., darunter der Zeuge H. Nach Beendigung der Samstagsarbeiten wurde die Luke nur mit der Plastikplane überdeckt. Der Kl. war damals als Maler- und Lackierergeselle in dem Handwerksbetrieb des Malermeisters Z tätig. Dieser war vom Unternehmen K mit der Durchführung der Maler- und Anstreicherarbeiten in den angemieteten Räumen beauftragt worden. Am Montag, den 27. 7. 1992 gegen 12 Uhr wollte der Kl. Essensreste in den Bauschuttcontainer werfen. Als er dabei mit einem oder beiden Füßen auf die Plastikfolie trat, fiel er durch den Durchbruch in das Untergeschoß und verletzte sich schwer.

Das LG hat der Klage entsprochen, weil die beiden an der privaten Einräumtätigkeit des Zeugen K mitwirkenden Arbeiter der Bekl. bei Fortsetzung ihrer Arbeit auf der Baustelle am folgenden Montag nunmehr wieder als Verrichtungsgehilfen der Bekl. verpflichtet gewesenseien, nachzuprüfen, ob der Durchbruch sachgerecht verschlossen gewesen sei. Die Berufung der Bekl. hatte teilweise Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die Bekl. ist dem Kl. gem. §§ 823 I , 831 , 847 BGB zum Schadensersatz verpflichtet. Sie hat ihre Verkehrssicherungspflicht dadurch verletzt, daß sie zur Unfallzeit nicht für eine ordnungsgemäße Absicherung des Deckendurchbruchs gesorgt hat, durch den der Kl. in den Kellergestürzt ist. Weil aber der Kl. seinen Sturz mitverschuldet hat, muß er gem. § 254 BGB eine Anspruchskürzung hinnehmen, die der Senat mit 2/5 bemißt.

1. Ein Bauunternehmer hat nicht nur vertragsrechtlich seinen Auftraggeber vor etwaigen Schäden durch sein Wirken zu bewahren. Er ist zur Verkehrssicherung deliktsrechtlich auch gegenüber Dritten verpflichtet, die vorhersehbar mit den Gefahren der baulichen Anlage in Berührung kommen und dadurch Schaden erleiden können (BGH, NJW 1997, 582 = LM H.4/1997 § 823 [Dc] BGB Nr. 204 = VersR 1997, 249 [250] m.w. Nachw.). Die Bekl. hat mit dem Deckendurchbruch eine erhebliche Gefahrenquelle geschaffen, deren ordnungsgemäße Sicherung sie bis zur Beseitigung fortwährend zu gewährleisten hatte.

2.a) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme geht der Senat davon aus, daß der Deckendurchbruch bis zur einstweiligen Unterbrechung der am Freitag, den 24. 7. 1992 nur begonnenen dreiseitigen Aufmauerung durch Arbeiter der Bekl. mit Schalbrettern gesichert war. (Wird ausgeführt.)

b) … Letztentscheidend für den Absturz des Kl. ist geworden, daß der Deckenaufbruch nach seiner privaten Nutzung als Durchlaß für einzuräumende Einrichtungsgegenstände des Streithelfers nicht ordnungsgemäß verschlossen wurde und sein sicherer Verschluß nicht spätestens bei Arbeitsantritt am 27. 7. 1992 durch die bei der privaten Einräumaktion mithelfenden Arbeitnehmer der Bekl. und insbesondere auch durch deren Geschäftsführer überprüft worden ist. Wäre dies geschehen, wäre der Unfall vermieden worden.

c) Rechtsirrig ist schon die Auffassung der Bekl., ein Fehlverhalten ihrer beiden Mitarbeiter könne ihr nicht zugerechnet werden, weil diese insoweit nur als Verrichtungsgehilfen des Streithelfers bei dessen privater Einräumaktion mitgewirkt haben könnten.

