- 1.
- Das Göta hovrätt hat mit Beschluss vom 23. Februar 2001,
beim Gerichtshof eingegangen am 1. März 2001, gemäß Artikel
234 EG sieben Fragen insbesondere nach der Auslegung der
Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der
Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr
(ABl. L 281, S. 31) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
- 2.
- Diese Fragen stellen sich in einem bei diesem Gericht
anhängigen Strafverfahren gegen Frau Lindqvist, die
angeklagt ist, gegen die schwedischen Rechtsvorschriften
über den Schutz personenbezogener Daten verstoßen zu
haben, indem sie auf ihrer Website im Internet
personenbezogene Daten über eine Reihe von Personen
veröffentlicht habe, die wie sie ehrenamtlich in einer
Gemeinde der protestantischen Kirche von Schweden tätig
seien.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
- 3.
- Wie aus ihrem Artikel 1 Absatz 1 hervorgeht, bezweckt die
Richtlinie 95/46 den Schutz der Grundrechte und
Grundfreiheiten und insbesondere den Schutz der
Privatsphäre natürlicher Personen bei der Verarbeitung
personenbezogener Daten.
- 4.
- Artikel 3 der Richtlinie 95/46 bestimmt über deren
Anwendungsbereich:
(1) Diese Richtlinie gilt für die
ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung
personenbezogener Daten sowie für die nicht
automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten, die
in einer Datei gespeichert sind oder gespeichert werden
sollen.
(2) Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf die
Verarbeitung personenbezogener Daten,
- die für die Ausübung von Tätigkeiten erfolgt, die
nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts
fallen, beispielsweise Tätigkeiten gemäß den Titeln V
und VI des Vertrags über die Europäische Union, und auf
keinen Fall auf Verarbeitungen betreffend die
öffentliche Sicherheit, die Landesverteidigung, die
Sicherheit des Staates (einschließlich seines
wirtschaftlichen Wohls, wenn die Verarbeitung die
Sicherheit des Staates berührt) und die Tätigkeiten des
Staates im strafrechtlichen Bereich;
- die von einer natürlichen Person zur Ausübung
ausschließlich persönlicher oder familiärer
Tätigkeiten vorgenommen wird.
- 5.
- Artikel 8 (Verarbeitung besonderer Kategorien
personenbezogener Daten) der Richtlinie 95/46 sieht vor:
(1)
Die Mitgliedstaaten untersagen die Verarbeitung
personenbezogener Daten, aus denen die rassische und
ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder
philosophische Überzeugungen oder die
Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie von Daten
über Gesundheit oder Sexualleben.
(2) Absatz 1 findet in folgenden Fällen keine
Anwendung:
a) Die betroffene Person hat ausdrücklich in die
Verarbeitung der genannten Daten eingewilligt, es sei
denn, nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats kann
das Verbot nach Absatz 1 durch die Einwilligung der
betroffenen Person nicht aufgehoben werden;
oder
b) die Verarbeitung ist erforderlich, um den Rechten
und Pflichten des für die Verarbeitung Verantwortlichen
auf dem Gebiet des Arbeitsrechts Rechnung zu tragen,
sofern dies aufgrund von einzelstaatlichem Recht, das
angemessene Garantien vorsieht, zulässig ist;
oder
c) die Verarbeitung ist zum Schutz lebenswichtiger
Interessen der betroffenen Person oder eines Dritten
erforderlich, sofern die Person aus physischen oder
rechtlichen Gründen außerstande ist, ihre Einwilligung
zu geben;
oder
d) die Verarbeitung erfolgt auf der Grundlage
angemessener Garantien durch eine politisch,
philosophisch, religiös oder gewerkschaftlich
ausgerichtete Stiftung, Vereinigung oder sonstige
Organisation, die keinen Erwerbszweck verfolgt, im Rahmen
ihrer rechtmäßigen Tätigkeiten und unter der
Voraussetzung, dass sich die Verarbeitung nur auf die
Mitglieder der Organisation oder auf Personen, die im
Zusammenhang mit deren Tätigkeitszweck regelmäßige
Kontakte mit ihr unterhalten, bezieht und die Daten nicht
ohne Einwilligung der betroffenen Personen an Dritte
weitergegeben werden;
oder
e) die Verarbeitung bezieht sich auf Daten, die die
betroffene Person offenkundig öffentlich gemacht hat,
oder ist zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung
rechtlicher Ansprüche vor Gericht erforderlich.
(3) Absatz 1 gilt nicht, wenn die Verarbeitung der
Daten zum Zweck der Gesundheitsvorsorge, der
medizinischen Diagnostik, der Gesundheitsversorgung oder
Behandlung oder für die Verwaltung von
Gesundheitsdiensten erforderlich ist und die Verarbeitung
dieser Daten durch ärztliches Personal erfolgt, das nach
dem einzelstaatlichen Recht, einschließlich der von den
zuständigen einzelstaatlichen Stellen erlassenen
Regelungen, dem Berufsgeheimnis unterliegt, oder durch
sonstige Personen, die einer entsprechenden
Geheimhaltungspflicht unterliegen.
(4) Die Mitgliedstaaten können vorbehaltlich
angemessener Garantien aus Gründen eines wichtigen
öffentlichen Interesses entweder im Wege einer
nationalen Rechtsvorschrift oder im Wege einer
Entscheidung der Kontrollstelle andere als die in Absatz
2 genannten Ausnahmen vorsehen.
(5) Die Verarbeitung von Daten, die Straftaten,
strafrechtliche Verurteilungen oder Sicherungsmaßregeln
betreffen, darf nur unter behördlicher Aufsicht oder
aufgrund von einzelstaatlichem Recht, das angemessene
Garantien vorsieht, erfolgen, wobei ein Mitgliedstaat
jedoch Ausnahmen aufgrund innerstaatlicher
Rechtsvorschriften, die geeignete besondere Garantien
vorsehen, festlegen kann. Ein vollständiges Register der
strafrechtlichen Verurteilungen darf allerdings nur unter
behördlicher Aufsicht geführt werden.
Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass Daten, die
administrative Strafen oder zivilrechtliche Urteile
betreffen, ebenfalls unter behördlicher Aufsicht
verarbeitet werden müssen.
(6) Die in den Absätzen 4 und 5 vorgesehenen
Abweichungen von Absatz 1 sind der Kommission
mitzuteilen.
(7) Die Mitgliedstaaten bestimmen, unter welchen
Bedingungen eine nationale Kennziffer oder andere
Kennzeichen allgemeiner Bedeutung Gegenstand einer
Verarbeitung sein dürfen.
- 6.
- Artikel 9 (Verarbeitung personenbezogener Daten und
Meinungsfreiheit) der Richtlinie 95/46 bestimmt:
Die
Mitgliedstaaten sehen für die Verarbeitung
personenbezogener Daten, die allein zu journalistischen,
künstlerischen oder literarischen Zwecken erfolgt,
Abweichungen und Ausnahmen von diesem Kapitel sowie von
den Kapiteln IV und VI nur insofern vor, als sich dies
als notwendig erweist, um das Recht auf Privatsphäre mit
den für die Freiheit der Meinungsäußerung geltenden
Vorschriften in Einklang zu bringen.
- 7.
- Nach Artikel 13 (Ausnahmen und Einschränkungen) der
Richtlinie 95/46 können die Mitgliedstaaten
Beschränkungen bestimmter den für die Verarbeitung
Verantwortlichen nach der Richtlinie obliegender
Pflichten, insbesondere hinsichtlich der Information der
betreffenden Personen, vorsehen, sofern diese
Beschränkungen beispielsweise für die Sicherheit des
Staates, die Landesverteidigung, die öffentliche
Sicherheit, ein wichtiges wirtschaftliches oder
finanzielles Interesse eines Mitgliedstaats oder der
Europäischen Union oder die Ermittlung und Verfolgung
von Straftaten oder Verstößen gegen die
berufsständischen Regeln bei reglementierten Berufen
notwendig sind.
- 8.
- Artikel 25 in Kapitel IV (Übermittlung personenbezogener
Daten in Drittländer) der Richtlinie 95/46 lautet:
(1)
Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die Übermittlung
personenbezogener Daten, die Gegenstand einer
Verarbeitung sind oder nach der Übermittlung verarbeitet
werden sollen, in ein Drittland vorbehaltlich der
Beachtung der aufgrund der anderen Bestimmungen dieser
Richtlinie erlassenen einzelstaatlichen Vorschriften
zulässig ist, wenn dieses Drittland ein angemessenes
Schutzniveau gewährleistet.
