Pflicht des Sondernutzungsberechtigten zur Beseitigung eines Baumes
Gericht
OLG Köln
Art der Entscheidung
Beschluss über weitere Beschwerde
Datum
07. 06. 1996
Aktenzeichen
16 Wx 88/96
Der Sondernutzungsberechtigte an einer zum Gemeinschaftseigentum gehörenden Gartenanlage, der dort vor vielen Jahren einen hochwachsenden Baum gepflanzt hat, der nunmehr den Bewohnern der oberen Etagen der Wohnungseigentumsanlage spürbar Licht und Sicht raubt, kann dem Beseitigungsverlangen dieser Wohnungseigentümer nicht § 47 NWNachbG entgegenhalten. Das Beseitigungsverlangen ist auch nicht dadurch verwirkt, daß die betroffenen Wohnungseigentümer viele Jahre lang dem Wachsen des Baumes entgegengesehen haben. Denn der Beseitigungsanspruch entstand erst, als der Baum eine Höhe erreicht hatte, die zu spürbaren Beeinträchtigungen führte.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Wohnung der Ag. liegt im Erdgeschoß der betroffenen Wohnanlage. Zur Anlage gehören auch Gartenflächen zur Sondernutzung. Das Sondernutzungsrecht der Ag. umfaßt den an ihre Terrasse angrenzenden Gartenteil. Dort steht seit etwa 15 Jahren 2,50 Meter vor der Außenwand des Gebäudes die streitige Schwarzkiefer. Der Baum hat derzeit eine Höhe von ungefähr 8 m, sein Kronendurchmesser beträgt rund 4 m. Die Wohnung des Ast. befindet sich im ersten Obergeschoß direkt über der Wohnung der Ag. Der Lichteinfall in die Wohnräume des Ast. ist durch die Krone der Kiefer beeinträchtigt, die Sicht aus der Wohnung ist eingeschränkt. Unter Berufung auf die nach seinem Vorbringen unzumutbaren Beeinträchtigungen begehrt der Ast. die Stutzung der Kiefer bis auf eine Höhe von höchstens 2 m.
Das AG hat den Antrag zurückgewiesen. Das LG hat die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Die sofortige weitere Beschwerde hatte teilweise Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
Nach § 15 III WEG kann jeder Wohnungseigentümer einen Gebrauch des gemeinschaftlichen Eigentums verlangen, der dem Gesetz, den Vereinbarungen und Beschlüssen, und soweit sich die Regelung hieraus nicht ergibt, dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen entspricht. Im vorliegenden Fall ist durch Ziffer I. der Teilungserklärung vom 30. 10. 1980 nebst Aufteilungsplan, welche die Wirkung einer Vereinbarung hat (§§ 8 II , 5 IV , 10 II WEG), die Nutzung der zur Wohnanlage gehörenden „unbebauten Gartenflächen“ bindend für die Eigentümer geregelt worden (§ 15 I WEG). Bei der Auslegung des Inhalts des hiernach auch zugunsten der Ag. im Grundbuch eingetragenen Sondernutzungsrechts ist auf den Wortlaut und Sinn abzustellen, wie sich dieser für einen unbefangenen Betrachter als nächstliegende Bedeutung des Eingetragenen ergibt (BGHZ 88, 302 (306) = NJW 1984, 308).
