Abstand zwischen Putenmaststall und Wohnbebauung

Gericht

OVG Lüneburg


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

14. 07. 1989


Aktenzeichen

6 A 152/87


Leitsatz des Gerichts

  1. Bei Puten handelt es sich um Mastgeflügel i. S. der Nr. 7.1. c des Anhangs zur 4. BImSchVO. Zwei Mastgeflügelplätze entsprechen einem Hennenplatz. Eine Umrechnung über das Tiergewicht ist nicht vorgesehen. Zur Bestimmung der zumutbaren Geruchsbelästigung kann auf das Mindestabstandsdiagramm der TA-Luft Abbildung 5 unter 3.3.7.1.1 zurückgegriffen werden.

  2. Bei einem Abstand von 300 m zwischen einem Wohnhaus im Außenbereich und Mastställen für 6500 Putenmasthähne sind unzumutbare Geruchsbelästigungen ausgeschlossen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. ist Eigentümer eines mit einem Einfamilienwohnhaus bebauten Grundstücks. Der Bekl. erteilte dem Beigeladenen die Baugenehmigung zur Errichtung von zwei offenen Putenmastställen mit einer Grundfläche von jeweils 16 m x 80 m. Beide Grundstücke liegen im landwirtschaftlich genutzten Außenbereich. Der nächste Abstand zwischen den Putenställen und dem Haus des Kl. beträgt ca. 300 m. Es liegt westlich der Putenställe.

Der Kl. wendete sich als Nachbar gegen die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung. Die Klage blieb auch in der Berufungsinstanz ohne Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

... II. ... Die Erteilung der Genehmigung verstößt weder gegen eine Vorschrift, die auch dem Schutze des Kl. dient, noch verletzt sie das Gebot der Rücksichtnahme, soweit es als drittschützend in Betracht kommt, noch stellt sie einen nach Art. 14 I GG unzulässigen, schweren und unerträglichen Eingriff in das Eigentum des Kl. dar.

Ob die Genehmigung dem objektiven öffentlichen Recht entspricht, kann offenbleiben, denn eine Verletzung von Rechten des Kl. kommt nur in Betracht, wenn die Genehmigung der zwei Putenställe infolge nachbarschützender Vorschriften nicht erteilt werden durfte. Das ist nicht der Fall.

Eine unmittelbare Anwendung der nachbarschützenden Vorschrift des § 5 I Nr. 1 BImSchG, wonach genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und so zu betreiben sind, daß schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können, scheidet aus, da es sich bei den zwei Putenmastställen mit einem Besatz von 6500 Masthähnen nicht um eine genehmigungsbedürftige Anlage i. S. von § 4 I 2 BImSchG i. V. mit § 2 der 4. BImSchVO und Anhang 7.1 c) handelt. Hiernach sind Anlagen zum Halten oder zur Aufzucht von Geflügel genehmigungspflichtig ab 14000 Mastgeflügelplätzen. Diese Zahl erreicht die Anlage des Beigeladenen nicht. Der Senat folgt nicht der Auffassung des Klägervertreters, daß die Putenhähne anhand ihres Gewichtes in eine entsprechende Anzahl von Legehennen umzurechnen sind. Danach würden 6500 Putenhähne mit einem Gewicht von 16 kg pro Tier 47273 Hennenplätzen entsprechen und damit weit über der Genehmigungsgrenze nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz von 7000 Hennenplätzen liegen. Diese Umrechnung findet keinerlei Grundlage im Anhang zur 4. BImSchVO. Dort wird bei der Genehmigungspflicht unter 7.1 a) bis c) unterschieden zwischen 7000 Hennenplätzen, 14000 Junghennenplätzen und 14000 Mastgeflügelplätzen. Somit sind Puten unter den Begriff der Mastgeflügelplätze zu subsumieren. Eine Umrechnung in Hennenplätze ist nicht vorgesehen.