(2) Die Angemessenheit des Schutzniveaus, das ein
Drittland bietet, wird unter Berücksichtigung aller
Umstände beurteilt, die bei einer Datenübermittlung
oder einer Kategorie von Datenübermittlungen eine Rolle
spielen; insbesondere werden die Art der Daten, die
Zweckbestimmung sowie die Dauer der geplanten
Verarbeitung, das Herkunfts- und das Endbestimmungsland,
die in dem betreffenden Drittland geltenden allgemeinen
oder sektoriellen Rechtsnormen sowie die dort geltenden
Standesregeln und Sicherheitsmaßnahmen berücksichtigt.
(3) Die Mitgliedstaaten und die Kommission
unterrichten einander über die Fälle, in denen ihres
Erachtens ein Drittland kein angemessenes Schutzniveau im
Sinne des Absatzes 2 gewährleistet.
(4) Stellt die Kommission nach dem Verfahren des
Artikels 31 Absatz 2 fest, dass ein Drittland kein
angemessenes Schutzniveau im Sinne des Absatzes 2 des
vorliegenden Artikels aufweist, so treffen die
Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit
keine gleichartige Datenübermittlung in das Drittland
erfolgt.
(5) Zum geeigneten Zeitpunkt leitet die Kommission
Verhandlungen ein, um Abhilfe für die gemäß Absatz 4
festgestellte Lage zu schaffen.
(6) Die Kommission kann nach dem Verfahren des
Artikels 31 Absatz 2 feststellen, dass ein Drittland
aufgrund seiner innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder
internationaler Verpflichtungen, die es insbesondere
infolge der Verhandlungen gemäß Absatz 5 eingegangen
ist, hinsichtlich des Schutzes der Privatsphäre sowie
der Freiheiten und Grundrechte von Personen ein
angemessenes Schutzniveau im Sinne des Absatzes 2
gewährleistet.
Die Mitgliedstaaten treffen die aufgrund der
Feststellung der Kommission gebotenen Maßnahmen.
- 9.
- Beim Erlass der Richtlinie 95/46 ließ das Königreich
Schweden folgende Erklärung zu Artikel 9 der Richtlinie
in das Protokoll der Tagung des Rates (Dokument Nr.
4649/95 des Rates vom 2. Februar 1995) aufnehmen:
Das
Königreich Schweden ist der Auffassung, dass sich der
Begriff des künstlerischen und literarischen Schaffens
eher auf die Ausdrucksmittel als auf den Inhalt der
Mitteilung oder deren Qualität bezieht.
- 10.
- Die am 4. November 1950 in Rom unterzeichnete
Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte
und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) sieht in Artikel
8 das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
vor und enthält in Artikel 10 Bestimmungen über die
freie Meinungsäußerung.
Nationales Recht
- 11.
- Die Richtlinie 95/46 wurde mit dem Personuppgiftslag, SFS
1998, Nr. 204 (schwedisches Gesetz über personenbezogene
Daten, im Folgenden: PUL), in schwedisches Recht
umgesetzt.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
- 12.
- Neben ihrer unselbständigen Beschäftigung als
Reinigungskraft war Frau Lindqvist als Katechetin in der
Kirchengemeinde Alseda (Schweden) tätig. Sie besuchte
einen Informatikkurs, in dessen Rahmen sie u. a. eine
Startseite im Internet einzurichten hatte. Ende 1998
richtete Frau Lindqvist zu Hause auf ihrem eigenen
Computer Internetseiten ein, um den Konfirmanden ihrer
Gemeinde den Zugang zu Informationen, die sie
möglicherweise benötigten, zu erleichtern. Auf ihren
Antrag stellte der Administrator der Website der Kirche
von Schweden eine Verbindung zwischen diesen Seiten und
der Website her.
- 13.
- Die fraglichen Internetseiten enthielten Informationen
über Frau Lindqvist und achtzehn ihrer Arbeitskollegen
der Gemeinde; dabei wurde entweder der vollständige Name
oder manchmal auch nur der Vorname genannt. Außerdem
beschrieb Frau Lindqvist in leicht humoriger Weise die
Tätigkeiten und Freizeitbeschäftigungen ihrer Kollegen.
Bei einigen von ihnen bezeichnete sie die
Familienverhältnisse, nannte die Telefonnummer oder
erteilte weitere Informationen. Bei einer Kollegin wies
sie darauf hin, dass sich diese am Fuß verletzt habe und
partiell krankgeschrieben sei.
- 14.
- Frau Lindqvist hatte weder ihre Kollegen vom Bestehen
dieser Internetseiten unterrichtet noch deren
Einwilligung eingeholt, noch hatte sie ihr Vorgehen der
Datainspektion (öffentliche Einrichtung zum Schutz von
auf elektronischem Wege übermittelten Daten) gemeldet.
Als sie erfuhr, dass die fraglichen Seiten von einigen
ihrer Kollegen missbilligt wurden, entfernte sie sie
sofort wieder.
- 15.
- Die Staatsanwaltschaft leitete gegen Frau Lindqvist
Strafverfolgungsmaßnahmen wegen Verstoßes gegen das PUL
ein und beantragte ihre Verurteilung mit der Begründung,
sie habe
- personenbezogene Daten in einem
automatisierten Verfahren verarbeitet, ohne dies zuvor
der Datainspektion schriftlich gemeldet zu haben (Artikel
36 PUL),
- sensible personenbezogene Daten, nämlich über eine
Fußverletzung und eine Teilkrankschreibung, ohne
Genehmigung verarbeitet (Artikel 13 PUL),
- ohne Genehmigung verarbeitete personenbezogene Daten
in ein Drittland übermittelt (Artikel 33 PUL).
- 16.
- Frau Lindqvist räumte den Sachverhalt ein, ließ sich
aber dahin gehend ein, dass sie keine Straftat begangen
habe. Nachdem sie vom Eksjö tingsrätt (Schweden) zur
Zahlung einer Geldstrafe verurteilt worden war, legte sie
gegen diese Entscheidung beim vorlegenden Gericht
Berufung ein.
- 17.
- Die Geldstrafe belief sich auf 4 000 SEK, wobei der nach
den finanziellen Verhältnissen von Frau Lindqvist
ermittelte Betrag von 100 SEK mit dem der Schwere des
Verstoßes entsprechenden Koeffizienten 40 multipliziert
wurde. Außerdem wurde Frau Lindqvist zur Zahlung von 300
SEK an einen schwedischen Fonds zur Unterstützung von
Opfern von Straftaten verurteilt.
- 18.
- Da das Göta hovrätt Zweifel hinsichtlich der Auslegung
des auf den vorliegenden Fall anwendbaren
Gemeinschaftsrechts, insbesondere der Richtlinie 95/46,
hat, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof
folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1.
Fällt die Nennung einer Person (mit Namen oder mit Namen
und Telefonnummer) auf einer Startseite im Internet in
den Anwendungsbereich der Richtlinie 95/46? Liegt eine
ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung
personenbezogener Daten vor, wenn auf einer persönlich
eingerichteten Startseite im Internet eine Reihe von
Personen genannt und Angaben über ihr
Arbeitsverhältnis, ihre Freizeitinteressen u. a. gemacht
werden?
2. Wenn die vorstehende Frage zu verneinen ist: Kann
die Einrichtung besonderer Seiten für etwa fünfzehn
Personen im Rahmen einer Startseite im Internet mit Links
zwischen den Seiten, die eine namentliche Suche
ermöglichen, als eine .nicht automatisierte Verarbeitung
personenbezogener Daten, die in einer Datei gespeichert
sind oder gespeichert werden sollen, im Sinne von Artikel
3 Satz 1 angesehen werden?
Für den Fall, dass eine dieser Fragen zu bejahen ist,
stellt das Hovrätt weiter folgende Fragen:
3. Kann die Eingabe von Daten der genannten Art über
Arbeitskollegen auf einer privaten Startseite, die jedoch
für alle, die die Adresse der Seite kennen, zugänglich
ist, aufgrund einer der Ausnahmen des Artikels 3 Absatz 2
der Richtlinie 95/46 als nicht unter die Richtlinie
fallend angesehen werden?
4. Gehört die Angabe auf einer Startseite, dass ein
namentlich genannter Arbeitskollege sich den Fuß
verletzt hat und partiell krankgeschrieben ist, zu den
personenbezogenen Daten über die Gesundheit, die nach
Artikel 8 Absatz 1 nicht verarbeitet werden dürfen?
