Stimmrechtsausschluß des eingetragenen Erwerbers für Zeit schwebenden Erwerbsrechtsstreits - Nichtigkeit
Gericht
OLG Köln
Art der Entscheidung
Beschluss über weitere Beschwerde
Datum
23. 04. 1999
Aktenzeichen
16 Wx 54/99
Einem im Grundbuch eingetragenen Wohnungseigentümer kann auch dann, wenn über seinen Eigentumserwerb noch ein bei Gericht anhängiger Rechtsstreit schwebt, nicht durch Mehrheitsbeschluß für die Dauer dieses Rechtsstreits das Stimmrecht in der Wohnungseigentümerversammlung entzogen werden. Ein derartiger Beschluß ist auch dann, wenn er nicht fristgerecht angefochten wurde, nichtig.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die von der Bet. zu 2 als der früheren Alleineigentümerin erklärte Teilung ihres Grundstücks in Wohnungseigentum gem. § 8 WEG ist am 30. 10. 1987 grundbuchmäßig vollzogen worden. Es wurde aufgeteilt in insgesamt sechzehn Miteigentumsanteile jeweils verbunden mit einer Sonder- bzw. Teileigentumseinheit in einer Mehrhausanlage, nämlich in den beiden Wohnhäuser E -Straße 2a (5 Anteile mit den Nrn. 1-5 = Gemeinschaft A) und E -Straße 2 (6 Anteile mit den Nrn. 6-11 = Gemeinschaft B) und dem Mehrzweckgebäude E -Straße 2 und 2a (5 Anteile mit den Nrn. 12-16 = Gemeinschaft C). Gem. § 9 der Gemeinschaftsordnung sind für die Instandhaltung und -setzung des gemeinschaftlichen Eigentums sowie für die Tragung der diesbezüglichen Kosten und Lasten der drei Gebäude drei Eigentümergemeinschaften (nämlich A, B und C) in der Weise gebildet worden, daß Entscheidungen über Lasten- und Kostentragung jeweils auf das Gebäude, soweit es ausschließlich betroffen ist, beschränkt sind, für das die Eigentümerteilgemeinschaft gebildet ist. Die Bet. zu 3 und 4 kauften mit notariellem Vertrag vom 3. 9. 1991 von der Bet. zu 2 - Veräußerer und Bauträger - die noch zu errichtende und im Aufteilungsplan mit Nr. 10 bezeichnete Wohnung im Wohngebäude E-Straße 2. Zu deren Gunsten wurde am 11. 9. 1991 auch eine Auflassungsvormerkung im Grundbuch eingetragen. Mit Schreiben vom 31. 1. 1992 kündigte die Bet. zu 2 gegenüber den Bet. zu 3 und 4 das Vertragsverhältnis mit sofortiger Wirkung. Diese erhoben daraufhin vor dem LG gegen die Bet. zu 2 Klage auf Übertragung des Eigentums an der Wohnung. Durch - unangefochten gebliebenen - Beschluß der Eigentümergemeinschaft B (Wohngebäude E-Straße) vom 9. 11. 1992 wurde den Bet. zu 3 und 4 das Stimmrecht für die Eigentumswohnung Nr. 10 wegen des laufenden Prozesses mit der Bet. zu 2 entzogen und bis zur rechtskräftigen Entscheidung auf den jeweiligen Eigentümer der Wohnung Nr. 6 - die Bet. zu 2 - übertragen. Durch Urteil vom 5. 8. 1993 ist dann die Bet. zu 2 verurteilt worden, Zug um Zug gegen Zahlung von 24816,95 DM die Notarin anzuweisen, beim AG die Eigentumsumschreibung zugunsten der Bet. zu 3 und 4 zu beantragen, und diesen den Besitz an der Wohnung einzuräumen. Auf die hiergegen eingelegte Berufung ordnete das OLG unter dem 9. 2. 1994 das Ruhen des Rechtsstreits an, das noch andauert. Am 31. 5. 1994 sind die Bet. zu 3 und 4 aufgrund des entsprechenden Antrags der Notarin im Wohnungsgrundbuch als Eigentümer eingetragen worden. Im nunmehr von der Bet. zu 2 angestrengten Verfahren vor dem AG ist im wesentlichen beantragt, die Eigentumsumschreibung vom 31. 5. 1994 wegen Verstoßes gegen § 313 I 1 BGB für nichtig zu erklären. Eine Entscheidung steht aus.