Unter Berücksichtigung dessen muß das Sondernutzungsrecht an einem Teil der „unbebauten Gartenfläche“ dahin verstanden werden, daß es nicht nur die Befugnis umfaßt, die betreffende Fläche als Garten zu benutzen, sondern auch die, sie gärtnerisch zu bepflanzen (BayObLG, WE 1991, 163; 1988, 23). Das Anpflanzen von Bäumen und Sträuchern in Gartenteilen, an denen Sondernutzungsrechte bestehen, ist folglich in der Regel ohne Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer gestattet (§§ 14 Nr. 1, 15 I , 22 I 2 WEG). Auch das Setzen einer Schwarzkiefer liegt im Rahmen der üblichen gärtnerischen Bepflanzung von Hausgärten. Bedeutet hiernach das Sondernutzungsrecht für die Ag., daß sie die betroffene Fläche unter Ausschluß der übrigen Eigentümer allein nutzen dürfen, so beinhaltet das jedoch keine vollständige Gleichstellung mit dem Sondereigentümer und dessen Recht, mit seinem Eigentum nach Belieben zu verfahren (§ 13 I WEG). Schon deshalb, weil die dem Sondernutzungsrecht unterliegende Fläche gemeinschaftliches Eigentum bleibt, dürfen die Ag. auf dem ihnen zustehenden Gartenteil nicht uneingeschränkt schalten und walten. Jedenfalls dürfen die Ag. ihr Sondernutzungsrecht nur im Rahmen des § 14 Nr. 1 WEG ausüben. Danach darf auch von der Sondernutzungsfläche nur in solcher Weise Gebrauch gemacht werden, daß dadurch keinem anderen Wohnungseigentümer über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst. Im Einzelfall kann also die gärtnerische Gestaltung durch Sondernutzungsberechtigte Beschränkungen unterworfen sein (BayObLG, WE 1994, 17; KG, NJW-RR 1996, 464f.; Weitnauer, 8. Aufl., § 15 Rdnr. 27; Palandt/Bassenge, 54. Aufl., § 15 WEG Rdnr. 7). Eine solche Beschränkung des Gestaltungsrechts ist vorliegend geboten. Denn den Ast. ist durch die Schwarzkiefer, über deren Schattenwurf sich im Rahmen des vorliegenden Verfahrens auch ein anderer Wohnungseigentümer beklagt hat, ein nicht zumutbarer Nachteil erwachsen (§§ 14 Nr. 1, 15 III WEG). Der vom AG beauftragte Sachverständige R hat in seinem Gutachten vom 10. 3. 1995 unwidersprochen festgestellt, daß die dichte Krone des Baumes eine starke Sicht- und Lichtbehinderung für die Wohnräume des Ast. im ersten Obergeschoß darstellt; mit zunehmendem Höhenwachstum werden sich die Beeinträchtigungen in die höher gelegenen Geschosse so lange verlagern, bis die Krone in zehn bis zwanzig Jahren über das Dachgeschoß reicht. Mit einem möglichen Auslichten der Krone würde der Lichteinfall zwar verbessert, doch wäre der Ast. weiterhin beeinträchtigt, auch dadurch, daß sein Balkon nach wie vor nur mit schattenverträglichen Gewächsen bepflanzt werden könnte.
Diese spürbaren Nachteile, die bei einer Pflanzung auf einem anderen Standort nicht entstanden wären, sind vermeidbar und brauchen deshalb vom Ast. nicht hingenommen werden. Ohne Belang ist insoweit, daß im Verhältnis zwischen Grundstücksnachbarn die Entziehung von Licht und Luft durch Bäume auf dem Nachbargrundstück als sogenannte negative Einwirkungen grundsätzlich nicht nach §§ 1004 , 906 BGB abwehrbar sind (BGH, NJW 1992, 2569; Palandt/Bassenge, § 903 Rdnr. 9), wenn nicht im Einzelfall aufgrund des nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses ein entsprechender Anspruch wegen schwerer Beeinträchtigungen besteht (vgl. BGH, NJW 1989, 2541). Denn anders als im Verhältnis zwischen benachbarten Grundstückseigentümern kommt es für die Bejahung eines Abwehr- oder Beseitigungsanspruchs zwischen Wohnungseigentümern nur darauf an, daß eine nicht ganz geringfügige, konkret spürbare und objektiv feststellbare Beeinträchtigung vorliegt (BGH, NJW 1992, 978; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1994, 277). Diese Wertung trägt der in der Regel größeren räumlichen Nähe zwischen Wohnungseigentümern Rechnung und entspricht der wechselseitigen Rücksichtnahme-, Schutz- und Treuepflicht innerhalb einer Eigentümergemeinschaft. Da eine spürbare und objektiv vom Sachverständigen auch festgestellte Beeinträchtigung des Ast. vorliegt, besteht ein Beseitigungsanspruch nach § 1004 BGB, §§ 14 Nr. 1, 15 III WEG.