5. Die Übermittlung personenbezogener Daten in
Drittstaaten ist gemäß der Richtlinie 95/46 in
bestimmten Fällen verboten. Liegt eine Übermittlung von
Daten in Drittstaaten im Sinne dieser Richtlinie vor,
wenn jemand in Schweden mit Hilfe eines Rechners
personenbezogene Daten auf einer Startseite, die auf
einem Server in Schweden gespeichert ist,
veröffentlicht, wodurch diese Daten Personen in
Drittländern zugänglich werden? Wäre diese Frage
genauso zu beantworten, wenn, soweit bekannt, niemand in
einem Drittland tatsächlich Kenntnis von den Daten
erlangt hat oder wenn sich der betreffende Server rein
räumlich in einem Drittland befindet?
6. Stellen die Bestimmungen der Richtlinie 95/46 in
einem Fall wie dem vorliegenden Beschränkungen dar, die
im Widerspruch zu den allgemeinen Grundsätzen im Bereich
der Meinungsfreiheit oder zu anderen Freiheiten und
Rechten stehen, die innerhalb der Europäischen Union
gelten und u. a. eine Entsprechung in Artikel 10 der
Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte
und Grundfreiheiten haben?
Schließlich legt das Hovrätt folgende Frage vor:
7. Kann ein Mitgliedstaat unter den in den
vorstehenden Fragen geschilderten Umständen einen weiter
gehenden Schutz für personenbezogene Daten vorsehen oder
den Anwendungsbereich der Richtlinie 95/46 erweitern,
auch wenn keine der Voraussetzungen des Artikels 13
vorliegt?
Zur ersten Frage
- 19.
- Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht
wissen, ob die Handlung, die darin besteht, auf einer
Internetseite auf verschiedene Personen hinzuweisen und
sie entweder durch ihren Namen oder auf andere Weise,
etwa durch Angabe ihrer Telefonnummer oder durch
Informationen über ihr Arbeitsverhältnis oder ihre
Freizeitbeschäftigungen, erkennbar zu machen, eine ganz
oder teilweise automatisierte Verarbeitung
personenbezogener Daten im Sinne von Artikel 3 Absatz 1
der Richtlinie 95/46 darstellt.
Beim Gerichtshof
eingereichte Erklärungen
- 20.
- Nach Ansicht von Frau Lindqvist ist die Annahme abwegig,
dass die bloße namentliche Nennung einer Person oder die
bloße Angabe personenbezogener Daten in einem auf einer
Internetseite enthaltenen Text eine automatisierte
Verarbeitung von Daten darstelle. Dagegen könne die
Aufnahme solcher Daten als Stichwörter in die meta tags
einer Internetseite, die es ermögliche, eine Indexierung
vorzunehmen und diese Seite durch eine Suchmaschine
aufzufinden, eine solche Verarbeitung darstellen.
- 21.
- Die schwedische Regierung vertritt die Ansicht, der
Begriff Verarbeitung ganz oder teilweise automatisierter
personenbezogener Daten, der auf den Artikel 3 Absatz 1
der Richtlinie 95/46 abstelle, umfasse alle
elektronischen Datenverarbeitungen, d. h. Verarbeitungen
von Binärdateien. Sobald also personenbezogene Daten mit
einem Rechner, sei es mittels eines
Textverarbeitungsprogramms oder etwa zur Aufnahme in eine
Internetseite, verarbeitet würden, seien sie Gegenstand
einer von der Richtlinie 95/46 erfassten Verarbeitung.
- 22.
- Die niederländische Regierung macht geltend, die
Aufnahme personenbezogener Daten in eine Internetseite
erfolge mit Hilfe eines Rechners und eines Servers, was
ein wesentliches Merkmal der Automatisierung darstelle,
so dass von einer automatisierten Verarbeitung dieser
Daten auszugehen sei.
- 23.
- Die Kommission führt aus, die Richtlinie 95/46 sei
unabhängig von den verwendeten technischen Mitteln auf
jede Verarbeitung personenbezogener Daten anwendbar, auf
die sich ihr Artikel 3 beziehe. Die Bereitstellung
personenbezogener Daten im Internet stelle daher eine
ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung dar,
sofern die Verarbeitung nicht aus technischen Gründen
auf einen lediglich manuellen Vorgang beschränkt sei.
Schon ihrer Natur nach falle eine Internetseite daher in
den Anwendungsbereich der Richtlinie 95/46.
Antwort
des Gerichtshofes
- 24.
- Der in Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 95/46 verwendete
Begriff personenbezogene Daten bezieht sich nach der
Definition ihres Artikels 2 Buchstabe a auf alle
Informationen über eine bestimmte oder bestimmbare
natürliche Person. Dieser Ausdruck erfasst eindeutig die
Nennung des Namens einer Person in Verbindung mit deren
Telefonnummern oder mit Informationen über ihr
Arbeitsverhältnis oder ihre Freizeitbeschäftigungen.
- 25.
- Der in Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie 95/46 verwendete
Begriff Verarbeitung personenbezogener Daten umfasst nach
der Definition in Artikel 3 Buchstabe b jeden mit oder
ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten
Vorgang oder jede Vorgangsreihe im Zusammenhang mit
personenbezogenen Daten. Diese Bestimmung führt mehrere
Beispiele für solche Vorgänge an, darunter die
Weitergabe durch Übermittlung, Verbreitung oder jede
andere Form der Bereitstellung von Daten. Der Vorgang,
der darin besteht, personenbezogene Daten auf eine
Internetseite zu stellen, ist somit als eine solche
Verarbeitung anzusehen.
- 26.
- Zu bestimmen bleibt noch, ob diese Verarbeitung ganz oder
teilweise automatisiert ist. Hierzu ist festzustellen,
dass es zur Wiedergabe von Informationen auf einer
Internetseite nach den gegenwärtig angewandten
technischen und EDV-Verfahren eines Hochladens dieser
Seite auf einen Server sowie der erforderlichen Vorgänge
bedarf, um diese Seite den mit dem Internet verbundenen
Personen zugänglich zu machen. Diese Vorgänge erfolgen
zumindest teilweise in automatisierter Form.
- 27.
- Mithin ist auf die erste Frage zu antworten, dass die
Handlung, die darin besteht, auf einer Internetseite auf
verschiedene Personen hinzuweisen und diese entweder
durch ihren Namen oder auf andere Weise, etwa durch
Angabe ihrer Telefonnummer oder durch Informationen über
ihr Arbeitsverhältnis oder ihre
Freizeitbeschäftigungen, erkennbar zu machen, eine ganz
oder teilweise automatisierte Verarbeitung
personenbezogener Daten im Sinne von Artikel 3 Absatz 1
der Richtlinie 95/46 darstellt.
Zur zweiten Frage
- 28.
- Da die erste Frage bejaht worden ist, ist die zweite
Frage, die nur für den Fall einer Verneinung der ersten
Frage vorgelegt worden ist, nicht zu beantworten.
Zur
dritten Frage
- 29.
- Mit seiner dritten Frage möchte das nationale Gericht
wissen, ob eine Verarbeitung personenbezogener Daten wie
die, auf die sich die erste Frage bezieht, unter eine der
in Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 95/46 genannten
Ausnahmen fällt.
Beim Gerichtshof eingereichte
Erklärungen
- 30.
- Frau Lindqvist trägt vor, eine Privatperson, die von
ihrer Meinungsfreiheit Gebrauch mache und im Rahmen einer
nicht auf Gewinnerzielung gerichteten Tätigkeit oder als
Freizeitbeschäftigung Internetseiten einrichte, übe
keine wirtschaftliche Tätigkeit aus und sei somit der
Anwendung des Gemeinschaftsrechts entzogen. Wenn der
Gerichtshof gegenteiliger Auffassung sein sollte, würde
sich die Frage nach der Gültigkeit der Richtlinie 95/46
stellen, da dann der Gemeinschaftsgesetzgeber mit deren
Erlass über die ihm in Artikel 100a EG-Vertrag (nach
Änderung jetzt Artikel 95 EG) verliehenen Befugnisse
hinausgegangen wäre. Die Rechtsangleichung, die auf die
Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes
gerichtet sei, könne nämlich nicht als Rechtsgrundlage
für Maßnahmen der Gemeinschaft dienen, die das Recht
von Privatpersonen auf freie Meinungsäußerung im
Internet regelten.
- 31.