Im vorliegenden, mit Schriftsatz vom 7. 10. 1996 eingeleiteten Verfahren beantragten die Bet. zu 1 und 2, den Bet. zu 3 und 4 im Hinblick auf den nicht für „nichtig„ erklärten Eigentümerbeschluß vom 9. 11. 1992 bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens vor dem AG zu untersagen, ihr Stimmrecht in der Eigentümergemeinschaft B auszuüben. Das AG hat den Antrag zurückgewiesen mit der Begründung, der genannte Eigentümerbeschluß sei nichtig, weil die Bet. zu 2 unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt berechtigt gewesen sei, den Bet. zu 3 und 4 das Stimmrecht zu entziehen; ferner fehle dem Antrag das Rechtsschutzbedürfnis. Die erhobene sofortige Beschwerde, mit der die Bet. zu 1 und 2 nunmehr beantragen, den Bet. zu 3 und 4 die Ausübung des Stimmrechts zu untersagen „wegen Untergangs des Kaufvertrages vom 3. 9. 1991 … und/bzw. wegen des Eintritts der Nichtigkeit nach § 125 BGB wegen fehlender Beurkundung wesentlicher Vertragsänderungen nach § 313 BGB„, hat das LG zurückgewiesen. Die sofortige weitere Beschwerde blieb ohne Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
1) Rechtlich nicht zu beanstanden ist die Annahme des LG, daß dem Begehren der Bet. zu 1 und 2 zunächst einmal die Grundbucheintragung der Bet. zu 3 und 4 entgegensteht. Die Stimmberechtigung knüpft im Hinblick auf die Notwendigkeit, das Stimmrecht an klare Voraussetzungen zu binden (BayObLG, NZM 1998, 816), an ein formales Kriterium an, d.h. stimmberechtigt ist regelmäßig derjenige Wohnungseigentümer, der als Eigentümer im Grundbuch eingetragen ist (vgl. BGHZ 106, 113 = NJW 1989, 1087). Im Streitfall ist mithin für die Frage, wem das Stimmrecht für die streitige Eigentumswohnung Nr. 10 zusteht, die zugunsten der Bet. zu 3 und 4 sprechende Grundbuchlage entscheidend. Diese gelten sonach rechtlich als Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft, woraus zwangsläufig das Stimmrecht als Mitverwaltungsrecht i.S. des § 20 I WEG folgt (vgl. BGHZ 106, 113 = NJW 1989, 1087; BGHZ 99, 90 = NJW 1987, 650). Daran kann sich nichts dadurch ändern, daß die Bet. zu 1 und 2 geltend machen, die Eigentumsumschreibung sei unwirksam im Hinblick darauf, daß der Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung bzw. mangelnder Beurkundung wesentlicher Vertragsänderungen nichtig sei. Dabei sind die Vorinstanzen mit Recht nicht in die Prüfung der Frage eingetreten, ob der Kaufvertrag aus den von den Rechtsbeschwerdeführern angegebenen Gründen tatsächlich nichtig und mithin die am 31. 5. 1994 erfolgte Eigentumsumschreibung zu berichtigen ist. Zuständig für die Entscheidung ist nicht das Wohnungseigentumsgericht, sondern das Prozeßgericht. Solange mithin die Bet. zu 1 und 2 insoweit nicht zumindest ein rechtskräftiges Urteil vorlegen können, wonach die Bet. zu 2 die Berichtigung des Grundbuchs aus § 894 BGB dahin verlangen kann, daß die Bet. zu 3 und 4 im Grundbuch als Eigentümer zu löschen sind, bleibt es für die Entscheidung bei der Vermutung gem. § 891 BGB, daß die eingetragenen Bet. zu 3 und 4 die wirklichen Eigentümer sind, selbst wenn das Grundbuch etwa wegen Nichtigkeit des Erwerbsvertrags tatsächlich unrichtig sein sollte (vgl. Weitnauer/Lüke, 8. Aufl., § 25 Rdnr. 7 m.w. Nachw.). Die getroffene Entscheidung besagt entgegen der Ansicht der Bf. daher nicht, daß für alle Zeit, also selbst bei einem für die Bf. positivem Ausgang der angestrengten Zivilprozesse das Stimmrecht der Bet. zu 3 und 4 festgeschrieben sei, sondern nur, daß derzeit für das Wohnungseigentumsgericht keine Handhabe besteht, den Bet. zu 3 und 4 die Ausübung des Stimmrechts untersagen.
