Beseitigungsanspruch bei schattenwerfendem Baum und Grenzen des Mitgebrauchs
Gericht
BayObLG
Art der Entscheidung
Beschluss über weitere Beschwerde
Datum
05. 06. 1997
Aktenzeichen
2Z BR 31/97
Es spricht bereits der Anschein dafür, daß die Grenzen des nach § 14 Nr. 1 WEG zulässigen Mitgebrauchsrechts des gemeinschaftlichen Eigentums jedenfalls dann überschritten sind, wenn ein im gemeinschaftlichen Eigentum stehender Baum eigenmächtig beseitigt wird.
Der Gedanke des Bestandsschutzes eines bei Erwerb des Wohnungseigentums vorhandenen größeren Baums genießt grundsätzlich Vorrang vor dem Interesse des Wohnungseigentümers, der in Kenntnis der vorhandenen Bepflanzung eine Wohnung erworben hat und sich nunmehr auf eine Beeinträchtigung durch Schattenbildung beruft.
Nach dem Grundsatz des Übermaßverbots kann nicht die Beseitigung einer wegen Schattenbildung beeinträchtigenden Pflanze verlangt werden, wenn ein Rückschnitt der Pflanze zur Beseitigung der Beeinträchtigung möglich ist.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Bet. sind Wohnungseigentümer einer Wohnanlage. An der vor ihrer Erdgeschoßwohnung liegenden ca. 50 qm großen Gartenfläche ist den Ag. das Sondernutzungsrecht eingeräumt. Als die Ag. ihre Wohnung im Jahr 1991 erwarben, stand auf der Sondernutzungsfläche eine Birke, die zuletzt ca. 12 m hoch war. Am 23. 3. 1996 fällten die Ag. diesen Baum. Der Ast. gehört die schräg über der Einheit der Ag. liegende Wohnung; die Ast. sprach sich gegen das Abholzen der Birke aus.
Durch Beschluß hat das AG die Ag. bei Meidung von Zwangsmitteln zur Neuanpflanzung einer Birke gleicher Höhe und gleichen Umfangs verpflichtet. Auf die sofortige Beschwerde der Ag. hat das LG den Beschluß des AG aufgehoben und den Antrag abgewiesen. Hiergegen richtete sich die sofortige weitere Beschwerde der Ast. im wesentlichen mit Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
II. Das Rechtsmittel führt - mit Ausnahme der Androhung von Zwangsmitteln - zur Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Beschlusses.
1. Das LG hat ausgeführt: Die Entfernung der Birke sei zwar eine bauliche Veränderung, die über die ordnungsmäßige Instandhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehe.
Durch das Abholzen der Birke seien aber die Rechte der Ast. nicht über das in § 14 Nr. 1 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt worden. Der optische Gesamteindruck der Reihenhausanlage sei durch die getroffene Maßnahme nicht wesentlich beeinträchtigt worden, weil die Gärten vor der Häuserfront nur unregelmäßig mit Bäumen, Sträuchern und Hecken bepflanzt seien. Die Ast. habe zwar vorgebracht, daß sie an der Birke gehangen habe; dieses Affektionsinteresse sei jedoch als ein Interesse von geringerer Bedeutung einzustufen. Zu der Frage, ob die Birke Wind- oder Sichtschutz gegeben habe, sei "nichts Brauchbares" vorgetragen. Entscheidend sei, daß die Schattenbildung der Birke die Ag. erheblich beeinträchtigt habe. Im Hinblick darauf, daß auf einem nur 50 qm großen Gartenanteil eine 12 m hohe Birke gestanden habe, hätte auch das Absägen von Ästen keine wesentliche Besserung bringen können. Hinzukomme, daß die Birke, wäre sie nicht gefällt worden, noch weiter gewachsen wäre und damit die Beeinträchtigung durch sie zugenommen hätte.
2. Die Entscheidung des LG hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
a) Die Ag. sind nach § 1004 I BGB i.V. mit § 14 Nr. 1 WEG verpflichtet, nach näherer Maßgabe des Beschlusses des AG eine Birke in gleicher Höhe und mit gleichem Umfang wie der gefällte Baum wieder anzupflanzen.
Die Ag. haben durch das nicht von allen Miteigentümern genehmigte Fällen der Birke auf der ihnen zugewiesenen Sondernutzungsfläche gemeinschaftliches Eigentum verletzt. Sie waren zu der von ihnen eigenmächtig durchgeführten Maßnahme weder aufgrund des zu ihren Gunsten bestehenden Sondernutzungsrechts ermächtigt, noch ist jedenfalls die Ast. zur Duldung der auf diese Weise entstandenen Veränderung der Gartengestaltung verpflichtet. Die Ag. müssen vielmehr den rechtswidrig beseitigten früheren Zustand wiederherstellen. Dabei kann offenbleiben, ob das Abholzen des Baumes eine bauliche Veränderung i.S. von § 22 I WEG darstellt.
Das aus dem Sondernutzungsrecht fließende alleinige Gebrauchsrecht an der der Wohnung der Ag. vorgelagerten Grundstücksfläche schließt die Befugnis ein, diese Fläche grundsätzlich nach Belieben und eigenem Gutdünken zu bepflanzen. Der Sondernutzung sind jedoch wie dem Sondereigentum durch das Gesetz und die Rechte Dritter (vgl. § 13 I WEG) Grenzen gesetzt. Die sich danach ergebenden Verpflichtungen für den Sondernutzungsberechtigten sind in § 14 Nr. 1 WEG näher umschrieben. Danach darf er von dem ihm zur Sondernutzung zugewiesenen Teil des gemeinschaftlichen Eigentums wie auch von seinem Sondereigentum nur in solcher Weise Gebrauch machen, daß dadurch keinem anderen Wohnungseigentümer über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus ein Nachteil erwächst. Nach diesen Grundsätzen kann im Einzelfall die gärtnerische Gestaltung der Sondernutzungsflächen durch den jeweiligen Sondernutzungsberechtigten Beschränkungen unterworfen sein (BayObLG, WE 1993, 115; 1995, 345f.; OLG Düsseldorf, WE 1994, 374).