- Die schwedische Regierung macht geltend, bei der
Umsetzung der Richtlinie 95/46 in innerstaatliches Recht
sei der schwedische Gesetzgeber davon ausgegangen, dass
die Verarbeitung personenbezogener Daten durch eine
natürliche Person dergestalt, dass diese Daten, z. B.
über das Internet, an eine unbestimmte Zahl von
Empfängern übermittelt würden, nicht als Ausübung
ausschließlich persönlicher oder familiärer
Tätigkeiten im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 zweiter
Gedankenstrich der Richtlinie 95/46 angesehen werden
könne. Es sei jedoch nicht auszuschließen, dass die
Ausnahme des Artikels 3 Absatz 2 erster Gedankenstrich
den Fall betreffe, dass eine natürliche Person allein im
Rahmen ihrer Meinungsfreiheit und ohne Bezug zu irgend
einer beruflichen oder kommerziellen Tätigkeit
personenbezogene Daten auf einer Internetseite
veröffentliche.
- 32.
- Nach Ansicht der niederländischen Regierung fällt eine
automatisierte Verarbeitung von Daten wie die, um die es
im Ausgangsverfahren geht, unter keine der Ausnahmen des
Artikels 3 Absatz 2 der Richtlinie 95/46. Soweit es
speziell um die Ausnahme des zweiten Gedankenstrichs
dieser Bestimmung gehe, bringe der Einrichter einer
Internetseite die darin aufgenommenen Daten einer
grundsätzlich unbestimmten Gruppe von Personen zur
Kenntnis.
- 33.
- Nach Auffassung der Kommission kann nicht davon
ausgegangen werden, dass eine Internetseite wie die im
Ausgangsverfahren fragliche dem Anwendungsbereich der
Richtlinie 95/46 nach deren Artikel 3 Absatz 2 entzogen
sei; angesichts ihres Zweckes stelle sie vielmehr eine
künstlerische und literarische Schöpfung im Sinne von
Artikel 9 der Richtlinie 95/46 dar.
- 34.
- Artikel 3 Absatz 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie
95/46 lasse zwei verschiedene Auslegungen zu. Nach der
einen Auslegung werde der Anwendungsbereich dieser
Bestimmung auf die beispielhaft genannten Bereiche,
nämlich Tätigkeiten, die im Wesentlichen zur so
genannten ersten Säule und zur so genannten zweiten
Säule gehörten, beschränkt. Nach der anderen sei die
Ausübung aller nicht vom Gemeinschaftsrecht erfassten
Tätigkeiten dem Anwendungsbereich der Richtlinie 95/46
entzogen.
- 35.
- Das Gemeinschaftsrecht gelte nicht nur für
wirtschaftliche Tätigkeiten, die mit den vier
Grundfreiheiten in Zusammenhang stünden. Aus der
Rechtsgrundlage der Richtlinie 95/46, deren Zweck,
Artikel 6 EU, der am 18. Dezember 2000 in Nizza
proklamierten Charta der Grundrechte der Europäischen
Union (ABl. C 364, S. 1) und dem Übereinkommen des
Europarats vom 28. Januar 1981 zum Schutz des Menschen
bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener
Daten sei zu schließen, dass diese Richtlinie bezwecke,
den freien Verkehr personenbezogener Daten als Ausdruck
nicht nur einer wirtschaftlichen, sondern auch einer
sozialen Tätigkeit im Rahmen der Integration und des
Funktionierens des Binnenmarktes zu regeln.
- 36.
- Zudem könnte ein allgemeiner Ausschluss von
Internetseiten, die keine kommerziellen oder
dienstleistungsbezogenen Elemente enthielten, vom
Anwendungsbereich der Richtlinie 95/46 zu schwerwiegenden
Abgrenzungsproblemen führen. Dann könnten nämlich
viele personenbezogene Daten enthaltende Internetseiten,
die darauf gerichtet seien, bestimmte Personen zu
bestimmten Zwecken zu stigmatisieren, vom
Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen sein.
Antwort
des Gerichtshofes
- 37.
- Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 95/46 sieht zwei
Ausnahmen von deren Anwendungsbereich vor.
- 38.
- Die erste Ausnahme betrifft die Verarbeitung
personenbezogener Daten, die für die Ausübung von
Tätigkeiten erfolgt, die nicht in den Anwendungsbereich
des Gemeinschaftsrechts fallen, beispielsweise
Tätigkeiten gemäß den Titeln V und VI des Vertrags
über die Europäische Union, und jedenfalls
Verarbeitungen betreffend die öffentliche Sicherheit,
die Landesverteidigung, die Sicherheit des Staates
(einschließlich seines wirtschaftlichen Wohls, wenn
diese Verarbeitungen die Sicherheit des Staates
berühren) und die Tätigkeiten des Staates im
strafrechtlichen Bereich.
- 39.
- Da die Tätigkeiten von Frau Lindqvist, um die es im
Ausgangsverfahren geht, im Wesentlichen nicht
wirtschaftlicher, sondern ehrenamtlicher und
religionsgemeinschaftlicher Natur sind, ist zu prüfen,
ob sie die Verarbeitung personenbezogener Daten, die für
die Ausübung von Tätigkeiten erfolgt, die nicht in den
Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen, im
Sinne von Artikel 3 Absatz 2 erster Gedankenstrich der
Richtlinie 95/46 darstellen.
- 40.
- Zu der auf Artikel 100a EG-Vertrag gestützten Richtlinie
95/46 hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass die
Heranziehung von Artikel 100a EG-Vertrag als
Rechtsgrundlage nicht voraussetzt, dass in jedem
Einzelfall, der von dem auf dieser Rechtsgrundlage
ergangenen Rechtsakt erfasst wird, tatsächlich ein
Zusammenhang mit dem freien Verkehr zwischen
Mitgliedstaaten besteht (vgl. Urteil vom 20. Mai 2003 in
den Rechtssachen C-465/00, C-138/01 und C-139/01,
Österreichischer Rundfunk u. a., Slg. 2003, I-0000,
Randnr. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).
- 41.
- Die gegenteilige Auslegung würde nämlich dazu führen,
dass die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der Richtlinie
95/46 ungewiss wäre und von Zufälligkeiten abhinge, was
ihrem Hauptzweck zuwiderliefe, die Rechts- und
Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten einander
anzugleichen, um Hindernisse für das Funktionieren des
Binnenmarktes zu beseitigen, die sich gerade aus den
Unterschieden zwischen den nationalen Regelungen ergeben
(Urteil Österreichischer Rundfunk u. a., Randnr. 42).
- 42.
- Unter diesen Umständen wäre es unangebracht, den
Ausdruck Tätigkeiten ..., die nicht in den
Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen dahin
auszulegen, dass in jedem Einzelfall geprüft werden
müsste, ob die betreffende konkrete Tätigkeit den
freien Verkehr zwischen Mitgliedstaaten unmittelbar
beeinträchtigt.
- 43.
- Die in Artikel 3 Absatz 2 erster Gedankenstrich der
Richtlinie 95/46 beispielhaft aufgeführten Tätigkeiten
(nämlich solche nach den Titeln V und VI des Vertrags
über die Europäische Union sowie Verarbeitungen
betreffend die öffentliche Sicherheit, die
Landesverteidigung, die Sicherheit des Staates und die
Tätigkeiten des Staates im strafrechtlichen Bereich)
sind jedenfalls spezifische Tätigkeiten der Staaten oder
der staatlichen Stellen und haben mit den
Tätigkeitsbereichen von Einzelpersonen nichts zu tun.
- 44.
- Daher ist davon auszugehen, dass die in Artikel 3 Absatz
2 erster Gedankenstrich der Richtlinie 95/46 als
Beispiele aufgeführten Tätigkeiten dazu dienen sollen,
den Anwendungsbereich der dort geregelten Ausnahme
festzulegen, so dass diese nur für Tätigkeiten gilt,
die entweder dort ausdrücklich genannt sind oder
derselben Kategorie zugeordnet werden können (ejusdem
generis).
- 45.
- Ehrenamtliche oder religionsgemeinschaftliche
Tätigkeiten, wie sie von Frau Lindqvist ausgeübt
werden, sind jedoch den in Artikel 3 Absatz 2 erster
Gedankenstrich der Richtlinie 95/46 genannten
Tätigkeiten nicht gleichzustellen und werden daher von
dieser Ausnahme nicht erfasst.
- 46.