Zwar trifft es zu, daß es sich hierbei um eine außerhalb der regulären Dienstzeit und aus Gefälligkeit privat erbrachte Tätigkeit dieser Mitarbeiter handelte; sie stand außerhalb des zwischen dem Grundstückseigentümer (Bauherrn) und der Bekl. bestehenden Bauvertrages. Es handelte sich insoweit um eine Verrichtung, die nicht die bekl. Bauunternehmerin betraf, sondern den Streithelfer. Demgemäß hat auch der Zeuge H bekundet, er sei nicht für seine Firma auf der Baustelle gewesen, sondern allein aus Gefälligkeit für den Streithelfer. Daraus folgt rechtlich aber nur, daß die Mitarbeiter in der speziellen Funktion der Einräummithilfe nicht Verrichtungsgehilfen der Bekl. waren. Unberührt hiervon bleibt die Grundpflicht zur Wahrung der Sicherheit an der Baustelle, welcher die Bekl. bzw. ihre Mitarbeiter weiterhin unterlagen. Für den Bereich des Dienstverschaffungsvertrages (Überlassung von Personal gegen Entgelt an einen anderen Unternehmer) ist anerkannt, daß der dienstleistende Arbeitnehmer Verrichtungsgehilfe des dienstverschaffenden Unternehmers bleibt, sofern er nicht gänzlich aus seinem bisherigen Unternehmen herausgelöst und in den neuen Betrieb eingegliedert wird (vgl. z.B. BGH, NJW-RR 1995, 659 = ZfBR 1995, 133 [134]; LM § 535 BGB Nr. 40 = VersR 1968, 779 [780]). Zwar liegt hier keine eigentliche Dienstverschaffung vor, sondern nur eine - allerdings mit Kenntnis und Billigung der Bekl. erfolgte - private Hilfstätigkeit von zweien ihrer Mitarbeiter. Die Gründe der vorgenannten Rechtsprechung lassen sich aber auch für den Fortbestand der Geschäftsherrnposition der Bekl. anführen. Die Verfügung über die Baustelle und deren Absicherung lag allein bei der Bekl. Als Bauunternehmen hatte sie u.a. das Recht, den Verkehr auf der Baustelle außerhalb der Arbeitszeit auszuschließen (vgl. z.B. BGH, VersR 1985, 360 [361]) und Arbeitnehmer - bei Bedarf auch samstags - jederzeit zu einer anderweitigen Verwendung einzusetzen. Der Deckendurchbruch war kein „regulärer“ Zugang, dessen Nutzung dem Streithelfer ohne weiteres für das Einbringen von Einrichtungsgegenständen zugestanden hat, sondern ein noch der Sicherungsverantwortung der Bekl. unterliegender Baubereich. Auch wenn die Bekl. ihren beiden Mitarbeitern hinsichtlich der Einrichtungstransportmithilfe keine Anweisungen hätte erteilen können - insoweit waren diese Verrichtungsgehilfen des Streithelfers - ändert dies nichts daran, daß sie bezüglich der Wahrung der Baustellensicherheit Verrichtungsgehilfen der Bekl. blieben und dieser Punkt auch nicht zur Disposition des Streithelfers stand.

Unstreitig haben die beiden Mitarbeiter der Bekl. am 25. 7. 1992 die Baustelle in Kenntnis der Tatsache verlassen, daß der Deckendurchbruch noch offen, also ungesichert war, weil er vom Streithelfer „noch gebraucht“ wurde. Diese Mitarbeiter hätten nicht darauf vertrauen dürfen, daß der Streithelfer die Öffnung wieder ordnungsgemäß verschließen werde. Der Streithelfer war Laie und mit der fachgerechten Sicherung einer Baustelle nicht vertraut. Die beiden Mitarbeiter haben ihn noch nicht einmal darauf hingewiesen, wie ein sicherer Verschluß herzustellen sei, um den baulichen Unfallverhütungsvorschriften zu genügen. Auch wenn der Streithelfer selbst die Gefahrenquelle kannte, wären die beiden Mitarbeiter in jedem Fall im Interesse dritter Benutzer der Baustelle zumindest bei Antritt ihrer Arbeit am 27. 7. 1992 verpflichtet gewesen, sichdavon zu überzeugen, ob der Verschluß ordnungsgemäß erstellt worden sei. Diese Verpflichtung traf aber auch den Geschäftsführer der Bekl. Er wußte von dem privaten Wochenendeinsatz seiner beiden Mitarbeiter. (Wird ausgeführt.)