Die angefochtene Genehmigung verstößt insbesondere auch nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Das BVerwG hat in seiner bisherigen Rechtsprechung ein Rücksichtnahmegebot als Grundlage für Abwehransprüche von Nachbarn nur soweit anerkannt, als es Ausdruck im materiellen öffentlichen Recht gefunden hat, so in § 34 BBauG im Gebot des "Einfügens" eines Vorhabens in die Eigenart der näheren Umgebung, als öffentlicher Belang i. S. des § 35 III BBauG und in § 15 I BauNutzVO (vgl. BVerwG, NVwZ 1984, 509 = BRS 40 Nr. 206, m. w. Nachw.). In diesem Zusammenhang hat das BVerwG weiterhin ausgeführt, daß § 5 Nr. 1 BImSchG auch für das Baurecht allgemein die Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen für Nachbarn und damit das Maß der gebotenen Rücksichtnahme bestimmt. Das im Baurecht geltende Rücksichtnahmegebot gewährt somit u. a. den Schutz vor unzumutbaren Immissionen. Im vorliegenden Falle ist jedoch das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt, weil das Grundstück des Kl. nicht unzumutbaren Immissionen durch die zwei Putenmastställe ausgesetzt ist. Für die Bestimmung der zumutbaren Geruchsbelästigung kann auf das Mindestabstandsdiagramm in der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft - TA-Luft - vom 27. 2. 1986 (GMBl S. 95) Abbildung 5 unter 3.3.7.1.1. - Anlagen zum Halten von Schweinen oder zum Halten oder zur Aufzucht von Geflügel - zurückgegriffen werden. Dieses Abstandsdiagramm bezieht sich zwar auf Hennen- und Sauenplätze, gibt jedoch entsprechend der Nr. 7 des Anhangs zur 4. BImSchVO an, daß ein Hennenplatz zwei Mastgeflügelplätzen entspricht. Die Kurve des Diagramms beginnt bei 200 m für 14000 Hennenplätze. Berücksichtigt man, daß der Kl. 300 m entfernt von den Putenställen wohnt und der Beigeladene nach der hier zu überprüfenden Genehmigung 6500 Putenhähne hält, ist es nach der TA-Luft, deren Beachtlichkeit für die Gerichte aus ihrem naturwissenschaftlich fundierten fachlichen Aussagegehalt und auch aus dem Verfahren ihres Zustandekommens folgt (vgl. hierzu OVG Lüneburg, NVwZ 1985, 357 f.), ausgeschlossen, daß der Kl. unzumutbaren Geruchsbelästigungen ausgesetzt ist. Lärmbelästigungen werden vom Kl. nicht geltend gemacht.

Dieses Ergebnis wird bestätigt durch die Wahrnehmungen des Berichterstatters im Ortstermin. Ein deutlicher Geruch war nur im Stall und dessen unmittelbarer Nähe wahrnehmbar. Eine Wahrnehmung in einer Entfernung von 50 m war nicht mehr möglich. Die Puten werden in den Ställen des Beigeladenen auf einer dicken Stroheinstreu auf Holzfußboden gehalten. Feuchte Abgänge waren nicht feststellbar. Das unter Anwendung der TA-Luft gefundene Ergebnis findet weiterhin eine Stütze in den sachverständigen Äußerungen des V von der landwirtschaftlichen Untersuchungs- und Forschungsanstalt der Landwirtschaftskammer ... Richtig ist zwar, daß dieses Gutachten in einem anderen Fall erstellt wurde. Die Fallgestaltung entspricht hinsichtlich der Anordnung und Ausstattung sowie Größe der Ställe und Mastbesatz in etwa den Ställen des Beigeladenen. In dem Gutachten wird festgestellt, daß bereits nach 50 m keine Geruchswahrnehmung mit der Nase mehr möglich ist. Eine Schwefelwasserstoffbestimmung konnte nur in 5 m Umkreis um die Ställe erfolgen und eine Ammoniakbestimmung war noch in 100 m Entfernung möglich. Der Kl. greift zwar die dortigen Feststellungen pauschal an. Er vermochte jedoch nicht darzulegen, ob und mit welchen neuen Meßmethoden heutzutage andere Ergebnisse zu erwarten wären. Somit bleibt festzustellen, daß keine Anhaltspunkte für eine unzumutbare Geruchsbelästigung des Kl. vorliegen, die eine Begutachtung durch einen Sachverständigen rechtfertigen würden. Infolgedessen ist der Senat dem hilfsweise gestellten Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht gefolgt.

Der Senat verkennt nicht, daß das Wohnhaus des Kl. in 300 m Entfernung von den Putenställen in der Hauptwindrichtung liegt. Sollte der Kl. daher bei ungünstigen Wetterlagen oder während der Ausmistung der Ställe Gerüche wahrnehmen, so hat er diese hinzunehmen. Seine Abwehransprüche gegenüber Gerüchen oder Geräuschen der Stallungen als Ausprägung des Gebots der Rücksichtnahme sind nämlich auf das Maß beschränkt, das in einem durch landwirtschafltiche Nutzung geprägten Außenbereich geboten ist (vgl. OVG Lüneburg, BRS 44 Nr. 14; Beschl. v. 14. 6. 1989 - 6 M 20/89). Das baurechtliche Gebot der Rücksichtnahme schützt ihn nur vor unzumutbaren Geruchsbelästigungen, nicht aber vor außenbereichstypischen Gerüchen, die durch Tierhaltung oder Düngung entstehen.

Rechtsgebiete

Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht

Normen

BBauG § 35; 4. BImSchVO § 2