- Als Beispiele für die in Artikel 3 Absatz 2 zweiter
Gedankenstrich der Richtlinie 95/46 geregelte Ausnahme
werden in der zwölften Begründungserwägung dieser
Richtlinie die Datenverarbeitung, die von einer
natürlichen Person in Ausübung ausschließlich
persönlicher oder familiärer Tätigkeiten vorgenommen
wird, sowie der Schriftverkehr und die Führung von
Anschriftenverzeichnissen genannt.
- 47.
- Diese Ausnahme ist somit dahin auszulegen, dass mit ihr
nur Tätigkeiten gemeint sind, die zum Privat- oder
Familienleben von Einzelpersonen gehören, was
offensichtlich nicht der Fall ist bei der Verarbeitung
personenbezogener Daten, die in deren Veröffentlichung
im Internet besteht, so dass diese Daten einer
unbegrenzte Zahl von Personen gemacht werden.
- 48.
- Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, dass eine
Verarbeitung personenbezogener Daten wie die in der
Antwort auf die erste Frage angeführte unter keine der
in Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 95/46 genannten
Ausnahmen fällt.
Zur vierten Frage
- 49.
- Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht
wissen, ob die Angabe, dass sich eine Person den Fuß
verletzt hat und partiell krankgeschrieben ist, zu den
personenbezogenen Daten über die Gesundheit im Sinne von
Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie 95/46 gehört.
- 50.
- Angesichts des Zweckes der Richtlinie 95/46 ist der in
ihrem Artikel 8 Absatz 1 verwendete Begriff Daten über
Gesundheit in dem Sinne weit auszulegen, dass er sich auf
alle Informationen bezieht, die die Gesundheit einer
Person unter allen Aspekten - körperlichen wie
psychischen - betreffen.
- 51.
- Mithin ist auf die vierte Frage zu antworten, dass die
Angabe, dass sich eine Person den Fuß verletzt hat und
partiell krankgeschrieben ist, zu den personenbezogenen
Daten über die Gesundheit im Sinne von Artikel 8 Absatz
1 der Richtlinie 95/46 gehört.
Zur fünften Frage
- 52.
- Mit der fünften Frage des vorlegenden Gerichts soll
geklärt werden, ob eine Übermittlung von Daten in ein
Drittland im Sinne von Artikel 25 der Richtlinie 95/46
vorliegt, wenn eine Person, die sich in einem
Mitgliedstaat befindet, in eine Internetseite, die bei
einer in demselben oder einem anderen Mitgliedstaat
ansässigen natürlichen oder juristischen Person
gespeichert ist, die die Website unterhält, auf der
diese Seite abgerufen werden kann (im Folgenden:
Host-Service-Provider), personenbezogene Daten aufnimmt
und sie damit jeder Person, die eine Verbindung zum
Internet herstellt, einschließlich Personen in
Drittländern, zugänglich macht. Das vorlegende Gericht
fragt weiter, ob die Frage genauso zu beantworten wäre,
wenn sich zeigt, dass tatsächlich kein Angehöriger
eines Drittlands von diesen Daten Kenntnis erlangt hat
oder dass sich der Server, auf dem die Seite gespeichert
ist, rein räumlich in einem Drittland befindet.
Beim
Gerichtshof eingereichte Erklärungen
- 53.
- Die Kommission und die schwedische Regierung vertreten
die Auffassung, die Aufnahme personenbezogener Daten in
eine Internetseite mittels eines Rechners dergestalt,
dass diese Daten Angehörigen von Drittländern
zugänglich gemacht würden, stelle eine Übermittlung
von Daten in Drittländer im Sinne der Richtlinie 95/46
dar. Die Antwort sei die gleiche, wenn kein Angehöriger
eines Drittlands von diesen Daten tatsächlich Kenntnis
erlange oder wenn sich der Server, auf dem sie
gespeichert seien, rein räumlich in einem Drittland
befinde.
- 54.
- Die niederländische Regierung weist darauf hin, dass der
Begriff Übermittlung in der Richtlinie 95/46 nicht
definiert sei. Zum einen sei dieser Begriff dahin
auszulegen, dass er sich auf eine Handlung beziehe, mit
der bewusst personenbezogene Daten vom Gebiet eines
Mitgliedstaats in ein Drittland übermittelt werden
sollten; zum anderen sei es nicht möglich, zwischen den
einzelnen Formen zu unterscheiden, in denen die Daten
Dritten zugänglich gemacht würden. Infolgedessen könne
die Aufnahme personenbezogener Daten in eine
Internetseite mittels eines Rechners nicht als
Übermittlung personenbezogener Daten in ein Drittland im
Sinne von Artikel 25 der Richtlinie 95/46 angesehen
werden.
- 55.
- Die Regierung des Vereinigten Königreich macht geltend,
Artikel 25 der Richtlinie 95/46 beziehe sich auf die
Übermittlung von Daten in ein Drittland und nicht auf
die Frage, inwieweit aus diesen Ländern Zugang zu diesen
Daten bestehe. Der Begriff Übermittlung setze voraus,
dass Daten durch eine an einem bestimmten Ort befindliche
Person an eine an einem anderen Ort befindliche dritte
Person übermittelt würden. Nur für den Fall einer
solchen Übermittlung schreibe Artikel 25 der Richtlinie
95/46 den Mitgliedstaaten vor, für einen angemessenen
Schutz der personenbezogenen Daten in einem Drittland zu
sorgen.
Antwort des Gerichtshofes
- 56.
- Die Richtlinie 95/46 definiert den Begriff Übermittlung
in ein Drittland weder in Artikel 25 noch in irgendeiner
anderen Bestimmung, insbesondere auch nicht in Artikel 2.
- 57.
- Bei der Prüfung der Frage, ob die Aufnahme
personenbezogener Daten in eine Internetseite schon
deshalb eine Übermittlung dieser Daten in ein Drittland
im Sinne von Artikel 25 der Richtlinie 95/46 darstellt,
weil die Daten durch diese Aufnahme den in diesem
Drittland befindlichen Personen zugänglich gemacht
werden, sind zum einen die technische Seite der damit
verbundenen Vorgänge und zum anderen der Zweck und die
Systematik von Kapitel IV der Richtlinie 95/46, in dem
Artikel 25 steht, zu berücksichtigen.
- 58.
- Die im Internet zu findenden Informationen können fast
jederzeit von einer unbestimmten Zahl von Personen von
den verschiedensten Orten aus abgerufen werden. Die
umfassende Abrufbarkeit dieser Informationen folgt
insbesondere daraus, dass die beim Internet verwendeten
technischen Mittel verhältnismäßig einfach und immer
weniger kostspielig sind.
- 59.
- Nach den Modalitäten für die Benutzung des Internets,
wie sie in den 1990er Jahren für Einzelpersonen wie Frau
Lindqvist verfügbar geworden sind, übermittelt der
Urheber einer für die Veröffentlichung im Internet
bestimmten Seite die für diese Seite konstitutiven Daten
seinem Host-Service-Provider. Dieser verwaltet die
EDV-Infrastruktur, die zur Speicherung dieser Daten und
für die Verbindung mit dem Server, auf dem die
Internetseite untergebracht ist, notwendig ist. Dies
ermöglicht die spätere Übermittlung dieser Daten an
jede mit dem Internet verbundene Person, die sie erhalten
möchte. Die Rechner, die diese EDV-Infrastruktur bilden,
können sich in einem oder mehreren anderen Ländern als
dem der Niederlassung des Host-Service-Providers befinden
- was oft der Fall ist -, ohne dass dessen Kunden hiervon
Kenntnis haben oder normalerweise Kenntnis nehmen
können.
- 60.
- Aus den Akten geht hervor, dass ein Internetbenutzer zum
Erhalt der Informationen auf den Internetseiten, in die
Frau Lindqvist Daten über ihre Kollegen aufgenommen
hatte, nicht nur eine Verbindung zum Internet herstellen,
sondern auch - eigenhändig - die notwendigen Schritte
zum Einsehen dieser Seiten unternehmen musste. Die
Internetseiten von Frau Lindqvist enthielten, anders
gesagt, nicht die technischen Mechanismen, die einen
automatischen Versand dieser Informationen an Personen
ermöglicht hätten, die diese Seiten nicht bewusst
aufgesucht hatten.
- 61.
- Daraus folgt, dass unter Umständen wie denen des
Ausgangsverfahrens die personenbezogenen Daten, die von
einer Person aus, die sie auf eine Website hochgeladen
hat, in den Rechner einer sich in einem Drittland
befindenden Person gelangen, nicht zwischen diesen beiden
Personen unmittelbar, sondern über die EDV-Infrastruktur
des Host-Service-Providers, auf der die Seite gespeichert
ist, übermittelt worden sind.