(1) Der Beseitigung des Baumes stand zwar nicht bereits eine Baumschutzverordnung entgegen, weil eine solche für den Bereich der Wohnanlage nicht besteht.
(2) Durch das Fällen der Birke ist jedoch zumindest der Ast. ein Nachteil erwachsen, der über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß (§ 14 Nr. 1 WEG) hinausgeht. Die vom LG vertretene gegenteilige Auffassung beruht auf einem Rechtsirrtum. Es spricht bereits der Anschein dafür, daß die Grenzen des nach § 14 Nr. 1 WEG zulässigen Mitgebrauchsrechts des gemeinschaftlichen Eigentums jedenfalls dann überschritten sind, wenn wie hier ein im gemeinschaftlichen Eigentum stehender Baum (§ 94 BGB) eigenmächtig beseitigt wird (vgl. OLG Düsseldorf, WE 1994, 374).
Die Birke, die die Ag. gefällt haben, war bereits vorhanden, als die Ag. im Jahr 1991 ihr Wohnungseigentum erworben haben. Selbst wenn die Birke in der Zwischenzeit noch gewachsen ist, war dies aber für die Ag. schon beim Kauf ihrer Wohnung erkennbar. Die vorhandene Bepflanzung ist von den Ag. damals offensichtlich nicht als Grund angesehen worden, von dem Erwerb der Wohnung abzusehen. In einem solchen Fall ist dem Bestandsschutz einer vorhandenen Bepflanzung (vgl. BayObLG, WE 1995, 345f.) grundsätzlich Vorrang einzuräumen vor dem Interesse eines Wohnungseigentümers, der in Kenntnis der vorhandenen Bepflanzung Wohnungseigentum erworben hat und sich nunmehr darauf beruft, er werde durch die Bepflanzung wegen Schattenbildung beeinträchtigt.
Rechtsfehlerhaft geht das LG davon aus, daß hinsichtlich des Sichtschutzes durch die Birke "nichts Brauchbares" vorgetragen sei. Aufgrund der vorgelegten Fotografien ist offensichtlich, daß der Baum, wenn er belaubt ist, Sichtschutz gegenüber der Straße, den gegenüberliegenden Häusern und einer auf der anderen Straßenseite befindlichen Garage gewährte.
Nicht haltbar ist die Wertung des LG, die Ast. habe an dem Baum lediglich ein Affektionsinteresse, das nur gering einzustufen sei. Im Gegenteil kommt dem Interesse eines Wohnungseigentümers, von seiner Wohnung aus auf einen Baum statt z.B. auf eine Garage zu blicken, erhebliche Bedeutung zu.
Nach dem Grundsatz des Übermaßverbotes kann nicht die Beseitigung einer wegen Schattenbildung beeinträchtigenden Pflanze verlangt werden, wenn ein Rückschnitt zur Beseitigung der Beeinträchtigung möglich ist (BayObLG, WE 1995, 345). Das LG kommt hier zu dem Ergebnis, daß das Absägen von einigen Ästen hinsichtlich der Schattenbildung keine wesentliche Besserung gebracht hätte. Dieses Ergebnis hält der rechtlichen Nachprüfung schon deshalb nicht stand, weil nicht einmal festgestellt ist, inwieweit durch den Baum in dem 50 qm großen Garten der Ag. Schatten geworfen worden ist. Zu einer solchen Feststellung hätte bei den besonderen Gegebenheiten des Falles (kleiner Garten, verhältnismäßig hoher Baum, höhere Hecke, Gartenhäuschen) Anlaß bestanden. Letztlich kann aber offenbleiben, ob hier ein Rückschnitt der Birke Abhilfe geschaffen hätte, jedenfalls war das Abholzen des Baumes bereits aus den obengenannten Gründen nicht zulässig.
b) Ein Leistungsantrag ist zwar dann abzuweisen, wenn feststeht, daß die verlangte Leistung objektiv und subjektiv unmöglich ist (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 56. Aufl., § 275 Rdnr. 25, m.w. Nachw.). So liegt der Fall hier nicht. Die Beschaffung des zu pflanzenden Baumes mag zwar Schwierigkeiten bereiten, ist aber nicht als unmöglich anzusehen. Daß dadurch unzumutbare Kosten entstehen (vgl. §§ 242 , 251 I BGB), ist im vorliegenden Verfahren nicht substantiiert vorgetragen. Für die Zumutbarkeit der Beschaffungskosten ist auch zu berücksichtigen, daß die Beseitigung des Baumes eine vorsätzliche unerlaubte Handlung war (§ 823 I BGB, vgl. Palandt/Bassenge, § 1004 Rdnr. 38, m.w. Nachw.).
c) Der Antrag der Ast., den Ag. die Verhängung von Zwangsmitteln anzudrohen, ist zurückzuweisen. Werden wie hier die Ag. zum Anpflanzen eines Baumes verpflichtet, richtet sich die Vollstreckung gem. § 45 III WEG nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung. Die Androhung von Zwangsmitteln ist nur im Fall des § 890 ZPO (Vollstreckung von Unterlassungs- und Duldungspflichten) erforderlich und zulässig (vgl. BayObLG, ZIP 1996, 1039, zu § 888 ZPO). Dieser Fall ist hier nicht gegeben.
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