Der Geschäftsführer der Bekl. hatte an allererster Stelle die Bausicherheit zu gewährleisten. Er wußte, daß es sich hier um eine Sondersituation handelte, in der unter Beteiligung fachfremder Personen ein Deckendurchbruch eröffnet worden war, und er mußte sicherstellen, daß diese Öffnung anschließend auch wieder ordnungsgemäß geschlossen wurde. Die Bekl. trägt selbst nicht vor, daß er entsprechende Maßnahmen ergriffen habe, etwa schon seinen beiden Mitarbeitern eingeschärft habe, die Baustelle am Samstag erst dann zu verlassen, wenn sie den Deckendurchbruch wieder geschlossen haben würden, oder dies zumindest beim montäglichen Arbeitsbeginn am 27. 7. 1992 abzuklären. (Wird ausgeführt.)

3. Der Haftung der Bekl. steht nicht entgegen, daß der Kl. den Containerbereich „unbefugt“ betreten hat.

Zwar findet an einer Baustelle grundsätzlich nur ein beschränkter Verkehr zugunsten der am Bau beschäftigtenHandwerker, der Lieferanten, des Architekten, des Bauherrn, der Beamten der Bauaufsichtsbehörde usw. statt, so daß sich die zu treffenden Sicherungsmaßnahmen grundsätzlich nur an den Sicherungserwartungen dieser mit den Gegebenheiten und den üblichen Gefahren einer Baustelle vertrauten Personen auszurichten haben (vgl. z.B. BGH, VersR 1985, 360 [361]), während der Verkehrssicherungspflicht gegenüber unbefugten Dritten regelmäßig bereits durch Aufstellen der Hinweistafel „Unbefugten ist das Betreten der Baustelle verboten“ genügt wird (vgl. BGH, VersR 1985, 360; NJW 1957, 499). Der Kl. gehört aber grundsätzlich zu dem Kreis der Baustellenarbeitskräfte, so daß sich bei ihm nur die Frage stellt, ob er für einen Teilbereich des Baus als „Unbefugter“ einzustufen ist. Schon in Ausformung der zuvor genannten Rechtsprechung ist anerkannt, daß die Verkehrssicherungspflicht des Bauunternehmers nicht nur gegenüber dem „berechtigten Verkehr“ besteht, sondern auch gegenüber nicht berechtigten Verkehrsteilnehmern, wenn der Verkehrssicherungspflichtige erkennen kann, daß Beschränkungen der Verkehrswidmung nicht beachtet werden. Dies gilt in besonderer Weise für die Zugangssicherung gegenüber Kindern, aber auch Baustellenbesuchern, insbesondere dann, wenn dort schwerwiegende Gefährdungenbestehen (vgl. z.B. OLG Köln, VersR 1992, 1241; OLG Hamm, VersR 1993, 491). Entsprechendes muß im Verhältnis zwischen Dritthandwerkern und dem Arbeitsbereich des Rohbauunternehmers gelten. Zwar ist davon auszugehen, daß die Nutzung des von diesem für die Aufnahme eigener Abfälle aufgestellten Containers durch dritte Handwerker grundsätzlich unerwünscht und unberechtigt ist. Andererseits ist es aber eine weitverbreitete allgemein bekannte Übung, daß solcheContainer durchaus zumindest gelegentlich von dritten Handwerkern benutzt werden. Hier kommt noch hinzu, daß die Bekl. gegen eine solche in Fachkreisen durchaus bekannte Fremdnutzung noch nicht einmal, etwa durch Aufschrift einesentsprechenden ausdrücklichen Verbots auf dem Container, vorgegangen war. Sie mußte also bei Bestimmung ihrer Verkehrssicherungsmaßnahmen eine entsprechende Drittnutzung mit in Rechnung stellen. Eine effektive Auswirkung i.S. einer Erhöhung der Sicherungsanforderung hätte dies im Streitfall ohnehin nicht gehabt, da die Bekl. schon im Interesse ihrer eigenen Arbeiter für eine unfallverhütungsgerechte Abdeckung des lebensgefährlichen Deckendurchbruchs zu sorgen hatte.