- 62.
- Dies ist der Kontext, in dem zu prüfen ist, ob der
Gemeinschaftsgesetzgeber im Hinblick auf die Anwendung
von Kapitel IV der Richtlinie 95/46 unter den Begriff
Übermittlung von Daten in ein Drittland im Sinne von
Artikel 25 dieser Richtlinie auch Vorgänge fassen
wollte, wie sie von Frau Lindqvist ausgeführt worden
sind. Zu beachten ist, dass die fünfte Frage des
vorliegenden Gerichts nur diese und nicht jene Vorgänge
betrifft, die von den Host-Service-Providern ausgeführt
werden.
- 63.
- Kapitel IV der Richtlinie 95/46, in dem Artikel 25 steht,
sieht eine Sonderregelung vor, die besondere Bestimmungen
für die von den Mitgliedstaaten vorzunehmende Kontrolle
der Übermittlung personenbezogener Daten in Drittländer
enthält. Mit diesem Kapitel ist eine Regelung
eingeführt worden, die die allgemeine Regelung von
Kapitel II der Richtlinie 95/46, die die Rechtmäßigkeit
der Verarbeitung personenbezogener Daten betrifft,
ergänzt.
- 64.
- Der Zweck des Kapitels IV wird in den
Begründungserwägungen 56 bis 60 der Richtlinie 95/46
dargelegt; darin heißt es u. a., dass der in der
Gemeinschaft durch diese Richtlinie garantierte Schutz
von Personen der Übermittlung personenbezogener Daten in
Drittländer, die ein angemessenes Schutzniveau
aufweisen, zwar nicht entgegensteht, dass jedoch die
Angemessenheit dieses Schutzniveaus unter
Berücksichtigung aller Umstände hinsichtlich einer
Übermittlung oder einer Kategorie von Übermittlungen zu
beurteilen ist. Bietet ein Drittland kein angemessenes
Schutzniveau, so ist die Übermittlung personenbezogener
Daten in dieses Land zu untersagen.
- 65.
- Artikel 25 der Richtlinie 95/46 erlegt den
Mitgliedstaaten und der Kommission eine Reihe von
Verpflichtungen zur Kontrolle der Übermittlung
personenbezogener Daten in Drittländer unter
Berücksichtigung des in jedem dieser Länder für diese
Daten bestehenden Schutzniveaus auf.
- 66.
- Artikel 25 Absatz 4 der Richtlinie 95/46 sieht vor, dass
die Mitgliedstaaten dann, wenn die Kommission feststellt,
dass ein Drittland kein angemessenes Schutzniveau
aufweist, die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit
keine Übermittlung personenbezogener Daten in das
betreffende Drittland erfolgt.
- 67.
- Kapitel IV der Richtlinie 95/46 enthält keine Bestimmung
über die Benutzung des Internets. So führt es auch
keine Kriterien für die Klärung der Frage an, ob für
die unter Vermittlung von Host-Service-Providern
ausgeführten Vorgänge auf den Ort der Niederlassung
oder des beruflichen Sitzes des Providers oder aber auf
den oder die Orte abzustellen ist, an denen sich die
Rechner befinden, die die EDV-Infrastruktur des Providers
ausmachen.
- 68.
- Angesichts des Entwicklungsstands des Internets zur Zeit
der Ausarbeitung der Richtlinie 95/46 und des Fehlens von
Kriterien für die Internetbenutzung in Kapitel IV dieser
Richtlinie kann nicht angenommen werden, dass der
Gemeinschaftsgesetzgeber unter den Begriff Übermittlung
von Daten in ein Drittland im Vorgriff auch den Vorgang
fassen wollte, dass eine Person in der Lage von Frau
Lindqvist Daten in eine Internetseite aufnimmt, auch wenn
diese Daten dadurch Personen aus Drittländern
zugänglich gemacht werden, die über die technischen
Mittel für diesen Zugang verfügen.
- 69.
- Würde Artikel 25 der Richtlinie 95/46 dahin ausgelegt,
dass immer dann, wenn personenbezogene Daten auf eine
Internetseite hochgeladen werden, eine Übermittlung von
Daten in ein Drittland vorliegt, so wäre diese
Übermittlung notwendig eine solche in alle Drittländer,
in denen die für einen Zugang zum Internet notwendigen
technischen Mittel vorliegen. Damit würde die in Kapitel
IV der Richtlinie 95/46 vorgesehene Sonderregelung
notwendig zu einer allgemeinen Regelung für Vorgänge im
Rahmen des Internets werden. Sobald die Kommission nach
Artikel 25 Absatz 4 der Richtlinie 95/46 feststellen
würde, dass auch nur ein Land kein angemessenes
Schutzniveau aufweist, wären die Mitgliedstaaten
nämlich verpflichtet, jede Aufnahme personenbezogener
Daten in das Internet zu unterbinden.
- 70.
- Deshalb ist Artikel 25 der Richtlinie 95/46 dahin
auszulegen, dass Vorgänge, wie sie von Frau Lindqvist
ausgeführt worden sind, als solche keine Übermittlung
von Daten in ein Drittland darstellen. Daher braucht
nicht untersucht zu werden, ob eine Person aus einem
Drittland zu der betreffenden Internetseite Zugang hatte
oder ob sich der Server des betreffenden Providers in
einem Drittland befindet.
- 71.
- Somit ist auf die fünfte Frage zu antworten, dass keine
Übermittlung von Daten in ein Drittland im Sinne von
Artikel 25 der Richtlinie 95/46 vorliegt, wenn eine sich
in einem Mitgliedstaat aufhaltende Personen in eine
Internetseite, die bei ihrem in demselben oder einem
anderen Mitgliedstaat ansässigen Host-Service-Provider
gespeichert ist, personenbezogene Daten aufnimmt und
diese damit jeder Person, die eine Verbindung zum
Internet herstellt, einschließlich Personen in
Drittländern, zugänglich macht.
Zur sechsten
Frage
- 72.
- Mit seiner sechsten Frage möchte das vorlegende Gericht
wissen, ob die Bestimmungen der Richtlinie 95/46 für
einen Fall wie den vorliegenden eine Beschränkung
enthalten, die im Widerspruch zum allgemeinen Grundsatz
der Meinungsfreiheit oder zu anderen innerhalb der
Europäischen Union geltenden Rechten und Freiheiten
steht, die u. a. dem Recht aus Artikel 10 EMRK
entsprechen.
Beim Gerichtshof eingereichte
Erklärungen
- 73.
- Frau Lindqvist macht u. a. unter Hinweis auf das Urteil
vom 6. März 2001 in der Rechtssache C-274/99 P
(Connolly/Kommission, Slg. 2001, I-1611) geltend, die
Richtlinie 95/46 und das PUL verstießen gegen den im
Gemeinschaftsrecht anerkannten allgemeinen Grundsatz der
Meinungsfreiheit, soweit sie Voraussetzungen einer
vorherigen Einwilligung und einer vorherigen Mitteilung
an eine Kontrollbehörde sowie ein generelles Verbot der
Verarbeitung sensibler personenbezogener Daten
einführten. Insbesondere genüge das Tatbestandsmerkmal
ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung
personenbezogener Daten nicht den Kriterien der
Vorhersehbarkeit und Genauigkeit.
- 74.
- Außerdem könne der bloße Umstand, dass eine
natürliche Person namentlich genannt werde, dass ihre
Telefonnummern und Arbeitsbedingungen bekannt gegeben und
dass Informationen über ihren Gesundheitszustand und
ihre Freizeitbeschäftigungen gegeben würden,
Informationen, die öffentlich zugänglich, allgemein
bekannt gegeben oder banal seien, keinen schweren
Verstoß gegen das Recht auf Achtung der Privatsphäre
begründen. Jedenfalls seien die mit der Richtlinie 95/46
auferlegten Beschränkungen angesichts des angestrebten
Zweckes, das Ansehen und die Privatsphäre anderer zu
schützen, unverhältnismäßig.
- 75.