Wegen des nach alledem strengeren Maßstabes, der an die von Wohnungseigentümern - im Vergleich zu Grundstücksnachbarn - hinzunehmenden Störungen anzulegen ist, können nachbarrechtliche Vorschriften nur in geeigneten Ausnahmefällen entsprechende Anwendung finden. Angenommen worden ist dies, soweit ersichtlich, nur bei Streitigkeiten zwischen Wohnungseigentümern über die Bepflanzung unmittelbar benachbarter Gartenteile, an denen jeweils einem der Eigentümer ein Sondernutzungsrecht zustand (BayObLG, DWE 1995, 28; WE 1988, 23; BayObLGZ 1982, 69 (76); KG, NJW-RR 1996, 464f.; a.A. KG, WE 1987, 197). Danach sind in diesen Fällen die im jeweiligen Bundesland geltenden nachbarrechtlichen Bestimmungen über die Grenzabstände von Bäumen (BayObLG, WE 1988, 23) und Sträuchern nebst deren Rückschnitt (BayObLG, DWE 1995, 28; KG, NJW-RR 1996, 464f.) entsprechend anzuwenden, auch die nachbarrechtlichen Ausschlußfristen für die Geltendmachung von Beseitigungsansprüchen sollen insoweit herangezogen werden können (BayObLGZ 1982, 77). Denn aufgrund der Aufteilung des Gartens durch Einräumung von Sondernutzungsrechten bestehe in bezug auf die Gartenpflanzung zwischen den einzelnen Nutzungsberechtigten eine ähnliche Interessenlage wie zwischen Grundstücksnachbarn.
Auch wenn in den genannten Fällen die Anwendung nachbarrechtlicher Bestimmungen geboten war (zust. LG Freiburg, ZMR 1987, 68), kann dies entgegen der Auffassung von AG und LGnicht für den vorliegenden Fall gelten. Ein Anspruch auf Beseitigung der weniger als 4 m (§ 41 I Nr. 1a NWNachbG) von der Außenwand des Gebäudes entfernt stehenden, stark wachsenden Schwarzkiefer (Schäfer, NWNachbG, 10. Aufl., § 41 Anm. 3) ist also nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Baum schon mehr als sechs Jahre an der betreffenden Stelle steht (§ 47 I NWNachbG). Zwar mögen Gartenstücke, an denen Sondernutzungsrechte bestehen, im Verhältnis zueinander als eigenständige Grundstücke mit entsprechenden „Grenzen“ angesehen werden können. Das kann aber nicht gelten für das Verhältnis eines solchen Gartenteiles zum Wohngebäude der Eigentümergemeinschaft. Insoweit sind nicht einander gleichgeordnete Sondernutzungsberechtigte „benachbart“, vielmehr gibt es wegen des Verbleibs eines solchen Gartenstückes im gemeinschaftlichen Eigentum weder rechtlich noch faktisch eine Grenze im Sinne des Nachbarrechts. Deshalb stehen dem Sondernutzungsberechtigten selbst auch keine über die Rechte gem. §§ 14 , 15 WEG hinausgehenden nachbarrechtlichen Rechte gegen die Wohnungseigentümergemeinschaft oder einzelne Wohnungseigentümer zu. Umgekehrt muß dies ebenso gelten, weil ansonsten die Schutzwirkung der §§ 14 Nr. 1, 15 III WEG leerliefe.
Eine Vorlage der weiteren Beschwerde gem. § 28 II FGG an den BGH erübrigt sich. Denn wegen der fehlenden Vergleichbarkeit der zugrundeliegenden Sachverhalte ist keine Abweichung von den genannten Entscheidungen des BayObLG und des KG festzustellen.
Das berechtigte Begehren des Ast. ist nicht verwirkt. Ein Anspruch ist nur dann verwirkt, wenn seit der Möglichkeit seiner Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, aufgrund derer die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt (Palandt/Heinrichs, § 242 Rdnr. 87). Vorliegend dürfte es schon am Zeitmoment fehlen, weil die schnellwachsende Kiefer erst vor wenigen Jahren ihre derzeitige Störungsintensität erreicht hat. Jedenfalls ist schon der Rechtsvorgänger der Ag. mehrfach aufgefordert worden, einen Rückschnitt des Baumes vorzunehmen. Weil sich die Ag. die Kenntnis ihres Rechtsvorgängers zurechnen lassen müssen, ist die Geltendmachung des Beseitigungsanspruchs zumindest nicht treuwidrig.
Im Ergebnis haben sonach AG und LG den Antrag des Ast. zu Unrecht abgewiesen. Der Senat kann über den Antrag zugunsten des Ast. selbst entscheiden, weil der Sachverhalt dafür hinreichend geklärt ist. Das Stutzen der Schwarzkiefer auf eine Höhe von höchstens 3 m beseitigt die Beeinträchtigungen des Ast. Insoweit verkennt der Senat nicht, daß der Baum dadurch möglicherweise nicht mehr lebensfähig bleibt. Andererseits darf die getroffene Entscheidung nicht über den gestellten Antrag hinausgehen. Den Ag. bleibt indes unbenommen, die Kiefer an eine nicht störende Stelle zu versetzen, sie bis auf einen verbleibenden Stumpf abzuschneiden oder vollständig zu entfernen.
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