2) Mit Recht sind die Vorinstanzen ferner davon ausgegangen, daß sich das Begehren der Bet. zu 1 und 2 ebensowenig mit Erfolg auf den Eigentümerbeschluß vom 9. 11. 1992 stützen läßt.
a) Der Beschluß geht, solange den Bet. zu 3 und 4 nicht auch der Besitz an der Wohnung übertragen war, ins Leere, weil ihnen bis zu diesem Zeitpunkt ein Stimmrecht in der Versammlung noch nicht zugestanden hatte. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist im Fall der Begründung von Wohnungseigentum durch Grundstücksteilung nach § 8 WEG das Vorliegen einer werdenden bzw. faktischen Wohnungseigentümergemeinschaft und damit die Anwendbarkeit der Vorschriften des WEG für und gegen den Erwerber einer Eigentumswohnung anzuerkennen, wenn dessen Übereignungsanspruch durch Eintragung einer Auflassungsvormerkung gesichert und diesem der Besitz an der Wohnung übertragen ist (vgl. z.B. NZM 1998, 199; BayObLG, ZMR 1998, 101 = WuM 1998, 178 = FGPrax 1998, 17; NJW-RR 1997, 1442 = ZMR 1998, 174; Merle, WE 1998, 160; zweifelnd OLG Saarbrücken, WE 1998, 314). An der zweiten Voraussetzung fehlte es ersichtlich im Zeitpunkt der Beschlußfassung.
b) Soweit den Bet. zu 3 und 4 mit der Übertragung des Besitzes (vgl. BayObLG, ZMR 1998, 101 = WuM 1998, 178 = FGPrax 1998, 17), spätestens aber mit der Eigentumsumschreibung das Stimmrecht in der Folgezeit erwachsen ist, sind die Vorinstanzen mit Recht davon ausgegangen, daß der Eigentümerbeschluß nichtig ist, denn der Entzug des Stimmrechts und die Übertragung der Ausübung auf einen anderen Wohnungseigentümer verstößt gegen den Kernbereich des Wohnungseigentumsrechts. Ein Eigentümerbeschluß ist auch ohne Ungültigerklärung (§ 43 I Nr. 4 WEG) nichtig, wenn er gegen Rechtsvorschriften verstößt, auf deren Einhaltung rechtswirksam nicht verzichtet werden kann (§ 23 IV 2 WEG). Schranken für den Inhalt von Eigentümerbeschlüssen ergeben sich sonach aus den Grenzen der Vertragsfreiheit nach §§ 134 , 138 BGB sowie den zwingenden Vorschriften des WEG (vgl. BayObLG, NZM 1998, 1012 = ZMR 1998, 509). Letzteres ist anerkanntermaßen auch der Fall, wenn eine beschlossene Regelung Rechte eines Wohnungseigentümers beschneidet, die zum wesentlichen Inhalt der Nutzung von Wohnungseigentum gehören (vgl. BGHZ 109, 329 = NJW 1995, 2036). Im übrigen ist die Nichtigkeit eines Beschlusses in jedem Verfahren zu berücksichtigen, auch wenn sie zuvor noch nicht festgestellt wurde (vgl. Weitnauer/Lüke, § 23 Rdnr. 24 m.w. Nachw.).
Die Stimmrechtsausübung gehört zum wesentlichen Inhalt der Nutzung von Wohnungseigentum, so daß die beschlossene Regelung einen Verstoß gegen zwingende Rechtsvorschriften begründet. Die Regelungsbefugnis der Wohnungseigentümer endet dort, wo die personenrechtliche Gemeinschaftsstellung der Wohnungseigentümer ausgehöhlt wird. Deshalb ist anerkannt, daß das Stimmrecht unübertragbar ist und mithin nicht vom Wohnungseigentum abgespalten werden kann (vgl. BGHZ 99, 90 = NJW 1987, 650; Weitnauer/Lüke, § 25 Rdnr. 7; Bärmann/Pick/Merle, WEG, § 25 Rdnr. 10 m.w. Nachw.). Das mitgliedschaftliche Element des Wohnungseigentums verbietet einen allgemeinen Ausschluß des Wohnungseigentümers vom Stimmrecht als einem Mitverwaltungsrecht i.S. des § 20 I WEG. Möglich ist nur, daß der stimmberechtigte Wohnungseigentümer einen anderen Wohnungseigentümer oder Dritten zur Ausübung des Stimmrechts in seinem Namen bevollmächtigt (§§ 164 ff. BGB) oder zur Stimmabgabe in eigenem Namen ermächtigt (vgl. Palandt/Bassenge, BGB, § 25 WEG Rdnr. 2a).
An der Bewertung ändert schließlich nichts der Umstand, daß der Stimmrechtsentzug zeitlich befristet ist, nämlich bis zum rechtskräftigen Abschluß des beim LG angestrengten Prozesses, zumal da der dem zugrundeliegende Streit der Bet. um das Eigentum für eine solche Regelung jedenfalls über den Zeitpunkt der Eigentumsumschreibung hinaus auch kein begründeter Gesichtspunkt sein konnte.
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