- Die schwedische Regierung vertritt die Ansicht, die
Richtlinie 95/46 ermögliche es, die betroffenen
Interessen gegeneinander abzuwägen und damit die
Meinungsfreiheit und den Schutz der Privatsphäre zu
wahren. Zudem seien nur die nationalen Gerichte unter
Berücksichtigung der Umstände jedes Einzelfalls in der
Lage, die Angemessenheit der mit der Anwendung von
Vorschriften zur Wahrung der Rechte anderer verbundenen
Beschränkung der Ausübung des Rechts auf
Meinungsfreiheit zu beurteilen.
- 76.
- Die niederländische Regierung weist darauf hin, dass
sowohl die Meinungsfreiheit als auch das Recht auf
Wahrung der Privatsphäre zu den allgemeinen
Rechtsgrundsätzen gehörten, deren Wahrung der
Gerichtshof sicherstelle, und dass die EMRK keine
Hierarchie zwischen den verschiedenen Grundrechten
aufstelle. Daher müsse sich das nationale Gericht
bemühen, die verschiedenen betroffenen Grundrechte unter
Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls
miteinander in Einklang zu bringen.
- 77.
- Die Regierung des Vereinigten Königreichs führt aus,
ihr in Randnummer 55 dieses Urteils dargelegter Vorschlag
einer Antwort auf die fünfte Frage stehe mit den
Grundrechten in vollem Einklang und ermögliche es, einen
unverhältnismäßigen Eingriff in die Meinungsfreiheit
zu verhindern. Auch wäre eine Auslegung, die dahin
ginge, dass die Bekanntgabe personenbezogener Daten in
einer bestimmten Form, nämlich auf einer Internetseite,
viel strengeren Beschränkungen unterliege als eine
Bekanntgabe in anderer Form, wie etwa auf Papier, kaum zu
rechtfertigen.
- 78.
- Auch die Kommission meint, dass die Richtlinie 95/46
nicht zu einer Beschränkung führe, die gegen den
allgemeinen Grundsatz der Meinungsfreiheit oder andere in
der Europäischen Union geltende Rechte und Freiheiten,
die namentlich dem in Artikel 10 EMRK normierten Recht
entsprächen, verstoße.
Antwort des Gerichtshofes
- 79.
- Der siebten Begründungserwägung der Richtlinie 95/46
zufolge können die Errichtung und das Funktionieren des
Binnenmarktes durch die in den nationalen Regelungen
über die Verarbeitung personenbezogener Daten
bestehenden Unterschiede in schwerwiegender Weise
beeinträchtigt werden. Nach der dritten
Begründungserwägung der Richtlinie 95/46 muss die
Harmonisierung dieser nationalen Regelungen nicht nur auf
den freien Verkehr dieser Daten zwischen Mitgliedstaaten,
sondern auch auf die Wahrung der Grundrechte der Personen
abzielen. Diese Ziele können offenkundig miteinander in
Konflikt geraten.
- 80.
- Einerseits wird die wirtschaftliche und soziale
Integration, die sich aus der Errichtung und dem
Funktionieren des Binnenmarktes ergibt, notwendig zu
einer spürbaren Zunahme der Ströme personenbezogener
Daten zwischen allen am wirtschaftlichen und sozialen
Leben der Mitgliedstaaten Beteiligten führen,
unabhängig davon, ob es sich dabei um Unternehmen oder
um Verwaltungen der Mitgliedstaaten handelt. Diese
Beteiligten müssen in gewissem Umfang über
personenbezogene Daten verfügen können, um in dem Raum
ohne Grenzen, den der Binnenmarkt bildet, ihre Geschäfte
tätigen oder ihre Aufgabe erfüllen zu können.
- 81.
- Andererseits verlangen die von der Verarbeitung
personenbezogener Daten betroffenen Personen zu Recht,
dass diese Daten wirksam geschützt werden.
- 82.
- Die Mechanismen, die eine Abwägung der verschiedenen
Rechte und Interessen ermöglichen, sind zum einen in der
Richtlinie 95/46 selbst festgelegt, soweit diese
Vorschriften enthält, die bestimmen, in welchen
Situationen und in welchem Umfang die Verarbeitung
personenbezogener Daten rechtmäßig ist und welche
Schutzvorkehrungen vorzusehen sind. Zum anderen
resultieren sie aus dem Erlass nationaler Regelungen zur
Umsetzung dieser Richtlinie durch die Mitgliedstaaten
sowie aus der möglichen Anwendung dieser Regelungen
durch die nationalen Behörden.
- 83.
- Was die Richtlinie 95/46 selbst betrifft, so sind deren
Bestimmungen notwendig verhältnismäßig allgemein
gehalten, da sie auf viele ganz unterschiedliche
Situationen Anwendung finden soll. Zu Recht enthält
diese Richtlinie daher entgegen der Auffassung von Frau
Lindqvist Vorschriften, die durch eine gewisse
Flexibilität gekennzeichnet sind, und überlässt es in
vielen Fällen den Mitgliedstaaten, die Einzelheiten zu
regeln oder zwischen Optionen zu wählen.
- 84.
- Zwar verfügen die Mitgliedstaaten zur Umsetzung der
Richtlinie 95/46 in vielerlei Hinsicht über einen
Handlungsspielraum. Dennoch lässt nichts die Annahme zu,
dass es der in ihr vorgesehenen Regelung an
Vorhersehbarkeit mangelt oder dass ihre Bestimmungen als
solche gegen die allgemeinen Grundsätze des
Gemeinschaftsrechts, insbesondere die durch die
Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten Grundrechte,
verstoßen.
- 85.
- Daher muss ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den
genannten Rechten und Interessen eher auf nationaler
Ebene im Stadium der Anwendung der die Richtlinie 95/46
umsetzenden Regelung auf konkrete Fälle gefunden werden.
- 86.
- In diesem Zusammenhang kommt den Grundrechten besondere
Bedeutung zu, wie das Ausgangsverfahren zeigt, in dem es
im Kern darum geht, die Meinungsfreiheit von Frau
Lindqvist im Rahmen ihrer Arbeit als Katechetin und die
Freiheit, Tätigkeiten auszuüben, die zum religiösen
Leben beitragen, gegen den Schutz der Privatsphäre der
Personen abzuwägen, über die Frau Lindqvist Daten auf
ihre Website gestellt hat.
- 87.
- Demgemäß haben die Behörden und Gerichte der
Mitgliedstaaten nicht nur ihr nationales Recht im
Einklang mit der Richtlinie 95/46 auszulegen, sondern
auch darauf zu achten, dass sie sich nicht auf eine
Auslegung dieser Richtlinie stützen, die mit den durch
die Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten Grundrechten
oder den anderen allgemeinen Grundsätzen des
Gemeinschaftsrechts, wie dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit, kollidiert.
- 88.
- Zwar erfordert der Schutz der Privatsphäre die Anwendung
wirksamer Sanktionen gegen Personen, die personenbezogene
Daten in mit der Richtlinie 95/46 nicht vereinbarer Weise
verarbeiten, doch müssen solche Sanktionen stets den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Das gilt
umso mehr, als der Anwendungsbereich der Richtlinie 95/46
sehr weit ist und die den Personen, die personenbezogene
Daten verarbeiten, obliegenden Verpflichtungen zahlreich
und weitgehend sind.
- 89.
- Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat das
vorlegende Gericht alle Umstände der Rechtssache, mit
der es befasst ist, insbesondere die Dauer der
Zuwiderhandlung gegen die die Richtlinie 95/46
durchführenden Vorschriften und die Bedeutung, die der
Schutz der verbreiteten Daten für die Betroffenen hat,
zu berücksichtigen.
- 90.
- Demgemäß ist auf die sechste Frage zu antworten, dass
die Bestimmungen der Richtlinie 95/46 als solche keine
Beschränkung enthalten, die im Widerspruch zum
allgemeinen Grundsatz der Meinungsfreiheit oder zu
anderen innerhalb der Europäischen Union geltenden
Rechten und Freiheiten steht, die u. a. dem Recht aus
Artikel 10 EMRK entsprechen. Es ist Sache der nationalen
Behörden und Gerichte, die für die Anwendung der die
Richtlinie 95/46 umsetzenden nationalen Regelung
zuständig sind, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen
den betroffenen Rechten und Interessen einschließlich
der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten
Grundrechte sicherzustellen.
Zur siebten Frage
- 91.
- Mit seiner siebten Frage möchte das vorlegende Gericht
wissen, ob es den Mitgliedstaaten freisteht, einen weiter
gehenden Schutz für personenbezogene Daten oder einen
weiteren Anwendungsbereich als nach der Richtlinie 95/46
vorzusehen.
Beim Gerichtshof eingereichte
Erklärungen
- 92.