4. Der Kl. muß aber gem. § 254 BGB eine Kürzung seinerSchadensersatzansprüche hinnehmen, denn er hat seinen Unfall mitverschuldet. Auch wenn da, wo sich der Kl. dem Container genähert hatte, aus seiner Sicht dessen tiefste Stelle war, so daß er dort den Abfall „am bequemsten hineinwerfen konnte“, befand sich dort der mit der undurchsichtigen Planeabgedeckte Deckendurchbruch. Nach eigenem Eingeständnis hat der Kl. bei dem Versuch, Abfälle in den Container zu werfen, „auf die Plane getreten“. Damit hat er naheliegende Sorgfaltsanforderungen mißachtet. Allein schon die Tatsache einer Abdeckung ist ein erster unübersehbarer Hinweis darauf, daß hier etwas geschützt bzw. gesichert werden soll, so daß ein solcher Bereich, wenn überhaupt, bei Wahrung der erforderlichen Sorgfalt erst dann betreten werden darf, wenn sich der Betreffende zuvor Gewißheit darüber verschafft hat, was unter der Plane ist. Der Kl. hat sich nicht dazu geäußert, ob und seit wann ihm die Existenz des Deckendurchbruchs an dieserStelle schon bekannt war. Selbst wenn man unterstellt, ihm sei vorher bekannt gewesen, daß diese Öffnung über eine Reihe von Tagen durch Schalbretter mit darübergelegter Plane abgedeckt gewesen sei, hätte er am Unfalltage von einem Fortbestand dieser Sicherung keineswegs unbesehen ausgehen können, zumal sich dort am letzten Arbeitstag vor dem Unfall in Form der begonnenen dreiseitigen Aufmauerung Änderungen ergeben hatten und keineswegs klar war, daß die ursprünglich vorhandene Bretterabdeckung wie zuvor auch beibehaltenwurde. Gerade als Bauhandwerker mußte der Kl. wissen und berücksichtigen, daß sich die Gefahrenlage an Baustellen mit jedem Tag wandeln kann, insbesondere wenn in bestimmtenvorher abgesicherten Bereichen nach einigen Tagen Arbeiten fortgesetzt werden. Er hätte daher entweder davon absehen müssen, sich dem Container auf der für ihn „bequemsten“ Seite zu nähern oder sich vorher vergewissern müssen, ob sich der mit Folie abgedeckte Bereich vor dem Container wirklich betreten lasse. Hätte er dies beachtet, dann hätte er den Unfall vermieden. Ihn trifft daher ein erheblicher Mitverursachungs- und Mitverschuldensanteil, wobei - allerdings nur abrundend und nicht ausschlaggebend - mitzuberücksichtigen ist, daß er an dem Container ohnehin nichts zu suchen hatte. Schwerer wiegt jedoch der Verursachungs- und Verantwortungsanteil der Bekl., welche die ausreichende Absicherung einer besonders tückischen Gefahrenquelle nichtgeprüft und damit unterlassen hat, obwohl die Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Abdeckung auch unter Berücksichtigung der Erfordernisse des Bauablaufs ohne weiteres und rechtzeitig möglich gewesen wäre. Unter Abwägung allerUmstände erscheint es dem Senat daher angemessen, daß die Bekl. zwar noch den überwiegenden Teil des Schadens tragen muß, der Kl. aber eine empfindliche Anspruchskürzung um 2/5 hinzunehmen hat.

Rechtsgebiete

Baurecht

Normen

BGB §§ 823, 831