- Die schwedische Regierung vertritt die Auffassung, die
Richtlinie 95/46 lege nicht nur Mindestanforderungen an
den Schutz personenbezogener Daten fest. Vielmehr seien
die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie zur
Verwirklichung des durch diese vorgegebenen Schutzniveaus
verpflichtet, so dass sie keinen stärkeren oder
schwächeren Schutz vorsehen dürften. Zu beachten sei
jedoch der den Mitgliedstaaten im Rahmen dieser Umsetzung
eingeräumte Ermessensspielraum im Hinblick auf die
genaue Festlegung der allgemeinen Voraussetzungen, unter
denen die Verarbeitung personenbezogener Daten
rechtmäßig sei, im innerstaatlichen Recht.
- 93.
- Nach Ansicht der niederländischen Regierung verbietet es
die Richtlinie 95/46 den Mitgliedstaaten nicht, in
bestimmten Bereichen einen stärkeren Schutz vorzusehen.
Aus den Artikeln 10, 11 Absatz 1, 14 Absatz 1 Buchstabe
a, 17 Absatz 3, 18 Absatz 5 und 19 Absatz 1 dieser
Richtlinie gehe beispielsweise hervor, dass sie einen
weiter gehenden Schutz vorsehen könnten. Außerdem stehe
es den Mitgliedstaaten frei, die Grundsätze der
Richtlinie 95/46 auch auf Tätigkeiten anzuwenden, die
nicht in deren Anwendungsbereich fielen.
- 94.
- Die Kommission macht geltend, die Richtlinie 95/46 sei
auf Artikel 100a EG-Vertrag gestützt; wenn ein
Mitgliedstaat Rechtsvorschriften beibehalten oder
einführen wolle, die von dieser
Harmonisierungsrichtlinie abwichen, müsse er sie der
Kommission gemäß Artikel 95 Absatz 4 oder Absatz 5 EG
mitteilen. Infolgedessen dürften die Mitgliedstaaten
keinen weiter gehenden Schutz personenbezogener Daten
oder einen weiteren Anwendungsbereich als nach der
Richtlinie vorsehen.
Antwort des Gerichtshofes
- 95.
- Wie sich insbesondere aus ihrer achten
Begründungserwägung ergibt, bezweckt die Richtlinie
95/46, hinsichtlich der Rechte und Freiheiten von
Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten in
allen Mitgliedstaaten ein gleichwertiges Schutzniveau
herzustellen. Nach der zehnten Begründungserwägung der
Richtlinie 95/46 darf außerdem die Angleichung der
einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften nicht zu
einer Verringerung des durch diese Vorschriften
garantierten Schutzes führen, sondern muss im Gegenteil
darauf abzielen, in der Gemeinschaft ein hohes
Schutzniveau sicherzustellen.
- 96.
- Die Harmonisierung dieser nationalen Rechtsvorschriften
ist daher nicht auf eine Mindestharmonisierung
beschränkt, sondern führt zu einer grundsätzlich
umfassenden Harmonisierung. Im Hinblick darauf will die
Richtlinie 95/46 den freien Verkehr personenbezogener
Daten sicherstellen, wobei sie zugleich ein hohes Niveau
des Schutzes der Rechte und Interessen der von diesen
Daten betroffenen Personen gewährleistet.
- 97.
- Zwar trifft es zu, dass die Richtlinie 95/46 den
Mitgliedstaaten einen weiten Handlungsspielraum in
bestimmten Bereichen einräumt und sie ermächtigt, für
bestimmte Fälle besondere Regelungen beizubehalten oder
einzuführen, wie viele ihrer Bestimmungen zeigen. Von
diesen Möglichkeiten muss aber in der in der Richtlinie
95/46 vorgesehenen Art und Weise und im Einklang mit
ihrem Ziel Gebrauch gemacht werden, ein Gleichgewicht
zwischen dem freien Verkehr personenbezogener Daten und
dem Schutz der Privatsphäre zu wahren.
- 98.
- Dagegen sind die Mitgliedstaaten durch nichts daran
gehindert, den Geltungsbereich der die Richtlinie 95/64
umsetzenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften auf vom
Anwendungsbereich dieser Richtlinie nicht erfasste
Bereiche auszudehnen, soweit dem keine andere Bestimmung
des Gemeinschaftsrechts entgegensteht.
- 99.
- Aufgrund dessen ist auf die siebte Frage zu antworten,
dass die von den Mitgliedstaaten zur Gewährleistung des
Schutzes personenbezogener Daten getroffenen Maßnahmen
sowohl mit den Bestimmungen der Richtlinie 95/46 als auch
mit deren Ziel im Einklang stehen müssen, ein
Gleichgewicht zwischen dem freien Verkehr
personenbezogener Daten und dem Schutz der Privatsphäre
zu wahren. Dagegen sind die Mitgliedstaaten durch nichts
daran gehindert, den Geltungsbereich der die Richtlinie
95/64 umsetzenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften auf
vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie nicht erfasste
Bereiche auszudehnen, soweit dem keine andere Bestimmung
des Gemeinschaftsrechts entgegensteht.
Kosten
- 100.
- Die Auslagen der schwedischen und der niederländischen
Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs,
der Kommission und der EFTA-Überwachungsbehörde, die
Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind
nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des
Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem
vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus
diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Göta hovrätt mit Beschluss vom 23.
Februar 2001 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Die Handlung, die darin besteht, auf einer
Internetseite auf verschiedene Personen hinzuweisen und
diese entweder durch ihren Namen oder auf andere Weise,
etwa durch Angabe ihrer Telefonnummer oder durch
Informationen über ihr Arbeitsverhältnis oder ihre
Freizeitbeschäftigungen, erkennbar zu machen, stellt
eine ganz oder teilweise automatisierte Verarbeitung
personenbezogener Daten im Sinne von Artikel 3 Absatz 1
der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher
Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und
zum freien Datenverkehr dar.
2. Eine solche Verarbeitung personenbezogener Daten
fällt unter keine der in Artikel 3 Absatz 2 der
Richtlinie 95/46 genannten Ausnahmen.
3. Die Angabe, dass sich eine Person den Fuß
verletzt hat und partiell krankgeschrieben ist, gehört
zu den personenbezogenen Daten über die Gesundheit im
Sinne von Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie 95/46.
4. Es liegt keine Übermittlung von Daten in ein
Drittland im Sinne von Artikel 25 der Richtlinie 95/46
vor, wenn eine sich in einem Mitgliedstaat aufhaltende
Person in eine Internetseite, die bei einer in demselben
oder einem anderen Mitgliedstaat ansässigen natürlichen
oder juristischen Person gespeichert ist, die die Website
unterhält, auf der diese Seite abgerufen werden kann,
personenbezogene Daten aufnimmt und diese damit jeder
Person, die eine Verbindung zum Internet herstellt,
einschließlich Personen in Drittländern, zugänglich
macht.
5. Die Bestimmungen der Richtlinie 95/46 enthalten
als solche keine Beschränkung, die im Widerspruch zum
allgemeinen Grundsatz der Meinungsfreiheit oder zu
anderen innerhalb der Europäischen Union geltenden
Rechten und Freiheiten steht, die u. a. dem Recht aus
Artikel 10 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten
Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte
und Grundfreiheiten entsprechen. Es ist Sache der
nationalen Behörden und Gerichte, die für die Anwendung
der die Richtlinie 95/46 umsetzenden nationalen Regelung
zuständig sind, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen
den betroffenen Rechten und Interessen einschließlich
der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten
Grundrechte sicherzustellen.
6. Die von den Mitgliedstaaten zur Gewährleistung
des Schutzes personenbezogener Daten getroffenen
Maßnahmen müssen sowohl mit den Bestimmungen der
Richtlinie 95/46 als auch mit deren Ziel im Einklang
stehen, ein Gleichgewicht zwischen dem freien Verkehr
personenbezogener Daten und dem Schutz der Privatsphäre
zu wahren. Dagegen sind die Mitgliedstaaten durch nichts
daran gehindert, den Geltungsbereich der die Richtlinie
95/64 umsetzenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften auf
vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie nicht erfasste
Bereiche auszudehnen, soweit dem keine andere Bestimmung
des Gemeinschaftsrechts entgegensteht.
Jann Timmermans Gulmann Cunha Rodrigues
Rosas Edward
Puissochet Macken von Bahr
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 6.
November 2003.
Der Kanzler Der Präsident
R. Grass V. Skouris